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einleitung – antisemitismus in Bevölkerungsumfragen

Handlungsempfehlungen – Straftaten

4 Antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung

4.1 einleitung – antisemitismus in Bevölkerungsumfragen

Offener Antisemitismus ist in Deutschland offiziell geächtet, und die deutsche Mehrheitsbevölkerung hält die Gesellschaft im Großen und Ganzen für nicht sehr antisemitisch. In einer repräsentativen Umfrage der Ber-telsmann Stiftung aus dem Jahr 2013 waren 77 Prozent der Deutschen der Auffassung, nur eine geringe Zahl der Bun-desbürger bzw. kaum jemand in Deutschland sei negativ gegenüber Juden eingestellt. Während nur 19 Prozent den Antisemitismus als weitverbreitet einschätzen, zeigt die Befragung von Juden in Deutschland 2016 (→ Jüdische Perspektive) eine völlig andere Einschätzung: hier halten 76 Prozent den Antisemitismus in Deutschland für ein eher bzw. sehr großes Problem, von dem zudem 78 Pro-zent meinen, er habe in den letzten fünf Jahren etwas bzw.

stark zugenommen.161 Während Antisemitismus also von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung in der Regel weit von sich gewiesen wird, beklagen gleichzeitig 77 Prozent:

»In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Auslän-der und Juden sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden.«162 Studien belegen weiterhin ein Fortbestehen von zumindest latentem Antisemitismus, der, so auch das Zwischenfazit der zitierten Studie der Bertelsmann Stif-tung, von Zeit zu Zeit offen hervorbricht. Der inzwischen auch in Deutschland offenkundig werdende Rechtspo-pulismus und die Entstehung neurechter Gruppierungen ist – auch wenn hier aktuell Juden (noch) nicht im Fokus der Abwertung stehen – ebenfalls eng mit Antisemitismus verknüpft, sei es über die Verbreitung von Verschwörungs-theorien, vermittelt über Antiamerikanismus und Anti-kapitalismus, oder über die gesunkene Hemmschwelle, soziale Gruppen offen abzuwerten.163

Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und dieser vereinzelt publizierten Befunde ist es umso bemer-kenswerter, wie selten antisemitische Einstellungen in der breiten Bevölkerung thematisiert werden und wie wenig Forschung es dazu gibt. So liegt keine neuere große

161 steffen hagedorn/roby natanson, Deutsche und Israelis heute. ver-bindende vergangenheit, trennende Gegenwart, Gütersloh 2015, s.  38, und andreas zick u. a., expertise »Jüdische Perspektiven« für den Uea 2016.

162 Beate Küpper/andreas zick/Daniela Krause, Pegida in den Köpfen – wie rechtspopulistisch ist Deutschland?, in: andreas zick/Beate Küpper, wut, ver-achtung, abwertung. rechtspopulismus in Deutschland. hrsg. von ralf Melzer/

Dietmar Molthagen für die Friedrich ebert stiftung, Berlin 2015.

163 zum zusammenhang von aktuellem rechtspopulismus und antisemitis-mus siehe z. B. zick/Küpper, wut.

empirische Studie vor, die antisemitische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung umfassend untersucht.164 Wenn, dann wird Antisemitismus lediglich als ein Element in einer Bandbreite menschenfeindlicher bzw. rechtsex-tremer Einstellungen erhoben. Dadurch ist die Erfassung zwangsläufig begrenzt. Es werden nur jeweils einige ausgewählte Facetten von Antisemitismus mit einer sehr begrenzten Anzahl von Items erhoben, und nicht in jedem Erhebungsjahr wird die gleiche Bandbreite von Facetten berücksichtigt, was Vergleiche und das Nachzeichnen von Entwicklungen erschwert.

Mit Ausnahme der ALLBUS-Studie165 werden die bislang vorliegenden Umfragen durch private Stiftungen geför-dert. Forschung zum Antisemitismus wird zumeist, wenn überhaupt, nicht als Grundlagenforschung, sondern stets mit dem Fokus auf Prävention gefördert, wobei dabei die Generierung neuer Erkenntnisse zunächst in den Hinter-grund tritt. Es fehlt ein regelmäßiges, umfassenderes, vom Bund finanziertes Monitoring antisemitischer Einstel-lungen, es fehlt an Forschungsförderung zum Thema Antisemitismus und an der breiteren Repräsentation und Verankerung der (auch empirischen) Antisemitismusfor-schung an deutschen Universitäten und Hochschulen.

