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Alternative für Deutschland (AfD) Bei der 2013 gegründeten Alternative für Deutschland

Christlich Soziale Union (CSU)

7.1.4 Alternative für Deutschland (AfD) Bei der 2013 gegründeten Alternative für Deutschland

(AfD) handelt es sich um eine Partei, die noch einen Entwicklungsprozess hinsichtlich ihrer genauen Positio-nierung durchmacht. Den Anlass für die Entstehung bot die Kritik an der Euro-Rettungspolitik von deutscher Bun-desregierung und Europäischer Union. Ende 2014 änderte sich die Schwerpunktsetzung, stand doch fortan die Migrationspolitik im Zentrum. Nach internen Konflikten erfolgte im Juli 2015 eine personelle Umgestaltung: Frauke Petry löste Bernd Lucke ab, wobei der Führungswechsel472 auch für einen Politikwechsel stand: Die nationalkon-servative ersetzte die bisher verfolgte liberalkonnationalkon-servative

471 vgl. hierzu die ausführungen im abschnitt zur FDP.

472 Dieser ging auch mit dem austritt vieler als liberale geltenden Parteimit-glieder einher. sie organisierten sich in der neuen Partei »allianz für Fortschritt und aufbruch« (alFa) die sich heute liberal-Konservative reformer (lKr) nennt..

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Richtung. Gleichzeitig bildete sich ein noch weiter rechts stehender Flügel um den Fraktionsvorsitzenden im Thü-ringer Landtag, Björn Höcke. Bei diesen Entwicklungen spielte die Einstellung zum Antisemitismus keine Rolle, es kam jedoch zu einigen Skandalen und Vorfällen:

7.1.4.1 Der Fall Peter ziemann

Peter Ziemann, Informatiker und Schatzmeister des hessi-schen Landesvorstands, veröffentlichte kurz nach seinem Amtsantritt im Frühjahr 2013 auf Facebook ein Foto des früheren sowjetischen Diktators Josef W. Stalin mit einem Kommentar über die freiheitliche demokratische Grundordnung und das politische System der Bundesre-publik Deutschland: »Mir sind nationale Korruption und Mafiosi lieber – bei denen weiß man zumindest, woran man ist – als die internationalen Mafiosi, die unter dem Deckmantel von Demokratie, Humanismus und Multi-kulti die Menschheit in einen öko-faschistischen Gefäng-nisplaneten versklaven wollen.« An anderer Stelle hieß es:

»Der heutige Sozialismus, der sich Demokratie schimpft, muss das gleiche Schicksal wie der Ostblock vor mehr als 20 Jahren erleiden. Nur so können wir die satanistischen Elemente der Finanz-Oligopole von den westlichen Völ-kern wieder abschütteln, die wie die Zecken das Blut der Völker aussaugen und die Körper mit tödlichen Bakterien verseuchen.«473 Darüber hinaus meinte Ziemann, dass der Staat »die Unterwanderung der Gesellschaft mit kriminel-len Migranten« fördere. Dahinter steckten aber bestimmte Mächte. Als solche nannte er die US-amerikanische Unternehmerfamilie Rockefeller, das jüdische Bankhaus Rothschild und den jüdischen Investor George Soros sowie die »ganzen freimaurerisch organisierten Tarnor-ganisationen, die ein Großteil unserer Politiker-Attrappen über ihre Führungsoffiziere steuern«.474 Allgemein müsste demnach davon ausgegangen werden, dass Drahtzieher von Freimaurern und Superreichen die Demokratie, die eigentlich schon ein Sozialismus sei, unterwanderten und versklavten.

