Den Straftaten im Unterthemenfeld »Israel-Palästinen-ser-Konflikt« (Abb. 3.4)113 wird nur jeweils zu einem Teil eine antisemitische Motivation zugeschrieben:114 Auch die Aufschlüsselung der Fallzahlen für die Quartale des Jahres 2014 belegt, dass das dritte Quartal, in das die Demonstrationen zum Gaza-Konflikt fielen, sowohl eine deutlich höhere Zahl antisemitischer Straftaten auf-weist als auch einen deutlich höheren Anteil von Tätern der Gruppen PMK-Ausländer und PMK-Sonstige. Diese Zusammenhänge gelten nicht nur für Straftaten insge-samt, sondern auch für die Gewalttaten. Hier zeigen sich
113 Quelle: Deutscher Bundestag, 18. wahlperiode, Drucksache 18/5758, s. 34.
114 Da die bisherigen themenfelder »antisemitisch« bzw. »Israel-Palästinen-ser-Konflikt« antiisraelische vorfälle nicht erfassen können, die ohne direkten Bezug zum Konflikt geäußert werden, hat das land Berlin empfohlen, ein the-menfeld bzw. Unterthethe-menfeld »antiisraelisch« einzuführen. Dies wurde von der Bund-länder-arbeitsgruppe abgelehnt, da man mit den bisherigen the-menfeldern eine trennscharfe erfassung der Fälle erreiche. Der empfehlung Berlins soll aber bei der Überarbeitung des Definitionssystems PMK gefolgt werden, indem das Unterthema »Israel-Palästinenser-Konflikt« in »Israel«
umbenannt werden soll, sodass alle auf Israel bezogenen politisch motivierten straftaten erfasst werden können.
für die Konfliktjahre 2002–2003, 2006, 2009 und 2014 deutliche Anstiege. So wurden 2014 von den 45 ermit-telten antisemitischen Gewalttaten 32 der PMK-Rechts zugeordnet, zwölf der »PMK-Ausländer«, ein Fall war linksextrem motiviert. In anderen Jahren zeigt sich eine wesentlich größere Differenz zwischen der Zahl »PMK-Rechts« und »PMK-Ausländer« (Abb. 3.2).115
Von Interesse ist auch, welche Art von Straftaten typisch für antisemitisch motivierte Taten sind und inwiefern sie sich von Hassverbrechen gegen andere Gruppen unter-scheiden (Abb. 3.5).
115 Die auswertungen der monatlich ermittelten antisemitischen strafta-ten in Großbritannien und Frankreich zeigen dasselbe Muster (vgl. Jonathan Boyd/l. Daniel staetsky, could it happen here? what existing data tell us about contemporary antisemitism in the UK, in: jpr Policy Debate, 5 (2015), s. 8–11.) Quelle: Bundesministerium des Innern
71 78 55 116
38 68 350
92 61 71 41 575
0 100 200 300 400 500 600 700
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Anzahl
Jahr Straftaten
Abb. 3.4: Straftaten im Unterthemenfeld »Israel-Palästinenser-Konflikt«
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14
Gesamt 36 293 71 78 55 116 38 68 350 92 61 71 41 575
Antisemitisch 15 159 57 56 18 54 16 30 159 52 12 24 23 214
antIseMItIsch MOtIvIerte straFtaten | 41
Abb. 3.5: PMK-Zahlen nach Art der Straftaten für das Jahr 2015
116(aufgeschlüsselt nach antisemitischen Straftaten)
116 In der aufstellung fehlen 37 antisemitisch motivierte straftaten, darunter eine Gewalttat, die unter der rubrik PMK-sonstige gezählt wurden.
Art der Straftat PMK-Rechts gesamt
PMK-Rechts antisem.
PMK-Links gesamt
PMK-Links antisem.
PMK-Ausl.
gesamt
PMK-Ausl.
Antisem.