Kritisch formuliert: Deutschland leistet es sich, nicht genauer wissen zu wollen, wie antisemitisch die Gesell-schaft eigentlich ist.

Im folgenden Kapitel berichten wir über das, was an aktuellen Befunden repräsentativer Umfragen zur Ver-breitung antisemitischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung vorliegt. Wir geben Hinweise auf Entwick-lungen sowie auf die Verbreitung von Antisemitismus in verschiedenen Bevölkerungsgruppen und verweisen auf mögliche Bedingungs- und Erklärungsfaktoren. Insbeson-dere werden neuere Ergebnisse aus den letzten vier Jahren ab dem Zeitpunkt des Erscheinens des Berichts des ersten UEA vorgestellt. Die Befunde können letztlich auch für die Ausrichtung von Interventionsmaßnahmen von Bedeu-tung sein. Unsere Empfehlung eines regelmäßigen, vom

164 ausnahme sind die regelmäßig von der anti-Defamation league durch-geführten studien, die wichtige hinweise auf die verbreitung von antisemiti-schen einstellungen geben. Die studien sind mit einer stichprobengröße von üblicherweise n = 500 streng genommen nicht repräsentativ und erfassen kaum weitere Bedingungs- und erklärungsfaktoren.

165 Bei der allBUs-studie handelt es sich um eine allgemeine Bevölke-rungsumfrage der sozialwissenschaften, die als repräsentative Querschnitts-befragung seit 1980 regelmäßig im abstand von zwei Jahren erhoben wird.

Bestandteil der Befragung sind konstante und variable Fragen zu sozialen la-gen, einstellunla-gen, werten und verhaltensweisen in Deutschland, http://www.

ratswd.de/forschungsdaten/fdz-allbus (eingesehen 23. 12. 2016).

Bund finanzierten Monitorings in Form einer repräsen-tativen Bevölkerungsbefragung unter Berücksichtigung besonderer Bevölkerungsgruppen schließt sich hieran an.166 Das Kapitel schreibt die Befunde, die im Bericht des ersten Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus vor-gestellt wurden, fort und ergänzt sie. Zuvor wird in einem kurzen Exkurs die Methodik von Bevölkerungsumfragen skizziert, um diese noch einmal transparent zu machen und die Einordnung und Interpretation der nachfolgend berichteten Befunde zu erleichtern.

Exkurs: Zur Messung von Antisemitismus in Bevölkerungsumfragen

Ergebnisse aus repräsentativen Bevölkerungsumfragen sind ein Baustein neben anderen, die Hinweise auf die Verbreitung, Erscheinungsformen und Zusammenhänge von Antisemitismus geben. Während Statistiken über Straftaten sowie die Beobachtungen, Erlebnisse und Wahrnehmungen von Betroffenen Hinweise auf einzelne Vorkommnisse und Taten geben, die von einer ver-gleichsweise kleinen Anzahl von Personen verübt werden, vermitteln Bevölkerungsumfragen einen Eindruck des Ausmaßes von Antisemitismus in der breiten Bevölke-rung. Befunde aus repräsentativen Bevölkerungsumfragen sind, wie alle Studien, durch ihr je spezifisches methodi-sches Vorgehen mitbestimmt.

Zur Reichweite repräsentativer Bevölkerungsumfragen Die Reichweite von Bevölkerungsumfragen, die antise-mitische Einstellungen erfassen, ist auf das begrenzt, was quantitative Einstellungserhebungen generell leisten können. Sie ist zudem durch ihren jeweiligen inhaltlichen Fokus eingegrenzt. Die Interviewdauer und damit nicht zuletzt auch die Detailliertheit der Erfassung sind durch die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel und die Auskunftsbereitschaft der Befragten eingeschränkt. In den vorliegenden Studien zu weiter gefassten Themen werden immer nur ausgewählte Facetten mit einer sehr begrenz-ten Anzahl von Fragen erhoben.

Bei der Durchführung von Bevölkerungsumfragen wird ganz überwiegend mit standardisierten Fragebögen gearbeitet. Die Vorteile liegen in der Vergleichbarkeit über einen längeren Zeitraum bzw. über unterschiedli-che sozialdemografisunterschiedli-che Milieus hinweg und der Mög-lichkeit, wichtige, empirisch abgesicherte Hinweise auf Trends, Bedingungsfaktoren usw. liefern zu können.

