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Probleme bei der erfassung und justiziellen Bearbeitung

Besuchte Einrichtungen in London

3 Antisemitisch motivierte Straftaten

3.1 Probleme bei der erfassung und justiziellen Bearbeitung

der straftaten

Kriterien der Erfassungspraxis politisch motivierter Straftaten und damit auch der Teilmenge antisemitisch motivierter Fälle sind seit Längerem Gegenstand der Kritik und haben bei den Polizeibehörden und im Bundesmi-nisterium des Innern (BMI) Anlass zur Diskussion über Verbesserungsmöglichkeiten gegeben.50 Die Einführung des neuen Definitionssystems »Politisch motivierte Kriminalität« (PMK) ab 2001 stellt bereits eine Weiterent-wicklung der vorherigen Praxis dar, in der es primär um die Erfassung von Staatsschutzdelikten ging, die das Ziel einer Überwindung des demokratischen Systems ver-folgten und deshalb als extremistisch eingestuft wurden.

Fremdenfeindliche oder antisemitische Übergriffe wurden in diesem Zusammenhang häufig nicht als Staatsschutz-delikte gezählt. Diese Systematik hatte auch aufgrund der unterschiedlichen Erfassungspraxis in den einzelnen Bundesländern, v. a. aber wegen des seit den 1990er-Jah-ren zu beobachtenden Anstiegs fremdenfeindlicher und antisemitischer Straftaten die Entwicklung eines neuen Erfassungssystems erfordert, das eine adäquatere Erfas-sung sogenannter Hassverbrechen (»Hate Crimes«) oder auch »Vorurteilskriminalität« (»Bias Crimes«) ermögli-chen sollte.51 Das zentrale Erfassungskriterium ist nun die »politisch motivierte Tat«, d. h. die Erfassung orien-tiert sich nicht am Extremismus-Begriff, sondern an der tatauslösenden Motivation.52 Dabei darf die polizeiliche Bezeichnung »politisch motivierte Kriminalität« »nicht als Aussage über einen psychologischen Sachverhalt bei den Tatverdächtigen« verstanden werden, »sondern als eine tatbezogene Klassifizierung«, der eine »politi-sche Relevanz zugewiesen« wird.53 Politisch motivierte Straftaten werden nach den zugrundeliegenden Motiven einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet, die wiederum polizeistatistische Kategorien und keine wis-senschaftlich-analytischen Unterscheidungen darstellen.

»Diese Themenfelder sind in einem bundeseinheitlichen Katalog festgelegt und bilden somit die Grundlage für die

50 ein Mitarbeiter des BKa hält eine regelmäßige Kontrolle und evaluation des neuen Definitionssystems und der Bewertungspraxis für unabdingbar, um die Glaubwürdigkeit der statistik zu erhöhen. vgl. Jens Peter singer, erfassung der politisch motivierten Kriminalität in einem neuen Definitionssystem mit mehrdimensionalen analysemöglichkeiten, in: Kriminalistik, 1 (2004), s. 35.

51 ebenda, s. 33 f.

52 Innerhalb dieser Phänomenbereiche wird zusätzlich unterschieden zwi-schen straftaten mit und ohne extremistischem hintergrund, d. h. es differieren die zahlen etwa für den Phänomenbereich PMK-rechts (2015: 22.960 Fälle) und für die ebenfalls darunter fallenden, aber enger gefassten rechtsextremisti-schen straftaten (2015: 21.933 Fälle). Die abschließende entscheidung über die einstufung als extremistisch liegt bei den landeskriminalämtern.

53 Michael Kohlstruck, zur aktuellen Debatte um politische Gewalt in der Metropole Berlin, in: Friedrich ebert stiftung, expertisen für Demokratie, 2 (2010), s. 4.

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einheitliche Erfassung und Auswertung.«54 Dieser sehr detaillierte Themenfeldkatalog (Themenfeldkatalog zur KTA-PMK) unterliegt einer ständigen Revision, um so auch aktuelle Entwicklungen erfassen zu können.55 Der Gliederung dieses Themenfeldkatalogs folgt auch die Aus-füllanleitung des Bundeskriminalamts, die die Polizei für ihre »kriminaltaktische Anfrage« (KTA) in den PMK-Fällen nutzt.

