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Masterarbeit. Zur Erlangung des akademischen Grades. Master of Arts in Social Sciences (MA)

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Positive Auswirkungen der Zirkuspädagogik auf die Gesundheit nach einem biopsychosozialen

Verständnis

Eine Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen

Positive effects of circus pedagogy on health according to a biopsychosocial understanding

A study of the subjective perception of people with disabilities

Masterarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts in Social Sciences (MA)

der Fachhochschule FH Campus Wien Masterstudiengang: Klinische Soziale Arbeit

Vorgelegt von:

Nina Karger, BA

Personenkennzeichen:

C1710534021

ErstbetreuerIn / ErstbegutachterIn:

FH-Prof.in Mag.a Judith Haberhauer DSA

ZweitbetreuerIn / ZweitbegutachterIn: (optional) Mag.a Dr.in Gudrun Wolfgruber

Eingereicht am:

12. 11. 2019

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i Erklärung:

Ich erkläre, dass die vorliegende Masterarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch sonst keiner unerlaubter Hilfe bedient habe.

Ich versichere, dass ich diese Masterarbeit bisher weder im In- noch im Ausland (einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe.

Weiters versichere ich, dass die von mir eingereichten Exemplare (ausgedruckt und elektronisch) identisch sind.

Datum: ... Unterschrift:

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ii

Danksagung

In allererster Linie bedanke ich mich bei Judith Haberhauer für die Betreuung, ihre engagierte Unterstützung und die vielen hilfreichen Inputs.

Ein ganz herzliches Dankeschön geht an alle Zirkusschulen, die Zeit in mein Forschungsvorhaben investiert haben, besonders an Suzie Bianchi und ihr Team der Schule Cia Circodança, dass sie mir Einblick in ihre Schule gewährt haben und für ihre Gastfreundschaft in São Paulo. Ebenso bedanke ich mich bei Michael Pigl-Andrees und dem Zentrum für bewegte Kunst e.V. für ihre Unterstützung und das umfangreiche Infomaterial sowie bei Mel Stevens, die mir ihre Schule Aim to Fly UK näher vorstellte.

Ein weiteres Dankeschön geht an Iwan Hajdinjak und Elke Karger fürs Korrektur lesen und an meine Studienkolleg*innen Darian Gerö, Nadine Rapold, Rebecca Lehmann, Johanna Lehner, Anna Mangelberger und Elisabeth Zehetner für den fachlichen Austausch.

Wolfgang Holnthoner, vielen Dank für den wissenschaftlichen Input.

Ebenso bedanke ich mich bei meinen Freund*innen und Kolleg*innen aus der Luftakrobatikszene für die vielen Inputs und für die Weitergabe von Kontakten, besonders bei Carina Dinhof, Nanda Schütterle-Podedworna und bei Sophie Pfaffstaller, Lena Sandoval, Gregor Schmudermayer und Nadine Horitani von Aerial Silk Vienna.

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iii

Kurzfassung

Menschen mit Behinderungen sind durchschnittlich stärker von sozialer Benachteiligung und Marginalisierung betroffen als die Mehrheitsgesellschaft. Da nach einem biopsychosozialen Verständnis die sozialen Faktoren neben den körperlichen und den psychischen Aspekten einen wichtigen die Gesundheit konstatierenden Bestandteil ausmachen, weist diese Gruppe vermehrte Gesundheitsrisiken und eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit auf. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, eignen sich verschiedene sozialarbeiterische Methoden, um sowohl das Netzwerk der Zielgruppe auszubauen als auch an andere Einrichtungen und Institutionen zu verweisen.

Auch die Zirkuspädagogik, die sich in den letzten Jahrzehnten mit sozialen Zirkusprojekten etablierte, hat einen positiven Einfluss auf die Gesundheit. Diese Auswirkungen von inklusiven Zirkusprojekten werden in dieser Arbeit anhand der subjektiven Perspektive der Teilnehmer*innen mit Beeinträchtigungen untersucht. Dafür wurden sieben Interviews mit Artist*innen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen, die in Zirkusschulen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, in Großbritannien und Brasilien tätig sind, durchgeführt.

Anschließend wurden diese Sichtweisen mit denen der jeweiligen pädagogischen Leitung, die ebenfalls interviewt wurden, verglichen und durch Aspekte, die während der teilnehmenden Beobachtung bei der Schule Cia Circodança in São Paulo, Brasilien auffielen, ergänzt.

Die Analyse zeigte, dass sich nach der subjektiven Wahrnehmung der Teilnehmer*innen sowohl positive Veränderungen bezüglich des körperlichen und psychischen als auch des sozialen Wohlbefindens seit Beginn der zirzensischen Tätigkeit verzeichnen lassen, die ebenfalls von den Leitungen der Schulen bestätigt wurden. Auf der körperlichen Ebene erstreckten sich diese über die Kräftigung des Körpers, einem verbesserten Gleichgewichtssinn, bis hin zu einem Rückgang der Schmerzen. Auf der psychischen Ebene zeigte sich ein Trend hin zu mehr Ausgeglichenheit, einem Rückgang von Angst, mehr Mut und einer Verbesserung des Selbstwertgefühls. Die sozialen Auswirkungen beinhalten das Ausüben einer Tätigkeit, den Ausbau des Netzwerkes und die Aneignung von sozialen Fähigkeiten wie zum Beispiel Teamfähigkeit. Des Weiteren dient der Zirkus als Kommunikationsform, wodurch die Artist*innen gegen Stigmatisierungen vorgehen können.

Dementsprechend beinhaltet der Zirkus ein großes soziales Potential, dass von Sozialarbeiter*innen in ihrer Arbeit berücksichtigt werden sollte.

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iv

Abstract

Human beings with disabilities constitute the largest minority group with a number of more than one billion people. Due to their impairments and social barriers, they experience social inequalities and marginalisation. According to a biopsychosocial understanding health is an interplay of physical, psychological and social components. Thus, social marginalisation and inequalities effect the state of health. Consequently, people with disabilities are at a higher risk of health issues and morbidity. In order to address these problems, social work offers various methods and approaches. In the last decades there has been a rise of social circus projects that can reach similar effects.

However, the positive effects of social circus have been only dealt with peripherally on a scientific level. This thesis aims to fill that gap by investigating the positive effects of circus on the physical, psychological and social well-being according to the subjective perception of people with disabilities. To do so, seven interviews with circus artists and teachers with a disability have been conducted. These artists participates in inclusive circus projects in Germany, Austria, Switzerland, Great Britain and Brazil. In a following step, the perceptions of the school directors have also been explored. Finally, these perceptions have been added by aspects, which arose during the participant exploration at the circus school Cia Circodança in São Paulo, Brazil.

The analysis has shown that the circus artist with disabilities perceived positive effects on their physical, psychological and social well-being. This perception has been mostly confirmed by the directorates of the schools, even though they focused on different facets.

The positive effects on the physical level include the strengthening of the body and an improved sense of balance and enhanced flexibility. On a psychological level the participants noticed an improved emotional balance and well-being, as well as a rise in courage and a decline in fear. Furthermore, a higher self-esteem and the acquisition of new skills were reported as relevant. The social effects encompass job opportunities, expanded social networks and improved social skills such as the ability to work in a team. Thus, circus can serve as a way to communicate. Therefore, artist can interact with their audience, bringing messages across that can lead to a decline of stigmatization.

As a result circus pedagogy can serve as a powerful tool to either overcome social marginalisation or at least minimize the negative consequences of it. Thus there’s a congruency in the effects of circus and the aims of social work. Consequently, the potential of circus should be considered by social workers.

(6)

v

Abkürzungsverzeichnis

ASV Aerial Silk Vienna

BRK Behindertenrechtskonvention

ICIDH International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps

ICD International Classification of Diseases

ICF The International Classification of Functioning, Disability and Health

UN United Nations

TPZ Theaterpädagogisches Zentrum

TPZAK Zusammensetzung aus dem TPZ und dem ZAK

WHO World Health Organisation

ZAK Zirkus- und Artistikzentrum ZBK Zentrum für bewegte Kunst e.V.

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vi

Schlüsselbegriffe

Biopsychosoziales Modell Gesundheit

Zirkuspädagogik Behindertenhilfe Zugang

Stigmatisierung

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vii

„When it comes to disability and Aerial1, they [Anm. d. Ver.: barriers] must all be social.

Because none of us is born with wings. First of all, you don’t have wings, I don’t have wings, nobody has wings, but we all fly. We all fly, but none of us has wings. So we are all disabled.