166 Das Kapitel basiert im wesentlichen auf der expertise »verbreitung von antisemitismus in der deutschen Bevölkerung«, mit der Prof. Dr. andreas zick, leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni-versität Bielefeld und seine Mitarbeiterinnen silke Jensen, Julia Marth, Daniela Krause und Geraldine Döring durch den Uea beauftragt wurde, und für die aktuelle Befunde aus großen Bevölkerungsumfragen zusammengetragen bzw.

empirische analysen vorliegender Datensätze durchgeführt wurden.

Repräsentative Befragungen bilden zudem die Bevölke-rung in ihrer Sozialstruktur ab. Einstellungen in besonde-ren sozialen Milieus, die gemessen an der Gesamtbevölke-rung nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Personen umfassen, können in einer Repräsentativerhebung mit der üblichen Stichprobengröße von 1000 bis 2000 Befragten daher in der Regel nicht abgebildet werden. Dies betrifft z. B. antisemitische Einstellungen in radikalen Milieus (z. B. rechtsextremen, linksextremen oder islamistischen Milieus), in kleinen religiösen Subgruppen (z. B. evangeli-kalen) oder in Subgruppen, die durch mehrere sozialde-mografische Merkmale definiert sind (z. B. junge ostdeut-sche Männer). Hierüber können nur gezielte Befragungen dieser Milieus Auskunft geben bzw. sind andere methodi-sche Herangehensweisen notwendig. Die standardisierte Vorgehensweise hat zugleich den Nachteil, keine tieferen Assoziationen oder neuen Aspekte, die nicht zuvor schon im Fragebogen enthalten waren, erfassen zu können.

Studien, die qualitative methodische Zugänge nutzen (üblicherweise werden hier einige wenige, aber ausführ-liche Einzelinterviews geführt), können darauf besser reagieren, haben jedoch ihrerseits den Nachteil, keine Aus-kunft über Verbreitungen, Verläufe usw. geben zu können.

Für eine abschließende Bewertung von Antisemitismus in der Bevölkerung ist eine Gesamtbetrachtung von Befun-den, die mit unterschiedlichen methodischen Zugängen gewonnen wurden, sinnvoll und angemessen.

Warum kommen unterschiedliche Studien zu unter-schiedlichen Ergebnissen?

Die Ergebnisse, die auf Bevölkerungsumfragen basieren, sind – dies gilt auch für Aussagen über die Verbreitung von Antisemitismus in der Bevölkerung – nicht zuletzt von der jeweils gewählten Erhebungsmethode beeinflusst.

Dazu zählen im Wesentlichen die Befragungsmethode (face-to-face oder telefonisch), die Methode zur Ziehung der Stichprobe, die berücksichtigten Einstellungsfacetten, die Operationalisierung (d. h. welche Items zur Erfassung verwendet werden und wie diese formuliert sind), die Skalierung (v. a., ob eine Antwortskala mit oder ohne mitt-lerem Wert vorgegeben wird) und gegebenenfalls auch die Thematik und Dynamik des Gesamtfragebogens bzw. die Position, die die interessierenden Aussagen im Verlauf der Befragung haben (in welchem größeren Themenkomplex und nach welchen anderen Fragen werden die interessie-renden Aussagen platziert).

Zur Erfassung antisemitischer Einstellungen in Bevöl-kerungsumfragen werden den Befragten üblicherweise Aussagen (Items) vorgelegt bzw. vorgelesen, denen sie zustimmen oder die sie ablehnen können. Zur Abstufung der Antworten stehen zumeist entweder eine vier- oder eine fünf- bzw. siebenstufige Skala zur Verfügung. Wird eine Antwortskala ohne mittleren Wert verwendet – dies ist bei einer vierstufigen Skala der Fall – sind die Befragten

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gezwungen, sich zu positionieren. Entsprechend höher fallen hier die Zustimmungswerte aus. Steht eine Ant-wortskala mit mittlerem Wert (oft als »teils-teils« oder

»stimme teilweise zu« benannt) zur Verfügung, wird diese von vielen Befragten genutzt. Entsprechend variiert der jeweils in Publikationen berichtete Anteil der Zustim-mung zu Antisemitismus in der Bevölkerung. Genauere Analysen legen allerdings nahe, dass die Wahl der mittle-ren Antwortmöglichkeit »teils-teils« eher für die Tendenz

»Zustimmung« steht.167 Die Zustimmung bzw. Ablehnung wird also auf einem Kontinuum gemessen, das von klarer Ablehnung bis hin zu deutlicher Zustimmung reicht. Es ist keine wissenschaftliche Frage, sondern eine Frage der Entscheidung des Forschers bzw. des jeweiligen Rezipien-ten, welcher Grad an Zustimmung zu antisemitischen Aussagen als Hinweis auf eine alarmierende Einstellungs-tendenz gewertet wird.

