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Eine verwaltungsrechtliche Regelung weist dann eine Lücke auf, wenn sich die gesetzliche Regelung als unvollständig erweist, weil sie für ein Problem keine Lösung bereithält116. Freilich bedeutet nicht jede Unvoll-ständigkeit eine Gesetzeslücke; vielmehr kann der Gesetzgeber auch qualifiziert, d.h. beredt, schweigen. Dies bedeutet, dass er ein bestimm­

tes Problem gar nicht gesetzlich regeln will117. Dann darf der Rechtsan­

wender dieses qualifizierte Schweigen nicht übergehen und die gewollte Lücke schliessen. Dies ist etwa der Fall bei Art. 4 Abs. 2 lit. 1 aGVG118, wonach der Gesetzgeber lediglich den Erwerbstatbestand der letztwil­

ligen Verfügung privilegieren wollte. Andere Rechtsgeschäfte, etwa Schenkungen, sind bewusst weggelassen worden und dürfen nicht auf dem Wege der Lückenfüllung in das Gesetz hinein gelegt werden119.

Eine besondere Art des gesetzgeberischen Schweigens liegt vor, wenn der Gesetzgeber eine bestimmte Frage nicht beantworten wollte, weil er der Ansicht war, das Recht solle sich dieses Gebiets nicht annehmen.

116 Vgl. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Nr. 136.

117 Vgl. zum Begriff z.B. StGH 1991/14, Urteil vom 23.3.1993, LES 1993, S. 73 (76); StGH 1995/12, Urteil vom 31.10.1995, LES 1996, S. 55 (60); StGH 1995/15, Urteil vom 31.10.1995, LES 1996, S. 61 (65).

118 Nach Art. 3 Abs. 1 lit. d GVG sind für diese Geschäfte keine Genehmigungen mehr er­

forderlich.

119 Vgl. LGVK G 4/90, Entscheidung vom 10.5.1990, LES 1990, S. 103 (104). In LGVK G 32/79, Entscheidung vom 7.3.1980, LES 1982, S. 45 (47) und StGH 1980/5, Entscheidung vom 27.8.1980, LES 1981, S. 188 (189) wurde im Hinblick auf fehlende intertemporal-rechtliche Regelungen ein verbindliches qualifiziertes Schweigen festgestellt. In StGH 1992/13-15, Urteil vom 23.6.1995, LES 1996, S. 10 (20) liess es der Staatsgerichtshof of­

fen, ob Art. 20 Abs. 3 SteG eine lückenhafte Regelung aufstelle, weil nämlich eine abso­

lute Verjährungsfrist fehlt, vgl. S. 71 f. In StGH 1995/15, Urteil vom 31.10.1995, LES 1996, S. 61 (65) stellte der Staatsgerichtshof ein qualifiziertes Schweigen hinsichtlich der Einführung des Loseblattsystems beim Tagebuch des Grundbuchs fest.

Viele Bereiche des sozialen Zusammenlebens des Menschen werden nicht durch Recht, sondern nur durch sittliche Normen und Gepflo­

genheiten "geregelt" (z.B. Anstandsregeln). Diese "gesetzesfreien Ge­

biete" sollen und dürfen vom Rechtsanwender nicht mit Rechtsnormen geordnet werden, weil der Gesetzgeber bewusst auf eine Regelung ver­

zichtet hat.

2. Unechte (rechtspolitische) Lücken

Bei der unechten Lücke gibt das Gesetz auf ein Problem eine Antwort.

Diese führt aber zu einem sachlich derart unbefriedigenden Resultat, dass die gesetzliche Regelung gleichwohl als lückenhaft empfunden wird120.

Das Gesetzmässigkeitsprinzip untersagt den rechtsanwendenden In­

stanzen die Füllung solch unechter Lücken, denn es ist Aufgabe des Ge­

setzgebers, die politischen und gesellschaftlichen Wertentscheidungen zu fällen121. Gleichwohl finden sich in der Praxis Beispiele, bei denen der Rechtsanwender ein rechtspolitisches Manko eines Gesetzes behoben hat. So hatte das Eidgenössische Versicherungsgericht das Gesuch einer Frau um Hinterlassenenabfindung zu beurteilen, die ihren Ehemann getötet hatte. Das Gericht nahm eine rechtspolitische Lücke an und ver­

weigerte trotz gegebener Voraussetzungen die nachgesuchte Leistung122. Der Staatsgerichtshof erachtete um ein anderes Beispiel zu nennen -das Staatsgerichtshofgesetz insofern lückenhaft, als es sich über Appellentscheidungen ausschweigt. Er liess indes offen, um welche Art der Lücke es sich dabei handelt123.

