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Theorie der autoritären Persönlichkeit (Autoritarismus): 265

antisemitischer einstellungen

5. Theorie der autoritären Persönlichkeit (Autoritarismus): 265

Autoritarismus bezeichnet eine Einstellung, die soziale Abweichung ablehnt und zugleich eine hohe Bereitschaft Normen und Autoritäten zu folgen aufweist. »Nicht der Normalität entsprechende« Abweichungen können sich auf den religiösen oder kulturellen Hintergrund, die Lebensweise oder die sexuelle Orientierung einer Person oder Gruppe beziehen. »In einer autoritären Einstellung drückt sich sowohl die eigene Bereitschaft als auch die Forderung zur Unterordnung unter Autoritäten aus, wie sie sich in einer strengen law-and-order-Mentalität zeigt.«266

6. Theorie der sozialen Dominanz:267

Mit individueller sozialer Dominanzorientierung, die durch legitimierende Mythen und institutionelle Diskri-minierung gestützt wird, ist eine Einstellung gemeint, die soziale Hierarchien zwischen den verschiedenen gesell-schaftlichen Gruppen befürwortet und dementsprechend soziale Gleichheit ablehnt. Die Theorie nimmt an, dass v. a.

statushöhere Gruppen gruppenbasierte Hierarchien in der Gesellschaft unterstützen, um ihre Stellung und ihren Einfluss zu sichern, indem sie schwächere gesellschaftliche Gruppen in ihren machtlosen Positionen halten wollen.

»Zur Aufrechterhaltung und Verfestigung der Hierarchien werden Vorurteile als ›legitimierende Mythen‹ herangezo-gen, da sie mutmaßlich gesichertes Wissen über Grup-penangehörige in die Hand geben und somit Ungleichbe-handlung und Diskriminierung rechtfertigen können«.268 Diese theoretischen Erklärungsansätze sind zusam-men mit einigen demografischen Merkmalen mittels

265 theodor w. adorno/else Frenkel-Brunswik/Daniel J. levinson/r. nevitt sanford, the authoritarian Personality, new York 1950.

266 GMF-expertise, s. 66.

267 Felicia Pratto/Jim sidanius/lisa M. stallworth/Bertram F. Malle, social dominance orientation: a personality variable predicting social and political at-titudes, in: Journal of Personality and social Psychology, 67 (1994), s. 741–763.

268 GMF-expertise, s. 66; Julia Iser, vorurteile. zur rolle von Persönlichkeit, werten, generellen einstellungen und Bedrohung. Die theorie grundlegender menschlicher werte, autoritarismus und die theorie der sozialen Dominan-zorientierung als erklärungsansätze für vorurteile: ein integrativer theorien-vergleich. Dissertation, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Gießen 2006.

kumulierter GMF-Daten bereits hinsichtlich ihres Einflus-ses auf den traditionellen Antisemitismus einer Analyse unterzogen worden.269 Bei gleichzeitiger Berücksichtigung sozio-demografischer Faktoren (Alter, Geschlecht und Bildung) haben sich autoritäre und dominanzorientierte Einstellungen als die relevantesten Faktoren erwiesen.

Für die GMF-Expertise (2016) wurden in Anlehnung an dieses Vorgehen anhand der GMF-Studie 2011 wesentliche Erklärungsfaktoren auch für den sekundären und israel-bezogenen Antisemitismus untersucht. Neben sozio-de-mografischen Faktoren und der politischen Orientierung sind die oben dargestellten Erklärungsansätze einbezogen worden. Ergänzend zu diesen Faktoren wird im unte-ren Teil der Tabelle 2 die Motivation zu vorurteilsfreier Selbstdarstellung aufgenommen. Wichtig ist zu berück-sichtigten, dass in die Regressionsanalyse viele Faktoren einfließen, die miteinander korrelieren. Daher können Faktoren, die in den z. T. oben berichteten Einzelanalysen durchaus Ergebnisse zeigten, im Zusammenspiel nicht mehr erklärungskräftig sein. Für ihre Bewertung gilt es, sowohl die Einzelanalysen als auch die gemeinsame Ana-lyse zu würdigen.