Das Phänomen der sozialen Erwünschtheit

Die Erfassung von Einstellungen in Bevölkerungsumfra-gen erfolgt in der Regel reaktiv, d. h. es wird den Befragten zu Beginn offengelegt, dass ihre Einstellungen erfasst werden. Daher sind die Ergebnisse auch davon beeinflusst, was die Befragten bereit sind preiszugeben. Da es sich beim Antisemitismus um ein als heikel empfundenes Thema handelt, wird gegen die Ergebnisse von Umfrage-studien häufig eingewandt, die Verbreitung von antisemi-tischen Einstellungen in der Bevölkerung würde aufgrund des Phänomens der sozialen Erwünschtheit systematisch unterschätzt.168 Soziale Erwünschtheit bezeichnet die Ten-denz, nach der Menschen bei Befragungen ihre Antworten an sozialen Normen ausrichten, d. h. an dem, was sie als übereinstimmend mit sozialen Normen erachten. Im Fall der Abwertung sozialer Gruppen wird angenommen, die vorherrschende soziale Norm forderte Akzeptanz. Ent-sprechend würden Befragte ihre Vorurteile eher zurück-haltend äußern. Dies gelte insbesondere für Personen, die motiviert sind, vorurteilsfrei zu erscheinen.169 Auch im Fall von Antisemitismus wird vermutet, Befragte unterdrückten ihre negativen Einstellungen zu Juden, weil sie annehmen, diese widersprächen den geltenden

167 Oliver Decker/Johannes Kiess/elmar Brähler, Die stabilisierte Mitte.

rechtsextreme einstellungen in Deutschland, leipzig 2014, s. 60.

168 Diese annahme geht von der existenz eines »wahren wertes« aus, der lediglich von vielfältigen einflussfaktoren, u. a. auch der sozialen erwünscht-heit, überschattet wird. Diese annahme eines »wahren wertes« wird allerdings nicht von allen Methodikern geteilt, sondern es wird argumentiert, einstellun-gen seien immer auch von den jeweilieinstellun-gen Bedinguneinstellun-gen abhängig und könnten nicht losgelöst davon betrachtet und erfasst werden. Kritisch dazu u. a. hartmut esser, Können Befragte lügen? zum Konzept des »wahren wertes« im rahmen der handlungstheoretischen erklärung von situationseinflüssen bei der Befra-gung, Mannheim 1986, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-66357 (eingesehen 23. 12. 2016).

169 rainer Banse/Bertram Gawronski, Die skala Motivation zu vorurteilsfrei-em verhalten: skaleneigenschaften und validierung, in: Diagnostica, 49 (2003), s. 7–13.

gesellschaftlichen Normen, nach denen Antisemitismus geächtet sei.170 In Studien zum Phänomen des ethnischen Rassismus bzw. des Antisemitismus konnte der Einfluss von Bedingungen, die die soziale Erwünschtheit beförder-ten oder aber hemmbeförder-ten, auf die Äußerung von Rassismus nachgewiesen werden.171 Auch in der Mitte-Studie 2014 der Friedrich Ebert Stiftung (FES) wird deutlich: Befragte, die motiviert sind, sich vorurteilsfrei zu verhalten, äußern in der Befragung weniger klassischen und sekundären Antisemitismus. Hingegen scheint der israelbezogene Antisemitismus weniger tabuisiert zu sein und wird weitgehend unbeeinflusst von der sozialen Norm der Vorurteilsfreiheit als Mittel der Umwegkommunikation geäußert.172

4.1.1 Operationalisierung antisemitischer Einstellungen

In den vorliegenden Befragungen werden üblicherweise die folgenden Facetten des Antisemitismus (→ Definition) erhoben:173

Klassischer Antisemitismus

Diese Facette summiert in der Regel Aussagen zu antise-mitischen Verschwörungstheorien über den »zu großen Einfluss von Juden in der Welt«. Einige Studien erfassen hier auch die in Deutschland inzwischen kaum noch vorkommende, altmodische Form des christlich-religiös argumentierenden Antisemitismus, wonach Juden an der Ermordung von Jesus Christus schuld seien oder christli-che Kinder ermordeten. Außerdem werden hierunter z. T.

