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Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Mahnwachen – Ergebnisse einer Befragung

Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD)

8.2 Montagsmahnwachen für den Frieden

8.2.3 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Mahnwachen – Ergebnisse einer Befragung

Auf den Mahnwachen für den Frieden versammeln sich laut der Zeit »die unterschiedlichsten Systemgegner«,622 die neben einem Gefühl der politischen Ohnmacht die Ansicht teilen, dass »etwas schief läuft auf der Welt«.

Der Publizist Wolfgang Storz benennt in einem Artikel im Neuen Deutschland die Netzwerke, die die Montags-mahnwachen organisieren. Sie bestehen seiner Meinung nach aus zahllosen untereinander verknüpften Blogs und Videoportalen, zu denen er die rechten und verschwö-rungstheoretischen Publikationen des Kopp-Verlages und das Monatsmagazin Compact zählt.623 Die Bewegung insgesamt wird aber als zu heterogen eingeschätzt, um als eindeutig neurechte Bewegung gelten zu können.624 Von Kritikern wird zwar konzediert, dass nicht alle

622 thurm, Die ganz eigene welt der Montagsdemonstranten.

623 wolfgang storz, Die Unterschiede klarer machen wo hört emanzipa-torische Kritik auf und wo fängt anti-aufklärung an?, in: neues Deutschland, 19. 12. 2014. Inhaltlich sieht er diese netzwerke über folgende themen ver-bunden: »Deutschland ist nicht souverän. Die Usa sind das Gegenteil eines vorbildes. Die Massenmedien lügen und manipulieren. Deutsche dürfen die israelische regierung nicht kritisieren. Die eU-Bürokratie ist undemokratisch, der euro ein Irrweg. Die Finanzmärkte beherrschen alles.«

624 Der rechtsextremismus-Forscher alexander häusler warnte am 23. 4. 2014 davor, den einfluss neurechter Kräfte auf die neue »Friedensbewe-gung« zu überschätzen: »Dahinter steckt keine organisierte neue Kraft, und auch diese Initiativen von rechts, dieses thema Frieden zu instrumentalisieren ist nichts neues.« http://www.deutschlandfunk.de/montagsdemos-ein-bisschen- frieden.1818.de.html?dram:article_id=283526 (eingesehen 13. 9. 2016).

Teilnehmerinnen und Teilnehmer als rechtsoffen oder rechtsextrem einzuschätzen sind, dass sich aber auf den Montagsdemonstrationen »ein für die Neue Rechte ideales Feld zur Diskursverschiebung nach rechts bietet«, indem sie auf emanzipatorische Ansätze nationalistische und verschwörungstheoretische Antworten gebe.625 Dies folge einer Querfrontstrategie, mit der die Neue Rechte an linke Diskurse und Themen (wie Frieden, Kapitalismuskritik etc. ) anzuschließen versucht, um sie mit eigenen Konzep-ten zu vereinen. Entsprechend zeigen die in der empiri-schen Untersuchung »Occupy Frieden« von Daphi u. a.626 erhobenen Anliegen der Mahnwachen-Demonstranten, dass die Themenschwerpunkte Frieden, Menschenrechte, Geld- und Medienkritik politisch von links nach rechts breit anschlussfähig sind und ein eher rechtes Thema wie

625 Bruns/strobl, (anti)emanzipatorische antworten, s. 212.

626 Methodisch handelt es sich um eine Online-Befragung in Berlin, Dort-mund, Bremen, Frankfurt a. M., erfurt, Jena und Bonn. auf den Mahnwachen wurden am 26. 5. bzw. 2. 6. 2014 handzettel an die teilnehmer mit der auffor-derung verteilt, sich online an der Befragung zu beteiligen. ein scanbarer Qr-code sicherte, dass nur teilnehmer der veranstaltungen auch an der Umfrage teilnehmen konnten. Die in der studie präsentierten Daten stützen sich nur auf die Berliner Mahnwache, da hier immerhin 33 Prozent der Protestierenden teilgenommen hatten, während die rücklaufquote in den anderen städten nur ein zehntel der teilnehmer betrug. Die soziale zusammensetzung unterschied sich an den anderen Umfrageorten aber nicht von der in Berlin. Die verfasser sehen die Berliner rücklaufquote bei Online-Befragungen im oberen Bereich.