We just have to find a way, how to fly.” (I 5: 222-224)

1 Aerial ist die Kurzform von Aerial Acrobatics, was auf Deutsch mit Luftakrobatik übersetzt wird.

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Inhalt

1. Einleitung ... 1

I Theoretische Grundlagen ... 5

1. Gesundheit ... 5

1.1. Einführung in das biopsychosoziale Modell ... 6

1.2. Gesundheit nach biopsychosozialer Perspektive ... 7

1.3. Die Erweiterung des biopsychosozialen Ansatzes durch die WHO ...10

1.4. Folgen eines biopsychosozialen Gesundheitsbegriffs für die Soziale Arbeit ...12

2. Behinderung und Beeinträchtigung aus biopsychosozialer Perspektive ...13

2.1. Das medizinische Modell von Behinderung ...15

2.2. Die Disability Studies und das soziale Modell ...16

2.3. Der Ansatz der WHO zu Behinderung ...18

2.4. Behinderung in der Sozialen Arbeit ...21

2.5. Die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen ...22

2.5.1. Umfeld und soziale Netzwerke ...23

2.5.2. Zugang und Barrierefreiheit ...24

2.5.3. Bildung und Beschäftigung ...25

2.5.4. Einkommen und Armut ...26

2.5.5. Gesundheit ...27

2.5.6. Stigmatisierung ...28

2.5.7. Lücken in der Forschung...29

3. Zirkus und Zirkuspädagogik ...29

3.1. Zirkus...29

3.2. Zirkuspädagogik ...32

3.3. Positive Auswirkungen ...33

3.3.1. Körperliche Ebene ...34

3.3.2. Psychische Ebene ...36

3.3.3. Soziale Ebene ...37

3.3.4. Therapeutische Wirkung ...38

II Empirischer Teil ...39

1. Forschungsdesign und Forschungsfragen ...40

1.1. Datenerhebung ...41

1.1.1. Zirkusprojekte und Vereine ...42

1.1.2. Leitfadeninterviews ...44

1.1.3. Teilnehmende Beobachtung ...46

1.1.4. Überblick über das Material ...47

1.2. Datenauswertung ...48

2. Darstellung der Ergebnisse ...50

(10)

2.1. Positive Auswirkungen nach subjektiver Wahrnehmung ...50

2.1.1. Stärkung des Körpers und der körperlichen Qualitäten ...50

2.1.2. Auswirkungen des Zirkus auf emotionaler Ebene ...53

2.1.3. Selbstwertsteigerung und Selbstbild ...55

2.1.4. Angeeignete neue Fähigkeiten als individuelle Ressourcen ...57

2.1.5. Zirkus als berufliche Tätigkeit ...59

2.1.6. Zirkus als Ort, um soziale Verantwortung zu übernehmen ...60

2.1.7. Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung ...62

2.1.8. Netzwerke und Freizeit ...63

2.1.9. Zirkus als Kommunikationsform ...64

2.1.10. Zirkus gegen Stigmatisierungen ...66

2.1.11. Zugang ...69

2.2. Wahrnehmung der pädagogischen Leitung bzw. der Trainer*innen ...71

2.2.1. Umgang mit Angst und das Gewährleisten der Sicherheit...71

2.2.2. Selbstbewusstsein und Selbstverwirklichung durch Zirkus ...73

2.2.3. Zirkus als berufliche Tätigkeit ...74

2.2.4. Umgang mit Stigmatisierungen ...75

2.2.5. Zugang ...77

2.3. Eindrücke nach der teilnehmenden Beobachtung ...78

2.3.1. Umgang mit Angst ...78

2.3.2. Zirkus als professionelle Tätigkeit und als Netzwerk ...79

2.3.3. Umgang mit dem Thema Behinderung ...81

III Schluss ...81

1. Zusammenfassung ...81

2. Kritische Reflexion und Ausblick ...85

Literaturverzeichnis ...89

Tabellenverzeichnis ...97

Anhang ...98

(11)

1 1. Einleitung

Dem biopsychosozialem Modell gelang es in den letzten Jahrzehnten, sich als ein bedeutender ganzheitlicher Ansatz zu etablieren, der schlüssige Lösungsansätze zu wissenschaftlichen Lücken bezüglich der Erklärung von psychosomatischer Krankheitsentstehung bietet und dabei dem Zusammenspiel von Körper und Geist Rechnung trägt. Demnach negiert der Ansatz die Dichotomie von psychosomatischen und nicht- psychosomatischen Krankheiten und betrachtet Krankheit als das Resultat von fehlenden Bewältigungsmechanismen eines Individuums bei verschiedenen Störungen. Daraus ergibt sich, dass Krankheit und Gesundheit kein Gegensatzpaar bilden, sondern als ein dynamischer Prozess angesehen werden müssen, in dem Gesundheit immer wieder vom Individuum erneuert wird. (vgl. Egger 2005: 3) Auch im wissenschaftlichen Diskurs der Klinischen Sozialen Arbeit fand das biopsychosoziale Modell schnell Zuspruch, da es die Relevanz der sozialen Faktoren sowohl in der Krankheitsentstehung als auch bei der Genesung berücksichtigt und somit ein wichtiges theoretisches Grundgerüst sowie eine Legitimierung der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen darstellt (vgl. Pauls 2013a: 30ff; Ningel 2011: 46).

Das biopsychosoziale Modell bereichert ebenfalls die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Behinderung. In dieser Hinsicht gelang der World Health Organisation (WHO) mit der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) eine umfassende Darstellung von Gesundheit und gesundheitsbezogenen Bereichen bereitzustellen, in der ein biopsychosozialer Ansatz von Behinderungen vorherrscht und somit auch die körperlichen, psychologischen sowie sozialen Faktoren berücksichtigt werden. Die Behindertenhilfe, die einen Teilbereich der Sozialen Arbeit darstellt, profitiert ebenfalls von diesem Perspektivenwechsel, da er neue Aspekte beleuchtet, die soziale Ebene miteinbezieht und gleichzeitig Komorbiditäten zwischen Behinderungen und anderen Krankheitserscheinungen erklärt. Dadurch zeigt sich die Relevanz der sozialen Faktoren in der Entstehung von Behinderung und legt die Grundlage für die Soziale Arbeit, um soziale Barrieren aufzuzeigen und an diesen anzusetzen. (vgl. Franke 2012: 95f; Röh 2018: 46f) Mit einer Anzahl von über einer Milliarde sind Menschen mit Behinderung die größte gesellschaftliche Minderheit, von denen ein Großteil gesellschaftliche Benachteiligung und Marginalisierung erfahren. Im Zusammenhang mit der steigenden Lebenserwartung und einer höheren Anfälligkeit für Beeinträchtigungen im höheren Alter, sowie der Zunahme von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, wird diese Zahl in Zukunft weiterhin ansteigen, weswegen passende Maßnahmen erarbeitet und lanciert werden müssen. Der erschwerte Zugang dieser Gruppe zum Gesundheitssystem, dem Arbeitsmarkt, zur Bildung etc. spiegelt sich in einem schlechteren Gesundheits- und Bildungsstand und einer geringeren

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2 Beschäftigungsrate wider, wobei sich diese Faktoren wiederum gegenseitig beeinflussen und ein biopsychosozialer Zusammenhang zwischen ihnen erkennbar ist. Das wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass Menschen mit Beeinträchtigungen das ärmste Fünftel der Bevölkerung darstellen. Um dem entgegenzuwirken weist die WHO darauf hin, dass das Empowerment von Menschen mit Behinderungen gefördert und Barrieren abgebaut werden müssen, damit sie ebenfalls gesellschaftliche Teilhabe und ein Mitspracherecht erfahren. (vgl.

WHO 2011: xi; Wesselmann 2013a: 2ff; Günther 2015: 52f) Darüber hinaus sind Menschen mit Behinderungen oft Opfer von Stigmatisierungen und Negativkonnotationen, was sich in vielen sprachlichen Gepflogenheiten wie „Das ist doch behindert“ oder „Spasti“ widerspiegelt.

Dementsprechend findet eine Verortung von dem Phänomen Behinderung in einem Defizitkontext statt. Anhand dieser Beispiele lassen sich Benachteiligungen bezüglich der Lebenslage von Menschen mit Behinderungen erkennen. Ebenso wird diese Gruppe im Schnitt öfters Opfer von Menschenrechtsverletzungen als die Mehrheitsgesellschaft. (vgl.

Franke 2012: 92)

Die Soziale Arbeit, die Silvia Staub-Bernasconi als Menschenrechtsprofession bezeichnet, ist demnach prädestiniert dafür, sich dieser Problematik anzunehmen. Aufgrund des Zusammenhangs von Behinderung und sozialen Realitäten wird der Sozialen Arbeit die besondere Rolle zuteil, an den gesellschaftlichen Bedingungen anzusetzen und diese mithilfe inklusiver Maßnahmen zu verbessern. Diese Problematik fällt besonders in den Aufgabenbereich der Klinischen Sozialarbeit, da sie beabsichtigt „mittels wissenschaftlich fundierter Methoden notwendige Veränderungen der psycho-sozialen Lebenslage und Lebensweise zu erreichen“ (Pauls 2013a: 17). Während sich bereits verschiedene sozialarbeiterische Methoden wie Soziale Diagnostik, Alltagsbegleitung, Sozialtherapie, Case Management, Familienhilfe und Netzwerkarbeit in der Behindertenhilfe etabliert haben, wurde die Bedeutung der Zirkuspädagogik zumindest auf wissenschaftlicher bzw. theoretischer Ebene in der Behindertenforschung eher vernachlässigt. (vgl. Röh 2018: 187ff)

Der ressourcenorientierte Ansatz der Zirkuspädagogik eignet sich, um den sozialen Stigmatisierungen und Benachteiligungen, mit denen Menschen mit Beeinträchtigungen oft konfrontiert sind, entgegenzuwirken. Deswegen hat der Zirkus Anklang in der Sonderpädagogik gefunden. In der Umsetzung haben Individuen durch inklusive Zirkusprojekte die Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten und Talente auszubauen, auszuleben und mit der Gesellschaft zu teilen. Dadurch rücken sie aus der Marginalisierung ins Blickfeld zurück und der Verortung des Phänomens Behinderung in einem Defizitkontext kann entgegengewirkt werden. Des Weiteren ließen sich positive Auswirkungen vom Zirkussport auch auf körperlicher, psychischer und therapeutischer Ebene nachweisen, die ihrerseits die negativen Folgen von sozialer Marginalisierung hemmen können. Dementsprechend dient die

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3 Zirkuspädagogik als mächtiges Werkzeug gegen gesellschaftliche Benachteiligungen. (vgl.