Der damalige Bundessprecher Konrad Adam erhob schwere Vorwürfe gegen das nur wenige Tage zuvor gewählte Vorstandsmitglied: Derartige Äußerungen seien geeignet, die AfD in die rechte Ecke zu rücken, wohin die Partei nicht gehöre. Ziemanns Agieren schädige sie und müsse Konsequenzen haben. Der zweite Landessprecher Gunter Nickel erklärte, derartige Auffassungen seien vom Grundgesetz her nicht mehr gedeckt. Der kurzzeitige

473 zititiert nach: Ohne autor, afD-vorstand des amtes enthoben, in: Faz, 19. 12. 2013, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/hessischer-landesverband- afd-vorstand-des-amtes-enthoben-12719304.html (eingesehen 4. 12. 2016).

474 zititiert nach: Joachim F. tornau/carsten Meyer, alternative für Deutsch-land. richtungsstreit bei afD eskaliert, in: Fr-Online, 20. 12. 2013, http://www.fr- online.de/landespolitik/alternative-fuer-deutschland-richtungsstreit-bei-afd- eskaliert,23887878,25676910.html (eingesehen 4. 12. 2016).

Schatzmeister habe sich gar eines nationalsozialistischen Sprachgebrauchs durch die vielen Ungeziefer-Metaphern bedient.475 Ziemann wurde mit sofortiger Wirkung seines Amtes enthoben, postete aber weiterhin auf Facebook einschlägige Kommentare.476

Ziemann bedient sich in seinen Aussagen eines juden-feindlichen Duktus mit den Topoi klassischer antisemiti-scher Verschwörungstheorien. Der frühere AfD-Politiker behauptete die Existenz einer Konspiration insbesondere von jüdischen Finanzakteuren und Freimaurern zur Umsetzung ihrer Weltherrschaft. Ziemann suggeriert, dass die mächtigen Entscheidungsträger die »Finanz-Oli-gopole« seien. Er arbeitet aber auch mit biologistischen Kategorien, die sich im klassischen »Rasse«-Diskurs wiederfinden lassen. Da ist vom »Blut der Völker« und den

»tödlichen Bakterien« die Rede. Auch wenn es hier keine direkten Bezüge zu Juden gibt, so steht in der Gesamt-schau dieser Sprachgebrauch für die rassistische Variante.

Angesichts der Deutlichkeit der Formulierungen kann es nicht verwundern, dass die bestehende Demokratie als tatsächliche Diktatur diffamiert wird. Ziemann wollte nicht nur bestimmte Gegebenheiten kritisieren, er trat für deren fundamentale Überwindung ein. Deutlicher kann sich eine extremistische Grundposition kaum artikulieren.

7.1.4.2 Der Fall Jan-Ulrich weiß

2014 veröffentlichte Jan-Ulrich Weiß, der als Nachrü-cker in den Brandenburger Landtag einziehen sollte, auf Facebook eine Bildcollage mit Text. Dort hieß es: »›HALLO Mein Name ist Jacob Rothschild. Meine Familie ist mehr als 500 Trillionen Dollar schwer. Wir haben weltweit so gut wie jede Zentralbank im Besitz. Wir finanzieren immer beide Seiten von jedem Krieg, schon seit Napoleon. Wir steuern deine Nachrichten Medien, ol (sic!) und deine Regierung. … DU HAST WAHRSCHEINLICH NOCH NIE VON MIR GEHÖRT …«477 Daneben fanden sich zwei Fotos des Investmentbankers Jacob Rothschild und eine Kari-katur, die Ähnlichkeiten mit Rothschild aufwies und stark an die Figur des »Mr. Burns« aus der Zeichentrickserie

»Die Simpsons« erinnerte. Burns ist in der Comic-Serie ein Atomkraftwerksbesitzer und steht als Inkarnation für einen geldgierigen Kapitalisten. Insofern sind hier durch-aus antisemitische Konnotationen denkbar.

475 Ohne autor, afD-vorstand des amtes enthoben; tornau/Meyer, rich-tungsstreit bei afD eskaliert.

476 carsten Meyer/Joachim F. tornau, hessischer afD-Politiker hetzt gegen Juden, in: Fr-Online, 22. 7. 2016, http://www.fr-online.de/rhein-main/rechts extreme--hessischer-afd-politiker-hetzt-gegen-juden-,1472796,34532290.html (eingesehen 4. 12. 2016).