Wie schon im Kapitel über die demografischen Fakto-ren dargestellt (Kap. 4.5), spielen sozio-demografische Faktoren im Zusammenspiel mit den weiteren Faktoren so gut wie keine Rolle für die Erklärung von Antisemitismus.

Während Bildung und Einkommen auf keine der Dimen-sionen des Antisemitismus Einfluss ausüben,270 steigt mit zunehmendem Alter und unter der westdeutschen Bevöl-kerung in der Tendenz der sekundäre Antisemitismus an, und Männer tendieren etwas stärker zu traditionellem Antisemitismus als Frauen.

269 andreas zick/andreas hövermann/Daniela Krause, Die abwertung von Ungleichwertigen. erklärung und Prüfung eines erweiterten syndroms der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, in: wilhelm heitmeyer (hrsg.), Deutsche zustände – Folge 10, Berlin 2012. vgl. dazu auch den Bericht des ers-ten Uea von zick/Küpper 2011.

270 Da im Kapitel 4.5.1 der effekt von Bildung auf antisemitismus nachge-wiesen wurde, wenn man sie isoliert betrachtet, so überrascht es, dass dieser effekt bei gleichzeitiger Berücksichtigung anderer Faktoren wie bspw. autori-tarismus oder Dominanzorientierung verschwindet. Die GMF-expertise (s. 67) erklärt diese nicht vorhandene wirkung der Bildung damit, dass diese offenbar eher als ein indirekter Faktor wirkt, der über weitere ideologische anschauun-gen vermittelt wirksam wird. D. h. in diesem Fall je niedriger gebildet, desto eher tendieren Befragte zu autoritarismus und sozialer Dominanz und desto eher dann auch zum antisemitismus.

Abb. 4.12: Überprüfung allgemeiner Erklärungsfaktoren für Antisemitismus (simultane Regressionsanalysen/GMF 2011; ß-Koeffizienten)

Klassischer AS Sekundärer AS Israelbezogener AS

Alter n.s. -.07* n.s.

Geschlecht (1=m, 2=w) -.08** n.s. n.s.

Bildung n.s. n.s. n.s.

West-Ost (1=W, 2=O) n.s. -.07* n.s.

Einkommen n.s. n.s. n.s.

Polit. Orientierung: Links-Rechts .12*** .15*** n.s.

Individ. relative Deprivation n.s. n.s. n.s.

Anomia n.s. .08* .09*

Autoritarismus n.s. .18*** n.s.

Soziale Dominanz .17*** n.s. n.s.

Politische Machtlosigkeit .12*** .19*** .14***

Ökonomistische Einstellung .14*** .13*** .11**

Motiv. vorurteilsfreie Selbstdarstellung -.11*** -.12*** -.11**

Adj. R² .24 .29 .12

* p < .05 ** p < .01 *** p < .001

Während die hier im Weiteren berücksichtigten Erklä-rungsansätze in der Regel das Ausmaß von Fremdenfeind-lichkeit recht gut vorhersagen können, haben sie auf die Erklärung von Antisemitismus insgesamt nur einen recht geringen Einfluss bzw. es sind nur wenige der Faktoren für alle drei Facetten von Antisemitismus erklärungskräftig.

Wenn, dann bieten sie eher noch Erkenntnisse für den traditionellen und sekundären Antisemitismus, kaum aber für den israelbezogenen; die erklärte Gesamtvarianz ist, wie in Abb. 4.12 erkennbar, bei allen drei Facetten nicht sehr hoch und fällt für den israelbezogenen Antisemitis-mus besonders niedrig aus. D. h., bei diesem haben wir es offenbar mit einer Einstellung zu tun, die durch andere als die hier berücksichtigten Faktoren bestimmt wird. Am ehesten steht hier ein Gefühl der politischen Machtlosig-keit und Anomia im Vordergrund, gefolgt von den ökono-mistischen Einstellungen. Ideologische Grundhaltungen der sozialen Dominanz und des Autoritarismus, die sich z. B. bei der Fremdenfeindlichkeit als sehr erklärungskräf-tig erweisen, spielen hier keine Rolle.

