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II. Geschriebene Rechtsquellen 1. Verfassung

2. Rangstufe der fürstlichen Hausgesetze

Die in Art. 3 LV er wähnten Hausgesetze des fürstlichen Hauses stellen zweifellos Verfassungsrecht im materiellen Sinne dar, regeln sie doch grundlegende Fragen der staatlichen Organisation23. Nach Gregor Steger24, Edwin Loebenstein25, Walter Kieber26 und Gerard Batliner27 gehören die hausgesetzlichen Materien, auf die Art. 3 LV Bezug nimmt, zur Verfassung im formellen Sinn. Sie haben bei Erlass der Verfassung von 1921 bereits vorbestanden und sind sozusagen eine unter der Ho­

heit der Verfassung stehende Exklave, welche als solche zum Bestand der geschriebenen Verfassung zählt. Der Verfassungsgeber von 1921 hat Art. 3 LV aus diesem Grund in den Text aufgenommen. Freilich müssen sich die Hausgesetze auf die in Art. 3 erwähnten Materien, nämlich auf die erbliche Thronfolge, die Volljährigkeit des Landesfürsten und des

20 So im Eid der zu vereidigenden Landtagsmitglieder gemäss Art. 54 LV.

21 Vgl. Antoniolli/Koja, S. 148.

22 Vgl. LR 946.201, LGB1. 1991/41.

23 Vgl. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1914, S. 505; Friedrich Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 108; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundes­

republik Deutschland, 2. Aufl., München 1984, S. 72 f.; Hangartner I, S. 25.

24 Vgl. Steger, Fürst, S. 52 ff.

25 Vgl. Loebenstein, Stellvertretung, S. 82; Loebenstein, Besonderheiten, S. 12.

26 Kieber, S. 322.

27 Vgl. Batliner, Verfassungsrecht, S. 22, Anm. 8.

Erbprinzen sowie die Vormundschaft beschränken28. Der übrige von Art. 3 LV nicht erfasste Inhalt allfälliger Hausgesetze hat keinen Verfassungsrang. Es handelt sich dabei um autonomes Satzungsrecht des Fürstenhauses29, das selbstverständlich der staatlichen Gesetzgebung nicht widersprechen darf. Das Rechtsbereinigungsgesetz lässt diese korporativen Familiensatzungen des Fürstlichen Hauses Liechtenstein unberührt30.

Die Zuständigkeit zur Änderung der Hausgesetze, soweit sie die Ma­

terien gemäss Art. 3 LV be treffen, ist kontrovers31. Falls das Erfordernis der Mitwirkung des Landtages und gegebenenfalls des Volks angenom­

men wird, so bleibt die Frage, ob der Landtag die Vorlage wie ein Ver­

fassungsgesetz (Art. 111 Abs. 2 LV), wie ein einfaches Gesetz (Art. 65 f.

LV) behandeln oder ihr bloss zustimmen muss. Der Landtag hat seit 1862 allen hausgesetzlichen Änderungen gemäss Art. 3 LV die einhellige Zustimmung erteilt. Ausgenommen von dieser historisch stets befolgten Praxis ist allein das neue Hausgesetz von 1993, das weder das Regie­

rungskollegium noch den Landtag passiert hat. Der Verweis des Art. 3 LV, wonach die materiellen Regelungen über die erbliche Thronfolge, die Volljährigkeit des Landesfürsten und des Erbprinzen und vorkom-mendenfalls die Vormundschaft durch Hausgesetze geordnet werden, lässt keinesfalls den Schluss zu, dass der Verfassungsgeber von 1921 die Kompetenz zur Änderung dieser materiellen hausgesetzlichen Bestim­

mungen vom üblichen (Verfassungs-)Gesetzgebungsprozess ausgenom­

men hat. Die besondere Regelung von Art. 3 LV lässt eine derart exten­

sive Auslegung nicht zu. Dies zeigt gerade ein begrifflicher Vergleich.

Die Verfassung unterscheidet im Zusammenhang mit der ordentlichen Gesetzgebung einerseits genau zwischen dem formalen Prozess der Ge­

setzgebung (durch Begriffe wie "im Wege der Gesetzgebung"32) und

28 Vgl. Landtagsprotokoll vom 31.10.1995, S. 1638-1650; Steger, Fürst, S. 46; Steger er­

wähnt, dass sich die Häusgesetze auf die von Art. 3 aufgeführten Materien zu beschrän­

ken hätten, vgl. S. 55; Friedrich Kleinwächter, Die neueste Rechtsentwicklung im Für­

stentum Liechtenstein, ZSR 1923, S. 356 ff. (368); Loebenstein, Besonderheiten, S. 11 f.

Vgl. zur Publikation der Hausgesetze den Anhang der Interpellationsbeantwortung.