Hock 2009: 131ff; Niedermann 2008: 9)

Der Zirkus blickt auf eine Tradition der Zusammenarbeit mit Menschen mit körperlichen Auffälligkeiten zurück. Mittlerweile gelang es dem Zirkus, sich von dem Portraitieren von Menschen mit Auffälligkeiten zu distanzieren, sodass in den letzten Jahrzehnten immer mehr Zirkusprojekte entstanden, bei denen Menschen mit Behinderungen als Artist*innen teilnahmen und die Darstellung ihrer Fähigkeiten immer mehr in den Fokus gerückt wurde.

Gleichzeitig entwickelte sich die Zirkuspädagogik, was auf das soziale Engagement einiger Individuen zurückzuführen ist. Diese erkannten das soziale Potential des Zirkus und gründeten dementsprechend Zirkusprojekte, um sozial benachteiligten Gruppen Perspektiven aufzuzeigen. Dieser Trend nahm im Laufe des 20. Jahrhunderts kontinuierlich zu, sodass sich in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl an sozialen und inklusiven Zirkusprojekten etablierte.

So gründete zum Beispiel 1995 die weltweit bekannteste Zirkusschule Cirque du Soleil das Projekt Cirque du Monde, A Social Circus, bei dem Straßenkindern gratis Zirkuskurse angeboten wurden. Gleichzeitig entstanden inklusive Zirkusprojekte und -schulen. (vgl.

Imagination for People 2019; Spiegel 2014: 69)

In Finnland wurde 2009 das nationale Zirkusprojekt Social Circus lanciert, worauf 2011 das Effective Circus Project folgte, das sich zum Ziel gemacht hatte, die positiven Auswirkungen des sozialen Zirkus auf das Wohlbefinden zu eruieren. Diese Ergebnisse wurden beim Culture Has an Impact! - Seminar im Dezember 2013 präsentiert, welches gleichzeitig als Plattform für die internationale wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik gelten sollte. Im Anschluss an das Seminar wurde das Global Institute for Circus Studies gegründet, das eine Publikation mit wissenschaftlichen Studien zu den positiven Auswirkungen von Zirkusakrobatik in verschiedenen Projekten in Neuseeland, Kanada, Finnland, Frankreich, Italien, Irland und Afghanistan veröffentlichte. (vgl. Kakko, Kekäläinen 2014: 5) Obwohl im deutschsprachigen Raum die Zirkuspädagogik seit ca. 20 Jahren Eingang in die Wissenschaft gefunden hatte, mangelt es an Forschungen zur Thematik Zirkusartistik mit Menschen mit Behinderungen.

Lediglich die Arbeiten von Ernst Kiphard, der in Deutschland als Vater der Psychomotorik angesehen wird, beschäftigen sich mit den positiven Auswirkungen von Zirkustätigkeiten bei dieser Minderheit. Seine wissenschaftlichen Beiträge konzentrierten sich hauptsächlich auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit verschiedenen Auffälligkeiten. Ebenfalls untersuchte er, inwieweit sich Sport und Zirkus bei unterschiedlichen sozial marginalisierten Gruppen positiv auswirkte, wobei er auch erwachsene Menschen mit Behinderungen in seine Forschung miteinschloss. Kiphard legte mit seiner Pionierarbeit in diesem Bereich das Fundament. Durch weitere wissenschaftliche Beiträge konnten die positiven Auswirkungen von Zirkusakrobatik auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene nachgewiesen werden.

Im Forschungsinteresse stand dabei, ähnlich wie bei Kiphard, die Arbeit mit Kindern und

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4 Jugendlichen. Folglich fanden die wissenschaftliche Auseinandersetzung sowohl mit inklusiven Zirkusprojekten als auch die subjektive Wahrnehmung der Teilnehmer*innen im deutschsprachigen Raum wenig Beachtung. (vgl. Ballreich, Grabowiecki 1999: 362)

Aufgrund des hohen sozialen Potentials des Zirkus und der Lücke in der Forschung bezüglich dieser Thematik setzt diese Arbeit an dem Punkt an und erforscht, inwieweit sich die Zirkuspädagogik nach der subjektiven Wahrnehmung von Artist*innen mit Beeinträchtigung auf ihre Gesundheit auswirkt. Dazu werden die Ebenen des biopsychosozialen Modells getrennt voneinander betrachtet und die positiven Effekte auf das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden erhoben. Anschließend wird dargelegt, bei welchen Aspekten der Lebenslage, die bei Menschen mit Behinderungen relevante Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft aufweisen, es der Zirkus- und Luftakrobatik nach subjektiver Wahrnehmung der betroffenen Personen gelingt, zu Verbesserungen beizutragen.

Anschließend werden diese Ergebnisse durch die Wahrnehmung der pädagogischen Leitungen und die Eindrücke während der Teilnehmenden Beobachtung ergänzt.

Die Intention dieser Arbeit besteht darin, das Potential der Zirkuspädagogik aufzuzeigen, welches unter anderem darin liegt, sozialen Missständen und seinen Konsequenzen auf die Gesundheit nach einem biopsychosozialen Verständnis entgegen zu wirken. Demnach ergibt sich eine Schnittmenge aus den Möglichkeiten der Zirkuspädagogik und den Zielen der Klinischen Sozialarbeit, weswegen die Auseinandersetzung mit der Thematik eine Bereicherung für die junge Disziplin darstellt. Die persönlichen Ansichten der betroffenen Personen stehen im Forschungsmittelpunkt, damit die Stimmen von Menschen mit Behinderungen mehr Berücksichtigung in der Forschung erfahren und sie sich als Expert*innen ihrer Lebenslage Gehör verschaffen.

Im Rahmen dieser Forschung erfolgte weder eine Fokussierung auf eine bestimmte Behinderung noch eine Unterteilung zwischen körperlicher und geistiger Behinderung.

Dementsprechend stellt die untersuchte Gruppe Zirkusartist*innen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen dar.

Um die Sichtweise der Zielgruppe zu erheben, wurden im Zeitraum von Juli bis September 2019 Interviews mit Artist*innen mit Beeinträchtigungen aus verschiedenen Ländern geführt.

Dafür nahm die Autorin mit unterschiedlichen inklusiven Zirkusschulen Kontakt auf. Im deutschsprachigen Bereich zählen zu diesen das TPZAK in Köln, der Zirkus Sonnenstich in Berlin, der Zirkus Tortellini in der Schweiz und der Zirkus kaOs in Wien. Ebenso wurde die Schule Aim to fly UK in Großbritannien angeschrieben. Im Südamerikanischen Raum wurde die in Argentinien lokalisierte Schule von Pitu Blazquez, die inklusive Luftakrobatikkurse anbietet und über ein inklusives Ensemble verfügt, sowie die Schule Cia Circodança von Suzie Bianchi kontaktiert, bei der ein zweiwöchiger Forschungsaufenthalt in São Paulo, Brasilien im

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5 August 2019 unternommen wurde. Aufgrund der Distanz zu den verschiedenen Zirkusschulen wurden unterschiedliche Befragungsmethoden kombiniert, für die neben der persönlichen Befragung auch soziale Medien herangezogen wurden. Bevor die Darstellung der Ergebnisse erfolgt, werden vorab die theoretischen Grundlagen erläutert, die sich aus den Themengebieten Gesundheit aus einer biopsychosozialen Perspektive, dem Phänomen der Behinderung und den speziellen Lebenslagen dieser Minderheit, einen Überblick über den Zirkus und seine Entwicklung sowie die Auswirkungen der Zirkuspädagogik auf körperlicher, individueller und sozialer Ebene zusammensetzen.

I Theoretische Grundlagen

Die biopsychosoziale Betrachtungsweise von Gesundheit findet in den verschiedenen Disziplinen, die sich mit dem körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefinden beschäftigen, immer mehr Anklang. Die Entwicklung dieses Gesundheitsbegriffs wird nach einer kurzen Einführung ins biopsychosoziale Modell dargelegt. Durch den Perspektivenwechsel erhielt der wissenschaftliche Diskurs über das Phänomen Behinderung neue Perspektiven, deren Abhandlung im 2. Kapitel erfolgt, wobei ebenfalls auf aktuelle Ansätze zu den Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen und die daraus resultierenden Folgen für die Soziale Arbeit eingegangen wird. Das 3. Kapitel stellt eine Auseinandersetzung mit dem Zirkus und der Zirkusakrobatik dar, wobei zuerst auf die Geschichte des Zirkus und der Zirkuspädagogik eingegangen wird, um anschließend die positiven Auswirkungen von Zirkusakrobatik anhand verschiedener Forschungen darzulegen.

