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Geltung und Auslegung öffentlichrechtlicher Verträge Das alte Steuerrecht ermöglichte aufgrund der bisher geltenden Rechts

normen verbindliche Abmachungen zwischen Steuerpflichtigen und Verwaltung für eine bestimmte Dauer. Hierbei handelte es sich um öffentlichrechtliche Verträge. Das geltende Steuerrecht sieht diese Ab­

machung nicht mehr vor, altrechtliche Verträge bleiben gleichwohl in Kraft20 . Es ist allerdings möglich, dass ein Verwaltungsgesetz oder ein öffentlichrechtlicher Vertrag bestimmte Vorbehalte oder Auflösungs­

gründe enthält. Ansonsten gilt auch im öffentlichen Recht der Grund­

satz: pacta sunt servanda. Der Vertrag würde hinfällig, wenn aus-sergewöhnliche Auflösungsgründe bestehen oder gesetzlich zugelassen würden. Dazu gehören etwa die clausula rebus sie stantibus oder betrügerische Machenschaften, die bei der zuständigen Behörde Fehler und Irrtümer auslösen21.

Auf öffentlichrechtliche Verträge sind die Grundsätze des öffentli­

chen Rechts anzuwenden. Geben diese keine verlässliche Antwort auf offene Rechtsfragen, so sind die privatrechtlichen Grundprinzipien ana­

log anzuwenden. Namentlich erfolgt die Auslegung der Verträge nach Treu und Glauben. Dabei ist zu beachten, "dass die Verwaltungs­

behörden die öffentlichen Interessen wahren und, neben der all­

gemeinen Rechtsordnung, die sie besonders betreffenden Verwaltungs­

gesetze zu beachten haben. Der Grundsatz, wonach Verträge nach Treu und Glauben auszulegen sind (Art. 2 PGR), gilt auch hinsichtlich öffentlichrechtlicher Verträge"22.

19 Vgl. S. 148 ff.

20 Art. 162 SteG, LGB1. 1961/7. In Österreich sind im Bereich des Abgaberechts Verträge heute noch möglich, vgl. Adamovich/Funk, S. 292.

21 Vgl. grundlegend StGH 1981/30, Urteil vom 15.10.1982, LES 1985, S. 3 (5).

22 Vgl. StGH 1984/2/V, Urteil vom 15.2.1985, LES 1985, S. 72 (76); StGH 1981/30, Urteil vom 15.10.1982, LES 1985, S. 3 (5).

IV. Rechtsschutz

Das Landesverwaltungspflegegesetz regelt den verwaltungsrechtlichen Vertrag nicht, sondern behält nur den privatrechtlichen Vertrag als mög­

liche Handlungsform vor23. Gleichwohl stellt sich die Frage nach dem geeigneten Rechtsschutz für öffentlichrechtliche Verträge.

In der Schweiz werden Streitigkeiten aus öffentlichrechtlichen Ver­

trägen in den Kantonen meistens mittels des Verfahrens der öffentlich­

rechtlichen Klage (sog. ursprüngliche Verwaltungsrechtspflege) geklärt.

Dies bedeutet, dass die Verwaltungsbehörden nicht hoheitlich verfügen können, da ihre Äusserungen nur die Bedeutung von Parteierklärungen haben. Wie in einem Zivilprozess muss eine Partei gegen die andere Vertragspartei eine öffentlichrechtliche Klage einreichen. Diese Klage wird zum Teil vor den Zivilgerichten und zum Teil vor den Verwal­

tungsgerichten geführt. Im Bund ist das Klagesystem mit einer Gesetzesrevision vom 15. Februar 1992 fast ganz abgeschafft worden.

Stattdessen wurden die Verwaltungsbehörden ermächtigt, im Falle von Streitigkeiten aus öffentlichrechtlichen Verträgen zu verfügen. Diese Verfügungen können dann auf dem üblichen Verwaltungsrechtsweg an­

gefochten werden24.