Der traditionelle Antisemitismus, bei dem es um die unter-stellte (Macht-)Position der Juden und um ihr angeblich ihre Verfolgung selbst auslösendes (Fehl-)Verhalten geht, wird besonders durch dominanzorientierte und öko-nomistische Einstellungen sowie das Gefühl politischer Machtlosigkeit beeinflusst. Hier spielt auch die politische Selbstverortung nach rechts eine Rolle. Der Einfluss fällt allerdings nicht besonders hoch aus. D. h. dominan-zorientierte Personen sowie solche mit einem Gefühl

politischer Machtlosigkeit sehen sich durch den angeblich zu großen Einfluss der Juden herausgefordert. Ähnliche Analysen271 zum traditionellen Antisemitismus mittels Daten der FES-Mitte-Studie 2014 kommen nur teilweise zu vergleichbaren Ergebnissen. Wiederum übt die soziale Dominanzorientierung (.22***) den größten Einfluss aus, während die politische Machtlosigkeit (.09***) sowie öko-nomistische Einstellungen (.07*) sich hier als schwächer wirksam erweisen. In der Mitte-Studie 2014 sind allerdings Faktoren wie Alter (beta=.11*** – Antisemitismus nimmt mit höherem Alter zu), Einkommen (-.10*** – Antisemitis-mus nimmt mit höherem Einkommen ab) sowie Autorita-rismus (.12**) festzustellen,272 die in der GMF-Studie von 2011 keinen signifikanten Einfluss zeigten. Umgekehrt ist wiederum die politische links-rechts-Ausrichtung in der FES-Mitte-Studie 2014 nicht signifikant.

271 anomie und Deprivation konnten nicht in die analysen einbezogen wer-den, da diese in der studie nicht erhoben wurden.

272 Die GMF-expertise verweist darauf, dass die Messung des autoritarismus nicht vergleichbar ist mit der in der GMF-studie. während im GMF-survey zwei aspekte von autoritarismus (autoritäre aggression und Unterwürfigkeit) be-rücksichtigt werden, ist es in der Mitte-studie 2014 lediglich eine (autoritäre aggression).

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Hatte sich beim traditionellen Antisemitismus die Domi-nanzorientierung als stärkster Einflussfaktor erwiesen, so ist sie beim sekundären Antisemitismus irrelevant, da es hier nicht um hierarchische Gruppenbeziehungen geht, sondern um das Gefühl, von Juden ungerechtfertigt beschuldigt und ökonomisch ausgenutzt zu werden, ohne dass die deutsche Politik etwas dagegen unternimmt.

Folgerichtig haben hier die politische Machtlosigkeit und eine rechte politische Orientierung im Vergleich den stärksten Einfluss. Auch Anomie hat hier neben Autorita-rismus und einer ökonomistischen Grundhaltung einen, wenn auch nur geringen Einfluss. Keinen signifikanten Einfluss hat das individuelle Gefühl der relativen Depri-vation. Auch in anderen Studien hat sich wenn, dann eher die fraternale relative Deprivation als erklärungskräftig erwiesen. Antisemitismus entsteht also nicht aus einem Gefühl der individuellen, sondern eher aus dem einer kollektiven Schlechterstellung der Eigengruppe mit einer Vergleichsgruppe. Obwohl eine Vielzahl möglicher Einflussfaktoren in die Analyse einbezogen wurde, bleibt ein großer Teil der Ursachen für die Einstellungsunter-schiede zwischen den befragten Personen unaufgeklärt.