1. Gesundheit

Der Begriff Gesundheit sowie sein Gegenspieler Krankheit weisen verschiedene Definitionsansätze auf, die sich über patho- sowie salutogenetische Ausrichtungen erstrecken und unterschiedliche Ebenen und Aspekte berücksichtigen, was darauf zurückzuführen ist, dass Gesundheit ein allgegenwärtiges Thema darstellt, das Gegenstand verschiedener Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften ist (vgl. Franke 2012: 34). Bei der Definition von Gesundheit nach der World Health Organisation handelt es sich um die anerkannteste und meist zitierte Begriffsbestimmung. Diese lautet wie folgt:

„Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Der Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen

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6 Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung.“ (WHO 2014 :1)

Die aus dem Jahre 1948 stammende Definition berücksichtigt erstmalig die sozialen Umstände in Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit. Allerdings musste sich die WHO einer gewissen Kritik stellen, die sich darin äußerte, dass diese Definition dem fluiden, prozesshaften Charakter von Gesundheit nicht gerecht wird und von einer utopischen Vorstellung von universellem Wohlbefinden ausgeht, das aufgrund der Lebensbedingungen von vielen Menschen in unterschiedlichen Teilen der Welt nicht realisiert werden kann.

Mittlerweile distanziert sich die WHO von einer allgemeinen global geltenden Definition von Gesundheit und betont, dass auch diese von den äußeren, persönlichen und kulturellen Begebenheiten abhängt. Im Gesundheitsverständnis der WHO spiegeln sich deutlich biopsychosoziale Ansätze wider. (vgl. Franke 1993: 17) Um diese zu verstehen, wird vorab das biopsychosoziale Modell vorgestellt.

1.1. Einführung in das biopsychosoziale Modell

In den letzten Jahrzehnten gewann das biopsychosoziale Modell immer mehr Aufmerksamkeit in den wissenschaftlichen Diskussionen, da es sich mit gesundheitlichen Phänomenen auf einer metatheoretischen Ebene befasst und sich dabei von einem dichotomen Blickwinkel sowohl auf Gesundheit und Krankheit als auch auf Körper und Seele distanziert. Dabei geht das Modell von verschiedenen Systemebenen eines Organismus aus, der sich wiederum aus anderen Systemen zusammensetzt. Der Ursprung des biopsychosozialen Modells ist auf den US-amerikanischen Psychiater George L. Engels zurückzuführen, der sich mit seinem Entwurf von einem rein materialistischen Ansatz im Gesundheitswesen distanzierte. Stattdessen spricht das Modell Individuen eine ihnen innewohnende, individuelle Eigenart der Wahrnehmung, der Verarbeitung und des Handelns zu und sieht sie als soziale Akteure mit einem sozialen Umfeld an. Es entstand das erste soziale Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Aus diesem Ansatz postulierte Engels eine Orientierung an Patient*innen, was sich wiederum auf das Behandlungsvorgehen auswirkte. (vgl. Egger 2015: 230f; Pauls 2013b: 17f) Das Modell fußt auf folgendem Grundsatz:

„Jeder Mensch ist nicht nur als biologisches Wesen zu verstehen („bio“), sondern zugleich auch als ein Wesen mit jeweils typischen Eigenheiten des Denkens, Fühlens und Handelns („psycho“) und darüber hinaus auch als ein Wesen mit individuellen sozialen, kulturellen und ökologischen Lebensumwelten („sozio“).“ (Egger 2015: 232)

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7 An dieser Stelle muss betont werden, dass sich die biologische Ebene auf alles organische und die psychologische auf die Spiritualität bezieht. Die soziale Ebene umfasst mehrere und verschiedene Lebenswelten. Allerdings versäumt Engels die Systemebenen miteinander zu verknüpfen. Engels Ansatz wurde von Michael Schwartz, Paul Weiss und Ludwig von Bertalanffy weiterentwickelt, wodurch in der Medizin die Körper-Seele-Einheit und in den Neurowissenschaften die Gehirn-Geist-Einheit entstanden. (vgl. Egger 2015: 232f; Pauls 2013b: 18)

Dem biopsychosozialen Modell liegt die Systemtheorie zugrunde, die davon ausgeht, dass die Natur aus verschiedenen in ihrer Komplexität variierenden Einheiten besteht. Systeme setzen sich aus ineinander in Beziehung stehenden Teilen zusammen. Diese sind nach ihrer Komplexität geordnet, gleichzeitig jedoch miteinander verbunden. Jede Stufe in dieser Ordnung weist ein System mit für sie typischen Charakteristika auf. Zwischen den Ebenen besteht ein Austausch, der als Emergenz bezeichnet werden kann. Pauls bezieht sich in dieser Hinsicht auf das Emergenzkonzept nach Jakob von Uexküll, der zwischen biologisch- organischen, individuellen und sozialen Systemebenen differenziert, gleichzeitig jedoch die Wichtigkeit des Austausches dieser Ebenen betont. Emergenz bezeichnet folglich das Überschreiten einer Ebene zu einer komplexeren, die neue Eigenschaften hervorbringt.

Beispielweise lassen sich psychologische Phänomene wie Selbstunsicherheit nicht auf der körperlichen Ebene ablesen, allerdings können sich nervöse Erregungsmuster finden, die auf einen solchen Zustand hindeuten. Die Neurobiologie ist mittlerweile in der Lage, die durch psychische Abläufe ausgelösten neurologischen Reaktionen nachzuweisen, jedoch kann sie das Erleben des Individuums nicht erfassen. Demnach ist es ihr nicht möglich, die individuelle Wahrnehmung des Erlebten festzuhalten und das daraus resultierende Handeln zu eruieren.

(vgl. Egger 2005: 4f; Pauls 2013a: 98)

Der biopsychosoziale Ansatz geht von vielen kleinen Systemen aus, aus denen ein Organismus besteht, und fasst diese zu den drei Systemebenen zusammen. Zwischen den Ebenen und innerhalb dieser besteht ein Austausch, die Engels als Kommunikationswege bezeichnet (vgl. Pauls 2013a: 99).

Diesem Modell liegt dementsprechend ein ganzheitliches Menschenbild zugrunde, wodurch ein neues Verständnis von Gesundheit und Krankheit generiert wurde.

1.2. Gesundheit nach biopsychosozialer Perspektive

Die biopsychosoziale Auffassung von Gesundheit und Krankheit geht davon aus, dass ein Mensch nicht entweder krank oder gesund ist, sondern bestimmten Beschwerden oder Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, die wiederum mit einer spezifischen Krankheit betitelt

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8 werden können. Die Kategorisierung von gesund oder krank ist für das Gesundheitssystem notwendig, um über zustehende Leistungen zu entscheiden, jedoch nicht zwangsweise zielführend in Hinsicht auf die Behandlung. Aus biopsychosozialer Perspektive stellt Gesundheit hingegen „die ausreichende Kompetenz des Systems ‚Mensch‘, beliebige Störungen auf beliebigen Systemebenen autoregulativ zu bewältigen“, (Egger 2005: 5) dar.

Der Leitfaden dieses Modelles besteht darin, dass biologische, psychische und soziale Faktoren und deren Auswirkungen aufeinander in der Entstehung von Störungen berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass „Erkrankungen ein Resultat komplexer Interaktionen dieser drei Dimensionen“ (Pauls 2013a: 33) sind, oder anders formuliert, dass die Synthese zwischen der psychischen Wahrnehmung, der Leiblichkeit und der sozialen Interaktion gehemmt wurde. Durch die Integration dieser drei Ebenen finden persönliche und soziale Bedingungen bzw. das soziale Umfeld bei der Krankheitsentstehung Berücksichtigung.

Da sich soziale Unterstützung positiv auf die Gesundheit und auf den Genesungsprozess auswirkt, ist die soziale Integration bzw. Reintegration ein wichtiger Bestandteil im Heilungsprozess bzw. im Aufrechterhalten von Gesundheit. An dieser Stelle sind die Beiträge der Hirnforschung von besonderer Bedeutung, da sie verdeutlichen, „in welchem Ausmaß hirnorganische Abläufe Eigenschaften wie das menschliche Bewusstsein, die Wahrnehmung, die Sprache, das Gedächtnis, das Denken und die Emotionen sowie soziales Verhalten beeinflussen“ (ebd.: 33). Die jüngsten neurologischen Forschungen konnten belegen, dass genetische und psychosoziale Aspekte sich unausweichlich gegenseitig beeinflussen. Das bedeutet, dass sich soziale Erfahrungen physisch im Gehirn manifestieren. Laut dem WHO- Beauftragten Wolfgang Rutz wirken sich diese Erkenntnisse positiv auf die Behandlung von psychischen Krankheiten sowie Alterserkrankungen aus. Gleichzeitig erschließt sich ein Einblick in die Psychobiologie gewisser Emotionen. Daraus ergibt sich ein bildhaftes Verständnis von der Wechselbeziehung des physiologischen und sozialen Zustandes. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich neue gesundheitsfördernde, interdisziplinäre Ansätze bzw.

