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II. Geschriebene Rechtsquellen 1. Verfassung

5. Internationales Recht

Die zahlreichen von Liechtenstein abgeschlossenen internationalen Ver­

träge (Staatsverträge, völkerrechtliche Verträge) sind Verträge zwischen zwei bzw. mehreren Staaten oder zwischen Staaten und internationalen Organisationen86. Diese Verträge haben eine ausserordentlich grosse Be­

deutung erlangt. Sie enthalten ebenfalls Rechtssätze und nehmen sich derselben Materien an wie das Landesrecht. Es stellt sich daher das Pro­

blem, wie diese Verträge in das Landesrecht Eingang finden.

Das internationale Recht wird in Liechtenstein nach einem unge­

schriebenen Verfassungsgrundsatz automatisch inkorporiert; es bedarf also keines Transformationsaktes in die nationale Rechtsordnung87. Dazu gibt es allerdings ein singuläres Gegenbeispiel: Der Zollvertrag mit der Schweiz wurde durch ein formelles Gesetz in Kraft gesetzt und da­

mit ins Landesrecht transformiert88. Dieses eine Beispiel vermag die grundsätzliche Befolgung der Inkorporationstheorie nicht zu erschüt­

tern. Das Völkerrecht gilt von selbst als Landesrecht und kann von den zuständigen Instanzen direkt angewendet werden, soweit die Normen

w StGH 1995/15, Urteil vom 31.10.1995, LES 1996, S. 61 (64).

85 Vgl. Schurti, S. 49 f.; Schurti, Verordnungsrecht - Finanzbeschlüsse, S. 243. Selbstver­

ständlich bleibt die Möglichkeit der akzessorischen Anfechtung über die Verfassungs­

beschwerde des Art. 23 StGHG fortbestehen.

86 Vgl. Hoop, S. 210 f.; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht Nr. 221; Adamovich/Funk, Verfassungsrecht, S. 152.

87 Vgl. StGH 1995/14, Gutachten vom 11.12.1995, LES 1996, S. 119 (122); Postulatsbeant­

wortung, Bericht der Fürstlichen Regierung vom 17.11.1981 an den Landtag zum Po­

stulat betreffend die Uberprüfung der Anwendbarkeit des Völkerrechts im Fürstentum Liechtenstein, S. 6; Batliner, Rechtsordnung, S. 145; Batliner, Schichten, S. 296, 298;

Winkler, S. 127.

88 Vgl. LGB1. 1923/23.

des fraglichen Vertrages self-executing sind89. Völkerrecht ist unmittel­

bar anwendbar, als es sein Sinn ist, den einzelnen "als solchen Rechte zu gewähren und Pflichten aufzuerlegen und die betreffenden Bestimmun­

gen vorbehaltlos sowie klar gefasst sind, um von Gerichten und Verwal­

tungsbehörden auf konkrete Fälle angewandt werden zu können"90. Er­

fordern völkerrechtliche Verträge demgegenüber Durchführungsmass-nahmen auf dem Weg der innerstaatlichen Rechtsetzung, so sind sie nicht unmittelbar anwendbar (non self-executing)91.

Im Hinblick auf die grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbaren Richtlinien der Europäischen Union hat der Gerichtshof in Luxemburg entschieden, dass nicht umgesetzte Richtlinien, die das Verhältnis des einzelnen zum Staat betreffen, unmittelbar anwendbar sein können. Da­

gegen sind Richtlinien, die Privatrechtsmaterien berühren, selbst im Falle ihrer Nichtumsetzung nicht unmittelbar anwendbar92.

Es stellt sich ferner die Frage, auf welcher Stufe die internationalen Verträge im Stufenbau der Rechtsordnung einzufügen sind. Das Pro­

blem kann vom Landesrecht und vom Völkerrecht her angegangen wer­

den. Geht man vom Landesrecht aus, so ist zu beachten, dass gemäss Art. 8 Abs. 2 LV V erträge, die einen bestimmten Inhalt haben, der Zu­

stimmung des Landtags bedürfen. Als zustimmungsbedürftig gelten demnach Staatsverträge, die Staatsgebiet oder Staatseigentum veräus­

sern, über Hoheitsrechte und Regale verfügen, dem Land und seinen Angehörigen eine neue Last auferlegen und die Rechte der Landes­

angehörigen beschränken93. Soweit die einzelnen von solchen Staatsver­

trägen betroffen sind, handelt es sich um Materien, die gemäss dem Gesetzmässigkeitsprinzip einer formellgesetzlichen Grundlage bedürf­

ten. Art. 66bls LV sieht vor, dass diese demselben Referendum unter­

89 Vgl. StGH 1978/8, Entscheidung vom 11.10.1978, Stotter, Verfassung, S. 11 f., Ziff. 3;

Winkler, S. 124 ff.