29 Vgl. Kieber, S. 321; Loebenstein, Stellvertretung, S. 82; Interpellationsbeantwortung, S. 23.

,0 Vgl. Art. 4 des Rechtskraftgesetzes vom 5.10.1967, LGB1. 1967/34, LR 170.52.

31 Vgl. Kieber, S. 322, Anm. 14 m.w.H.

32 Gemäss Art. 67 Abs. 2, 82 oder 108 LV. F erner: "trifft die Gesetzgebung" gemäss Art.

44 Abs. 2 LV oder "im Wege zu erlassender Gesetze" gemäss Art. 24 Abs. 1 LV.

dem Ergebnis der Gesetzgebung (durch Begriffe wie "Gesetz(e)"33,

"gesetzlich"34, "gesetzmässig"35, "in Gemässheit der Gesetze"36, "ist ge­

setzlich zu regeln"37 oder "wird durch das Gesetz bestimmt"38). Ander­

seits nennt die Verfassung die einzelnen Teilzuständigkeiten der Staats­

organe im Gesetzgebungsverfahren, indem sie die in der Reihenfolge hintereinander geschalteten Zuständigkeiten nennt:

(1) Art. 64 (Gesetzesinitiativrecht);

(2) Art. 62 lit. a und 65 Abs. 1 Satz 1 (Mitwirkung des Landtages an der Gesetzgebung);

(3) Art. 65 Abs. 2 und Art. 66 (Referendum);

(4) Art. 9 (Sanktion des Landesfürsten);

(5) Art. 65 Abs. 1 Satz 2 und Art. 85 LV (G egenzeichnung und Kund­

machung).

Die Verfassung grenzt also die einzelnen Zuständigkeiten zum Erlass von Gesetzen vom Gesetzgebungsprozess als solchem und den daraus resultierenden Gesetzen ab. Hätte der Verfassungsgeber die Kompetenz zur Änderung der vorbestandenen Hausgesetze im Bereich des Art. 3 LV ebenfalls auf das Fürstenhaus übertragen, so müsste daher Art. 3 LV in Ubereinstimmung mit dem sonst in der Verfassung praktizierten Sy­

stem wie folgt lauten:

"Die im Fürstenhause Liechtenstein erbliche Thronfolge, die Voll­

jährigkeit des Landesfürsten und des Erbprinzen sowie vorkommen-denfalls die Vormundschaft werden durch das Fürstenhaus in der Form von Hausgesetzen geordnet".

Im aktuellen Verfassungstext fehlt indessen gerade der kursiv gestellte Einschub. Die nach Art. 3 LV verfassungswesentlichen Materien der Hausgesetze können demnach nur mit Zustimmung des Verfassungs­

gebers gemäss Art. 111 Abs. 2 LV ab geändert werden39. Der Erlass von

13 Vgl. z.B. Art. 25 Satz 1 LV oder Art. 78 Abs. 1—4 LV.

34 Vgl. Art. 34 Abs. 2 LV.

35 Vgl. z.B. Art. 45 Abs. 1 LV.

36 Vgl. z.B. Art. 33 Abs. 2 LV, vgl. auch Art. 78 Abs. 1 LV.

37 Vgl. z.B. Art. 34 Abs. 2 LV.

38 Vgl. z.B. Art. 35 Abs. 2 LV.

39 Vgl. Kieber, S. 322; Steger, Fürst, S. 52 ff.; Batliner, Verfassungsrecht, S. 22 f., Anm. 8.

Hausgesetzen ist damit in keiner Art und Weise ein Reservatrecht des Landesfürsten bzw. des Fürstlichen Hauses Liechtenstein40.

Die Regierung hat die etwas andere Auffassung vertreten, dass die in Art. 3 LV erwähnten Hausgesetze nur bedingt einzigartig seien. Die Ver­

fassung spreche auch im übrigen von "Gesetzen". Es lasse sich daher nur schwer begründen, weshalb die Hausgesetze im Rahmen des Art. 3 LV über den Gesetzen stehen sollten. Es spreche einiges dafür, dass das Hausgesetz im Rahmen des Art. 3 LV, soweit es verfassungskonform zu­

stande gekommen ist, immerhin Gesetzesrang habe41.

Für die Gültigkeit des Hausgesetzes vom 26. Oktober 199342 führen beide Auffassungen zur selben Antwort. Dieses ist weder als formelles Verfassungsrecht noch als formelles Gesetzesrecht verfassungskonform zustande gekommen und dürfte damit jeder Rechtsverbindlichkeit ent­

behren: Das Hausgesetz vom 26. Oktober 1993 ist nichtig und in jedem Fall unbeachtlich. Somit besteht das alte Hausrecht des Fürstenhauses unverändert fort.

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