Vorgehensweisen ableiten. (vgl. ebd.: 34f)

Laut Klaus Grawe sind psychische Krankheiten oft auf die Belastungen durch soziale Umstände zurückzuführen, die z.B. durch Armut, Behinderungen oder Arbeitslosigkeit hervorgerufen werden. Michael Borg-Laufs sieht die Bindung als ein Grundbedürfnis des Menschen an, das durch diese sozialen Missstände gefährdet ist. Bewältigungsressourcen spielen dabei eine sehr große Rolle im Umgang mit Beschwerden. So ließ sich ein positiver Zusammenhang zwischen dem Sozialindex und der Lebenserwartung feststellen, woraus deutlich hervorgeht, dass die Lebenserwartung durch viele soziale Kontakte höher ausfällt.

Auch die Ausbruchwahrscheinlichkeit eines grippalen Infektes nach Konfrontation mit einem Erreger kann durch ein gutes soziales Netzwerk gesenkt und durch krankheitsförderndes Verhalten erhöht werden. Pauls bezeichnete diese Beispiele als „beeindruckende Belege für

(19)

9 die Annahme, dass die Reduzierung von psychischem Stress und die Vermittlung von besseren psycho-sozialen Bewältigungsmechanismen“ (Pauls 2013a: 101) das Immunsystem stärkt.

Auch Rainer Ningel sieht in der fehlenden sozialen Unterstützung eine der größten Ursachen, die die Gesundheit gefährden, weswegen er vor den Folgen einer blinden medikamentösen Behandlung der Symptome warnt. Stattdessen sollte im sozialen Umfeld der Klient*innen angesetzt und an der psychosozialen Integration und am Aufbau sozialer Netzwerke gearbeitet werden, da soziale Unterstützung sich nicht nur prophylaktisch auf Erkrankungen, sondern auch förderlich im Genesungsprozess auswirkt. Gesundheit steht und fällt demnach mit dem sozialen Wohlbefinden und wird durch die Abwesenheit von Respekt, Wertschätzung und Anerkennung bedroht, was sich wiederum negativ auf die Lebenserwartung und - gestaltung auswirkt. (vgl. Pauls 2013a: 33; Gahleitner 2014: 58)

Aufgrund dieser starken Auswirkungen sozialer Faktoren auf die körperliche und psychische Gesundheit, plädiert Pauls dafür, dass der sozialen Dimension mehr Beachtung im Gesundheitswesen geschenkt werden müsse, die allerdings lange Zeit völlig vernachlässigt wurde. Dabei bezieht sich Pauls auf Karlheinz Ortmann und Stefan Schaub, die ebenfalls bestätigen, dass „der biologische Zugang der gesellschaftlich akzeptierte, der psychologische der in Grenzen gewollte und der soziale als der vernachlässigte angesehen werden kann“

(Ortmann, Schaub zit. n. Pauls 2013: 32). Aufgrund der Ausgrenzung der sozialen Dimension befürchtet Jürgen Habermas eine Entsozialisierung und eine Reduktion des Menschen auf neurophysiologische Bewusstseinsprozesse. (vgl. Pauls 2013a: 93f)

Laut Veronika Siegrist, die ein Schema zur sozialen Ungleichheit entworfen hat, lassen sich Personen aufgrund der Ausbildung, dem Beruf und dem Einkommen in unterschiedliche Gruppen unterteilen. Sie kategorisiert die sozialen Gegebenheiten, die sich auf die Gesundheit auswirken, mithilfe von vier Ebenen. Die erste Ebene stellt das Gesundheitssystem dar.

Hierbei ist zu beachten, welchen Zugang die Mitglieder einer Gesellschaft zu dem System haben. Die zweite Ebene befasst sich mit der materiellen Lebenssituation, die ebenfalls ein wichtiger Einflussfaktor auf die Gesundheit ist. Finanzielle und berufliche Benachteiligungen können sich krankheitsfördernd auswirken. Die dritte Ebene macht das Verhalten aus, das Gesundheit entweder stärken oder schwächen kann. Die vierte Ebene sind die Belastungszustände, die sich in ihrer Langwierigkeit auf den Organismus auswirken. (vgl. ebd.:

93)

Der biopsychosoziale Ansatz grenzt sich von dem biomedizinischen ab, was sich darin äußert, dass das psychosoziale Denken salutogenetisch und das biomedizinische pathogenetisch ausgerichtet ist. Der psychosoziale Ansatz stellt eine Ergänzung zur Schulmedizin dar, die die Notwendigkeit der Betrachtung der sozialen Ebene bei der Entstehung von Krankheit

(20)

10 postuliert. In der Schulmedizin steht die Störung im Mittelpunkt, die durch unterschiedliche Krankheitserreger verursacht wird. Die Heilung liegt in der Beseitigung der Symptome und der Bekämpfung der Erreger. Die Kritikpunkte an diesem Ansatz beziehen sich auf die fehlende Berücksichtigung der Patient*innen und ihre subjektive Sicht auf die Situation und ihr Erleben.

Laut Aaron Antonovsky laufen die Professionist*innen bei diesem Ansatz Gefahr, einem oberflächlichen Gesundheitsverständnis zu folgen, wonach Gesundheit mit dem Nichtvorhandensein von Symptomen gleichzusetzen ist und gewisse Krankheitsbilder in den Fokus gerückt werden, wohingegen andere ausgeklammert werden. Trotz dieser Kritikpunkte sollen die Errungenschaften der westlichen Medizin nicht negiert, sondern lediglich der Absolutheitsanspruch angeprangert werden. Laut Walter Schmid ist diese Verengung des Gesundheitsbegriffes für die Soziale Arbeit hinderlich, da sie dadurch in ihrer Tätigkeit eingeschränkt wird. Für die Klinische Sozialarbeit ist eine Distanzierung von der Dichotomie Gesundheit-Krankheit unabdingbar, „weil sie umgehend zu einer rein pathogenetischen Betrachtung der psycho-sozialen Störung verleitet und den psycho-sozialen Menschen in seiner gesellschaftlichen Einbettung aus dem Behandlungskonzept ausschließt.“ (Pauls 2013a: 97)

Anhand dieser Beispiele wird die Verwobenheit der Ebenen bei der Aufrechterhaltung von Gesundheit bzw. bei der Krankheitsentstehung deutlich. Das biopsychosoziale Verständnis von Gesundheit spricht sich gegen die Entsozialisierung von Gesundheit aus und betont die Relevanz von sozialen Faktoren sowohl in der Prävention als auch im Genesungsprozess.

Auch die WHO entfernt sich von einer rein medizinischen Betrachtungsweise und betrachtet Gesundheit als ein Alltagsphänomen.

1.3. Die Erweiterung des biopsychosozialen Ansatzes durch die WHO

Die von der WHO 1946 eingeführte Definition von Gesundheit distanziert sich von einem Ansatz, der Gesundheit als Nichtvorhandensein von Krankheiten definiert, sondern legt stattdessen den Fokus auf das Wohlbefinden des Individuums. 1986 wurde die Kritik, dass die Definition einen unerfüllbaren Idealzustand anstrebt, in die Erklärung von Ottawa eingearbeitet. (vgl. Hirschberg 2009: 56)

„Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern und verändern können. In diesem Sinne ist Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für

(21)

11 ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten.“ (WHO 1986: 1)

Diese Definition beachtet nicht nur medizinische Aspekte, sondern berücksichtigt auch die individuellen Bedürfnisse und psychische, soziale und lebensweltliche Bezüge. Es wird von einem positiven Gesundheitsbegriff ausgegangen, allerdings lässt sich aus der Charta kein eindeutiger Gegenspieler von Gesundheit herauslesen. Die 1986 von der WHO verabschiedete Gesundheitscharta greift die biopsychosozialen Zusammenhänge auf, wobei darin „der präventive Ansatz, die grundsätzliche Gemeindeorientierung, das Konzept des Empowerment und der sozial-ökologische Ansatz“ (Pauls 2013a: 91) integriert wurden. Auch der Mental Health Bericht der WHO verschreibt sich dem biopsychosozialen Ansatz und betont den engen Zusammenhang zwischen der psychischen und physischen Gesundheit. (vgl. ebd.:

91)

Der Begriff Gesundheit wird in dem ICF nicht genau erläutert, obwohl er sowohl im Titel als auch in verschiedenen Unterkapiteln vorkommt. Marianne Hirschberg vermutet, dass der Grund für die fehlende Definition darin liegt, dass die WHO Gesundheit als ihren Arbeitsauftrag versteht, den es zu klassifizieren gilt. In der bereits oben erwähnten Definition aus dem Jahre 1946 sowie der Überarbeitung aus dem Jahre 1986 geht deutlich die Intention der WHO hervor, sich für die Gesundheit für alle einzusetzen. Dementsprechend legt die WHO im ICF Ziele fest, um Gesundheit zu erhalten bzw. zu erreichen, anstatt sich mit Definitionen auseinanderzusetzen. Diese Ziele erstrecken sich von einer sprachlichen Standardisierung bis hin zur Schaffung eines Grundgerüstes zu Gesundheitsfragen. Dabei werden die relevanten Phänomene in die zwei Kategorien Gesundheitszustände und -bereiche und gesundheitsbezogene Zustände und Bereiche des Wohlbefindens unterteilt. Der erste Begriff bezieht sich auf die Körperfunktionen und –strukturen und der zweite auf die Komponenten Partizipation und Umweltfaktoren. Auf der körperlichen Ebene werden folgende Faktoren bei der Betrachtung von Gesundheit berücksichtigt. „The factors to consider in a person’s health condition are his or her needs for special support, illnesses, physical disability, intellectual disabilities and mental health problems” (Kinnunen, Lidman 2013b: 13). In persönlicher Hinsicht spielen die sexuelle Orientierung, der Familienstand und das Alter eine Rolle.

