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Die Lehre hat Theorien oder Kriterien entwickeltH, welche eine Unter­

scheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht gestatten. Diese Theorien geben damit dem dargestellten praktischen Bedürfnis nach, die Frage zu beantworten. Wenn die Wiener Schule des Rechtspositivismus feststellt, dass der Dualismus von Privatrecht und öffentlichem Recht nicht rechtswesentlicher Natur sei15, so wird sie dem praktischen Be­

dürfnis nach dieser Unterscheidung nicht gerecht.

11 Vgl. Antoniolli/Koja, S. 109; Walter/Mayer Nr. 60.

12 Vgl. Andreas Kley, Art. 6 EMRK als Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt, Zürich 1993, S. 7 ff.; Kley, Rechtsschutz, S. 106 ff. m.H.

13 In diesem Sinne ist Antoniolli/Koja, S. 109 missverständlich.

14 Vgl. StGH 1984/8, Urteil vom 24.4.1985, LES 1985, S. 105 (106), wo der Staatsgerichts­

hof lediglich von den allgemein anerkannten Kriterien spricht.

15 Vgl. Merkl, S. 84.; vgl. die Darstellung bei Anconiolli/Koja, S. 107 f. und III.

Die Theorien zur Unterscheidung sind allesamt problematisch und liefern zum Teil widersprüchliche Ergebnisse. Die Verwendung dieser Theorien ist aber gleichwohl nützlich; sie bieten Gesichtspunkte zur Problemlösung. Es haben sich insbesondere drei Theorien als hilfreich erwiesen.

2. Subjektions- oder Mehrwerttheorie

Die Subjektions- oder Mehrwerttheorie stellt auf eine Uber- bzw.

Unterordnung ab. Ist der Staat in einem Verhältnis rechtlicher Uber-und Unterordnung beteiligt, so ist die Angelegenheit dem öffentlichen Recht zuzuweisen16. Ist der Staat als gleichgeordneter Partner beteiligt, so ist dieses Rechtsverhältnis dem Privatrecht zuzuweisen17, denn im Privatrecht begegnen sich "Personen mit gleicher ('gleichwertiger') Rechtsmacht"18. Diese Theorie birgt eine Reihe von Problemen in sich, denn es gibt auch im Privatrecht Verhältnisse von Über- und Unterord­

nung, so etwa im Kindesrecht oder im Arbeitsvertragsrecht. Umgekehrt gibt es auch im öffentlichen Recht Verhältnisse der Gleichordnung, so etwa zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts oder im Falle von verwaltungsrechtlichen Verträgen zwischen einzelnen und dem Ge­

meinwesen19. Schliesslich setzt die Mehrwerttheorie das voraus, was sie eigentlich beweisen müsste. Denn das Verhältnis der Über- und Unter­

ordnung ist ja ers t die Folge des öffentlichen Rechts20.

16 Vgl. VBI 1963/10, Entscheidung vom 22.3.1966, ELG 1962-66, S. 26 (27); Antonioiii/

Koja, S. U1; Wolff I, S. 92; Häfelin/Miiller Nr. 208.

17 Vgl. dazu StGH 1981/12, Urteil vom 28.8.1981, LES 1982, S. 125; VBI 1969/10, Ent­

scheidung vom 2.7.1969, ELG 1967-72, S. 9; VBI 1965/26, Entscheidung vom 23.11.1965, ELG 1962-66, S. 32 und StGH 1965/1, Urteil vom 9.3.1966, ELG 1962-66, S. 225 (226) betreffend Vergabe amtlicher Publikationsauftrage an Zeitungen.

18 Antoniolli/Koja, S. 112.

19 In VBI 1995/41, Entscheidung vom 6.12.1995, S. 8, Erw. II.c), nicht veröffentlicht, wurde aus diesem Grunde zur Beurteilung des Vertrages zwischen dem Land und der Gemeinde Triesen zu Recht auf die Interessentheorie abgestellt. Allerdings darf daraus nicht geschlossen werden, die Interessentheorie hätte in Liechtenstein Vorrang.