Das neue System der »Richtlinien für den Kriminalpolizei-lichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Krimi-nalität« (KPMD-PMK) erfasst nun neben den klassischen Staatsschutzdelikten und extremistischen Straftaten auch Hass- oder Vorurteilskriminalität.56 Die neue Erfassungs-systematik bietet nach Einschätzung des BKA-Beamten Jens Peter Singer nun mehrdimensionale Analysemög-lichkeiten nach der Qualität des Delikts, nach objektiven thematischen Zuordnungen, nach subjektivem Tathin-tergrund u. a.57 Es sind nun auch Mehrfachnennungen bei Straftaten möglich. Bei der Themenfeldauswertung ist deshalb zu beachten, dass durch eine Addition von Mehr-fachnennungen deren Zahl in der Regel höher ausfällt als die der tatsächlich begangenen Taten. Wegen des neuen Erfassungssystems sind die neueren Zahlen mit den vor 2001 ermittelten nicht mehr vergleichbar. Wird mit den Mehrfachnennungen eine verbesserte Erfassung antise-mitischer Straftaten möglich, so ist dennoch nach wie vor von einem, in seinem Ausmaß nur schwer einzuschätzen-den Dunkelfeld auszugehen. Man darf also die Zahlen der PMK-Statistik nicht als Abbild der Realität missverstehen, vielmehr ist aufgrund des Aufbaus des PMK-Erfassungs-systems und der Routinen der polizeilichen Erhebungs-praxis mit einer systematischen Unterschätzung antisemi-tischer Vorfälle zu rechnen.58 Zum genaueren Verständnis der polizeilichen Statistik ist eine Reihe von Punkten zu beachten:

ºDie Polizei kann nur solche Straftaten erfassen, die sie entweder selbst ermittelt hat oder die ihr von drit-ter Seite bekannt gemacht werden. D. h. wir haben es auch hier, wie bei allen Formen von Kriminalität, mit dem Hellfeld-Dunkelfeld-Problem zu tun. Eine Ursache ist das sogenannte Underreporting, d. h. viele

54 landtag nordrhein-westfalen, 16. wahlperiode, Drucksache 16/7997 vom 26. 2. 2015, s. 2.

55 vgl. ebenda: eine Bund-länder arbeitsgruppe unter leitung des BKa überprüft derzeit unter Mitwirkung von experten aus wissenschaft und zivil-gesellschaft das Definitionssystem PMK und den themenfeldkatalog zur Kat-PMK.

56 Kati lang, vorurteilskriminalität. eine Untersuchung vorurteilsmotivierter taten im strafrecht und deren verfolgung durch Polizei, staatsanwaltschaft und Gerichte1, Baden-Baden 2014, s. 54. Dort findet sich auch eine Übersicht über die Geschichte der registrierung politischer Kriminalität in der Bundesrepublik seit 1949 (s. 53 ff.).

57 singer, erfassung der politisch motivierten Kriminalität, s. 34.

58 vgl. Kohlstruck/Ullrich, antisemitismus als Problem und symbol, s. 31.

antisemitische Straftaten werden von den Betroffenen oder Zeugen nicht angezeigt. Dies kann unterschiedli-che Gründe haben, etwa »Angst vor Repressalien durch die Täter, Verdrängungs- und Selbstaufarbeitungsas-pekte oder andere Hintergründe«. 59 Eine Studie der FRA aus dem Jahr 2013, in deren Rahmen Juden aus acht europäischen Ländern befragt wurden, zeigte, dass in Deutschland nur 28 Prozent derjenigen, die in den letzten fünf Jahren Opfer eines schweren antise-mitischen Übergriffs geworden sind, angaben, dies bei der Polizei oder einer anderen Organisation angezeigt zu haben.60 Damit liegt Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern leicht über dem Durchschnitt (23 Prozent). Nur zwei Prozent der Befrag-ten in diesen acht Ländern gaben an, dass die Tat von der Polizei selbst ermittelt oder von jemand Drittem angezeigt worden sei. Als Grund für dieses »Underre-porting« gaben 47 Prozent an, dass nach einer Anzeige nichts passieren würde oder sich doch nichts ändere;