477 zit. nach: Ohne autor, antisemitismus in der afD; alternative ganz rechts, in: taz, 3. 11. 2014, http://www.taz.de/!5029568/ (eingesehen 4. 12. 2016).

Nachdem dies bekannt geworden war, schloss die AfD-Fraktion Weiß nach einstimmigem Votum aus.

Darüber hinaus beantragte der brandenburgische Par-teivorstand ebenfalls einstimmig den Parteiausschluss beim Schiedsgericht.478 Die Art der Darstellung wurde – in Anlehnung an das judenfeindliche Hetzblatt der NS-Zeit – als »Stürmer«-Stil angesehen. Das beantragte Eilverfahren zum Parteiausschluss scheiterte jedoch sowohl vor dem Bundes- wie dem Landesschiedsgericht der Partei. Als Grund wurde angeführt, dass die abgebildete Karikatur aus einem anderen Kontext stamme und »Mr. Burns«

zeige. Weiß verließ zwar die Fraktion, blieb aber in der Partei. Als Uckermärker Kreisvorsitzender nahm er sogar weiter eine Parteifunktion wahr.

Da der Vorwurf der Volksverhetzung gegen Weiß erhoben wurde, kam es zu einem Prozess; im Juni 2016 wurde er vom Amtsgericht Prenzlau freigesprochen. Sein Anwalt erklärte, das Bild sei nicht eindeutig gegen eine religiöse Gruppe gerichtet gewesen. Außerdem hätte sein Mandant nicht gewusst, dass er die Karikatur öffentlich gemacht habe. Die Richterin führte in ihrem Urteil aus, dass Bild und Text mehrdeutig seien. Ein eindeutig antisemitischer Hintergrund könne nicht belegt werden. Die Staatsan-waltschaft hatte indessen für eine Geldstrafe von 5000 Euro plädiert. Weiß selbst bemerkte, er habe damit nur das Großkapital kritisieren wollen, beherrsche es doch die Weltpolitik. Antisemitisch sei er nicht, da doch auch der Mann seiner Cousine jüdischer Abstammung wäre.479 Beim Blick auf die Fotos und den Text fällt zunächst auf, dass es keine direkten Aussagen zu Juden gibt. Gleich-wohl macht der inhaltliche Kontext deutlich, dass mit der Karikatur sowohl Aussagen des politischen wie des sozialen Antisemitismus propagiert werden. Die Formulie-rungen spielen auf die Existenz einer geheimen Macht an, die Medien, Politik und Wirtschaft steuert. Gemeint sein sollen damit das Bankhaus und die Familie Rothschild.

Mit der Formulierung »seit Napoleon« wird auf eine jahrhundertlange Existenz einer solchen Verschwörung verwiesen. Damit stehen diese Aussagen im Einklang mit der antisemitischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts,

478 Marion Kaufmann, Grüne stellen strafanzeige gegen Jan-Ulrich weiß. afD-chef Gauland will nachrücker loswerden, in: Märkische allgemeine, 26. 9. 2014, http://www.haz.de/hannover/aus-der-region/springe/nachrichten/Bad- Muender-vorwurf-der-volksverhetzung (eingesehen 4. 12. 2016); Ohne au-tor, antisemitismus-vorwurf. afD will abgeordneten aus Partei ausschließen, in: süddeutsche zeitung, 29. 9. 2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/

antisemitismus-vorwurf-afd-will-abgeordneten-aus-partei-ausschliessen- 1.2151619 (eingesehen 4. 12. 2016).