eine gewisse verzerrung liegt darin, dass intensive Internetnutzer eher jung und männlich sind (Daphi u. a., Occupy Frieden, s. 6 f, tab. 1 zu den eckdaten der Befragungen).

nationalismus Politische aktivierung Umwelt sonstiges verhaltensänderung Demokratie Kapitalismuskritik Gemeinschaft Geldkritik Menschenrechte Gerechtigkeit Medien Frieden

0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

■ anliegen der

Mahnwachen allgemein

■ Persönliche anliegen

(Quelle: Daphi u. a., s. 15)

Nationalismus als Anliegen kaum Zustimmung findet (Abb. 8.1).627

Entsprechend entwickelten sich die Montagsmahnwachen zu einem Sammelbecken ganz unterschiedlicher Strö-mungen. Daphi u. a. betonen für die frühe Phase der Mon-tagsmahnwachen ein »Moment des weiterhin Unklaren und Unbestimmten«, das sich mit den herkömmlichen Links-Rechts-Unterscheidungen nicht mehr ausreichend erklären ließe.628 In der Befragung im Juni 2014 lehnten 39 Prozent das Rechts-Links-Schema generell ab, 38 Pro-zent verorteten sich politisch eher links, 22 Pro38 Pro-zent sahen sich in der politischen Mitte, nur zwei Prozent rechts der Mitte. Mit dieser Linkslastigkeit unterscheiden sich die Mahnwachen nicht von anderen heterogenen Protesten wie Stuttgart 21 oder der Occupy-Bewegung. Schaut man auf die Parteipräferenzen, so gaben 42,6 Prozent an, sie hätten bei der Bundestagswahl 2013 die Partei Die Linke gewählt, 15,4 Prozent nannten die Piratenpartei, 12,8 Prozent die AfD und 12,2 Prozent die Grünen. Ein Drittel ordnete sich den Nichtwählern zu, während die beiden Regierungsparteien SPD und CDU zusammen auf nur sieben Prozent kamen.629 Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zur öffentlichen Diskussion über die Mahn-wachen, die als Belege für rechte und auch antisemitische Tendenzen Ausschnitte aus Reden, Transparente sowie Äußerungen auf Internetvideos prominenter rechtslas-tiger Verschwörungstheoretiker heranzieht und auf die Aufrufe zur Teilnahme seitens rechtsextremer Organisati-onen und Parteien verweist.630 Die Befragung ergab somit ein »anderes, ambivalentes Bild«.631 In der Befragung

»Occupy Frieden« wurden aus den sechs Elementen des Fragebogens zur »Rechtsextremen Einstellung – Leipziger Form (FR-LF)« vier ausgewählt und den Demonstranten vorgelegt:

627 ebenda, s. 15.

628 ebenda, s. 7.

629 ebenda, s. 18.

630 In der leipziger-Mitte-studie 2016 von Oliver Decker/Johannes Kiess/

elmar Brähler (hrsg.), Die enthemmte Mitte. autoritäre und rechtsextreme ein-stellung in Deutschland, Gießen 2016, s. 92 ergibt sich bei der aufschlüsselung der in der studie erhobenen »verschwörungsmentalität« nach Parteipräferenz, dass sich diese Mentalität gerade unter den wählern der afD (65,3 Prozent), der linken (44,6 Prozent) und unter nichtwählern (37 Prozent) findet, denen sich ein großer teil der Montagsmahnwachen-teilnehmer zurechnete. Für die übrigen Bundestagsparteien lagen die werte zwischen 26 und 28 Prozent.