In Osterreich ist der verwaltungsrechtliche Vertrag nur "in Verbin­

dung mit einem Bescheid (Verfügung) verfassungsrechtlich zulässig"25. Nach dem Vertragsabschluss muss demnach immer verfügt werden, wo­

mit ähnlich wie in der Schweiz (Bund), die Streitsache der Verwaltungs­

gerichtsbarkeit zugeführt werden kann.

In Liechtenstein scheidet eine analoge Anwendung von Art. 29 Abs.

1 lit. a LVG über privatrechtliche Verträge auf den subordinations­

rechtlichen Vertrag aus, weil das Gesetz die Zuständigkeit der Zivilge­

richte abschliessend umschreibt. Sind die Zivilgerichte für öffentlich­

rechtliche Streitsachen zuständig, so wird dies in der Gesetzgebung ausdrücklich festgehalten26. Das Landesverwaltungspflegegesetz kennt

23 Vgl. Art. 29 Abs. 1 lit. a und dazu S. 152.

24 Vgl. Rhinow/Koller/Kiss-Peter, S. 311 ff.; Botschaft betreffend die Änderung des Bun­

desgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 18.3.1991, BB1. 1991 II, S. 465 ff. (496 ff.).

25 Vgl. Antoniolli/Koja, S. 540.

26 Vgl. z.B. betreffend die Amtshaftung den Art. 10 AHG, wonach das Obergericht über Klagen nach diesem Gesetz zuständig ist.

auch kein öffentlichrechtliches Klageverfahren wie etwa viele Schwei­

zer Kantone in ihren Verfahrensgesetzen27. Im Gegenteil unterwirft Art. 28 Abs. 1 lit. b und c LVG gewisse vermögensrechtliche Streitigkei­

ten über Forderungen, die an sich auf dem Klageweg beurteilt werden können, dem einfachen Verwaltungsverfahren. Uber diese Forderungen muss verfügt werden. Damit wird das gewöhnliche Verwaltungs­

beschwerdeverfahren bis zur Verwaltungsbeschwerdeinstanz hin eröff­

net. Auch für die übrigen in Art. 28 Abs. 1 lit. b und c LVG nicht ge­

nannten Materien bleibt bei Streitigkeiten aus öffentlichrechtlichen Verträgen nur die Lösung der Schweiz (Bund) und von Osterreich:

Streitigkeiten aus öffentlichrechtlichen Verträgen werden in erster In­

stanz durch Verfügung der zuständigen Verwaltungsbehörde ent­

schieden. Verweigert die Behörde eine Verfügung, so gilt dies ebenfalls als eine Verfügung; es handelt sich um eine anfechtbare Rechtsver­

weigerung28. Die Verfügung bzw. die Rechtsverweigerung ist an die Re­

gierung und die Verwaltungsbeschwerdeinstanz weiterziehbar. Diese Ordnung entspricht der bisherigen Praxis, die die Frage nach der Verbindlichkeit und Zulässigkeit subordinations- oder koordinations­

rechtlicher verwaltungsrechtlicher Verträge stets als Anfechtungs­

streitsache behandelt hat29.

Peter Sprenger schrieb in seiner Abhandlung über die liechten­

steinische Verwaltungsgerichtsbarkeit: "Die ursprüngliche Verwaltungs­

gerichtsbarkeit hat im Fürstentum Liechtenstein bisher keinen gesetzli­

chen Niederschlag gefunden, so dass man davon auszugehen hat, dass die gesamte Verwaltungsgerichtsbarkeit Liechtensteins als nachträgliche zu qualifizieren ist"30. Diese Aussage ist grundsätzlich richtig. Immerhin ermöglicht Art. 34 Abs. 1-3 StGHG ausdrücklich die öffentlichrecht­

liche Klage (ursprüngliche Verwaltungsstreitsachen) vor dem Staats­

gerichtshof als Verwaltungsgerichtshof. In diesem Sinne gestattet Art. 55 StGHG unter dem nicht ganz zutreffenden Titel "Als Rechtsmittel­

27 Loebenstein, Gutachten, S. 25 ff. diskutiert die ursprüngliche Verwaltungsgerichtsbarkeit für Liechtenstein; vgl. die auf S. 92 angeführten Beispiele.