27 Prozent gaben an, dass sie den Vorfall nicht berich-tet hätten, da so etwas andauernd passiere, und für 18 Prozent war eine Anzeige zu bürokratisch und zeit-aufwändig (dazu s. u.).61 Eine 2016 für den zweiten UEA durchgeführte Befragung von Juden in Deutschland ergibt ein ähnliches Bild. Nur 23 Prozent gaben hier an, Vorfälle bei der Polizei, einer Beschwerdestelle oder der Gemeinde gemeldet zu haben.62 Anzeigen können aber auch deshalb ausbleiben, weil bestimmte Arten antise-mitischer Straftaten, etwa Schmierereien und andere Propagandadelikte, kein direktes Opfer haben, das eine Anzeige erstatten könnte. Eine seriöse Schätzung über das Dunkelfeld antisemitischer Straftaten ist nicht möglich, da – wie die obige Befragung tatsächlicher wie potenzieller Opfer zeigt – ganz unterschiedliche Faktoren das Anzeigeverhalten wie auch die Intensität der polizeilichen Ermittlungen (etwa die Schwere einer Tat) beeinflussen.63

º Die Zahl der tatsächlichen antisemitischen Vorfälle wird auch dadurch systematisch unterschätzt, dass bei jedem Vorfall, bei dem es zu mehreren Delikten gekommen ist (z. B. Beleidigung, Raub, Körperverletzung), nur das

59 lang, vorurteilskriminalität, s. 464 f.

60 vgl. european Union agency for Fundamental rights (Fra), Diskriminie-rung und hasskriminalität gegenüber Juden in den eU-Mitgliedsstaaten: erfah-rungen und wahrnehmungen im zusammenhang mit antisemitismus, 2013. In der studie von Kohlstruck/Ullrich (antisemitismus als Problem und symbol, s. 32) gaben Interviewte an, dass sich Opfer antisemitischer vorfälle nicht an die Polizei oder Opferberatungsstellen wandten, sondern eher an die Jüdischen Gemeinden.

61 Fra-studie, 2013, abb. 24, s. 50 und abb. 25, s. 51.

62 andreas zick/andreas hövermann/silke Jensen/Julia Bernstein, Jüdische Perspektiven auf antisemitismus in Deutschland. ein studienbericht für den expertenrat antisemitismus, aussagen zum coping, s. 29 ff.

63 vgl. Uwe Dörmann, zahlen sprechen nicht für sich. aufsätze zu Krimi-nalstatistik, Dunkelfeld und sicherheitsgefühl aus drei Jahrzehnten, München 2004.

Delikt mit der höchsten Strafandrohung gezählt wird.

Damit gehen alle anderen Delikte nicht in die polizei-liche Statistik ein. Insbesondere bei kollektiven Hand-lungen, wie Demonstrationen, ist die genaue Anzahl der begangenen Straftaten daher kaum angemessen zu ermitteln.

º Die Einordnung einer Straftat als antisemitisch hängt von der Wahrnehmung und von den Kriterien ab, nach denen eine Tat eingestuft wird. Es handelt sich also um das »Problem der Motivklärung«64, das die Entwicklung eines Problembewusstseins voraussetzt. Hier hat sich in den letzten Jahren durchaus eine Weiterentwicklung gezeigt. Dennoch ist eine fortdauernde Verbesserung der Erhebungsmethoden und eine Anpassung der Erfassungskriterien an neue Problemlagen nötig. Im Fall antiisraelischer Straftaten werden etwa seit Kurzem

»Straftaten im Zusammenhang mit dem Israel-Palästi-nenser-Konflikt« teils im Themenfeld »Hasskriminali-tät – Unterthema: antisemitisch«, teils im Themenfeld