Bezüglich der Umwelt können sich Komponenten wie Inklusion und der kulturelle Hintergrund, sowie die physikalische Umgebung auswirken. Der Begriff Zustand steht für den Einfluss, der in einem Bereich ausgeübt wird. Der Gesundheitsbezug berücksichtigt das Wohlbefinden.

Durch die neue Klassifizierung in dem ICF entfernte sich die WHO von einem krankheitsorientierten Blickwinkel und entwickelte sich zu einer gesundheitsorientierten Klassifizierung. (vgl. Hirschberg 2008: 56 & 203ff; Kinnunen, Lidman 2013b: 13)

(22)

12 Die Auseinandersetzung der WHO stellt eine fruchtbare Bereicherung für den Diskurs um Gesundheit dar. Für die Verknüpfung mit der Thematik dieser Arbeit spielen vor allem das Aufbrechen von Gesundheit in das körperliche, psychische und soziale Wohlergehen, sowie die Alltagsverortung von gesundheitlichen Aspekten eine Rolle.

1.4. Folgen eines biopsychosozialen Gesundheitsbegriffs für die Soziale Arbeit

Das biopsychosoziale Modell dient als theoretisches Fundament für eine neue Perspektive in der Sozialen Arbeit und für die Etablierung der Klinischen Sozialarbeit, die sich zum Ziel gesetzt hat, Veränderungsanregungen zur Verbesserung der individuellen und sozialen Bedingungen zu setzen. Die Klinische Sozialarbeit legt den Fokus auf die sozialen Ursachen von Gesundheit, Krankheit und Beeinträchtigungen, die in der Biographie des Individuums liegen und auf den soziokulturellen Hintergrund zurückzuführen sind. Zum einen setzt sie mit dialogischen psychosozialen Interventionen an und zum anderen versucht sie strukturelle soziale Ungleichheiten zu reduzieren und soziale Bedingungen zu verbessern. Daraus ergeben sich gewisse Anforderungen an Klinische Sozialarbeiter*innen, die sowohl klinische Kompetenzen und Kenntnisse sowie Reflexionsfähigkeiten umfassen. Die Konzepte und Theorien, die diesem Ansatz zugrunde liegen, müssen einer ständigen kritischen und professionellen Prüfung unterzogen werden. (vgl. Gahleitner 2014: 58)

Ningel plädiert dafür, dass es Aufgabe u.a. der Sozialen Arbeit, der Psychologie und der Psychotherapie sei, durch eine psychosoziale Behandlung der Klient*innen bzw. Patient*innen ihre Bewusstseinszustände zu bestärken, sie mit Instrumenten zur Selbsthilfe auszustatten und die soziale Integration zu unterstützen, wodurch der Mensch einen neuen Handlungsspielraum gewinnt. Aufgrund der Auswirkungen sozialer Aktivitäten auf die Hirnstruktur ist der Beziehung zwischen Sozialarbeiter*innen und Klient*innen eine besondere Bedeutung zuzuschreiben, da sie eine physiologische Regulation beinhalten kann. Durch die Anregung sozialer Interaktionen werden demnach auch biologische Prozesse bei den Klient*innen in Gang gesetzt. Durch das gemeinsame Arbeiten an der Umsetzung sozialer Teilhabe, können sich das Wohlbefinden, der Handlungsspielraum und die Gesundheit verbessern. Fari Amini hebt hervor, dass Lebewesen zur Selbstregulation Beziehungsbindungen benötigen. Daraus ergibt sich folgende für die Soziale Arbeit relevante Erkenntnis. „Die sozialen Beziehungen und Strukturen beeinflussen grundsätzlich auch die biophysiologischen Zustände der Menschen und formen die biologischen Strukturen in spezifischer Weise.“ (Ningel 2011: 46) Auch Pauls verweist darauf, dass die Bewusstseinszustände gestärkt werden müssen. Dafür soll „das durch Armut, Marginalisierung, Ungerechtigkeit und soziale Desintegration benachteiligte Klientel durch psycho-soziale Maßnahmen zur Selbsthilfe befähigt werden“ (Pauls 2013a: 43). Die Teilhabe

(23)

13 am sozialen Geschehen ist die Voraussetzung dafür, dass Individuen wieder Teil der Gesellschaft werden und in dieser selbstbestimmt handeln können. Die Klinische Sozialarbeit arbeitet mit einem Klientel, dass zum Teil von psychischen, geistigen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen charakterisiert ist, die sowohl Ursache als auch Resultat der Lebensumstände sein können und teilweise auf Erkrankungen und Behinderungen zurückzuführen sind. Um in solchen Fällen Veränderungsprozesse in Gang zu setzen, muss sowohl an der Psyche als auch auf der sozialen Ebene angesetzt werden. Demnach wird aktiv an der Wahrnehmung der Lebenserfahrungen gearbeitet. (vgl. Pauls 2013a: 43)

Diese Erkenntnisse wirken sich auf die Methoden und Konzepte der Klinischen Sozialarbeit aus, die sich dementsprechend bemüht, diese bezüglich ihres bindungstheoretischen Potentials zu reflektieren und zu adaptieren. Klaus Fetscher deutet auf die Wichtigkeit einer sozialen Behandlung bei Krankheiten, die mit sozialem Ausschluss einhergehen. Ein wichtiger Schritt in der Behandlung ist es den Klient*innen, ihre eigenen Kompetenzen zu vermitteln und mit ihnen gemeinsam Coping-Strategien zu erarbeiten, diese auszuprobieren und positive Situationen des Erlebens zu schaffen. Gleichzeitig werden negative Selbstwertgefühle, von denen Klient*innen der Klinischen Sozialarbeit oft betroffen sind und sich hemmend auf die Interventionen auswirken können, abgebaut. (vgl. ebd.: 48)

Heiko Kleve plädiert für eine scharfe Trennung der Ebenen, um eine reflektierte Arbeit mit den Klient*innen zu gewährleisten und den Erfolg gewisser Interventionen besser nachvollziehen zu können. Auch wenn die Vernetzung von psychischen und sozialen Systemen nicht negiert werden kann, sind die Phänomene für eine leichtere Handhabbarkeit entweder der psychischen oder der sozialen Ebene zuzuordnen. In der sozialarbeiterischen Arbeit mit den Klient*innen muss die Heterogenität der Ebenen sowie das Wechselspiel zwischen ihnen berücksichtigt werden, damit hilfreiche Lösungen herauskristallisiert werden können. Die sozialen Strukturen stehen im Fokus, wobei es um das Erarbeiten von alternativen und einfacheren Umsetzungen von sozialen Funktionen geht. (vgl. ebd.: 42f)

Aus dem biopsychosozialen Ansatz ergibt sich dementsprechend für die Klinische Sozialarbeit ein Arbeitsauftrag, gegen die sozialen Missstände vorzugehen. Dazu zählen auch die sozialen Benachteiligungen, die auf Behinderungen zurückzuführen sind.

2. Behinderung und Beeinträchtigung aus biopsychosozialer Perspektive

Der Begriff Behinderung entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wodurch der wissenschaftliche Diskurs auf eine sehr kurze Geschichte zurückblickt. Dieser wurde 1919 durch den Selbsthilfebund der Körperbehinderten eingeführt und setzte sich nach dem zweiten Weltkrieg gegen die Bezeichnung Krüppel durch, der davor synonymisch verwendet wurde.

(vgl. Hirschberg 2009: 23) Schildmann verweist auf zwei wichtige Aspekte, die einer

(24)

14 Behinderung zugrunde liegen. Dabei handelt es sich einerseits um einen gewissen Zustand, den eine Person aufweist, sowie den Prozess, mit dem auf die Behinderung reagiert wird.

Dabei beruft er sich auf die Definition von Jantzen aus dem Jahre 1973, in der bereits die Wechselwirkung zwischen biologischen, individuellen und sozialen Faktoren berücksichtigt wird. (vgl. Hirschberg 2009: 104)

„Behinderung kann nicht als naturwüchsig entstandenes Phänomen betrachtet werden. Sie wird sichtbar und damit erst als Behinderung existent, wenn Merkmale und Merkmalskomplexe eines Individuums aufgrund sozialer Interaktion und Kommunikation in Bezug gesetzt werden zu gesellschaftlicher Minimalvorstellung über individuelle und soziale Fähigkeiten. Indem festgestellt wird, dass ein Individuum aufgrund seiner Merkmalsausprägung diesen Vorstellungen nicht entspricht, wird Behinderung offensichtlich, sie existiert als sozialer Gegenstand erst von diesem Augenblick an.“ (Jantzen n. Hirschberg 2009: 104)

Das Phänomen einer Behinderung entsteht laut Jantzen in Abgrenzung zu einer von der Gesellschaft definierten Norm und ist somit immer in einem sozialen Kontext zu verorten.