28 Vgl. S. 113.

29 Vgl. z.B. VBI 1980/53, Entscheidung vom 29.4.1981, LES 1982, S. 172 (174); vgl. ferner VBI 1994/40, Entscheidung vom 9.11.1994, LES 1995, S. 41 (42 f.); VBI 1995/41, Ent­

scheidung vom 6.12.1995, nicht veröffentlicht.

30 Sprenger, S. 336.

instanz"31 "bei Grenzstreitigkeiten der Gemeinden oder öffentlich­

rechtlichen Ansprüchen der Gemeinden untereinander" die öffentlich­

rechtliche Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof. In diesem schmalen Bereich der Grenzstreitigkeiten und der öffentlichrechtlichen An­

sprüche zwischen Gemeinden (z.B. aus koordinationsrechtlichen Ver­

trägen) kommt das Verfahren der verwaltungsrechtlichen Klage zur An­

wendung. Eine Verfügungsmöglichkeit besteht in diesen Sachbereichen gerade nicht, weil die Gemeinden in diesen Auseinandersetzungen ein­

ander gleichgeordnet sind und nicht gegeneinander verfügen können. In diesem Sinne müsste generell bei den koordinationsrechtlichen Verträ­

gen die öffentlichrechtliche Klage zugelassen werden.

31 Unzutreffend deshalb, weil Art. 55 StGHG ansonsten in allen andern Zuständigkeits­

bereichen darauf hinweist "Als Rechtsmittelinstanz gegen aber die von Art. 55 StGHG erfassten Materien gerade nicht so einleitet. Dies geschieht zu Recht, weil sol­

che Streitsachen im Verfahren der ursprünglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit gemäss Art. 34 Abs. 1-3 StGHG beurteilt werden.

§ 7 Realakte, Tathandlungen oder verfahrensfreie Verwaltungsakte

I. Begriff

Realakte führen einen tatsächlichen Erfolg herbei. Als sog. "schlichtes Verwaltungshandeln" begründen oder ändern sie keine Rechte und Pflichten. Realakte ergehen gestützt auf einen Verwaltungsakt oder kön­

nen Bedingungen für Rechtsfolgen sein. Letzteres ist regelmässig der Fall bei Schadenersatzklagen gegen das Gemeinwesen. Die Realakte stel­

len keine Verfügungen dar, da sie allein keine Rechte einräumen oder Pflichten auferlegen. Die Terminologie ist unterschiedlich. In Oster­

reich, dessen Verfahrensordnung sich in vorbildlicher Weise den Real­

akten angenommen hat, spricht das Bundesverfassungsgesetz von

"Massnahmen der unmittelbaren (verwaltungs-)behördlichen Befehls­

und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person"1. Die österreichische Lehre verwendet mitunter den Begriff des "verfahrensfreien Verwal­

tungsakts"2 oder der "faktischen Amtshandlung"3. In Liechtenstein hat sich der Begriff des Realaktes eingebürgert4. Wie immer der Realakt auch bezeichnet wird, erscheint sekundär, wenn nur sichergestellt ist, dass dagegen eine Rechtsschutzmöglichkeit besteht5. Das folgende Bei­

spiel möchte dies illustrieren. Inhaftiert die Polizei eine Person, über welche ein Haftbefehl ausgestellt worden ist, so stellt die Handlung der Verhaftung und Abführung der gesuchten Person einen Realakt dar. Das Rechtsproblem, das die Realakte aufgeben, besteht in der Frage nach den rechtlichen Bindungen beim tatsächlichen Verwaltungshandeln so­

wie nach dem Rechtsschutz gegen die Tathandlung als solche. Die Ver­

haftung - um bei diesem Beispiel zu bleiben - kann mit Beschwerde angefochten werden, da sie stets vom Haftbefehl begleitet wird, der ein anfechtbarer Verwaltungsakt ist. Beispiele von Realakten sind6:

1 Vgl. Art. 130 Abs. 1 lit. b, Art. 131a und Art. 144 Abs. 1 B-VG.

2 Vgl. Bernd-Christian Funk, Der verfahrensfreie Verwaltungsakt: die "faktische Amts­

handlung" in Praxis und Lehre, Wien 1975; Adamovich/Funk, S. 280; Antoniolli/Koja, S. 523 f. mit der Darlegung weiterer Bezeichnungen.

