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antisemitische straftaten im internationalen vergleich

der Betroffenen

3.9 antisemitische straftaten im internationalen vergleich

Die FRA stellt in ihren jährlichen Berichten die Daten zu antisemitischen Straftaten zusammen, die ihnen aus Mitgliedsländern der EU übermittelt werden. Von den Mitgliedsstaaten der OSZE berichten nur zehn Länder von staatlicher Seite an die FRA oder die OSZE/ODIHR, aus 29 Ländern werden Daten von NGOs übermittelt.142 Da sich sowohl die datenerfassenden Institutionen wie auch die Erhebungsmethoden und erfassten Phänomene stark voneinander unterscheiden, sind die Daten nicht mitei-nander vergleichbar. Sie geben allenfalls einen Eindruck von der Verbreitung antisemitischer Straftaten in den einzelnen Ländern. Die angestrebte Vereinheitlichung im Rahmen der OSZE ist bisher nicht gelungen.

Der von der Service de Protection de la Communauté Juive herausgegebene Bericht zum Stand des Antisemitismus in Frankreich 2015 konstatierte 808 in Frankreich begangene antisemitische Taten (2014: 851; 2013: 318); vier Personen starben bei dem Terrorangriff auf den jüdischen Super-markt »Hyper Cacher« in Paris im Januar 2015. Erstmals bildete nicht der Nahostkonflikt die Plattform für anti-semitische Übergriffe, sondern landesspezifische Ereig-nisse. Der Service de Protection de la Communauté Juive unterteilt in seinem Bericht »Actions« (Handlungen) und

»Menaces« (Drohungen). Unter die erste Kategorie wurden für 2015: 207 (2014: 241; 2013: 105) Fälle eingeordnet und in den Bereich »Drohungen« fielen 601 (2014: 610; 2013:

318) Vorkommnisse.143 Dem Dachverband der französi-schen Juden Conseil Représentatif des Institutions Juives de France (CRIF) zufolge hat die Gewalt gegen Juden seit 2014 neue Formen angenommen, darunter Angriffe organisier-ter Banden und Terroranschläge.144

142 http://hatecrime.osce.org/what-hate-crime/anti-semitism (eingesehen 30. 3. 2016).

143 rapport sur l’antisémitisme en France. source éléments statistiques, Ministère de l’Intérieur et sPcJ, http://www.antisemitisme.fr/dl/2015-Fr.pdf (eingesehen 30. 3. 2016).

144 Die zeit, 27. 1. 2015, http://www.zeit.de/gesellschaft/2015-01/antisemi tismus-frankreich-juden-angriffe (eingesehen 30. 3. 2016).

antIseMItIsch MOtIvIerte straFtaten | 49

Abb. 3.13: Antisemitic Hate Crimes in Eight European Countries

145

Land 2011

(inoffiziell; NGOs) 2012 2013 2014 2015

Österreich straftaten rechtsextremismus

16 (33)

27 (22)

37 (29)

58

(31) –

Belgien eingegangene anzeigen

62 (65)

88 (80)

85 (64)

130

(109) –

Tschechien 18

(43)

9 (98)

15 (175)

45

(253) –

Frankreich Offizielle und inoffizielle Institutionen arbeiten zusammen

389 614 423 851 808

Deutschland 1239

(42)

1374 (33)

1275 (65)

1596 (45)

1366 (36)

Ungarn – – (95) (73) –

Niederlande

294 (113) Internet: 252

859 (114) Internet: 285

*

717 (147) Internet: 250

(216)

Internet: 328 –

Großbritannien 440

(cst 608)

307 (cst 649)

385 (cst 535)

**

318 (cst 1.179)

***

924

****

* nicht vergleichbar mit Daten im Jahr davor – neue Polizeistatistik

** 1.4.2012–31.3.2013 nicht mit dem vorjahr vergleichbar

*** 1.4.2013–31.3.2014

**** 17 Prozent der Manifestationen auf sozialen Medien

145 zusammengestellt aus http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_

uploads/fra-2015-antisemitism-update_en.pdf< (eingesehen 23. 11. 2016). zah- len von 2015 aus den jeweiligen landesberichten.

Abb. 3.14: Actes antisémites recensées en France de 1998 à 2015

In Großbritannien registrierte der Londoner CST 2015 insgesamt 924 antisemitische Vorkommnisse, die dritt-höchste Zahl, die je vom CST erhoben wurde, wobei gegenüber 2014 (1179 antisemitische Vorfälle) allerdings – ganz ähnlich wie in Deutschland – ein Rückgang festzu-stellen ist. Wie in Frankreich so ist auch in Großbritannien 2009 mit 931 Vorfällen der zweithöchste Wert gemessen worden – auch hier war die Eskalation des Nahostkonflikts

146 rapport sur l’antisémitisme en France. source éléments statistiques, Mi-nistère de l’Intérieur et sPcJ, s. 28, http://www.antisemitisme.fr/dl/2015-Fr.

pdf (eingesehen 30.3.2016).

der entscheidende Faktor. Für 2015 hat der CST 86 Gewalt-taten registriert, 2014 waren es 81. Damit übersteigt der Wert 2015 – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – die Zahl des Jahres 2014. Hier könnten Ereignisse wie der Überfall auf einen koscheren Supermarkt im Januar in Frankreich und die Anschläge auf ein Kulturzentreum und eine Synagoge im Februar in Kopenhagen durchaus als Trigger-Ereignisse gedient haben.147

147 cst, antisemitic Incidents report 2015, s.  4 f., https://cst.org.uk/data/

file/1/9/Incidents_report_2015.1454417905.pdf (eingesehen 30.3.2016).