Ulrike Schildmann verschiebt den Schwerpunkt auf die Wechselwirkung der individuellen und sozialen Ebene und berücksichtigt das gesellschaftliche Verständnis der Norm von Leistung, Gesundheit und Intelligenz. (vgl. Hirschberg 2009: 104f)

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Behinderung ist von verschiedenen Ansätzen geprägt, die unter anderem das medizinische, soziologische, das systemtheoretisch-konstruktivistische und das kritische Paradigma umfassen. Wie anhand der Fülle des Diskurses vermutet werden kann, weist das Phänomen Behinderung keine einheitliche Definition auf, da es einer ständigen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussion unterliegt. Je nach Blickwinkel spielen bei dem Begriff unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Aus der medizinischen Sicht handelt es sich bei Behinderung um ein Gesundheitsproblem, das eine medizinische Behandlung erfordert und die Funktionalität der Person beeinträchtigt. Im Gegensatz dazu entstand das soziale Modell, welches von Vertreter*innen der Disability Studies entwickelt wurde und die soziale Konstruktion von Behinderung sowie die sozialen Barrieren in den Vordergrund setzt. Laut der WHO hingegen stellt Behinderung ein komplexes und multidimensionales Phänomen dar, welches einer ständigen Fluidität unterliegt (vgl. WHO 2011: 3). In diesem Spektrum sind die unterschiedlichen Perspektiven auf das Phänomen Behinderung anzusiedeln.

(25)

15 2.1. Das medizinische Modell von Behinderung

Nach dieser Perspektive orientiert sich eine Charakterisierung von Behinderung an dem medizinischen Wissensstand und klammert soziale Faktoren aus. Die starke Präsenz der medizinischen Betrachtungsweise lässt sich auf die fehlende Differenzierung zwischen Krankheit und Behinderung bis in die 1970er Jahre zurückführen. Der Fokus liegt auf den organischen Phänomenen, während soziale und psychische Faktoren weitgehend ausgeklammert werden. Gerhard Wolff warnt davor, dass der medizinische Ansatz Gefahr laufe, einen Menschen mit Behinderung heilen zu wollen und folglich eine sehr beschränkte Sichtweise auf das Phänomen Behinderung biete. Lange Zeit fand sich der medizinische Ansatz auch in der Heilpädagogik wieder, was sich darin äußerte, dass eine Behinderung als Schicksalsschlag wahrgenommen wurde und der Person an sich zugeordnet wurde.

Hirschberg warnt davor, dass die Heilpädagogik Behinderung auf bestimmte als defizitär definierte Eigenschaften beschränke, durch die die Funktionalität der Person aufgrund einer Normabweichung eingeschränkt sei. (vgl. Hirschberg 2009: 111)

Folgerichtig liegt nach dem medizinischen Ansatz der Fokus auf dem Körper bzw. den körperlichen Abweichungen von einer definierten Norm, um diese hervorzuheben und anschließend zu behandeln. Demnach besteht das Ziel darin, Behinderungen zu minimieren bzw. einzudämmen. Das bedeutet, dass die Annäherungsweise an Behinderung die gleiche wie bei Krankheiten ist. In den 1990er Jahren grenzten sich die Gesundheitswissenschaften von dem biomedizinischen Paradigma der Humanmedizin und den Krankheitswissenschaften ab, die den Fokus auf das Entstehen und Behandeln von Krankheiten legten. Stattdessen gingen diese Ansätze von einem bioökopsychosozialem Modell aus. Somit verschiebt sich der Fokus von einer pathogenetischen zu einer salutogenetischen Sichtweise, die sich auf die Verbesserung des Wohlbefindens konzentrierte, was die weiteren Auseinandersetzungen mit der Thematik Behinderung stark beeinflusste. Den Rehabilitationswissenschaften liegt ein interdisziplinärer Ansatz zugrunde, der sich durch medizinische, psychologische, pädagogische und gesundheitswissenschaftliche Herangehensweisen kennzeichnen lässt.

Auch wenn dabei die rein medizinische Sicht erweitert wird, kann nicht von dem biopsychosozialen Modell im Sinne von Uexküll und Wesiak gesprochen werden, das die menschlichen Beziehungen stärker in den Vordergrund rückt. (vgl. ebd.: 108)

All diese Ansichten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich auf das Individuum beziehen, das eine Abweichung vom Normalzustand aufweist. Allerdings geht nur die Humanmedizin von einem rein biomedizinischen Blickwinkel aus, während die anderen Disziplinen die individuellen, sozialen und teilweise auch ökologischen Komponenten berücksichtigen. Die Gesundheitswissenschaften hingegen beschäftigen sich nicht mit Behinderung per se, sondern der Gesundheitsförderung und der Abwehr von Krankheiten. Ebenso ist für die Rehabilitationswissenschaften Behinderung nebensächlich. Stattdessen konzentriert sie sich

(26)

16 auf die Gesundheitsförderung bei Krankheiten, Leiden sowie Schädigungen und berücksichtigt damit auch die in der International Classification of Impairment, Disabilites and Handicap (ICIDH) genannten Dimensionen der individuellen Normabweichung und der gesellschaftlichen Behinderung. Das Modell der Psychosomatik geht von einem biopsychosozialen Ansatz aus, wohingegen es das Phänomen der Behinderung lediglich peripher behandelt. (vgl. Hirschberg 2009: 109) Dementsprechend konzentriert sich die medizinische Perspektive hauptsächlich auf die Person.

2.2. Die Disability Studies und das soziale Modell

Im Gegenzug zum medizinischen Ansatz entwickelten die Disability Studies in den 1970ern das soziale Modell. Diese junge, interdisziplinäre Wissenschaft setzt sich mit dem Phänomen der Behinderung sowohl auf sozialer als auch kultureller Ebene auseinander und betrachtet diese als gesellschaftliches Konstrukt. Dabei ist sie gesellschaftstheoretisch ausgerichtet und kritisiert an anderen Disziplinen eine zu starke Fokussierung auf die Behinderung an sich. Das soziale Modell geht davon aus, dass sich Behinderung nicht auf ein individuelles Leiden sondern auf einen gesellschaftlichen Missstand zurückführen lässt, der soziale Barrieren, Hindernisse und Marginalisierungen von Menschen mit Abweichungen vom definierten Normzustand mit sich bringt, was sich wiederum auf das Leben und die Möglichkeiten der betroffenen Personen auswirkt. Demnach wird Behinderung als soziale Unterdrückung angesehen.

Bei diesem Ansatz herrschen vor allem zwei Strömungen vor, die in Großbritannien von soziologischen und marxistischen Ansätzen und in den USA von der Kulturwissenschaft geprägt sind. Die Disability Studies entwickelten sich aus den Behindertenbewegungen in den 1970ern Jahren, die von den Forderungen nach mehr Teilhabe, Selbstbestimmung, Bürgerrechten und Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen geprägt war. Als Begründer dieser Disziplin gelten Michael Oliver, Vic Finkelstein, Paul Junt und Irving Kenneth Zola. Die Disability Studies wurden in Verbindung mit den Gender- und Postcolonial Studies gebracht, da sich diese zum Ziel gesetzt hatten, sich auf wissenschaftlicher Ebene mit Diskriminierung auseinanderzusetzen, wobei es darum ging, das Gegensatzpaar behindert und nicht behindert zu hinterfragen. Um die Jahrtausendwende begannen sich die Disability Studies international an den Universitäten zu etablieren. Einen wichtigen theoretischen Bezug stellte Michel Foucault mit seinen Auseinandersetzungen zu der Entwicklung der Medizin dar.

Während in den USA die Disability Studies auf dem Sozial-Konstruktivismus fußten, wurde in Großbritannien der Diskurs durch marxistische Ansätze geprägt, die den Fokus auf die Produktion legen, wobei der Standardkörper das Ideal darstellt, um die kapitalistische Produktionsfähigkeit zu gewährleisten und die Abweichungen des Ideals sich dafür nicht

(27)

17 eigneten und marginalisiert wurden. Behinderung ist dem Sozialen Modell zufolge das Produkt sozialer Ausgrenzung. (vgl. Hirschberg 2009: 113f)

Trotz der Unterschiede in der theoretischen Grundlage beziehen sich beide Modelle auf die soziale Unterdrückung und fordern mehr Menschenrechte für die betroffenen Personen ein.