»Bürgerkriege/Krisenherde – Unterthema Israel-Paläs-tinenser-Konflikt« noch einmal gesondert erfasst, dabei gibt es in den Erläuterungen zu den Themenfeldern keinerlei Hinweis, wann Straftaten in diesem Kontext als antisemitisch eingestuft werden müssen. Es hängt letztlich von den Erfahrungen, der Sensibilität und dem thematischen Kenntnisstand der ermittelnden Beamten ab, ob eine antisemitische Straftat als solche erkannt und korrekt klassifiziert wird.65 Dies kann besonders schwierig sein, wenn es darum geht, bestimmte wenig bekannte rechtsextremistische oder von ausländi-schen Organisationen verwendete Symbole sowie nicht-deutschsprachige Äußerungen in ihrem antisemi-tischen Sinngehalt zu erfassen.66 Da für die Einstufung einer Tat als antisemitisch allein die Einstellung des Täters bzw. der Täterin entscheidend ist, können auch gegen nichtjüdische Personen oder Einrichtungen gerichtete Taten bei entsprechend nachgewiesener Motivation als antisemitisch bewertet werden.67 Die Einstufung der Tätermotivation steht jedoch vor dem Problem, dass in vielen Fällen, etwa bei Schmierereien,

64 Kohlstruck/Ullrich, antisemitismus als Problem und symbol, s. 31.

65 BMI, Fachgespräch des Uea mit dem referat Ös II 3 am 2. 6. 2015. Dass gerade hinsichtlich der Kritik an der Politik Israels die Unterscheidung zwischen scharfer Kritik und als antisemitisch zu wertenden aussagen in der Öffentlich-keit umstritten ist, zeigt u. a. das Beispiel der → augstein-Debatte in diesem Be-richt. Ob die Polizei in der lage ist, hier immer eine klare zuordnung zu treffen, muss bezweifelt werden.

66 Kohlstruck/Ullrich, antisemitismus als Problem und symbol, s. 32.

67 vgl. dazu rIas, antisemitische vorfälle in Berlin. Bericht 2015, s. 6: Im Fall der 183 registrierten Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien waren 96 Personen davon betroffen, wobei 48 (50 Prozent) als Juden, Jüdinnen, Israelis oder vertreter jüdischer Institutionen adressiert wurden. ziel der Übergriffe waren aber auch Personen, die für ihr erinnerungspolitisches engagement an-gegriffen wurden (6), Polizeibeamte (2), Journalisten (2) und Politiker (1). acht Personen wurden bedroht oder beleidigt, weil sie sich gegen zuvor geäußerten antisemitismus gewandt oder englisch gesprochen hatten. Bei 18 Personen war nicht bekannt, ob sie einen jüdischen hintergrund hatten.

keine Täter ermittelt werden können, sodass die Tat-motivation indirekt durch eine hypothetische Motiva-tionsunterstellung erschlossen werden muss.68 In der kriminologischen wissenschaftlichen Literatur wird das neue Erfassungssystem in mehrerlei Hinsicht als unzureichend kritisiert:

ƒ Das Klassifikationssystem sowie die ihm folgende Zuordnungspraxis sind »von kategorialen Disparitä-ten geprägt«.69 In der Polizei wirke weiterhin das alte Extremismuskonzept handlungsleitend, wodurch das Erkennen vorurteilsmotivierter Straftaten, die sich jenseits »des klassischen Musters rechtsextremer Tat-begehung bewegen«, erschwert werde.70 Dies betrifft v. a. die Zuordnung zum Phänomenbereich »rechts«, die vorgenommen wird, sobald Bezüge zum Natio-nalsozialismus zu erkennen sind. Dies stellt nicht in Rechnung, dass NS-Symbole ein allgemeines, Juden-feindlichkeit zwar indizierendes, aber auch generell diffamierendes Mittel sind, dessen sich auch politisch nicht weit rechts stehende Täterinnen und Täter bedienen. Fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten werden grundsätzlich immer dann dem Phänomenbereich PMK-Rechts zugeordnet, wenn keine weiteren Spezifika erkennbar sind (z. B. nur der Schriftzug »Juden raus«) und zu denen keine Tatver-dächtigen bekannt geworden sind.71 Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild über die Tatmotivation und den Täterkreis.

