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3 Amazonenmythos im Kontext feministischer Aneignung

3.2 Diskurstheoretische Grundlagen

3.2.1 Amazonen als Produkt des antiken griechischen Alteritätsdiskurses

3.2.1.1 Performative Macht der Normen

Ob die Bezeichnung Amazone(n) im diskursiven Sinne negativ oder positiv bestärkend verstanden und verwendet wird, liegt nicht in der Bestimmungsmacht des Individuums.

155 Hölscher (2000), S.287. Ähnlich sieht es auch Fornasier. Nach ihm „[...] definierte sich schon damals eine Gemeinschaft [wie die Griech*innen, AS] in erster Linie durch Abgrenzung nach außen, in dem vor allem kulturelle Besonderheiten des Fremden [...] hervorgehoben wurden.“

Fornasier (2010), S.58.

156 Hölscher (2000), S.287.

157 Ebd., S.296.

158 Ebd. 289.

159 Ebd., S.297. Diese Bedrohung geht dabei nach Hölscher ebenso von den Kentauren und Giganten aus. Ebd.

Wie dargelegt, sind Amazonen ein Produkt des antiken Alteritätsdiskurses. Dabei reichte es nicht aus, sie einmal als solche zu benennen, um sie dauerhaft in eine mythische Existenz zu überführen. Zum Gelingen einer performativen Äußerung ist es nach John Austin – dem Begründer der Sprechakttheorie auf die sich Butler bezieht – notwendig, dass diese von einer Konvention gestützt wird, „[...] die ihr die Autorität verleiht, was sie sagt, in die Praxis umzusetzen [...]“.160 Für Homer stellt diese autoritäre Instanz meines Erachtens nach die mündliche Überlieferung dar, das heißt ihre Gemeinschaft von Sprecher*innen, welche von den Amazonen erzählten. Wen oder was sich Sprecher*innen und Zuhörer*innen genau darunter vorgestellt haben, ist dabei aber nicht bekannt. Dies würde bedeuten, dass mit der Verschriftlichung ein möglicher Startpunkt genannt werden könnte, ab wann der Amazonenmythos begann sich zu einem konkreten Produkt des Alteritätsdiskurses zu formieren. Wie in Kapitel 2.1.3 bereits dargelegt, erfolgte durch die Niederschrift eine Fixierung der Mythen. Zu Beginn waren die Amazonen in der literarischen Aufzeichnung bei Homer nicht mehr als ein Name, sie erscheinen als einheitliche Gruppe ohne weiter ausformulierte Charakterisierung.161 So konstatiert Tiersch: „Außer den Epitheta der kriegerischen Tapferkeit und Männergleichheit werden keine weiteren Spezifikationen erwähnt, offenbar, weil der Mythos noch nicht weiter ausgeformt war, daran aber auch noch kein Bedarf bestand.“162 Es reichte, dass sie als Trägerinnen „[...] ungewöhnlicher, die Regeln der weiblichen Natur sprengenden Kräfte [...]“163 eine erkennbare Gefahr von außen für die griechische Gemeinschaft (= innen) repräsentierten.

Die weitere Ausformulierung und Tradierung des Amazonenmythos fand nun schriftlich statt und beschränkte sich auf einen gesellschaftlichen Kreis aus einflussreichen Personen von Dichtern und Geschichtsschreibern.164 Diese hatten im Weiteren einen aktiven Einfluss darauf, wie die Kriegerinnen wahrgenommen werden.

Denn ob Weltbilder, moralische, religiöse, mythische oder ideelle Auffassungen, Gesetze uvm.: „Noch mehr als die gesprochene Sprache leistet die Schrift [...] dem Entstehen von kollektiven Diskursen Vorschub, in denen Vorstellungen und Wissen

160 Distelhorst (2009), S.44.

161 Tiersch (2013), S.114.

162 Ebd.

163 Ebd., S.116.

164 An dieser Stelle habe ich bewusst auf das Gendern verzichtet, da keine antiken Autorinnen bekannt sind, die Kompilationen zum Amazonenmythos verfasst haben. Dies bedeutet nicht, dass es ausgeschlossen ist, dass es diese vielleicht doch gegeben hat. Auf Basis der bisherigen Quellen, muss ich jedoch explizit die männlich bezogene Schreibweise verwenden.

überindividuell von ganz unterschiedlichen Akteuren beeinflusst und entwickelt werden [...]“165. Die Amazonen sind demgemäß die Wirkung eines performativen, ständig wiederholten Alteritätsdiskurses, der seine Macht daraus schöpft, die fest in der griechischen Gesellschaft etablierte Norm der Geschlechterordnung und Kultiviertheit zu zitieren.166

Indem die Dichter und Geschichtsschreiber, wie aber auch Kunstschaffenden im bildnerischen Bereich den Amazonenmythos rezitieren, legitimieren sie nicht nur die genannten Normen einer hegemonialen Kultur (ich denke, hier kann auch von authentifizieren gesprochen werden), sondern geben diese zugleich einer Subversion preis. Dies liegt daran, dass die Form der Bedeutungsverschiebung zur Struktur der Sprache selbst gehört, „[...] in der sich niemals zweimal das Gleiche sagen lässt, da sich von einem aufs andere Mal der Kontext bereits verändert hat.“167 Dieser Prozess ist dabei in größeren zeitlichen Abständen zu verstehen.168 Mit Blick auf die Funktionalisierung des Amazonenmythos zeigt sich dies beispielsweise in den verschiedenen Epochen der Antike. Verortet „[...] in den äußersten unheimlichen Randzonen jenseits der gesamten zivilisierten Oikoumene [...]“169, sind die Amazonen in der Archaik Repräsentantinnen einer bedrohlichen, da noch recht unbekannten und somit unkontrollierbaren Fremde (siehe hierzu die Mythen in der Illias und Aithiopis sowie der Begegnung mit Herakles in Kapitel 2.2.4.2.). In der Klassik sind sie insbesondere für Athen politisch-ordnungsstiftend (siehe den Theseus Mythos in Kapitel 2.2.4.2) und im Hellenismus vor allem aitiologisch, wie beispielsweise der Artemis-Kult in Ephesos, der von den Amazonen begründet worden sein soll.170

Die Instabilität der Sprache kann auch bewusst ausgenutzt werden, um die bisherige Bedeutung von Diskursen zu verändern.171 Genau hier sehe ich auch die Möglichkeit

165 Fahlenbrach (2019), S.75.

166 Vgl. hierzu Distelhorst, der die Produktivität von Diskursen anhand von Butlers Ausführungen zu Geschlecht damit zusammenfasst. Distelhorst (2009), S.46f.

167 Ebd., S.106.

168 Distelhorst erläutert diesen zeitlichen Aspekt sehr gut an dem Beispiel von den Bedeutungsveränderungen, „[...] die viele Worte im Laufe von Jahren durchlaufen, bis sie schließlich etwas vollkommen anderes bedeuten, als es zuvor der Fall war oder die unterschiedlichen Arten, in denen ein und derselbe Sprechakt in zwei verschiedenen sozialen oder kulturellen Kontexten ausgelegt werden kann.“ Ebd.

169 Hölscher (2000), S.289.

170 Tilg (2021), S.3.

171 Distelhorst (2009), S.106.

für den Amazonenmythos begründet, ihn für feministische Anliegen zu resignifizieren.

Dies soll abschließend für dieses Kapitel an Christine de Pizans Das Buch von der Stadt der Frauen exemplifiziert werden.