631 Daphi u. a., Occupy Frieden, s. 18.

Abb. 8.2: Anteil rechtsextrem eingestellter Personen (in Prozent)

Teilnehmer/innen an den

Montags-mahnwachen

Gesamtbevölkerung nach der Mitte-Studie von 2014 Befürwortung

Diktatur 3,9  3,6

Chauvinismus 1,1 13,6

Antisemitismus 1,5  5,1

Verharmlosung

des NS 1,9  2,2

Rechtsextremes

Weltbild 0,8  5,6

Quellen: Daphi u. a., Occupy Frieden, s. 21; Oliver Decker/

Johannes Kiess/elmar Brähler (hrsg.), Die stabilisierte Mitte.

rechtsextreme einstellung in Deutschland 2014, leipzig 2014.

Die vorstehende Abbildung zeigt, dass die befragten Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Mahnwachen mit einer Ausnahme (Befürwortung einer Diktatur) den Dimensionen einer rechtsextremen Einstellung selte-ner zustimmten als der Bevölkerungsdurchschnitt. Dies gilt auch für antisemitische Einstellungen, die mit zwei Aussagen gemessen wurden. Der als verschwörungstheo-retisch zu interpretierenden Aussage »Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß« stimmten nur 2,1 Prozent überwiegend oder ganz zu, weitere 3,2 Prozent wählten die Antwort »stimme teils zu, teils nicht zu« (11,7 Prozent und 21,4 Prozent der Gesamtbevölkerung).632 Ein zweites Item

»Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen« erfährt eine höhere Zustimmung: Immerhin 8,9 Prozent stimmen hier überwiegend oder ganz zu, weitere 15,8 Prozent waren unentschieden (teils/teils) (10,3 Prozent und 18,8 Prozent der Gesamtbevölkerung).633 Diese und andere rechtsex-treme Aussagen stießen aber mehrheitlich auf Ableh-nung. Der Anteil der Befragten mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild lag 2014 also bei den Mahnwa-chen-Teilnehmern niedriger als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Anders sieht es hingegen bei Fragen aus, die

»nicht zwingend rechtslastig« sein müssen, sondern auch

»teilweise in anderen politischen Kontexten anschlussfä-hig« sind (Abb. 8.3).634

632 Oliver Decker/Johannes Kiess/elmar Brähler (hrsg.), Die stabilisierte Mit-te. rechtsextreme einstellung in Deutschland 2014, leipzig 2014, s. 32.

633 ebenda.

634 Daphi u. a., Occupy Frieden, s. 22.

antIseMItIsMUs In POlItIschen BeweGUnGen UnD OrGanIsatIOnen | 169

Abb. 8.3: Zustimmung zu Aussagen aus dem Kontext der Montagsmahnwachen (in Prozent)

Lehne völlig ab Lehne überw.

ab teils/teils Stimme überw.

zu Stimme voll zu

»amerika bzw. das amerikanische Militär ist nichts als der Knüppel der FeD (Us-notenbank)«

 1,4  7,5 39,4 30,5 21.1

»Die BrD ist kein souveräner

staat«  5,1  9,5 20,0 24,4 37,1

»Die zionisten haben sich weltweit an die hebel der Macht gesetzt und lassen nun Politik, Börse und auch die Medien nach ihrer Pfeife tanzen«

37,5 15,5 19,7 14,0 13,3

»Friedensaktive werden derzeit von einer nahezu gleichgeschalteten Presse in die rechte ecke gestellt«