120 Vgl. VBI 1995/13, Entscheidung vom 10.5.1995, LES 1995, S. 80 (83); VBI 1947/8, Ent­

scheidung vom 10.4.1947, ELG 1946—47, S. 64 (65 f.); grundlegend VBI 1946/12, Ent­

scheidung vom 10.9.1946, ELG 1946—47, S. 60 (64); Häfelin/Haller Nr. 117; Walter/

Mayer, Bundesverfassungsrecht Nr. 136; Bydlinski, S. 247.

121 Vgl. StGH 1994/12, Urteil vom 4.10.1994, LES 1995, S. 30 (33); StGH 1983/3, Urteil vom 15.9.1983, LES 1984, S. 31 (32), wonach Privatpersonen zur Sicherung politischer Rechte keine Anträge auf Erlass einstweiliger Verfügungen stellen können. "Die Behe­

bung dieser Lücke ist freilich Sache des Gesetzgebers, nicht des Staatsgerichtshofes".

Vgl. ferner StGH 1983/3, Urteil vom 15.9.1983, LES 1984, S. 31 (32); StGH 1983/5, Ur­

teil vom 15.9.1983, LES 1984, S. 62 (65) und StGH 1983/5/V, Urteil vom 15.12.1983, LES 1984, S. 68 (72) zur selben Problematik.

122 Vgl. Entscheidungen des Eidg. Versicherungsgerichts 1951, S. 208 und dazu S. 240, Anm. 36.

'« Vgl. StGH 1995/20, Urteil vom 24.5.1996, LES 1997, S. 30 (38) zu An. 38 StGH.

3. Echte Lücken

Eine echte Lücke liegt vor, wenn ein Gesetz eine für dessen Anwendung notwendige Frage nicht beantwortet. Die Verwaltungsbeschwerde­

instanz formuliert dies so: "Im öffentlichen Recht kann es ... eine Lücke nur dann geben, wenn das Gesetz einen logischen Widerspruch auf­

weist, d.h. wenn es eine unvollständige Antwort gibt, z.B. wenn es für die Behörde eine Pflicht statuiert, aber sich über Zuständigkeit oder Ver­

fahren ausschweigt"124. Es handelt sich also um eine "planwidrige"125

und damit unbeabsichtigte Lücke. Eine Gesetzeslücke wird nach ständi­

ger Praxis und den allgemein anerkannten Grundsätzen in analoger An­

wendung von Art. 1 Abs. 3 PGR126 bzw. Art. 1 Abs. 2 SR127 bzw.128 § 7 ABGB129 gefüllt.

Die Verwaltungsbeschwerdeinstanz hat zum Beispiel Art. 2V" Ziff. 2 lit. b des Baugesetzes als lückenhaft angesehen, da nicht ersichtlich ist,

"zu welcher Vollgeschossfläche die errechnete 'anzurechnende Ge­

schossfläche' in Relation zu setzen" ist. Die Lücke ist durch Gewohn­

heitsrecht130, und wo ein solches fehlt, nach derjenigen Regel zu füllen, die der Richter als Gesetzgeber aufstellen würde. Die Verwaltungsbe­

124 VBI 1946/12, Entscheidung vom 10.9.1946, ELG 1946—47, S. 60 (64) oder siehe z.B.

StGH 1988/9, Urteil vom 26.10.1988, LES 1989, S. 59 (61): "Das Steuergesetz enthält indessen keine Regelung für die Zuordnung von Anlagekostenanteilen im Fall der Auf­

teilung eines Grundstücks in Stockwerke, es besteht insoweit also eine Gesetzeslüke.";

VBI 1947/8, Entscheidung vom 10.4.1947, ELG 1946-47, S. 64 (65 f.); Häfelin/Haller Nr. 116; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Nr. 136; Bydlinski, S. 245.

125 StGH 1991/14, Urteil vom 23.3.1993, LES 1993, S. 73 (76); Walter/Mayer, Bundesver­

fassungsrecht Nr. 136.

126 Vgl. VBI 1985/34, Entscheidung vom 17.6.1987, LES 1988, S. 10 (19); VBI 1946/12, Entscheidung vom 10.9.1946, ELG 1946—47, S. 60 (63).

127 Vgl. VBI 1946/12, Entscheidung vom 10.9.1946, ELG 1946-47, S. 60 (63).

128 Der oberste Gerichtshof verwendet m.E. zu Recht stattdessen die Bezeichnung "§ 7 ABGB in Zusammenhalt mit Art. 1 PGR", vgl. OGH E 323/8714 und E 1116/87-14, Beschluss vom 7.1.1988, LES 199, S. 32 (35).