ƒ Die Polizei neigt zu Vermeidungsstrategien und verweist selbst bei der Offensichtlichkeit des Tatmo-tivs häufig auf alternative, nicht politische Tathinter-gründe. Als Beispiel wird hier auf die große Diskre-panz zwischen der von den Behörden genannten Zahl von Todesopfern rechter Gewalt und den von Journa-listen und NGOs gezählten Fällen hingewiesen.72 In einigen Bundesländern sind Forschungsaufträge an

68 selbst im Fall von physischen Übergriffen und Drohungen ist die ermitt-lung der täter und tatmotive schwierig, da sich die Mehrzahl der taten auf der straße oder im öffentlichen nahverkehr ereignet. täter und Opfer kennen sich nicht, die tat findet unvermittelt statt und ist von kurzer Dauer. zeugen reagie-ren zumeist nicht auf den vorfall (rIas, antisemitische vorfälle in Berlin. Be-richt 2015, s. 5).

69 ebenda.

70 lang, vorurteilskriminalität, s. 464.

71 liegen anhaltspunkte dafür vor, dass die tat z. B. im zusammenhang mit dem nahostkonflikt verübt wurde (z. B. wenn eine antijüdische Beleidigung in verbindung mit dem schriftzug »Free Palestine« vorliegt), wird die tat dem Phänomenbereich »Politisch motivierte ausländerkriminalität« zugeordnet.

eine zuordnung zum Bereich »sonstige/nicht zuzuordnen« ist ebenfalls denk-bar, wenn sich aufgrund der Umstände der tat gar keine rückschlüsse auf die Motivation ziehen lassen. Diese Fälle sind jedoch eher die ausnahme.

72 so wird der Polizei von nGOs mangelnde Bereitschaft vorgeworfen, anti-semitische hintergründe von taten ernst zu nehmen und die sicht der Betrof-fenen einzubeziehen (Ben Mendelsohn, »Über ›normalrassisten‹ reden. Initia-tiven gegen rechts halten die statistik zu politisch motivierten straftaten für ungenügend«, in: neues Deutschland, 21. 10. 2013).

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unabhängige Experten ergangen, die diese umstritte-nen Fälle von 1990 bis 2007 noch einmal hinsichtlich ihrer Tatmotivation überprüfen sollten. Für das Land Brandenburg wurden 24 strittige Altfälle untersucht.

In acht Fällen wurden hier Tötungsdelikte nachträg-lich noch als politisch rechts-motiviert eingestuft, in weiteren sechs Fällen war bei der Tat kein politisches Motiv erkennbar, die Täter waren aber z. T. rechts-extrem/rassistisch eingestellt.73 In vier Fällen waren kein politisches Motiv und keine rechtsextreme Einstellung der Täter erkennbar. In fünf Fällen war die politische Motivation nicht mehr aufzuklären. Ein weiterer Fall konnte nicht kategorisiert werden.74 Die Studie kommt aber auch zu dem Schluss, dass das seit 2001 bestehende neue Erfassungssystem PMK-Rechts leistungsfähiger ist als das vorherige System.75

ƒ Als noch ausgeprägter werden die Anwendungsde-fizite in der bestehenden Strafzumessungsregelung durch die Justiz angesehen, da es keine eigenen Normierungen zu vorurteilsmotivierter Kriminalität (Hassverbrechen) gibt und die bisher vorgelegten Gesetzentwürfe als unzureichend bezeichnet wer-den.76 Nach den empirischen Ergebnissen von Kati Lang kann zumindest für die sächsische Justiz »weder im Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft noch im Rahmen der gerichtlichen Entscheidungen von einer stringenten Anwendung der Strafzu-messungsregelung« im Fall vorurteilsmotivierter Straftaten ausgegangen werden.77 Sie stellt fest,

73 vgl. zum land Brandenburg: Moses Mendelssohn zentrum Potsdam, Forschungsprojekt »Überprüfung umstrittener altfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt im land Brandenburg seit 1990«. abschlussbericht, vorge-legt von christoph Kopke und Gebhard schulz, Potsdam 2015. eine vergleich-bare Untersuchung für das land Berlin läuft derzeit als Forschungsprojekt im auftrag des lKa Berlin am zentrum für antisemitismusforschung, tU Berlin:

analyse und Bewertung von aufgeklärten tötungsdelikten in Berlin hinsichtlich ihres politischen charakters (1990–2013).