Noch am größten ist die Erklärungskraft der verwendeten Faktoren in der GMF-Studie von 2011 beim sekundären Antisemitismus mit immerhin 29 Prozent, gefolgt vom traditionellen Antisemitismus mit 24 Prozent.273 Waren bei den beiden Erstgenannten die gängigen ideologischen Motive erklärungskräftig, war dies beim israelbezogenen Antisemitismus kaum der Fall.

ºAntisemitismus wird durch Faktoren, die sich aus allge-meinen Deutungsansätzen ableiten, nur sehr begrenzt erklärt. Am ehesten noch bieten das Gefühl politischer Machtlosigkeit, Orientierungslosigkeit in der modernen Welt und eine ökonomische Werthaltung eine Erklä-rung.

ºInsbesondere der israelbezogene Antisemitismus wird durch die verwendeten Faktoren kaum aufgeklärt.

Während ideologische Grundhaltungen in Bezug auf Hierarchien und Unterordnung für traditionellen und sekundären Antisemitismus noch eine gewisse Rolle spielen, sind sie für das Ausmaß des israelbezogenen Antisemitismus unerheblich. Hier müssen andere Fak-toren untersucht werden.

273 Bei der Mitte-studie 2014 können mit den berücksichtigten Faktoren da-gegen lediglich 17 Prozent des traditionellen antisemitismus aufgeklärt werden (GMF-expertise, s. 68).

4.10 antisemitismus im

internationalen vergleich

Zur Einschätzung der Verbreitung antisemitischer Ein-stellungen in der deutschen Bevölkerung ist es sinnvoll, sich vergleichend deren Ausprägung in anderen Län-dern anzusehen. Nun gibt es dazu zwar eine große Zahl von nationalen Studien v. a. in europäischen Ländern (Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Spanien Ungarn), doch kaum

»international vergleichende Studien, die Antisemitismus umfassender auf der Grundlage der Messung diverser Facetten erheben und/oder mit strengen Maßstäben an die Vergleichbarkeit von Messungen operieren«.274 In einigen international vergleichenden Studien wird etwa nur jeweils eine Frage gestellt, die die Sympathie gegen-über Juden und Jüdinnen misst (Pew Research Center 2006 und 2015, International Social Survey Programme (ISSP) 2008 und European Social Survey 7-2014),275 die damit nur einen gewissen Anhaltspunkt für die emotionale Einstel-lung bieten. Einen etwas umfassenderen Fragekatalog bietet die Erhebung Group-Focused Enmity in Europe (GFE Europe) aus dem Jahr 2008, über die bereits ausführlich in der Expertise von Zick und Küpper für den ersten UEA (2011) berichtet wurde, und die seit 1994 regelmäßig von der ADL durchgeführten Befragungen. In den ADL-Stu-dien ist die Stichprobe mit häufig nur 500 Befragten recht klein, sodass sie streng genommen den Anforderungen der Repräsentativität nicht genügt. Außerdem ist wenig über die Methode der Erhebung und die Übersetzung der Items bekannt. Die Ergebnisse der ADL-Studie sollten daher mit einer gewissen Zurückhaltung betrachtet werden.276 Da deren Befunde jedoch für die einzelnen Länder über die Jahre eine gewisse Stabilität zeigen und auch in der Tendenz mit den vorhandenen Studien in den jeweiligen Ländern übereinstimmen, können die ADL-Studien wert-volle Hinweise auf die Verbreitung von Antisemitismus in verschiedenen Ländern geben.

274 GMF-expertise, s. 71.

275 z. B.: Pew research center, Pew Global attitudes Project: spring 2006 survey 15 nation survey, s. 42 f. auf die Frage: »Please tell me if you have a very favorable/somewhat favorable/somewhat unfavorable or very unfavorable opinion of Jews« antworteten im Jahre 2005 in Deutschland 22 Prozent »very/

somewhat unfavorable«, unter Muslimen in Deutschland waren es 44 Prozent.