Obwohl sie von einem unterschiedlichen Entstehungskontext des Phänomens ausgehen, distanzieren sich beide Ansätze davon, Behinderung als ein persönliches Attribut der Person zu verstehen. Dem sozialen Modell liegt eine Differenzierung zwischen der körperlichen Schädigung und der gesellschaftlichen Behinderung zugrunde, wobei sich die Schädigung auf fehlende oder eingeschränkte Körperteile bzw. Organe bezieht und Behinderung die soziale Benachteiligung aufgrund der Schädigung bezeichnet. In den 1980er Jahren kam es zu einer Erweiterung des Begriffs Schädigung, der sich nun auch auf körperliche, geistige und sensorische Beeinträchtigungen bezieht. Behinderung ist im Gegensatz zur Schädigung gesellschaftlich konstruiert, bezeichnet die Beziehung zwischen Individuum und Mehrheitsgesellschaft und steht in enger Verbindung zu den Lebensverhältnissen. Der relevanteste Unterschied zum medizinischen Modell ist, dass folglich der Lösungsansatz bei der Gesellschaft ansetzen muss und nicht bei der betroffenen Person, wodurch dieser gesellschaftliche Veränderungen einfordert. Behinderung ist somit eine „Erfahrung beeinträchtigter Lebensaktivität aufgrund sozialer Hindernisse.“ (ebd.: 119)

Seit der Entwicklung des Modells geriet auch immer mehr der Körper in den wissenschaftlichen Fokus. Erforscht wurde dabei, welche psychischen und emotionalen Komponenten mit einer Schädigung im Zusammenhang stehen. Die Auseinandersetzung mit dem Körper findet im sozialen Modell wenig Beachtung, auch wenn diese Verknüpfung laut Hirschberg keinen Widerspruch darstellen würde. Kritik lässt sich in diesem Zusammenhang äußern, dass das soziale Modell einerseits durch die Ausklammerung der körperlichen Ebene die Dualität des medizinischen und sozialen Modells unterstütze, da folglich der medizinische Ansatz die körperlichen Aspekte und der soziale Ansatz die sozialen Faktoren thematisiere und somit kein umfassendes Bild von dem Phänomen Behinderung geschaffen werden könne. Andererseits wird die Tatsache vernachlässigt, dass Schädigungen auf soziale Ursachen zurückzuführen sein können, wie zum Beispiel bei Arbeitsunfällen oder Mangelernährung. Dementsprechend plädiert Carol Thomas für eine soziologische Thematisierung beider Phänomene sowie die Miteinbeziehung der individuellen, emotionalen Faktoren. Letzteres wird damit begründet, dass „Behinderung nicht nur durch externe soziale Barrieren, sondern auch durch interne psycho-emotionale Faktoren produziert werden könne.“ (ebd.: 121) In diesem Zusammenhang sind auch die emotionalen Auswirkungen von Stigmatisierungen und Vorurteilen zu verorten.

Das soziale Modell hat im Diskurs über Behinderung einen großen Beitrag geleistet. Allerdings lassen sich hier Lücken aufzeigen, die durch die Einführung einer biopsychosozialen

(28)

18 Betrachtungsweise ergänzt werden konnten. Daher wird im folgenden Unterkapitel die Entwicklung der Auseinandersetzung der WHO mit dieser Thematik dargelegt.

2.3. Der Ansatz der WHO zu Behinderung

Durch die Veröffentlichung des ICF leistete die WHO einen großen Beitrag hin zu einem biopsychosozialen Blickwinkel auf das Phänomen Behinderung. Erst seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts etablierte sich die Unterscheidung von Behinderung und Krankheit, woraufhin die WHO eine neue Klassifizierung zu gesundheitsbezogenen Belangen in den 1980ern einführte, die das Phänomen Behinderung berücksichtigte. Bis dato wurde Behinderung sowohl den Krankheiten als auch den Verletzungen zugeteilt. Dabei wurden Phänomene beschrieben, denen Behinderungen zugrunde liegen können, wie z.B.

angeborene Fehlstellungen. Da mit dem medizinischen Ansatz des International Classification of Diseases (ICD) das Phänomen Behinderung mit all seinen sozialen, individuellen, körperlichen und lebensweltlichen Dimensionen nicht adäquat abgebildet werden konnte, entstand die Notwendigkeit einer neuen Klassifikation, die sich die WHO in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Aufgabe gemacht hatte. Die Abgrenzung von Behinderung zur Krankheit liegt darin, dass ersteres nicht kuriert werden kann. Teilweise sind Behinderungen angeboren, allerdings werden sie in den meisten Fällen im Laufe des Lebens durch äußerliche Gewalteinwirkung wie zum Beispiel durch einen Unfall erworben, weswegen das Rehabilitationswesen an Bedeutung gewann und gefördert wurde. Dabei wurde die Intention verfolgt, die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person zu steigern. Dementsprechend stieg die Nachfrage nach einer einheitlichen Klassifikation des Phänomens. In den 1970ern arbeitete das Center for the Classificiation of Diseases die persönlichen und sozialen Auswirkungen einer Behinderung aus, die in weiterer Folge per Auftrag der WHO mit ihrer eigenen Klassifikation zusammengefügt wurde. Die von Philip Wood ausgearbeitete Klassifizierung wurde 1976 von der WHO anerkannt, die 1980 unter dem Titel International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps (ICIDH) mit dem Ziel veröffentlicht wurde, das Phänomen Behinderung international einheitlich darzustellen. International fand die ICIDH unterschiedlichen Zuspruch. In Frankreich fand sie Verwendung bei der Zuteilung von Sozialleistungen. In der BRD hingegen stieß sie aufgrund der bereits existierenden Rehabilitationskonzepte auf wenig Anklang. Erst in den 1990ern fand sie in Deutschland im gesundheitspolitischen Bereich Anwendung. (vgl. Hirschberg 2009: 52ff)

Dem ICIDH steht ein dreidimensionales Konzept zugrunde, das die körperliche, individuelle und soziale Dimension berücksichtigt. Demnach unterscheidet der Ansatz zwischen einer Schädigung, die aus einer langandauernden Störung entsteht, woraus eine Beeinträchtigung hervorgehen kann, die wiederum in einer Behinderung enden kann. Die Schädigung bezieht

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19 sich auf die organische Komponente, wobei von einer von der Norm abweichenden Funktionseinschränkung ausgegangen wird, und kann als ein „beliebige[r] Verlust oder eine Normabweichung in der psychischen, physiologischen oder anatomischen Struktur oder Funktion“ (WHO zit. n. Hirschberg 2009: 48) definiert werden. Der Begriff Behinderung berücksichtigt die persönliche Ebene und bezeichnet die Auswirkungen einer Schädigung auf die betroffene Person, die sich in möglichen individuellen Einschränkungen äußert. Die Benachteiligung integriert die soziale Dimension und bezieht sich auf die aus der Schädigung resultierenden Nachteile auf der sozialen Ebene. Behinderung wird als eine „sich aus einer Schädigung oder […] [Beeinträchtigung] ergebenden Benachteiligung des betroffenes Menschen“ (WHO zit. n. Hirschberg 2009: 49) definiert. Da sich in diesen Begriffen ein stark negativ geprägter Ansatz widerspiegelt, wurden diese durch impairment, das mit der Schädigung gleichzusetzen ist, activity, was beschreibt, über welche Verwirklichungsmöglichkeiten die Person verfügt, und Partizipation, die sich mit dem Grad der sozialen Teilhabe beschäftigt, ersetzt. Dadurch distanziert sich die WHO von einem defizitorientierten Ansatz und stellt stattdessen die Fähigkeiten, die Ressourcen, die gleichen Zugangsmöglichkeiten und die Teilhabe in den Mittelpunkt. (vgl. Bernitzke, Tupi 2016: 22f;

Franke 2012: 93; Günther 2015: 52ff)

Kritisch zu hinterfragen ist die Abgrenzung von einem Normzustand, der als solcher nicht genau definiert wird. Die WHO weist lediglich darauf hin, dass eine leichte Normabweichung bei den meisten Menschen vorzufinden ist. Folglich liegt die Zuteilung von Behinderung zu einem gewissen Grad auch immer im Spannungsfeld zwischen Individuum und Mehrheitsgesellschaft. Aufgrund der Kritik, dass die ICIDH die Umweltfaktoren vernachlässige, die persönliche Perspektive der betroffenen Menschen nicht berücksichtige und die Problematik von Behinderung nicht mit sozialen Barrieren verknüpfe, kam es in den 1990ern zu einer Überarbeitung. Dadurch wurde die wenig beachtete gesellschaftliche Dimension stärker in den Vordergrund gestellt und dementsprechend Behinderung nicht weiter aus einer medizinischen Perspektive betrachtetet oder als individuelles Problem angesehen. Auf diese Art und Weise wird den sozialen Barrieren, die die Behinderung erschweren können, Rechnung getragen. Weiter wurde dafür plädiert, dass „der soziale Kontext, die ökonomischen und die ‚Klassen- und Herrschaftsverhältnisse‘ miteinbezogen werden “ (Jantzen zit. n.

Hirschberg 2009: 50) müssen. Ziel der Überarbeitung war es, ein komplexes Modell von Behinderung zu entwerfen, das einerseits auf alle Bevölkerungsgruppen angewendet werden kann und andererseits auch für Menschen ohne medizinisches Hintergrundwissen nachvollziehbar sein soll. In der Überarbeitung wurden nun fünf Komponenten hervorgehoben:

„Schädigung der Körperfunktionen und der Körperstrukturen, Aktivitäten, Partizipation sowie zusätzlich eine neue Komponente: die Umweltfaktoren“ (Halbertsma et al zit. n. Hirschberg 2009: 54). Der ausschlaggebende Unterschied zwischen dem ICIDH und der ICF ist die

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