74 Die verfasser der studie betonen, dass »nur in wenigen Fällen [..] ein rechtsextremes oder rassistisches Motiv mit an sicherheit grenzender wahr-scheinlichkeit ausgeschlossen werden« konnte. vgl. christoph Kopke/Gebhard schulz, Überprüfung umstrittener altfälle rechtsextremer und rassistischer Ge-walt im land Brandenburg seit 1990, abschlussbericht, Potsdam 2015, s. 4.

75 ebenda, s. 5. so konnten alle untersuchten tötungsdelikte, die nach 2001 begangen wurden, als nicht nachweisbar politisch motiviert eingeordnet wer-den. eine weitere Ursache wird auch in einer gestiegenen sensibilität der Polizei gesehen.

76 lang, vorurteilskriminalität, s. 465. Die Gegner einer spezifischen gesetz-lichen regelung von »Bias crime« sind der auffassung, dass diese verbrechen nicht mehr Botschaften enthalten als andere straftaten auch. weiterhin wird auf die mangelnde generalpräventive wirksamkeit und die Gefahr eines Gesin-nungsstrafrechts verwiesen. Die Befürworter weisen auf die besondere Gefähr-lichkeit vorurteilsmotivierter straftaten hin, da diese sich nicht nur gegen eine einzelne Person sondern die gesamte Gruppe richteten und zudem die Grund-sätze des demokratischen Gemeinwesens infrage stellten. hinzu kommen die argumente des Opferschutzes und der signalfunktion der strafe (ebenda). Die Gegner einer spezifischen gesetzlichen regelung verweisen darauf, dass mit dem § 46 abs. 2 stGB eine Bestimmung vorliegt, die es erlaubt, die Beweggrün-de, ziele und die Gesinnung, die aus der tat spricht, bei der strafzumessung zu berücksichtigen (ebenda, s. 466).

77 ebenda, s. 466 f.

dass Hasskriminalität von Gerichten nur selten als erschwerender Umstand beurteilt wurde und es bei als rechtsmotiviert beurteilten Gewalttaten im Verlauf des Strafverfolgungsprozesses zu einer sukzessiven Abnahme der Bewertung als »vorurteilsmotiviert«

kam.78 Sie kommt zu dem Schluss, dass die Spezifik vorurteilsmotivierter Straftaten nicht erkannt wird, da keinerlei Bewertungsunterschiede im Vergleich zu anderen Formen der Gewaltkriminalität erkennbar sind.

ƒ Die BKA-Statistik ist eine Eingangsstatistik, d. h. es werden alle angezeigten Fälle mit entsprechend ermittelter oder unterstellter Tatmotivation gezählt.

Es fehlte jedoch bis vor Kurzem eine Übersicht über die Zahlen der Ermittlungsverfahren und der erfolgten Verurteilungen. Diese Lücke wurde erst 2016 durch die Veröffentlichung einer seit Langem vom Bundesamt für Justiz (BfJ) geführten Statistik über Verfahren wegen rechtsextremistischer/fremden-feindlicher Straftaten (darunter fallen auch antisemi-tische) geschlossen, in denen auch Zahl und Alter der Beschuldigten, die ergangenen Haftbefehle, Verurtei-lungen oder andere Entscheidungen zur Beendigung des Verfahrens aufgelistet werden.79 Für antisemiti-sche Straftaten liegt allerdings nur eine Auflistung der eingeleiteten Ermittlungsverfahren nach Bundes-ländern geordnet vor, die weiteren Spezifizierungen lassen sich für diese Straftaten somit nicht nachvoll-ziehen. Zu beachten ist auch, dass ein Ermittlungs-verfahren nicht in dem Jahr eingeleitet worden sein muss, in dem sich die Straftat ereignet hat, wie auch die abschließende Entscheidung wiederum nicht im selben Jahr wie die Eröffnung des Verfahrens liegen muss. So wichtig diese Statistik des Bundesamts für Justiz ist, so bildet sie nicht den Verlauf eines kon-kreten Verfahrens ab. D. h. zwischen dem Zeitpunkt des von der Polizei dokumentierten Geschehens und einem rechtskräftigen Urteil können lange Zeiträume liegen, in denen weitere Erkenntnisse über die Tat-motivation gewonnen werden können.80 Wenn solche Korrekturen der Polizei bekannt werden, kann sie den Fall neu bewerten und statistische Korrekturen vornehmen, sie ist aber nicht dazu verpflichtet, dem justiziellen Verlauf der ermittelten Fälle nachzugehen.