Für einige andere westeuropäische länder betrug das verhältnis: sieben Pro-zent zu 47 ProPro-zent in Großbritannien; 13 ProPro-zent zu 28 ProPro-zent in Frankreich und 39  Prozent zu 60  Prozent in spanien. 2015 antworteten in Deutschland nur noch neun mit »unfavorable«, in Frankreich und Großbritannien waren es sieben Prozent, in spanien 17 Prozent, in Italien 21 Prozent und in Polen 28 Prozent, http://www.pewglobal.org/2015/06/02/faith-in-european-project- reviving/eu-report-05-2 (eingesehen 29.11.2016).

276 GMF-expertise, s.  71. »Die erhebungen der aDl enthalten keine de-taillierten angaben zur repräsentativität/Kennwerten der stichprobe und zur Methodik der Durchführung in den einzelnen ländern. Die Qualität internati-onal vergleichender studien hängt ganz wesentlich von der verwendeten und vergleichbaren Methodik ab (die betrifft v. a. die ziehung der stichprobe, die Konstruktion und Übersetzung der verwendeten Fragen und die Methode der Befragung).«

Zur Erfassung antisemitischer Einstellungen verwen-den die ADL-Studien einen elf antisemitische Aussagen umfassenden Index (Abb. 4.13), der nahezu ausschließlich Aspekte des traditionellen Antisemitismus erfasst (Einfluss auf die Wirtschaft, Politik und Medien, mangelnde Loya-lität, In-group-Orientierung), während die Dimension des sekundären Antisemitismus nur mit einer Frage abgedeckt wird (»Jews still talk too much about what happened to them in the Holocaust«). Fragen zum israelbezogenen Antisemitismus fehlen.277 Als antisemitisch wird hier eine Person klassifiziert, die mindestens sechs der elf Items für

»vermutlich wahr« (probably true) hält.

Abb. 4.13: Items in den Studien der Anti-Defamation League (2014 und 2015)

»Jews are more loyal to Israel than to [this country/the countries they live in]« 278.

»Jews have too much power in international financial markets.«

»Jews have too much control over global affairs.«

»Jews think they are better than other people.«

»Jews have too much control over the global media.«

»Jews are responsible for most of the world's wars.«

»Jews have too much power in the business world.«

»Jews don't care what happens to anyone but their own kind.«

»People hate Jews because of the way Jews behave.«

»Jews have too much control over the United states government.«

»Jews still talk too much about what happened to them in the holocaust.«

277 Der Grund dafür ist vermutlich, dass sich die aDl an einen bereits 1964 von Gertrude selznick/stephen steinberg für die Usa entwickelten »Index of anti-semitic Belief« orientiert haben (the tenacity of Prejudice. anti-semitism in contemporary america, new York 1969). Kritisch ist anzumerken, dass der Index mit fünf Fragen die Dimension des internationalen einflusses misst, so-dass die fünf Items fast alle letztlich so-dasselbe messen.

278 In ländern mit einer jüdischen Population von mehr als 0,1 Prozent »this country«; bei kleineren Populationen »the countries they live in«.

Der Prozentwert eines einzelnen Landes bezieht sich also auf den Anteil der befragten Personen, der mehr als der Hälfte der antisemitischen Aussagen zustimmt.