tötungsdelikte 8 0 8 0 3 0
tötungsdelikte
vollendet 0 0 0 0 0 0
tötungsdelikte
versuch 8 0 8 0 3 0
Körperverletzungen 1.177 28 1.354 1 269 4
Brandstiftungen 102 2 106 0 12 0
sprengstoffdelikte 18 0 5 0 1 0
landfriedensbruch 44 0 340 0 30 0
Gefährlicher eingriff 10 0 54 0 2 0
Freiheitsberaubung 0 0 0 0 2 0
raub 23 0 32 0 7 0
erpressung 8 0 2 0 2 0
widerstandsdelikte 94 0 345 0 17 0
sexualdelikte 1 0 0 0 0 0
Summe Gewaltdelikte 1.485 30 2.246 1 345 4
sachbeschädigungen 1.451 102 3.454 2 273 4
nötigung/Bedrohung 515 16 212 0 134 3
Propagandadelikte 12.175 244 118 1 46 4
verbreitung von
Propaganda 32 1 1 0 3 0
verwendung von
Kennzeichen 12.143 243 117 1 43 4
störung der totenruhe 10 3 7 0 0 0
volksverhetzung 4.159 758 20 1 159 50
verstoß gegen
versammlungsgesetz 711 1 2.163 0 186 0
verstoß gegen
waffengesetz 30 1 11 0 33 0
andere straftaten 2.424 91 1.374 0 1.421 13
Gesamtsumme 22.960 1.246 9.605 4 2.025 78
Abb. 3.6: Schändungen jüdischer Friedhöfe 2001–2004
Gesamt PMK-Links PMK-Rechts PMK-Ausl. PMK-Sonstige unbekannt
2001 52 0 49 2 0 1
2002 59 0 54 1 0 4
2003 61 0 57 0 1 3
2004 38 0 38 0 0 0
2005 58 0 58 0 0 0
2006 37 0 37 0 0 0
2007 42 0 42 0 0 0
2008 63 0 63 0 0 0
2009 38 0 35 1 2 0
2010 41 0 41 0 0 0
2011 33 0 32 0 1 0
2012 29 0 27 0 2 0
2013 36 0 32 0 4 0
2014 27 0 26 0 1 0
Gesamt 614 0 591 4 11 8
Quelle: Deutscher Bundestag, 18. wahlperiode, Drucksache 18/4173, vom 3. 3. 2015, s. 7.
Wird die Art der antisemitischen Gewalttaten betrachtet, so handelt es sich dabei fast ausschließlich um rechts-motivierte Körperverletzungen, d. h. tätliche Angriffe auf Juden bzw. auf Personen, die für Juden gehalten werden.
Außerdem wurden 2015 als weitere Deliktart zwei Brand-stiftungen gezählt. Unter den übrigen Straftaten dominie-ren zahlenmäßig die Propagandadelikte und die Volks-verhetzung von rechts. Hier gibt es unter der PMK-Links lediglich drei Fälle. Im Phänomenbereich PMK-Ausländer sind ebenfalls nur wenige Propagandadelikte zu verzeich-nen (acht Fälle), aber immerhin 50 Fälle von antisemitisch motivierter Volksverhetzung vermutlich im Kontext des Nahostkonflikts.
Friedhofsschändungen stellten lange Zeit ein fast aus-schließlich gegen jüdische Friedhöfe gerichtetes Delikt dar, das die Geschichte der Bundesrepublik seit ihren Anfängen begleitet.117 Seit einigen Jahren finden aber auch Schändungen der derzeit noch wenigen muslimischen Friedhöfe bzw. der Friedhofsteile für Muslime auf allge-meinen Friedhöfen statt. Offizielle Zahlen liegen hierzu jedoch nicht vor. Die Zahlen der Schändung jüdischer Friedhöfe schwanken zwischen 63 im Jahr 2008 und 27 im Jahr 2014 und weisen in den letzten Jahren einen leichten Rückgang auf (Abb. 3.6). Im Durchschnitt gab es im gesam-ten Zeitraum jährlich 44 Vorfälle. Friedhofsschändungen
117 vgl. dazu den historischen abriss zur Geschichte der Bundesrepublik und der DDr im ersten expertenbericht (Berlin 2011), s. 38 ff.
werden fast ausschließlich als rechtsmotivierte Delikte klassifiziert: 591 von 614 in den Jahren 2001–2014. Nur wenige wurden den Kategorien Ausländer (4), Sonstige (11) und Unbekannt (8) zugeordnet. Keine Tat wurde als PMK-Links eingestuft.
Nicht selten kommt es im Laufe der Jahre zu Mehr-fach-Schändungen eines bestimmten jüdischen Friedhofs.