479 Ohne autor, Karrikatur auf Facebook. afD-Politiker vom vorwurf der volks-verhetzung freigesprochen, in: Der spiegel, 29. 6. 2016, http://www.spiegel.de/

politik/deutschland/afd-politiker-jan-ulrich-weiss-vom-vorwurf-der-volks-verhetzung-freigesprochen-a-1100511.html (eingesehen 4. 12. 2016); Ohne autor, amtsgericht sieht keinen antisemitischen Bezug. afD-Politiker weiß nach streit um Karikatur freigesprochen, in: rbb-Online, 29.6.2016, http://www.

rbb-online.de/politik/beitrag/2016/06/jan-ulrich-weiss-von-afd-wegen- volksverhetzung-vor-gericht.html (eingesehen 4. 12. 2016).

die in dem jüdischen Bankhaus den konspirativen Machtfaktor sah. Weiß erklärte nach seinem Freispruch, das Großkapital beherrsche die Weltpolitik. Damit ließ er erneut verschwörungsideologische Prägungen erkennen.

Die Karikatur entstammte zwar nicht, wie ursprünglich angenommen, dem »Stürmer«, aber sie vermittelt im Gesamtkontext ein ähnliches Zerrbild.

Auffällig bei der Betrachtung des Falls ist, dass die bran-denburgische Landtagsfraktion und der branbran-denburgische Parteivorstand einstimmig für einen Ausschluss von Weiß votierten. Dies war bei anderen Fällen nicht so. Gleichwohl konnte sich der Parteivorstand gegenüber den Schieds-gerichten nicht durchsetzen. Und auch in der AfD selbst verfügte Weiß über Rückhalt. Der fraktionslose Landtag-sabgeordnete erhielt von seinem Kreisverband politische Unterstützung: Die Antisemitismusvorwürfe seien »konst-ruiert« und »unhaltbar«.480 Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die Entscheidungen von allen Mitgliedern der übergeordneten Gremien der Partei aus inhaltlichen oder aus strategischen Motiven gefällt wurden. Der Freispruch vom Vorwurf der Volksverhetzung ändert an dem Anti-semitismus-Befund sowohl für die Forschung wie für die Partei nichts. Denn einschlägige Einstellungen können auch in eindeutigen Anspielungen und müssen nicht nur immer in direkten Hassbildern gegen alle Juden vorkom-men.

7.1.4.3 Der Fall Gunnar Baumgart

Der Grünen-MdB Volker Beck und der Hamelner SPD-Vorsitzende Ingo Reddeck stellten 2015 Strafanzeige wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Anden-kens Verstorbener gegen Gunnar Baumgart, der kurz zuvor noch Mitglied im Vorstand des AfD-Kreisverbands Weserbergland gewesen war. Den Anlass für die Anzeige bot ein Link zu einem Artikel in dem Blog »Wissen-schaft3000«, worin es bezogen auf den Holocaust hieß:

»Zyklon B diente zum Schutze des Lebens. Kein einziger Jude ist durch eine Tötungs-Gaskammer umgebracht wor-den.« Nachdem ihm die Anzeige bekannt geworden war, erklärte Baumgart gegenüber den Medien: »Ich habe mich niemals der Holocaust-Leugnung schuldig gemacht.« Er sei nur gegen die Folgen für deren Protagonisten gewesen:

»Ich habe angeführt, dass ich missachte, dass Leute, die den Holocaust leugnen, nach Paragraf 130 verknackt wer-den. Auf gut deutsch: dass sie ins Gefängnis kommen.«

480 Ohne autor, cottbuser ermittler untersuchen vorwürfe. afD-Fast-land-tagsabgeordneter ist Fall für den staatsanwalt, in: rbb-Online, 3. 11. 2014, http://

www.rbb-online.de/extra/landtagswahl-brandenburg-2014/beitraege/afD- Uckermark-Jan-Ulrich-weiss-volksverhetzung-strafanzeige.html (eingesehen 4. 12. 2016).

