• Keine Ergebnisse gefunden

antisemitismus und muslimische Moscheegemeinden

Handlungsempfehlungen – Antisemitismus in politischen Bewegungen und Organisationen

9 Antisemitismus und Religion

9.3 antisemitismus und muslimische Moscheegemeinden

Seit etwa zehn Jahren stehen Muslime im Fokus der gesell-schaftlichen Auseinandersetzung um Antisemitismus in

734 ebenda, s.  5. zu spaemanns vorstellungen der Judenmission siehe auch robert spaemann, Gott ist kein Bigamist, in: Faz-Online, 20. 4. 2009, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/judenmission-gott-ist-kein-bigamist- 1784941.html (eingesehen 13. 12. 2016) oder auch in: streitgespräch. »Dann gibt es eben keinen Dialog mehr«. Micha Brumlik, robert spaemann und Gre-gor Maria hoff über Judenmission, Karfreitagsfürbitte und die zukunft des katholisch-jüdischen verhältnisses, in: Jüdische allgemeine, 11. 6. 2009, http://

www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/923/highlight/micha&brumlik (eingesehen 13. 12. 2016).

735 heinz, antisemitismus.

Deutschland. Dabei geraten insbesondere muslimische Verbände und Moscheegemeinden immer wieder unter Antisemitismusverdacht. Imame werden in diesem Zusammenhang v. a. als »Hassprediger« charakterisiert.

Untersuchungen zu antisemitischen Einstellungen in muslimisch geprägten religiösen Milieus, die diese Ver-mutungen untermauern könnten, gibt es bisher jedoch kaum.736 Ein wichtiger Schritt, um diese Lücke zu schlie-ßen, soll eine erste qualitative Untersuchung sein, die vom UEA in Auftrag gegeben wurde und auf deren Grundlage weitere qualitative und quantitative Forschungen realisiert werden können. Durchgeführt wurde die Untersuchung von der empati gGmbH.737

9.3.1 Methodische Vorgehensweise und Durchführung der Studie

Die in Auftrag gegebene Studie sollte erste Einblicke in das bisher kaum untersuchte Feld der Einstellungen gegen-über Jüdinnen und Juden in muslimisch geprägten religiö-sen Milieus geben. Im Fokus standen Imame als geistliche Autoritäten und deren Beobachtungen zu Antisemitismus in ihren Gemeinden. Insgesamt wurden 18 Imame mit-hilfe qualitativer, leitfadenorientierter Interviews befragt.

Zentraler Ausgangspunkt war die Frage, welche antisemi-tischen Stereotype, Vorurteile und Deutungsmuster bei der Untersuchungsgruppe vorhanden sind und wie diese begründet werden.

Bei der Auswahl der Interviewpartner wurde die ethni-sche Herkunft der Imame, ihre geografiethni-sche Verteilung im Bundesgebiet sowie die Zugehörigkeit zu verschie-denen Verbänden berücksichtigt. Entsprechend dem Anteil türkischstämmiger Muslime an der muslimischen Gesamtbevölkerung in Deutschland, bildete die Gruppe der interviewten türkischstämmigen Imame mit zwölf von 18 Interviewpartnern die Mehrheit. Andere Her-kunftsländer waren Marokko, Ägypten, Bosnien, Alba-nien und Indonesien, wobei, laut Studie, die Herkunft des Imams in der Regel auch mehrheitlich die ethnische Zugehörigkeit der Gemeindemitglieder widerspiegelt.738 Die meisten der befragten Imame waren zwischen 40 und 50 Jahren alt, was vermutlich in etwa der Altersstruktur der Imame in Deutschland entspricht. Fünf der Befragten sind mindestens fünf Jahre lang in Deutschland zur Schule gegangen, deutlich mehr als die Hälfte wurde mindestens

736 Bereits im ersten expertenbericht, antisemitismus in Deutschland, wurde auf dieses Forschungsdesiderat hingewiesen.

737 studie der empati gGmbh, durchgeführt unter der leitung von chaban salih: »haltungen von Muslimen und muslimischen Organisationen zu Juden.

Befragung von Imamen als religiöse repräsentanten muslimischer religions-gemeinschaften«.

738 ebenda, s. 4.

in zwei Ländern ausgebildet, bevor sie in Deutschland eine Gemeinde übernahmen.