90 StGH 1994/14, Gutachten vom 11.12.1995, LES 1996, S. 119 (122).

91 Vgl. StGH 1994/14, Gutachten vom 11.12.1995, LES 1996, S. 119 (122) mit Beispielen aus dem EWR-Recht.

92 Vgl. das Urteil C-91/92 vom 14.7.1994, Paola Faccini Dori gegen Recreb Sri, Slg. 1994, 1-3325 (3356 f. m.H.).

93 Vgl. zur Handhabung dieser Kriterien Hoop, S. 223 ff. und Daniel Thürer, "Treaty making power" im Fürstentum Liechtenstein: Zum innerstaatlichen Verfahren eines all­

fälligen UNO-Beitritts, LJZ 1990, S. 139 ff. (140 ff.). Art. 8 Abs. 2 LV wurde bisher ex­

tensiv ausgelegt und jeder Beitritt zu einer internationalen Organisation wurde dem Landtag vorgelegt, vgl. Batliner M., S. 184.

liegen, wie es für Verfassungsänderungen vorgesehen ist. Nach dem Grundsatz der Parallelität der Formen94 bedeutet dies, dass solche Staatsverträge auf der Stufe der Verfassung stehen95. Verträge, die einen verfassungswesentlichen Inhalt besitzen, könnte man sogar als (über) verfassungsrangig ansehen; dazu gehören die verfassungsändernden Be­

stimmungen des Zollvertrages96 und des EWR-Abkommens97. Die Frage nach dem Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention ist offen; man darf ihr aber "faktisch Verfassungsrang"98 zubilligen99. Der Staatsgerichtshof hat immerhin einmal festgehalten, dass die vom Land­

tag genehmigten und kundgemachten Staatsverträge "auf der Stufe eines Gesetzes"100 stehen. Umgekehrt wird man Verträge, die gemäss Art. 8 Abs. 2 LV keiner Zustimmung des Landtags bedürfen (sog. Verwal-tungsvereinbarungen101), lediglich als "verordnungskoordiniert"102 ein­

stufen. Die Frage nach dem exakten Rang völkerrechtlicher Verträge kann nicht allgemeinverbindlich entschieden werden. Es geht vielmehr darum, die einzelnen Verträge je nach ihrem Regelungsgehalt differen­

zierend der einschlägigen Regelungsstufe zuzuordnen103.

94 Vgl. BGE 112 Ia 139, 108 Ia 184, 101 la 591,94 I 3 6, 89 I 2 76, 50 I 2 32. Der Grundsatz gilt auch in Österreich; eine Verfassungsbestimmung kann nur durch ein (gleich­

rangiges) Verfassungsgesetz verlängert oder abgeändert werden, vgl. VfGH v. 5.10.1948, ÖJZ 1948, S. 523.

95 Vgl. zum Stand der Debatte in der Schweiz, Daniel Thürer, Bundesverfassung und Völ­

kerrecht Nr. 13 ff., in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidge­

nossenschaft, Bern/Basel/Zürich 1987 ff. (Loseblatt), Stand: 6. Lieferung.

96 Vgl. Batliner, Schichten, S. 298; Batliner M., S. 166 (wahrscheinlich Verfassungsrang);

Wolff, Vertretung, S. 274 (materielles Verfassungsrecht).

97 Vgl. Batliner, S. 298, Anm. 43; Batliner M., S. 166 ("Überverfassungsrang").

98 StGH 1995/21, Urteil vom 23.5.1995, LES 1997, S. 18 (28).

99 Vgl. Batliner, Schichten, S. 298 (Verfassungsrang); Batliner, Rechtsordnung, S. 149;

Beck, EMRK, S. 247 f. (Übergesetzesrang); Bericht und Antrag der Regierung vom 1.6.1982 an den Landtag betreffend die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 25 f.

(mindestens Gesetzesrang); Stotter, Staatsgerichtshof, S. 168 (mindestens Gesetzesstufe);

Wille/Beck, S. 247 (mindestens Gesetzesstufe); Batliner M., S. 162 ("Überverfassungs­

rang"); Allgäuer, S. 89.

100 StGH 1978/8, Entscheidung vom 11.10.1978, Stotter, S. 11, Ziff. 3; Winkler, S. 115.

101 Vgl. Hoop, S. 197 ff.

102 Vgl. Winkler, S. 126; Adamovich/Funk, Verfassungsrecht, S. 154.

103 Vgl. Hoop, S. 213, Anm. 684; Winkler, S. 121. In diesem Sinne unterscheidet Art. 50 B-VG zwischen gesetzes- und verfassungsändernden Verträgen, vgl. Antoniolli/Koja, S. 183 f. Die neuen Schweizer Kantonsverfassungen haben entsprechende Regelungen getroffen, vgl. z.B. Art. 61 Abs. 1 lit. c und Art. 62 Abs. 1 lit. b der neuen Berner Kantonsverfassung vom 6.6.1993.

Geht man das Problem vom Völkerrecht her an, so wird es dadurch kompliziert, dass nach dem Primat des Völkerrechts dieses dem Landes­

recht vorgeht. Dies würde bedeuten, dass das Völkerrecht grundsätzlich über der Verfassung steht. Eine solche schematische Lösung wäre der Sache indes nicht angemessen. Denn es ist stets in Rechnung zu stellen, welche Grundsätze des Völkerrechts mit dem Landesrecht in Konflikt stehen. Im Bereich der grundlegenden Menschenrechte (z.B. Genozid­

verbot oder der gemäss Art. 15 EMRK notstandsfesten Konventions­

rechte) wird man einen Vorrang des Völkerrechts annehmen müssen104. Umgekehrt dürfte das Völkerrecht aber nicht dazu dienen, "fundamen­

tale demokratische Prinzipien der innerstaatlichen Rechtsetzung zu un­

terlaufen"105. Es sind dann Konstellationen vorstellbar, bei denen natio­

nalem Recht ein Vorrang eingeräumt wird.

In der Praxis kommen diese Konflikte kaum vor, da sie mit der völ­

kerrechtskonformen Auslegung des Landesrechts aus dem Weg geräumt werden106.

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