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Da Baumgart daraufhin auch aus seiner Partei kritisiert wurde, veröffentlichte er im Internet eine weitere Klarstel-lung. Darin bemerkte er: »Da ich mehrfach durch Freunde darauf aufmerksam gemacht wurde, dass untenstehende Aussage [Damit war das erwähnte »Wissenschaft3000«-Zi-tat gemeint, Anm. d. Verf.] missverstanden werden kann, möchte ich hier eindeutig klarstellen, dass ich die Meinung der genannten Personen nicht teile! Ich möchte mit dem Beitrag lediglich zum Ausdruck bringen, dass es meiner Meinung nach nicht in Ordnung ist, Leute für ihre Meinung, und sei sie noch so abwegig, ins Gefängnis zu stecken!« Und direkt danach schrieb er weiter: »Jeder, der den Leuchter Report gelesen hat, jeder, der Ernst Zündel und seine Aussagen kennt und jeder der mit offenen Augen Auschwitz besucht hat, jeder der das Unrecht, wel-ches Germar Rudolph [sic!] und vielen anderen widerfah-ren ist, weiss es!!! Wenn ich Kinder hätte, würden sie den Geschichtsunterricht in Deutschland nicht besuchen«.481 Baumgart erklärte außerdem, er habe große Sympathien für Israel. Wenn jemand sage, das habe alles früher gar nicht stattgefunden, dann dürfe man dies seiner Auffas-sung nach verbreiten, selbst wenn er diese Meinung nicht teile. Auch in der AfD lösten Baumgarts Bekundungen und die kritische Presseberichterstattung entsprechende Reaktionen aus: Manfred Otto, der Vorsitzende der Orts-gruppe Weserbergland, erklärte auf Anfrage: »So etwas hat keinen Platz bei uns in der AfD. Wir haben mit Baumgart bereits gesprochen und ihm gesagt, dass wir ihn aus der Partei rausschmeißen werden.« Er erwarte eine Austritts-erklärung. Auch der niedersächsische Landesvorsitzende Armin-Paul Hampel bekundete: »Für so jemanden ist kein Platz bei uns.«482 Baumgart trat aus der Partei aus.483 Sein Agieren hatte darüber hinaus auch noch berufliche Kon-sequenzen: Baumgart, der als Qualitätsmanager in einem Seniorenstift arbeitete, wurde von seinem Arbeitgeber mit sofortiger Wirkung freigestellt.484

Entgegen Baumgarts eigener Darstellung trat er in seinen Äußerungen keineswegs nur gegenüber den Holocaust-Leugnern für Straffreiheit ein. Er

481 alle zitate nach: Jens rathmann/thomas thimm, vorwurf der volksverhet-zung, in: hannoversche allgemeine, 13. 8. 2015, http://www.haz.de/hannover/

aus-der-region/springe/nachrichten/Bad-Muender-vorwurf-der-volksver hetzung (eingesehen 4. 12. 2016).

482 Dietmar neuerer, afD. Fall von holocaust-leugnung in der afD?, in:

handelsblatt, 15. 8. 2015, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/

alternative-fuer-deutschland-fall-von-holocaust-leugnung-in-der-afd/12191980.

html (eingesehen 4. 12. 2016).

483 Ohne autor, nach holocaust-skandal: Gunnar Baumgart verlässt afD, in: Dewezet, 17. 8. 2015, http://www.dewezet.de/region/ticker_artikel,-nach- holocaustskandal-gunnar-baumgart-verlaesst-afd-_arid,732472.html (einge-sehen 4. 12. 2016).

484 DrK beurlaubt Gunnar Baumgart. arbeitgeber ist wegen des vorwurfs der volksverhetzung entsetzt, in: schaumburger-zeitung, 13. 8. 2015, http://www.

szlz.de/startseite_artikel,-drk-beurlaubt-gunnar-baumgart-_arid,731592.html (eingesehen 4. 12. 2016).

veröffentlichte einen Link, worin die Existenz von Gaskammern und der Judenmord geleugnet wurden.