Im Folgenden werden die Ergebnisse der ADL-Studien von 2014 und 2015 für solche Länder und Regionen detaillier-ter vorgestellt, die von besonderem Indetaillier-teresse sind.279 Dies sind, neben den europäischen Nachbarländern, die USA und, als Herkunftsländer vieler Geflüchteter und Migran-ten, die Länder des Nahen beziehungsweise des Mittleren Ostens. Abgebildet werden im Folgenden die Werte für 2014 und, sofern verfügbar, für 2015.280

Die jüngsten ADL-Studien von 2014 und 2015 bestätigen tendenziell die Ergebnisse der früheren ADL-Studien von 2002–2012 und der GMF-Europe-Studie von 2008.281 Über die Jahre gesehen rangieren die deutschen Befragten hinsichtlich ihrer antisemitischen Einstellungen im euro-päischen Vergleich im oberen Mittelfeld. In Europa lassen sich drei Ländergruppen mit jeweils unterschiedlich weit verbreiteten antisemitischen Einstellungen erkennen (Abb. 4.14):

279 Die aDl hat in der studie »aDl Global 100« zwischen Juli 2013 und Feb-ruar 2014 (also vor dem letzten Gaza-Konflikt) in 100 ländern Befragungen zum thema antisemitismus durchgeführt. Dabei konnten insgesamt 53.100 Perso-nen befragt werden, wobei die samplegröße in den meisten ländern n = 500 betrug. Im Frühjahr 2015 gab es ein Update der studie, bei dem in insgesamt 19 ländern etwa 10.000 weitere Personen befragt werden konnten.

280 Die Beschränkung auf nur zwei antwortmöglichkeiten, nämlich »wahr-scheinlich wahr« oder »wahr»wahr-scheinlich falsch« ist problematisch, da sie keinerlei abstufung zulässt. sie zwingt die Befragten zu einer eindeutigen Positionie-rung, womit die ja nur eingeschränkt gegebene zustimmung »wahrscheinlich wahr« umstandslos als eindeutig gewertet wird. ebenso problematisch ist es, die wertung »wahrscheinlich falsch« als eindeutige ablehnung einer aussage zu verstehen.

281 aDl, european attitudes toward Jews, new York 2002; aDl, attitudes toward Jews, Israel and the Palestinian-Israeli conflict in ten european tries, new York 2004; aDl, attitudes toward Jews in twelve european coun-tries, new York 2005; aDl, attitudes toward Jews and the Middle east in Five european countries, new York 2007; aDl, attitudes toward Jews in seven eu-ropean countries, new York 2009; aDl, attitudes toward Jews in ten eueu-ropean countries, new York 2012; andreas zick/Beate Küpper, Die abwertung der an-deren. eine europäische zustandsbeschreibung zu Intoleranz, vorurteilen und Diskriminierung, hrsg. von nora langenbacher für die Friedrich ebert stiftung, Bonn 2001.

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Abb. 4.14: Verbreitung von Antisemitismus in West- und Südeuropa (ADL 2014 und 2015 – in Prozent)

Die skandinavischen Länder, Großbritannien282 und die Niederlande zeigen die geringste Verbreitung antisemi-tischer Einstellungen (gilt auch für die USA mit neun bzw. zehn Prozent). Zu dieser Gruppe gehört auch die Tschechische Republik, die in der Umfrage von 2014 bei 13 Prozent lag. Alle diese Länder gehören auch historisch zu den Staaten, in denen Antisemitismus vergleichsweise marginal geblieben ist.283

282 hierunter fallen Großbritannien, schottland, wales und nordirland.

283 In einigen westeuropäischen ländern hat die aDl die Umfrage nur 2014 durchgeführt: Dabei gehören norwegen und Finnland zu den ländern mit der geringsten verbreitung, während Österreich (28 Prozent), die schweiz (26 Pro-zent) und Irland (20 Pro(26 Pro-zent) im westeuropäischen Durchschnitt liegen (aDl, Global 100, 2014).

Eine Mittelgruppe bildet eine Reihe von west-, süd- und osteuropäischen Ländern. Dazu gehören, neben Deutsch-land, auch Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien sowie aus Ost-bzw. Ostmitteleuropa Estland (2014: 22 Pro-zent), Lettland, die Nachfolgestaaten Jugoslawiens (2014:

Montenegro 30 Prozent, Slowenien 27 Prozent, Bosni-en-Herzegowina 32 Prozent, Kroatien 33 Prozent) sowie Russland mit 30 bzw. 23 Prozent (Abb. 4.15).