Die Auswahl der Interviewpartner sollte sich auf das gesamte Bundesgebiet erstrecken. Tatsächlich konnten Imame aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Berlin, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hessen und Bayern für die Untersuchung gewonnen werden. Damit wurden die Bundesländer mit der größten Anzahl an Moscheen abgedeckt, wobei die meisten Moscheegemeinden in Großstädten oder Ballungszentren angesiedelt sind. Zwölf der Befragten gehörten den größten islamischen Verbän-den in Deutschland an: dem Islamrat, der Türkisch Islami-schen Union der Anstalt für Religion e.V/Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (DITIB) und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Aber auch Imame aus unabhängigen Gemeinden wurden in die Befragung einbezogen.

Probleme bei der Datenerhebung ergaben sich daraus, dass einige Imame ihre Beteiligung wieder absagten.

Begründung hierfür war v. a. die gegenwärtige politische Situation und/oder die Sorge, sich unter Umständen missverständlich zu äußern und damit der Gemeinde zu schaden.739 Entsprechend war es für die Durchführung der Studie von besonderer Bedeutung, ein Vertrauensver-hältnis zu den Befragten zu entwickeln. Hierbei war v. a.

hilfreich, dass die Forschergruppe der empati gGmbH mit dem Gemeindeleben und der Arbeit von Imamen vertraut war. Zudem konnten viele der Interviews mit türkisch-stämmigen Imamen muttersprachlich geführt werden, was ebenfalls vertrauensbildend wirkte und zugleich der Sorge entgegenwirkte, sich nicht richtig ausdrücken zu können.740

9.3.2 Die Ergebnisse

9.3.2.1 rolle der Imame

In den Interviews zeigte sich, dass die Rolle der Imame in ihren Gemeinden weit über die Freitagspredigt hin-ausgeht. Sie führen verschiedene religiöse Riten durch, fungieren als Seelsorger und Familienberater, schließen Ehen, leiten Bestattungen und Trauerfeiern. Sie geben regelmäßig Islam-Unterricht, beteiligen sich an politi-schen Diskussionen mit Moscheebesuchern. Sie wirken als Meinungsführer weit über die Predigten zum Freitagsge-bet und über das unmittelbare Moschee-Umfeld hinaus.

Manche sind zugleich in der Schule als Religionslehrer

739 Im Untersuchungszeitraum stand v. a. der islamische verband DItIB auf-grund seiner äußerungen hinsichtlich des Putschversuchs in der türkei sowie zur armenien-resolution im Deutschen Bundestag stark in der Kritik, sodass viele der vereinbarten termine mit Imamen aus DItIB-Gemeinden abgesagt wurden.

740 vgl. salih, haltungen von Muslimen und muslimischen Organisationen, s. 6 f.

tätig, und/oder geben Nachhilfe und äußern sich zu gesellschaftspolitischen Themen in sozialen Medien.

Laut der vom UEA in Auftrag gegebenen Untersuchung hat die Meinung der Imame in der Kommunikation mit den Gemeindemitgliedern ein besonderes Gewicht: »Sie sind die religiösen Autoritäten, deren Urteil vertraut wird.

Dabei geht es nicht allein um religiöse Fragen, sondern auch um viele gesellschaftliche bzw. politische The-men.«741 Dies erklärt sich v. a. daraus, dass viele Gemein-demitglieder ihr alltägliches Leben in Einklang mit den Glaubensgrundsätzen des Islams wissen wollen und hierzu die Unterstützung und Einschätzung der Imame suchen.

Wenn Imame als Meinungsführer betrachtet werden, so ließe sich davon ausgehen, dass Radikalisierungen in den Gemeinden in erster Linie auf sie zurückzuführen sind.

Damit würde sich das eingangs erwähnte Bild der Imame als »Hassprediger« bestätigen. Im Einzelfall lassen sich sol-che Entwicklungen sisol-cher beobachten. In der Regel ist die Situation der Imame aber wohl komplexer. Sie befinden sich laut eigenen Aussagen häufig in einem Spannungsfeld zwischen nichtmuslimischer Mehrheitsgesellschaft und den Vorstellungen ihrer Gemeindemitglieder und sind in diesem Zusammenhang – auch in Bezug auf Antisemitis-mus – mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert.