3 Walter/Mayer Nr. 388; Batliner, Rechtsordnung, S. 155.

« Vgl. OG 397/81-17, Beschluss vom 17.10.1983, LES 1985, S. 50 ff. (52).

5 Vgl. z.B. Müller, Grundrechte, S. 23.

6 Vgl. Batliner, Rechtsordnung, S. 156; Wolff I, S. 291; Adamovich/Funk, S. 281; Walter/

Mayer Nr. 967; Häfelin/Müller Nr. 704.

- Einzug eines gesundheitsgefährdenden Produkts;

- Dienstfahrt;

- Angestellter des Strassenunterhaltsdienstes reinigt eine Strasse;

- Feuerwehr bekämpft einen Brand;

- Durchführung eines Augenscheins;

- Anlage und Bau eines Weges oder einer Strasse;

- Zufuhr von Wasser durch das Wasserwerk der Gemeinde;

- Tötung eines kranken Tieres;

- Einsatz der Schusswaffe durch die Polizei;

- Abnahme von Führerschein und Fahrzeugschlüssel durch die Polizei;

- Einweisen eines Fahrzeugs in eine Abfalldeponie durch den Deponie­

wart7;

- Schliessung einer Bahnbarriere;

- Aufhebung eines Bahnübergangs oder

- Behördliche Ratschläge, Empfehlungen, Warnungen und Hinweise.

Ein bedeutsames tatsächliches Verwaltungshandeln stellt die behördliche Information in den Massenmedien dar8. Die Verwaltung informiert die Bevölkerung oft über bestimmte Vorfälle, Gefahren und anderes mehr über die Medien, vor allem Radio und Fernsehen9. Besonders wichtig sind diese Informationen im Zusammenhang mit scheinbar gesund­

heitsschädigenden Produkten. Der betroffene Unternehmer ist mit die­

sen Informationen meistens nicht einverstanden und erleidet in aller Re­

gel eine Umsatzeinbusse10; unter Umständen kann die Information eine wirtschaftliche Existenz zerstören. Die behördliche Information über Massenmedien hat ferner eine zentrale Bedeutung im Rahmen der poli­

7 Vgl. OG 397/81-17, Beschluss vom 17.10.1983, LES 1985, S. 50(52).

8 Vgl. Markus Müller, Rechtsschutz im Bereich des informalen Staatshandelns: Überle­

gungen am Beispiel der staatlichen Empfehlungen, ZB1. 1995, S. 533 ff.

' Siehe das instruktive Beispiel Application 9486/81, Karl Adler gegen die Schweiz, DR, S. 46, 36 betreffend schädigende Informationen des Eidgenössischen Finanzdepartements.

10 In der Schweiz sind die Informationen des Bundesamtes für Gesundheitswesen be­

treffend das "Tschernobyl-Gemüse" oder den "Listeriose-Käse Vacherin Mont d'Or"

berühmt geworden. Für den Unternehmer besteht keine Möglichkeit, die ihn betref­

fende Information zu beeinflussen. Er kann sich nicht direkt gegen diese Informatio­

nen wehren und eine Berichtigung durchsetzen (vgl. Art. 43 Abs. 2 des schweizeri­

schen Lebensmittelgesetzes vom 9.10.1992, SR 817.0). Allerdings kann in besonders krassen Fällen der Staat haftbar gemacht werden, was indessen im Falle des waadt-ländischen Vacherin Mont d'Or scheiterte, vgl. BGE 118 Ib 473 ff.; vgl. dazu Kley, Rechtsschutz, S. 8 f.

tischen Rechte. Solche Informationen können für ein Wahl- oder Ab­

stimmungsergebnis ausschlaggebend sein".

Handelt der Staat im Rahmen des Privatrechts, so sind dessen Wil­

lenserklärungen und Handlungen keine Realakte. Sie sind vielmehr im Rahmen der Privatrechtsordnung zu beurteilen12 und unterliegen dem Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte13.

II. Bindungen beim tatsächlichen Verwaltungshandeln

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