Am 14. Februar 2015 wurden Hakenkreuzschmierereien am Eingang des Jüdischen Friedhofs in Oldenburg-Os-ternburg entdeckt. Bereits im November 2013 hatten unbekannte Täter dort Grabsteine mit Hakenkreuzen geschändet und das Wort »Jude« an die Friedhofshalle geschmiert.118 Der Jüdische Friedhof in Kröpelin (Land-kreis Rostock) war seit 2011 bereits fünf Mal Ziel von Angriffen. Zuletzt wurden am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, am 27. Januar 2016, 13 Grabsteine
118 taz, 26. 11. 2013, http://www.taz.de/!5054124/ (eingesehen 23. 3. 2016);
Oldenburger Onlinezeitung, 17. 11. 2014, http://oldenburger-onlinezeitung.
de/oldenburg/osternburg/hakenkreuz-schmierereien-4814.html (eingesehen 23.3.2016); Oldenburger Onlinezeitung, 14. 2. 2015; http://oldenburger- onlinezeitung.de/oldenburg/osternburg/juedischer-friedhof-hakenkreuz- farbschmierereien-5461.html (eingesehen 23. 3. 2016). Im april 2016 verurteilte das Oldenburger amtsgericht den 35-jährigen haupttäter zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung; ein 37 Jahre alter Mitangeklagter erhielt fünf Mo-nate und ein 26-Jähriger wurde zu einer Geldstrafe von 3000 euro verurteilt.
nwz-Online, 13. 4. 2016; http://www.nwzonline.de/oldenburg/blaulicht/
haupttaeter-muss-fuer-sechs-monate-ins-gefaengnis_a_6,1,2216031271.html (eingesehen 10. 5. 2016).
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umgeworfen und z. T. zerstört. Außerdem rissen die Täter eine Gedenkstele aus der Verankerung.119
Neben Friedhöfen werden auch Mahnmale, die an die Verfolgung und Ermordung der Juden erinnern, geschän-det, indem sie, wie auch die »Stolpersteine«, übermalt, mit NS-Parolen, Hakenkreuzen u. ä. beschmiert oder sogar mit Schweineköpfen behängt werden, wie es in der Vergan-genheit mehrfach beim Mahnmal an der Putlitzbrücke in Berlin geschehen ist.120 Diese Schändungen werden gewöhnlich nicht eigens ausgewiesen, sondern müssen aus den Deliktkategorien Sachbeschädigung, Volksverhet-zung, Propagandadelikte oder Diebstahl/Unterschlagung heraussortiert werden.121
Gesondert ausgewiesen werden auf Anfrage der Partei Die Linke gegen Synagogen gerichtete Angriffe, wobei es hier zumeist um Sachbeschädigung, Verwendung von Kennzei-chen verfassungswidriger Organisationen (Schmierereien von Hakenkreuzen, SS-Runen u. ä.), Volksverhetzung, Diebstahl und in seltenen Fällen um Brandstiftung geht.
Abb. 3.7: Angriffe auf Synagogen 2008-2014
122Jahr 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 gesamt
Anzahl 21 19 9 20 13 36 20 138
119 Die welt, 28. 1. 2016; http://www.welt.de/regionales/mecklenburg- vorpommern/article151563382/erneut-juedischer-Friedhof-in-Kleinstadt- Kroepelin-geschaendet.html (eingesehen 23. 3. 2016).
120 In Berlin werden sachverhalte, die Mahnmale und Gedenkstätten betref-fen, nicht unter die angriffe auf jüdische einrichtungen (synagogen, schulen, Gemeindeeinrichtungen) gerechnet. Begründung: es muss sich um ein jüdi-sches angriffsziel handeln (abgeordnetenhaus Berlin, 17. wahlperiode, Druck-sache 17/14300, s. 2).
121 vgl. die zusammenstellung für das land Berlin vom 5.3.2013 bis zum 1. 12. 2015: Berliner abgeordnetenhaus,17 wahlperiode, schriftliche anfrage 17/17495, anlage 2: Fallaufkommen der PMK mit antisemitischer Motivation und dem angriffsziel »Denkmäler« oder »Gedenkstätten«, s. 1 ff. In diesem zeitraum wurden 29 Fälle gezählt, die sämtlich der PMK-rechts zugeordnet wurden. Die zuordnung ist noch unklar.
122 Deutscher Bundestag, 17. wahlperiode, Drucksache 17/14812, schriftli-che Fragen mit den in der woschriftli-che vom 30. september 2013 eingegangenen ant-worten der Bundesregierung, s. 1 ff.; Deutscher Bundestag, 18. wahlperiode, Drucksache 18/4908, schriftliche Fragen mit den in der woche vom 11. 5. 2015 eingegangenen antworten der Bundesregierung, s. 2; Deutscher Bundestag, 18. wahlperiode, Drucksache 18/1378 vom 9. 5. 2014, schriftliche Fragen mit den in der woche vom 5. 5. 2014 eingegangenen antworten der Bundesregie-rung.
Die Polizei registrierte in den vergangenen Jahren einen generellen Anstieg von Anschlägen auf Gotteshäuser.123 Die Zahl der Übergriffe auf Synagogen ist hingegen nicht angestiegen (Abb. 3.7).