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Wonder Woman im aktuellen Forschungskontext

4 Kapitel: Amazonentöchter einer neuen Zeit

4.2 Amazonen als Heldinnen

4.2.1 Wonder Woman im aktuellen Forschungskontext

Wonder Woman ist eine der wenigen weiblichen Superheldinnenfiguren, „[...] über die in der neueren Forschung relativ viel publiziert wurde.“227 Zahlreiche Beiträge und Monographien stammen dabei hauptsächlich aus dem englischsprachigen Raum.228 Obwohl Wonder Woman, wie bereits erwähnt, über eine diverse Medienpräsenz verfügt, liegt der Forschungsschwerpunkt hauptsächlich auf ihrem Ursprungsmedium, dem Comic. Das inhaltliche Spektrum reicht dabei von den Anfängen ihrer Kreation durch Marston in Zusammenarbeit mit seiner Frau, hin zu Wonder Womans andauernden Revision nach dessen Tod durch zahlreiche andere Autor*innen und Zeichner*innen.229

Neben ihrer umfangreichen Rezeptionsgeschichte wird die Figur der Wonder Woman vor allem in gendertheoretischen Kontexten erforscht. Dies hat den Grund, dass Wonder Woman westliche Gendernormen und kulturelle Praktiken herausfordert und zugleich hinterfragen kann, da sie selbst eine Außenstehende ist. Genauso wie ihre antiken Vorfahrinnen, ist auch Wonder Womans Herkunft geprägt von Alterität. Wie sich jedoch in Kapitel 5 zeigen wird, kehrt der Film Wonder Woman (2017) deren diskursive Deutungshoheit dahingehend um, dass die Menschen außerhalb von Themyscira (Wonder Womans Heimat) die Alterität darstellen. Ihre Handlungen, gesellschaftlichen Strukturen und politischen Ordnungen werden nun in Referenz zu

226 Kroll führt neben de Pizan noch die französische Schriftstellerin Catherine des Roches an, die mit ihrem Gedicht „Pour une Mascarade d’Amazones“ von 1578 ebenfalls eine positive Umdeutung des Amazonenmythos vornimmt. Kroll (2004a), S.65-67.

227 Nowotny (2018), S.378.

228 Siehe hierzu die verwendete Literatur im Literaturverzeichnis dieser Arbeit.

229 Siehe dazu Ormrod (2020), S.10-15.

dem der Amazonen bewertet oder auch kritisiert. Zudem stellt Wonder Woman keine Bedrohung mehr dar; vielmehr ist die Amazone „[…] her people's gift to humanity.”230

4.2.2 „[…] if you need to end a war, you call Wonder Woman”231

Um zu verstehen, worin der Grund von Wonder Womans Schöpfung liegt, ist es wichtig den medien- und zeitgeschichtlichen Kontext mitzudenken, in dem sie entstanden ist.

Als die USA 1941 in den zweiten Weltkrieg eintraten, wurden bereits Superhelden wie Superman und Captain America dazu genutzt, den amerikanischen Patriotismus zu veranschaulichen, die Amerikaner*innen zu wahrer Größe zu inspirieren und ihnen Hoffnung zu geben, dass die Gerechtigkeit siegen würde.232 Daneben gab es auch die Debatte um das damals noch junge Medium Comic und dessen Auswirkungen hauptsächlich auf Kinder. Als beratender Psychologe wurde Marston von Comic-Herausgebern hinzugezogen, „[...] um die gegenwärtigen Mängel von monatlich erscheinenden Bildermagazinen zu analysieren und Verbesserungen vorzuschlagen.“233

Marston glaubte zudem an die Macht von Geschichten Kinder zu beeinflussen: „Wenn Kinder ohnehin Comics lesen, mag dies auch die Hölle auf Erden bedeuten oder den Niedergang der Literatur einläuten, warum sollten wir ihnen dann nicht ein paar konstruktive Comics zum Lesen geben?“.234 Marston sieht in den Comics der Superheld*innen eine neue Art der moralischen Wertevermittlung, wenn er schreibt:

„Die Schule, aus der Bildergeschichten wie die von Superman oder Wonder Woman stammen, besteht eindringlich darauf, dass Heldentum selbstlos ist. Superman tötet nie. Wonder Woman rettet ihre schlimmsten Feinde und rehabilitiert sie.“235

Marston hat aber nicht nur das pädagogische Potenzial von Superheld*innen-Comics gesehen, sondern auch deren horrende Geschlechterpräsentation. Männlichen Helden wird zugestanden gut, stark und großzügig zu sein. „Aber zärtlich, liebevoll,

230 DC Comics (2021).

231 Das vollständige Zitat lautet „If you need to stop an asteroid, you call Superman. If you need to solve a mystery, you call Batman. But if you need to end a war, you call Wonder Woman.” und stammt von Gail Simone, einer ehemaligen Wonder Woman Comic-Autorin. TV Tropes (2021).

232 Stuller (2010), S.434.

233 Marston (1943), S.261.

234 Ebd., S.260.

235 Ebd., S.261.

warmherzig und charmant zu sein, wird nach den Regeln der Männlichkeit als weibisch angesehen.“236 Hieraus resultiert auch Marstons Hauptkritik: Es fehlt dem vorherrschendem Frauenbild an Macht, Kraft und Stärke. Dieses Defizit sollte durch Wonder Woman überwunden werden. Im Gegensatz zu anderen Frauen, die in Comics der frühen 1940er Jahre auftraten, fungierte Wonder Woman nicht als

„Sidekick“ oder als hilflose Frau, die von den männlichen Superhelden gerettet werden musste. Ganz im Gegenteil: „A far cry from meek and helpless, Wonder Woman was stronger than men […]. She could run, swim, fly a plane, rope moving objects with her lasso, and deflect bullets with her steel bracelets.”237

Aber nicht nur in physischer Hinsicht war sie multitalentiert. Wonder Woman zeichnete sich ebenso durch ihre Intelligenz, Mut, Güte und Einfallsreichtum aus.238 Indem er diese vielfältige Figur schuf, hoffte Marston „[...] to inspire American women and girls toward a new, more powerful model of femininity.“239 Und nicht nur das: „Combining

‘masculine’ strength with ‘feminine virtue’, Wonder Woman was Marston’s ideal love leader. She embodied his vision for a peaceful, matriarchal future.”240

Wenngleich Marstons Vorstellungen geprägt sind von einem extrem idealisierten Denken und auf essentialistischen Geschlechteridentitäten beruhen (mehr dazu in Kapitel 3.3.2), ist Wonder Woman dennoch eine progressive Figur, welche mit ihrem Erscheinen auf eine Leerstelle in der medialen Repräsentation von Heldinnen verweist. So bringt es Cocca sehr genau auf den Punkt, wenn sie schreibt: „You are more likely to imagine yourself as a hero if you see yourself represented as a hero.

Marginalized groups have been forced to ‘cross-identify’ with those different from them while dominant groups have not.”241 Das bedeutet, Rezipient*innen, welche zu den Minoritäten gehören (und/oder sich diesen selbst zuordnen), „[...] must either identify with media models of female empowerment or cross-identify with the saturation of powerful male heroes on offer.”242 Aber wie sieht diese Heldin aus, deren Autonomie und physische Überlegenheit den Comic-Leser*innen direkt zu Beginn mit den Worten

236 Ebd., S.262.

237 Finn (2014), S.10.

238 Ebd.

239 Ebd.

240 Ebd.

241 Cocca (2016), S.3.

242 Ormrod (2020), S.3.

vermittelt wird: „With a hundred times the agility and strength of our best male athletes and strongest wrestlers [...]“243?