Aussagen gefasst, die Juden eine Mitschuld an der eigenen Verfolgung zuschreiben. Das rhetorische Mittel der Umkehr von Täter und Opfer wird hier besonders deutlich, findet sich aber auch in anderen Facetten wieder.174

170 werner Bergmann/rainer erb, Kommunikationslatenz, Moral und öffent-liche Meinung. theoretische Überlegungen zum antisemitismus in der BrD, in:

Kölner zeitschrift für soziologie und sozialpsychologie, 38 (1986) 2, s. 223–246;

dies., »Mir ist das thema Juden irgendwie unangenehm«. Kommunikations-latenz und die wahrnehmung des Meinungsklimas im Fall des antisemitismus, in: Kölner zeitschrift für soziologie und sozialpsychologie, 43 (1991) 3, s. 502.

171 Ulrich wagner/andreas zick, the relation of Formal education to ethnic Prejudice: Its reliability, validity, and explanation, in: european Journal of soci-al Psychology, 25 (1995), s. 41–56.

172 vgl. zum Konzept der Umwegkommunikation Bergmann/erb, Kommuni-kationslatenz, Moral und öffentliche Meinung.

173 Die wortlaute der verwendeten Items finden sich in tabelle 2 und der expertise von zick. Die Begrifflichkeit folgt hier den vorgaben der studien zur

»Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« (GMF), die sich von den im Ge-samtbericht verwendeten Begrifflichkeiten und typologien (→ Definition) un-terscheidet.

174 Diese Klassifizierung umfasst also die aspekte des religiösen, politischen, sozialen und nationalen antisemitismus, die von uns in diesem Bericht unter die »klassischen Ideologieformen des antisemitismus« (→ Definition) gezählt werden.

Sekundärer Antisemitismus

Hier werden Aussagen in Bezug auf den Holocaust ver-wendet, die Juden ein Ausnutzen der Position als Verfolgte unterstellen. Es wird in diesem Zusammenhang häufig eine Täter-Opfer-Umkehr deutlich. Außerdem wird in einigen Studien hierunter auch die Forderung nach einem Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit der natio-nalsozialistischen Vergangenheit bzw. mit dem Holocaust summiert.

Israelbezogener Antisemitismus175

Dieser wird üblicherweise mit Aussagen erfasst, die eine Kritik an der Politik Israels unter Verwendung antise-mitischer Bezüge äußern. Dazu gehört u. a. die Verwen-dung antisemitischer Assoziationen, die Kennzeichnung einer als negativ bewerteten Politik Israels als »typisch jüdisch« und die daraus abgeleitete Rechtfertigung der Abneigung gegenüber Juden, der Vergleich Israels mit dem National sozialismus und das Infragestellen der Existenz-berechtigung Israels. Die Studien des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) versuchen, von dieser antisemitischen Israelfeindlichkeit eine nicht-antisemitische Kritik an der Politik Israels abzugrenzen. Empirisch lässt sich eine solche Abgrenzung weitgehend nachvollziehen und bestätigen.176 Die Nacher-hebung der Mitte-Studie 2014 der FES legt zudem nahe, dass die hohe Emotionalität, die in den für die Kritik an Israel verwendeten Items zum Ausdruck kommt, durch-aus als ein Zeichen von Antisemitismus gewertet werden kann. Insbesondere das Item »Ich werde wütend, wenn ich daran denke, wie Israel die Palästinenser behandelt«

zeigt eine Doppelladung auch auf dem Faktor Antisemi-tismus.177

4.1.2 Messen alle Fragen/Items tatsächlich Antisemitismus?

Die Fragen/Items, die zur Erfassung von antisemitischen Einstellungen verwendet werden, sind in der Regel auf ihre Zuverlässigkeit und Gültigkeit hin geprüft, d. h.

175 Dies ist der in den GMF-studien benutzte Begriff. Im 1. Kapitel dieses Berichts wird für diese Form des antisemitismus der Begriff »antizionistischer antisemitismus« benutzt.

176 Die 5-faktorielle Faktorenstruktur wurde mithilfe einer simultanen konfirmatorischen Faktorenanalysen anhand der Daten der nacherhebung zur Fes-Mitte-studie 2014 geprüft. Der Modellfit ist befriedigend (cFI=.966;

rMsea=.060; Pclose =.174; srMr=.044). Die Faktorladungen liegen zwischen .61 und .82; siehe dazu auch aribert heyder/Julia Iser/Peter schmidt, Israel-kritik oder antisemitismus? Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und tabus, in: wilhelm heitmeyer (hrsg.), Deutsche zustände. Folge 3, Frank-furt a. M. 2005, s. 144–165. zu diesem ergebnis kommt auch das Forschungs-projekt von wilhelm Kempf, Israelkritik zwischen antisemitismus und Men-schenrechtsidee. eine spurensuche, Berlin 2015.