129 Vgl. StGH 1991/14, Urteil vom 23.3.1993, LES 1993, S. 73 (76); vgl. auch StGH, Urteil vom 6.10.1960, ELG 1955-61, S. 151 (154); StGH, Urteil vom 6.10.1960, ELG 1955-61, S. 169 (171); VBI 1946/12, Entscheidung vom 10.9.1946, ELG 1946-47, S. 60 (63);

OGH 3 C 144/87, Beschluss vom 25.5.1992, LES 1992, S. 144.

130 VBI 1988/3, Entscheidung vom 11.5.1988, LES 1989, S. 1 (2) spricht irrtümlicherweise vom Ortsgebrauch; richtigerweise muss hier das Gewohnheitsrecht in die Lücke treten, da der Ortsgebrauch nur kraft ausdrücklichen gesetzlichen Verweises zur Geltung kommen kann, vgl. Antoniolli/Koja, S. 192 f.; Andreas Kley, Kantonales Privatrecht, St. Gallen 1992, S. 41 f.

schwerdeinstanz hat sich zur Ausfüllung dieser Lücke des Analogie­

schlusses bedient und dabei die Bestimmung der nachfolgenden lit. c für Attikawohnungen herangezogen131. Im Falle einer nicht erlassenen Durchführungsverordnung für Denkmalsubventionen132 zog die Ver­

waltungsbeschwerdeinstanz ebenfalls mit einem Analogieschluss Rege­

lungen heran, wie sie allgemein für Subventionen gelten133. Bei einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis galt die Verwaltungsbeschwerde­

instanz nichtbezogenen Urlaub in analoger Anwendung des Arbeits­

vertragsrechts mit Geld ab134. Dieses Vorgehen entspricht den gesetzli­

chen Vorgaben; bei Lücken ist gemäss Art. 1 Abs. 2 SR bzw. Art. 1 Abs.

3 PGR zunächst das Gewohnheitsrecht und erst wenn ein solches fehlt, die bewährte Lehre und die Analogie gemäss § 7 ABGB heranzuziehen.

In diesem Sinne ist der wenig beachtete Art. 86 Abs. 4 LVG bemerkens­

wert:

"Im übrigen ist ... nach allgemeinen Verwaltungsrechtsgrundsätzen und bewährter Lehre im rechtsstaatlichem Sinne zu bestimmen, ob eine Entscheidung oder Verfügung vorliege und welche Rechts­

wirkungen ihren Aussprüchen zukomme".

Es handelt sich nachgerade um die verwaltungsrechtliche Parallelvor­

schrift zu den Art. 1 Abs. 2 SR bzw. Art. 1 Abs. 3 PGR. Sie unterschei­

det sich freilich von diesen privatrechtlichen Bestimmungen, dass sie das Gewohnheitsrecht nicht erwähnt und spezifisch auf die Verfügung aus­

gerichtet ist. Man darf hierin gleichwohl einen allgemeinen Grundsatz des liechtensteinischen Verwaltungsrechts verankert sehen, wonach echte Gesetzeslücken nach Gewohnheitsrecht und bewährter Lehre zu füllen sind. Die Lehre hat hierbei insbesondere dem Analogieschluss ei­

nen besonderen Stellenwert eingeräumt135.

131 VBI 1988/3, Entscheidung vom 11.5.1988, LES 1989, S. 1 (2).

132 Vgl. An. 31 des Denkmalschutzgesetzes vom 14.6.1977, LR 445.0, LGB1. 1977/39.

133 Vgl. VBI 1985/34, Entscheidung vom 17.6.1987, LES 1988, S. 10 (19); die VBI stellte auf das allgemeine Subventionsreglement, LGB1. 1956/14 ab. Siehe als weiteres Beispiel für den Analogieschluss StGH 1972/6, Urteil vom 26.3.1973, ELG 1973-78, S. 352 (356 f.) zu den nicht gesetzlich geregelten Verfahren betreffend Ermittlung der Höhe der Ent­

eignungsentschädigung: Analoge Anwendung des Art. 94 der Sachenrechtsverordnung.

134 Vgl. VBI 1994/35, Entscheidung vom 28.9.1994, S. 6 f., Erw. II. c), nicht veröffentlicht.

135 Vgl. StGH 1972/6, Urteil vom 26.3.1973, ELG 1973-78, S. 352 (356).

Das Rechtsverweigerungsverbot verpflichtet die rechtsanwendenden Instanzen, echte Lücken zu schliessen. Eine zuständige Instanz darf eine Entscheidung nicht allein deshalb aussetzen, weil sie den Gesetzgeber als zur Lückenfüllung zuständig erachtet136.

IV. A uslegung, Rechtsanwendung und juristische

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