 3,0  0,7  7,4 37,1 51,8

Die Friedenaktivisten, die sich nahezu alle von den Mainstream-Medien in die »rechte Ecke gestellt« sehen,635 stimmen hier in hoher Zahl Aussagen zu, die ein starkes Misstrauen in die Macht einer eigenständigen staatlichen Politik, sei es der USA oder der Bundesrepublik, belegen und eine hohe Affinität zu verschwörungstheoretischen Annahmen über die Macht des Finanzkapitals (FED) und der hier als Zionisten camouflierten Juden aufweisen.636 Der empirische Befund, dass eine Diktatur als die »bes-sere Staatsform« mit großer Mehrheit abgelehnt wird (92 Prozent) und 96,6 Prozent die »Idee der Demokratie«

wertschätzen, man aber eine starke Führungspersönlich-keit, die »Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert«, nur zu 37,2 Prozent und damit seltener ablehnt als in der Gesamtbevölkerung, zeigt den Wunsch nach einer eigenständigen nationalen Politik. »Offensichtlich befeuert die Unzufriedenheit mit der real erfahrenen Demokratie […] auch autoritär-populistische Optionen«.637 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Montags-mahnwachen zeichnet eine große Skepsis gegenüber dem

635 Die autoren von »Occupy Frieden« weisen in diesem zusammenhang auf die tatsache hin, dass die umfangreich dokumentierten problematischen aussagen im Kontext der Mahnwachen und die darauf fußende Kritik von den Befragten mehrheitlich als ungerechtfertigt abgewiesen wurden – nur 8 Pro-zent gaben zu, dass die Kritik berechtigt sei. Dies zeigt eine abschottung der Mahnwachen-Bewegung nach außen (Daphi u. a., Occupy Frieden, s. 24).

636 Die aussage über den »zu großen einfluss der Juden« hatten 95,6 Pro-zent der Befragten verneint, setzt man statt Juden aber den Begriff »zionisten«

ein, der eine verbindung zu Israel herstellt, dann wird die aussage über deren

»weltweite Macht« nur von 53 Prozent abgelehnt. Diese verschiebung bezeich-nen werner Bergmann/rainer erb als »Umwegkommunikation«, da in Bezug auf Israelis/zionisten antisemitische einstellungen offener kommuniziert wer-den (Kommunikationslatenz, Moral und öffentliche Meinung. theoretische Überlegungen zum antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland, in:

Kölner zeitschrift für soziologie und sozialpsychologie, 38 (1986) 2, s. 223–246.

637 Daphi u. a., Occupy Frieden, s. 20, tab.4.

Funktionieren des politischen Systems in Deutschland aus. 93,9 Prozent widersprechen eher oder völlig der Ansicht, dieses funktioniere gut, und 76,8 Prozent sehen sich als politisch ohnmächtig an und haben ihrer Mei-nung nach keinen Einfluss auf das Handeln der Regie-rung.638 Das Misstrauen von Mahnwachen-Teilnehmern gegenüber etablierten Institutionen ist entsprechend stark ausgeprägt und liegt höher als in der Bevölkerung insgesamt. Eine skeptische Einschätzung des politischen Systems sowie ein großes Misstrauen in Institutionen zeichnet v. a. die aus, die von den Autoren der »Occupy Frieden«-Studie als Kerngruppe der Teilnehmer charakte-risiert werden. In ihrem Fazit konstatieren die Autoren der Studie, dass viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer parteipolitisch zur Linken, aber auch überdurchschnittlich häufig zur AfD tendieren, dass es aber »einen deutlichen Wunsch nach Abgrenzung von der extremen Rechten und den Widerspruch zu der Darstellung als ›neurechte Bewegung‹« gibt.639 Es sind, in gewissem Widerspruch dazu, aber auch »hohe Zustimmungsraten zu antisemiti-schen, antiamerikanischen und autoritären Aussagen« zu konstatieren, doch finden sich nur bei einer Minderheit rechtsextreme Einstellungsfragmente, ohne sich zu einem konsistenten rechten Weltbild zu formieren.640

638 ebenda, s. 25.

639 ebenda, s. 28.

640 ebenda.

8.2.4 Zum Antisemitismus in der Friedenbewegung