4 9

5 8

27 27

37

20 21 29

69

23

4 8 11 12

16 21

17 29

21 29

67

21

0 10 20 30 40 50 60 70 80

Schweden

Dänemark Niederlande Großbritan. Deutschland Belgien

Frankreich Italien Portugal Spanien

Griechenland Westeuropa

2014 2015

Abb. 4.15: Verbreitung von Antisemitismus in Ost- und Ostmitteleuropa (ADL 2014/2015 – in Prozent)

Die Werte für die ausgewählten Länder Osteuropas bewe-gen sich mit einem Durchschnitt von 32 bzw. 34 Prozent auf einem deutlich höheren Niveau als in den westeu-ropäischen Ländern. Während eine Reihe von ihnen das west- bzw. südeuropäische Niveau kaum überschreiten (siehe unter b) lässt sich in einigen dieser osteuropäischen Länder die weiteste Verbreitung antisemitischer Einstel-lungen konstatieren, so in Rumänien (35 Prozent/47 Pro-zent), Ungarn (41 Prozent/40 Prozent) und Polen (45 Pro-zent/37 Prozent). Alle drei Länder haben eine ausgeprägte antisemitische Tradition.284 In der ADL-Umfrage von 2014 erreichen aber auch Bulgarien (44 Prozent), Serbien (42 Prozent), die Ukraine (38 Prozent) und Litauen (36 Pro-zent) ähnlich hohe Werte.285 Den Ausreißer bildet hier Griechenland (Index Score 2014: 69 Prozent und 2015 von 67 Prozent), mit dem höchsten Wert in allen untersuchten europäischen Ländern.286

284 In einigen osteuropäischen ländern hat die aDl die Umfrage nur 2014 durchgeführt.

285 Für Bulgarien und serbien ist das ergebnis insofern überraschend, als in beiden ländern antisemitische einstellungen historisch wenig verbreitet waren.

286 In studien zur xenophobie sind für Griechenland ebenfalls sehr hohe werte gemessen worden. vgl. attitudes towards Minority Groups in the euro-pean Union. a special analysis of the eurobarometer 2000 survey on Behalf of the european Monitoring center on racism and xenophobia by sOra, wien 2001. als Bewertung wird dort festgehalten: »Greece stands out. It has the lowest percentage of people classified as tolerant (7 Prozent) and a high percentage of intolerant (23 Prozent) and ambivalent (43 Prozent) people.« Im Durchschnitt der eU waren es nur 14 Prozent bzw. 25 Prozent (tab. 6, s. 5).

Diese Ergebnisse verweisen darauf, dass historische Prägungen, aber auch die mehr oder weniger kritische Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe des Antisemitismus offenbar neben aktuellen Entwicklungen einen Einfluss auf die heutige Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung dieser Länder ausüben.

Die relativ hohen Differenzen (teils Zunahmen, teils Abnahmen) zwischen den Ergebnissen der Jahre 2014 und 2015 in einigen Ländern weisen aber auf Messprobleme hin.287 Da solche starken Abweichungen innerhalb eines Jahres für Einstellungen ungewöhnlich sind, könnte dies auch auf die geringen Stichprobengröße zurückzuführen sein, die möglicherweise nicht vergleichbar sind.

Gegenüber den Durchschnittswerten von 23 Pro-zent/21 Prozent bzw. 32 Prozent/34 Prozent für die west- bzw. osteuropäischen Länder fällt der Wert mit 74 Prozent für die ausgewählten Länder des Mittleren und Nahen Ostens sowie in Nordafrika im Jahr 2014 zwei- bis dreimal so hoch aus (Abb. 4.16).

287 Die aDl erklärt dies mit der wirkung der anschläge in Frankreich anfang

287 Die aDl erklärt dies mit der wirkung der anschläge in Frankreich anfang