Darüber hinaus benannte er als Autoren einschlägige rechtsextremistische Quellen. Erst nachdem dies bekannt geworden war, distanzierte sich Baumgart gegenüber den Holocaust-Leugnern und ihren Positionen. Damit hat man es hier mit einer Form des sekundären Antisemitismus (→ Definition) zu tun, wobei das Abstreiten oder die Rela-tivierung der Massenmorde an den Juden einen Sonderfall darstellt. Derartige Aussagen münden indirekt auch im politischen Antisemitismus: Denn sie gehen davon aus, dass die Geschichtsschreibung über die nationalsozialisti-che Verfolgung und Ermordung der europäisnationalsozialisti-chen Juden durch eine große »jüdische Konspiration« mit histori-schen Verfälschungen zustande kam.

Baumgart war zum Zeitpunkt des Skandals ein einfaches Parteimitglied, kein halbes Jahr zuvor hatte er noch als Mitglied des Kreisvorstands Weserbergland eine Funktion auf kommunaler Ebene innegehabt. Aufgekommen war der Skandal durch Strafanträge von Politikern anderer Parteien. Nachdem dadurch das Agieren von Baumgart öffentlich bekannt geworden war, reagierte zunächst der Kreisverband, dann aber auch der Landesverband.

Unklar bleibt hier, ob zumindest auf der kommunalen Ebene die Positionen von Baumgart nicht schon früher hätten auffallen müssen. Der AfD-Ortsgruppenvorsit-zende distanzierte sich dann aber nach Bekanntwerden der Äußerungen von Baumgart öffentlich sehr deutlich.

Direkt danach legte er Baumgart den Parteiaustritt nahe.

Auch der Landesvorsitzende zog binnen kurzer Zeit einen deutlichen Trennstrich. Einer langwierigeren Ausein-andersetzung kam der Betroffene dann dadurch zuvor, dass er aus der AfD mit der Begründung austrat, er wolle Schaden von der Partei abwenden.

7.1.4.4 Der Fall wolfgang Gedeon

Der 2016 in den Landtag von Baden-Württemberg gewählte Abgeordnete Wolfgang Gedeon veröffent-lichte 2012 das Buch »Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten«. Darin befasst er sich u. a.

mit Christentum, Islam und Judentum, wobei Gedeon die moralischen und theologischen Differenzen der Religionen aus seiner Sicht hervorheben will. Dort heißt es: »Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmu-dischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes.«485 Daneben beschäftigt sich Gedeon in diesem Buch auch mit den »Protokollen der Weisen von Zion« (→ Medien), die von ihm für echt gehalten werden.

Er schreibt: »Es wird aber nirgendwo ersichtlich, dass die Urheber der Protokolle, die auch auf dem Baseler

485 wolfgang Gedeon, Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Min-derheiten. eine Kritik des westlichen zeitgeistes, Frankfurt a. M. 2012.

Zionistenkongress von 1897 nicht offen, sondern nur in einer geheimen Parallelveranstaltung aufgetreten sind, in irgendeiner Weise repräsentativ für das jüdische Weltkollektiv wären.« Gedeon glaubt, eine »zionistische Minderheit« als die eigentlichen Autoren identifizieren zu können. Er differenziert zwischen Juden und Zionisten, spricht aber gleichzeitig vom »jüdischen Weltkollektiv«.

Außerdem behauptet Gedeon, dass es Parallelen zwischen den Ausführungen in den »Protokollen« zu »Strategie und Taktik und zum Beispiel den politischen Methoden der Brüsseler EU«486 gäbe.