177 siehe expertise zick u. a. 2016, s. 37.

sie messen recht gut das, was sie vorgeben zu messen.

Dennoch können einzelne Fragen/Items von einigen der Befragten anders als intendiert verstanden werden und eine Zustimmung dann nicht zwingend antisemitische Einstellungen widerspiegeln. Aus diesem Grund werden bei der Operationalisierung üblicherweise immer mehrere Items, die das gleiche Konstrukt messen sollen, zu einer Skala zusammengefasst und diese statistisch auf ihre Qualität hin geprüft (z. B. werden die Antworten auf drei Items, die sekundären Antisemitismus erfassen, zu einer reliablen Mittelwert-Skala »sekundärer Antisemitismus«

zusammengefasst).

Zweifel, ob eine Zustimmung immer berechtigterweise als ein Indiz für antisemitische Einstellungen gewertet werden kann, zeigen sich v. a. bei Aussagen im Bereich des sekundären Antisemitismus. Dies gilt z. B. für das Item:

»Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden.«

Hier wird argumentiert, dass Befragte schlicht überdrüs-sig sind, mit dem schrecklichen Thema der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden konfrontiert zu werden. Es könnte aber auch eine Verschiebung der Bedeutung dieses Items über die Generationen stattge-funden haben: Während bei Älteren eine Verärgerung über die Konfrontation mit der Verfolgung und Ermor-dung gegebenenfalls noch aus Antisemitismus gespeist war, mag dies bei der jüngeren Generation heute nicht mehr der Fall sein.178 In der Tat findet sich hierfür auch empirische Bestätigung.179 Dennoch schwingen durch die Zustimmung zu Items, die Begriffe wie »Ärger« und »ich bin es leid« verwenden und damit aggressive Emotionen, die Generierung als »Opfer«180 sowie die Relativierung von Schuld beinhalten, antisemitische Einstellungen mit.

Hinterfragt wird auch, inwieweit sich in einer Kritik an der Politik Israels Antisemitismus spiegelt bzw. inwieweit eine nicht-antisemitische von einer antisemitischen »Isra-elkritik« durch die verwendeten Operationalisierungen trennscharf erfasst werden kann. Ein Beispiel hierfür ist

178 In der studie der Bertelsmann stiftung von 2015 stimmten hier 79 Pro-zent der 18–29-Jährigen und 71  Pro79 Pro-zent der 30–39-jährigen, hingegen nur 58 Prozent der über 60-Jährigen zu. antisemitischen aussagen stimmten aber die jüngeren altersgruppen deutlich seltener zu als die ältesten Kohorten (stef-fen hagemann/roby nathanson, Deutschland und Israel heute. verbindende vergangenheit, trennende Gegenwart, Güthersloh 2015, s. 26 und 41).

179 eigene auswertungen der Fes-nacherhebung 2014 für den vorliegen-den Bericht zeigen bei jungen Befragten unter 30 Jahren eine deutlich schwä-chere ladung der beiden Items, die zur erfassung der Forderung nach einem schlussstrich verwendet wurden, auf dem Faktor »antisemitismus«, als dies bei Befragten ab 30 Jahren der Fall ist. anders gesagt: Die Forderung nach einem schlussstrich hängt bei Jüngeren deutlich weniger mit anderen aussagen zum antisemitismus zusammen als bei älteren (verwendete Items zur erfassung der Forderung nach einem schlussstrich: »Ich ärgere mich darüber, dass den

179 eigene auswertungen der Fes-nacherhebung 2014 für den vorliegen-den Bericht zeigen bei jungen Befragten unter 30 Jahren eine deutlich schwä-chere ladung der beiden Items, die zur erfassung der Forderung nach einem schlussstrich verwendet wurden, auf dem Faktor »antisemitismus«, als dies bei Befragten ab 30 Jahren der Fall ist. anders gesagt: Die Forderung nach einem schlussstrich hängt bei Jüngeren deutlich weniger mit anderen aussagen zum antisemitismus zusammen als bei älteren (verwendete Items zur erfassung der Forderung nach einem schlussstrich: »Ich ärgere mich darüber, dass den