Auf der einen Seite fordert die Mehrheitsgesellschaft von Imamen – neben dem Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten – auch den Einsatz gegen Antisemitis-mus. Auf der anderen Seite verlangen einige Gemeinde-mitglieder Engagement für »Palästina« und haben kein Verständnis dafür, wenn sich der Imam gegen Antise-mitismus engagiert.742 Dazu kommt noch der Aspekt der finanziellen Abhängigkeit von den Gemeindemitgliedern.

Imame können dementsprechend keine (politischen) Kon-flikte mit Vorständen und Verbandsstrukturen riskieren, da dies zu ihrer Entlassung führen könnte. Darin liegt möglicherweise auch einer der Gründe für die hohe Fluk-tuation der Imame in den Gemeinden: »Imame kommen und gehen wie die Kellner«, so der Religionswissenschaft-ler Rauf Ceylan.743 Ausgenommen sind hier die Imame von DITIB. Sie werden vom türkischen Staat bezahlt. Hier ergibt sich jedoch das Problem der politischen Kontrolle durch die türkische Religionsbehörde. Angesichts der gegenwärtigen politischen Situation lässt sich vermuten, dass nur regimetreue Imame aus der Türkei entsendet werden. Gerade Deutschland ist hier besonders wichtig,

741 vgl. ebenda, s. 8.

742 vgl. ebenda, s. 9 f.

743 vgl. rauf ceylan, Die Prediger des Islams. Imame – wer sie sind und was sie wirklich wollen, Freiburg 2010, s. 69–72.

antIseMItIsMUs UnD relIGIOn | 189

da die vergleichsweise hohe Zahl türkisch-muslimischer Migranten ein großes Mobilisierungspotenzial darstellt.744

9.3.2.2 themen

Zentral für Gesprächskontexte in muslimischen Gemein-den mit Bezug auf Jüdinnen und JuGemein-den, in deren Zusam-menhang auch Antisemitismus geäußert wird, ist der Nah-ostkonflikt. Die befragten Imame sehen sich hier selbst häufig als progressiver in ihren Einstellungen als manche ihrer Gemeindemitglieder. Wenn Imame sich gegen Anti-semitismus in ihrer Gemeinde einsetzen, sei daher eine sensible Vorgehensweise wichtig, um nicht die meinungs-bildende Multiplikatorenrolle zu verlieren.745 Die befrag-ten Imame bestätigen, dass in den Gemeinden antisemi-tische Einstellungen existieren: »Es gibt unter Muslimen Haltungen, die innerhalb der Grenzen des Antisemitismus fallen.«746 Auch das Kursieren von Verschwörungstheorien wird in diesem Zusammenhang genannt. Als möglichen Grund für antisemitische Haltungen sieht einer der Inter-viewpartner die Vermischung von Tradition und Religion.

Dies mache einige Gemeindemitglieder anfälliger für die Übernahme antisemitischer Stereotype.747 Religiöse Imame, d. h. solche, die eine theologische Basis haben, seien offener und differenzierter und orientierten sich im Umgang mit dem Judentum an der Deutung von »Würdi-gung als Ahl-ul-Kitab.«748

Im Rahmen der Interviews wurden verschiedene Bereiche thematisiert, in deren Zusammenhang antisemitische Einstellungen in muslimischen Gemeinden von den befragten Imamen beobachtet wurden: (1.) Nahostkonflikt, (2.) religiöse Quellenauslegung, (3.) Holocaust, (4.) Medien-berichterstattung und (5.) Antisemitismus vs. Islamfeind-lichkeit.

1. Nahostkonflikt

Dem Thema Nahostkonflikt kommt, laut Untersuchung, ein besonderer Stellenwert zu. In den Interviews greifen

744 Die massenweise entlassung von Gülen-sympathisanten und anderen (insbesondere pro-kurdischen und linken) staatsbediensteten aus religions-behörden, Universitäten, Justiz etc. im Jahr 2016 bestätigen diese vermutung.

Insgesamt wurden seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli des Jahres 110.000 Menschen entlassen. erdoğan ordnete weitere Massenentlassungen an, in: Die zeit, 22. 11. 2016, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/

tuerkei-putschversuch-schliessungen-wohltaetigkeit-medien-entlassungen (eingesehen 14. 12. 2016).