Insofern gibt es also keine systematische Rück-kopplung von abgeschlossenen Verfahren der Justiz

78 ebenda, s. 467. Die autorin macht in ihrer studie vorschläge zu einer än-derung einer ganzen reihe von strafnormen im strafrecht, strafprozessrecht usw. (s. 470 ff.).

79 Bundesamt für Justiz, erhebung der landesjustizverwaltungen über ver-fahren wegen rechtextremistischer/fremdenfeindlicher straftaten in der Bun-desrepublik Deutschland.

80 singer, erfassung der politisch motivierten Kriminalität, s. 35.

zur Polizei.81 Der Informationsaustausch zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei verläuft eher schlep-pend. Es wäre für die Information der Öffentlichkeit wünschenswert, wenn neben der Eingangsstatistik und der Zahl der eröffneten Ermittlungsverfahren sowie der der ermittelten Tatverdächtigen auch die Zahl der schließlich abgeurteilten Täterinnen und Täter, der Freisprüche bzw. der aus sonstigen Gründen eingestellten Verfahren bekannt gemacht würden.82 Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die PMK-Statistik eine Reihe teils behebbarer, teils redu-zierbarer, teils aber auch nicht zu ändernder Schwächen aufweist, sodass sie nur begrenzt zur Beurteilung der Verbreitung von Antisemitismus und entsprechenden Tätergruppen geeignet ist. Sie erfasst nur das polizeilich zu ermittelnde Hellfeld der Straftaten, sie verwendet ein nicht völlig trennscharfes Klassifikationssystem der Tätermotivation, und sie ist zudem auch nur bedingt aus-sagekräftig, was die diachrone Vergleichbarkeit der Zahlen betrifft, da externe Faktoren wie aktuelle Ereignisse, öffentliche Debatten oder Schulung der Polizisten den Grad der polizeilichen Aufmerksamkeit für antisemitische Straftaten beeinflussen können. Dennoch ist die PMK-Sta-tistik die einzige einheitlich erfolgende Datenerhebung auf einer breiten Informationsgrundlage. Es handelt sich deshalb um ein wichtiges Mittel der Beobachtung von Hasskriminalität und schafft die Voraussetzung ihrer Bestrafung.

zur Polizei.81 Der Informationsaustausch zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei verläuft eher schlep-pend. Es wäre für die Information der Öffentlichkeit wünschenswert, wenn neben der Eingangsstatistik und der Zahl der eröffneten Ermittlungsverfahren sowie der der ermittelten Tatverdächtigen auch die Zahl der schließlich abgeurteilten Täterinnen und Täter, der Freisprüche bzw. der aus sonstigen Gründen eingestellten Verfahren bekannt gemacht würden.82 Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die PMK-Statistik eine Reihe teils behebbarer, teils redu-zierbarer, teils aber auch nicht zu ändernder Schwächen aufweist, sodass sie nur begrenzt zur Beurteilung der Verbreitung von Antisemitismus und entsprechenden Tätergruppen geeignet ist. Sie erfasst nur das polizeilich zu ermittelnde Hellfeld der Straftaten, sie verwendet ein nicht völlig trennscharfes Klassifikationssystem der Tätermotivation, und sie ist zudem auch nur bedingt aus-sagekräftig, was die diachrone Vergleichbarkeit der Zahlen betrifft, da externe Faktoren wie aktuelle Ereignisse, öffentliche Debatten oder Schulung der Polizisten den Grad der polizeilichen Aufmerksamkeit für antisemitische Straftaten beeinflussen können. Dennoch ist die PMK-Sta-tistik die einzige einheitlich erfolgende Datenerhebung auf einer breiten Informationsgrundlage. Es handelt sich deshalb um ein wichtiges Mittel der Beobachtung von Hasskriminalität und schafft die Voraussetzung ihrer Bestrafung.