20 Vgl. Antoniolli/Koja, S. 111 f. m.H. in Anm. 81; Wolff I, S. 92.

3. Funktionen- oder Interessentheorie

Die Funktionen- oder Interessentheorie stellt auf das betroffene private oder öffentliche Interesse ab. Rill hat das Kriterium nach dieser Theorie wie folgt umschrieben21:

"Die Differenzierung zwischen öffentlichem und privatem Recht muss auf die in den Regelungen zum Ausdruck kommende Interes­

senabwägung abgestellt werden. Sofern nach dieser rechtsimmanen­

ten Wertung dem Gesamtinteresse der Vorrang zukommt, ist die Re­

gelung öffentlichrechtlich, andernfalls gehört sie dem Privatrecht an."

Verwirklicht also die fragliche Rechtsnorm überwiegend das öffentliche Interesse oder Individualinteresse, so ist öffentliches Recht und im zwei­

ten Fall Privatrecht anzunehmen. Die vom Gesetzgeber beim Erlass ei­

ner konkreten Rechtsnorm vorgenommene Interessenabwägung ent­

scheidet also über die Zuordnung zum jeweiligen Rechtsgebiet22. Die Theorie geht von einem unüberbrückbaren Gegensatz von öf­

fentlichem Recht und Privatrecht aus, den es in dieser Weise gar nicht gibt. Häufig sind beide Interessensphären gleichgerichtet. Das lässt sich anhand des Beispiels der Fürsorge- und Sozialhilfegesetzgebung zeigen.

Diese sichert die Existenz von Bedürftigen; sie erfüllt damit ein qualifi­

ziertes öffentliches Interesse. Umgekehrt haben die Bedürftigen ein gleichgerichtetes privates Interesse an öffentlicher Unterstützung23. Die Interessentheorie kann demnach keine Entscheidgrundlagen für das zu­

treffende Rechtsgebiet liefern. Diese Situation trifft im übrigen auf die meisten Rechtsgebiete zu. Das Recht dient insgesamt der Ordnung des sozialen Zusammenlebens der Menschen. In diesem Sinne verwirklicht besonders das Privatrecht ein wichtiges öffentliches Interesse24. Es stellt Regeln des Zusammenlebens auf und ermöglicht über das Prozessrecht die friedliche Erledigung von Streitigkeiten. Es bleibt freilich festzuhal­

21 Heinz Peter Rill, Zur Abgrenzung des öffentlichen vom privaten Recht, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht XI (1961), S. 457 ff. (469).

22 Vgl. Antoniolli/Koja, S. 113.

23 Das Beispiel stammt von Merkl, S. 81.

24 Vgl. Wolff I, S. 92; Antoniolli/Koja, S. 113 f.; VfGH v.7.3.1989, ÖJZ 1990, S. 60.

ten, dass die Interessentheorie insbesondere dann herangezogen wird, wenn es um die Zuordnung von Verträgen zum öffentlichen oder priva­

ten Recht geht25.

4. Modifizierte Subjektstheorie

Nach der inzwischen überholten gewöhnlichen Subjektstheorie wird ein Rechtsverhältnis bereits dann dem öffentlichen Recht zugewiesen, wenn an ihm der Staat oder ein anderes öffentlichrechtliches Subjekt beteiligt ist26. Die Theorie ist deshalb unbehelflich, weil das Gemeinwesen in vie­

len Fällen in der Form des Privatrechts handelt27. Hans Julius Wolff entwickelte deshalb die modifizierte Subjektstheorie. Danach sind dieje­

nigen Rechtsverhältnisse öffentlichrechtlich, "die sich aus einem Rechts­

satz ergeben, der nicht jedermann verpflichtet und berechtigt, sondern notwendig nur einen Staat oder ein Subjekt verpflichtet oder berechtigt, das durch Staatsakt zur Wahrnehmung gemeinsamer Angelegenheiten einer über individuelle Beziehungen hinausgehenden Personenvielheit verpflichtet ist"28. Etwas vereinfachter ausgedrückt gehören diejenigen Rechtsverhältnisse zum öffentlichen Recht, an denen das Gemeinwesen notwendigerweise beteiligt ist. Umgekehrt liegt eine privatrechtliche Rechtsbeziehung vor, wenn sie durch prinzipiell für jedermann geltende Normen bestimmt wird.

III. Einzelne wichtige Bereiche

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