745 ebenda, s. 10.

746 ebenda.

747 ebenda, s. 9 f.

748 Der Begriff geht auf die besondere stellung sowohl des Judentums als auch des christentums im islamischen herrschaftsraum zurück. Beide religio-nen werden als »Buchbesitzer« genannt: In der islamischen Geschichte haben angehörige dieser religionen besonderen schutz und autonomie genossen, mussten aber auch als Gegenleistung besondere steuern entrichten.

die Imame diesen Themenbereich immer wieder auf und es wird eine »immense Wirkung des Konflikts auf die Imame und Muslime«749 konstatiert. Meinungen, die in diesem Zusammenhang artikuliert werden, sind an der Grenze zum Antisemitismus einzuordnen oder über-schreiten diese zuweilen auch (→ Definition).

Die meisten Befragten sehen den Nahostkonflikt als politi-schen und nicht als religiösen Konflikt. »Politik trenne, Religion verbinde«,750 meint einer der befragten Imame.

Nach Meinung eines anderen sei an dem Konflikt nicht die Religion schuld, »sondern die Politiker, die ihren Zielen und Ideologien eine religiöse Komponente zuschrei-ben«.751 Der Religion wird eine positive Rolle zugewiesen:

»Ich habe schon das Gefühl, dass (Vorurteile) mit der Zeit aufgrund der Politik im Nahen Osten dann auch wirklich leider steigen. Genau da brauchen wir die Religion, um das zu beseitigen.«752

Ein weiterer Befund der Studie ist, dass die meisten der befragten Imame eine Differenzierung zwischen Juden und Israelis vornehmen. Sie beschuldigen nicht pauschal

»die Juden«, wenn Palästinensern aus ihrer Sicht Unrecht widerfährt. Ein Imam widerspricht der Vorstellung, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nicht kritisch mit der israelischen Regierung umgehe. Ein anderer Imam berichtet von einer Diskussion mit einem Jugendlichen über den Vorfall mit der »Gaza-Flottille« 2010: »›Haben Sie gesehen, was die Juden gemacht haben?‹ Sofort habe ich gesagt ›Stop! Das waren nicht die Juden! Das waren einige Soldaten. Aber bitte, bitte nicht die Juden dafür zur Rechenschaft ziehen!‹«, Die Differenzierung geht bei einem anderen Interviewpartner weiter. Er verweist auf den Unterschied »zwischen israelischer Regierung und Juden«. Für das Regierungshandeln dürfe man nicht die Juden und auch nicht die ganze Nation verantwortlich machen.

Zugleich warnen die Imame davor, den Nahostkonflikt zum Thema gemeinsamer Veranstaltungen im Rahmen des interreligiösen Dialogs zu machen. Es sollte in lokalen Zusammenhängen gedacht werden und man sollte sich von Diskursen und Ereignissen im Nahen Osten fernhal-ten. Diese Haltung ist zwar durchaus verständlich, aber umgeht das zentrale Problem, an dem antisemitische Äußerungen von Muslimen am häufigsten artikuliert werden. Daher ist es unumgänglich, den Nahostkonflikt zu thematisieren, wenn man sich mit Antisemitismus in muslimischen Gemeinden auseinandersetzen und präven-tiv eingreifen möchte. Richtig ist, dass der Nahostkonflikt

749 salih, haltungen von Muslimen und muslimischen Organisationen, s. 20.

750 ebenda.

751 ebenda.

752 ebenda, s. 21.

zu viel Konflikpotenzial für die muslimisch-jüdischen Beziehungen birgt, um ihn als Einstieg in den Dialog zu nutzen. Der emotional besetzte und nicht selten mit fami-liärer Betroffenheit verbundene Zugang zum Thema kann erst nach einer gewissen Vertrauensbildung geschaffen werden. Es ist ein Prozess, der von Fachleuten moderiert bzw. begleitet werden muss. Erst dann können Reflexti-onsprozesse initiiert werden, an deren Ende eine gewisse Ambiguitätstoleranz gegenüber unterschiedlichen Deu-tungen entstehen kann. Das Ziel von solchen Maßnahmen sollte es sein, Verständnis für den Gesprächspartner und für die Nachvollziehbarkeit der Argumentationsmuster des Gegenübers zu entwickeln.