Dass es sich hier um keinen Ausrutscher oder eine Fehldeutung handelt, macht ein Blick in eine frühere Buchpublikation deutlich: Gedeon hatte 2009 unter dem Pseudonym »W. G. Meister« ein dreibändiges Werk mit dem Titel »Christlich-europäische Leitkultur« veröffent-licht. Der zweite Band »Über Geschichte, Zionismus und Verschwörungspolitik« enthält mehrere Abschnitte über die »Protokolle der Weisen von Zion«. Gleich zu Beginn schrieb Gedeon: »Die Protokolle sind mutmaßlich keine Fälschung.« Dabei ignoriert er, dass das aus diversen fiktionalen Textvorlagen zusammengestellte Machwerk bereits 1921 als Plagiat entlarvt worden war. Gedeon hält jedoch an anderen Zuschreibungen fest: »Ich halte die Beurteilung Fleischhauers […] für plausibel: Danach handelt es sich um die Mitschrift einer Geheimtagung.«

Ulrich Fleischhauer war in den 1930er- und 1940er-Jahren der Leiter des antisemitischen Nachrichtenbüros »Welt-Dienst«, das eine gleichnamige Zeitschrift herausgab. Und schließlich bemerkt Gedeon: »Wer die Geschichte und Politik der letzten 100 Jahre betrachtet, muss konzedieren, dass viele der in den Protokollen aufgeführten Elemente und Praktiken schon tatsächlich umgesetzt wurden.«487 Die Rede vom »jüdischen Weltkollektiv« suggeriert die Existenz eines imaginierten homogenen Kollektivs, das keine reale Grundlage hat. Gedeon bedient sich alter antisemitischer Stereotype und meint ernsthaft, dass die aktuelle Entwicklung in Gesellschaft und Politik im Lichte der »Protokolle der Weisen von Zion« gesehen werden müsse. Dies macht die tiefe Prägung durch antisemitische Verschwörungstheorien deutlich. Gedeon sieht aber auch noch andere Akteure am Werk, seien doch die Freimau-rer »eine konspirative politische Organisation«, die eine »freimaurerische Weltregierung«488 zum Ziel hätte.

Gedeon vertritt so die Vorstellung einer »jüdisch-freimau-rerischen Verschwörung«. Der spätere AfD-Landtagsab-geordnete teilt damit eine historisch, insbesondere von

486 ebenda, s. 277 f.

487 w. G. Meister (= wolfgang Gedeon), christlich-europäische leitkultur.

Die herausforderung europas durch säkularismus, zionismus und Islam, Bd. II:

Über Geschichte, zionismus und verschwörungspolitik, Frankfurt a. M. 2009, s. 466 und 480.

488 ebenda, s. 268.

der NS-Propaganda genutzte Vorstellung, distanziert sich aber von Hitler, allerdings mit einer besonderen Motiva-tion: »Mein Hauptvorwurf ist, dass er ein biologistischer Heide war, der Deutschland und Europa in radikaler Weise entchristlicht und verheidet hat.«489 Andere denken da eher an die Etablierung einer totalitären Diktatur oder die Massenmorde an den Juden. Die Begründung für seine Distanzierung ergibt sich aus Gedeons fundamentalisti-schem Verständnis des Christentums. Dies erklärt auch, warum er den »talmudistischen Ghetto-Juden« als inne-ren »Feind des christlichen Abendlands« ansieht. Auch bei seiner Apologie der »Protokolle der Weisen von Zion«

stützt Gedeon sich auf einen Autor aus dem katholischen Fundamentalismus.490

Gedeons Auslassungen schöpfen aus dem Repertoire des religiösen und politischen Antisemitismus. Hinzu kommt, bezogen auf den Geschichtsrevisionismus, die sekundäre Variante (→ Definition). Dies machen die Ausführun-gen zur NS-VerganAusführun-genheit deutlich: Die Auffassung, wonach die Hauptschuld daran der Hitler-Regierung zuzuschreiben sei, hält Gedeon für eine »im

Gedeons Auslassungen schöpfen aus dem Repertoire des religiösen und politischen Antisemitismus. Hinzu kommt, bezogen auf den Geschichtsrevisionismus, die sekundäre Variante (→ Definition). Dies machen die Ausführun-gen zur NS-VerganAusführun-genheit deutlich: Die Auffassung, wonach die Hauptschuld daran der Hitler-Regierung zuzuschreiben sei, hält Gedeon für eine »im