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Abb. 3.15: Antisemitic Incident Totals 2011–2015

148

In den Niederlanden zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Frankreich und Großbritannien, allerdings auf einem zahlenmäßig niedrigeren Niveau. Das 1974 gegründete Centrum Informatie en Documentatie Israel (CIDI) in Den Haag, das über Israel informiert, aber seit einigen Jahren auch eine Chronik über antisemitische Übergriffe führt und gleichzeitig Meldeeinrichtung für solche Taten ist, verwies in seinem Bericht für das Jahr 2009 (167) auf einen 55-prozentigen Anstieg antisemitischer Taten gegenüber 2008 (108).149 2014 zählte CIDI 171 antisemitische Vorfälle gegenüber 100 im Jahr 2013. Zählt man noch die ent-sprechenden Einträge auf Twitter hinzu, ergeben sich 216 Manifestationen für 2014 (sechs Fälle physischer Gewalt) gegenüber 147 im Jahr 2013.Allerdings erreichten die Zah-len bei Weitem nicht die Werte der Jahre 2002 und 2006, als CIDI 337 bzw. 261 Vorfälle registrierte.150

In der oben bereits zitierten Umfrage der FRA von 2013 gaben in den acht untersuchten EU-Staaten durchschnitt-lich 21 Prozent der Befragten an, in den vergangenen zwölf Monaten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Juden-tum Opfer von Beleidigung, Belästigung und/oder eines körperlichen Angriffs geworden zu sein. Deutschland lag dabei mit 16 Prozent unterhalb des Durchschnitts. Am häufigsten wurden Vorfälle aus Ungarn (30 Prozent) und Belgien (28 Prozent) gemeldet, gefolgt von einer Mittel-gruppe aus Schweden (22 Prozent), Frankreich (21 Prozent) und dem Vereinigten Königreich (19 Prozent). Italien mit ebenfalls 16 Prozent und Lettland mit 14 Prozent bilden

148 ebenda.

149 cIDI, 2009: antisemitische incidenten in nederland scherp gestegen, http://www.cidi.nl/Monitor-incidenten/2009-antisemitische-incidenten-in- nederland-scherp-gestegen.html (eingesehen 11. 11. 2016).

150 Monitor antisemitische incidenten in nederland 2014, s. 4 f., http://www.

cidi.nl/wp-content/uploads/ 2015/04/Monitorantisemitisme2014.pdf (einge-sehen 30. 3. 2016).

die Länder mit den am seltensten genannten Vorfällen.151 Als großes Problem erscheint jüdischen Befragten in allen aufgeführten Ländern »Hate Speech« im Internet zu sein (durchschnittlich 75 Prozent Zustimmung), gefolgt von Antisemtismus in den Medien (59 Prozent), feindseligen Äußerungen an öffentlichen Orten (50 Prozent) sowie Friedhofsschändungen (50 Prozent). Allerdings variieren die Problemfelder von Land zu Land.152

Eine Umfrage unter »European Jewish Leaders and Opi-nion Formers«, die bisher dreimal (2008, 2011 und 2015) in 32 europäischen Ländern durchgeführt wurde, zeigte ebenfalls, dass diese Befragten 2015 zu 75 Prozent einen starken Anstieg antisemitischer Äußerungen im Internet wahrnahmen (nur ein Prozent sah einen starken Rück-gang), gefolgt von 24 Prozent, die einen starken Anstieg in den Medien beobachteten (einen starken Rückgang:

vier Prozent). Etwas niedriger ist der Anteil derjenigen, die einen starken Anstieg im politischen Leben (17 Prozent), beim Vandalismus (zwölf Prozent) und bei Schändungen jüdischer Friedhöfe (zehn Prozent) konstatierten.153 In allen sechs abgefragten Bereichen sahen deutlich mehr Befragte aus Westeuropa einen starken bzw. leichten Anstieg von Vorfällen als osteuropäische Befragte.154 Auf die Frage »Which of the following are the most serious threats to the future of Jewish life in your coun-try?« rangierte der Antisemitismus auf Platz sieben von elf Antwortvorgaben, steht also als Problem nicht im

151 Fra, Diskriminierung und hasskriminalität, abb. 8.

152 ebenda, tab. 2.

153 american Joint Distribution committee, third survey of european Jewish leaders and Opinion Formers, 2015, March 2016, s. 21. 314 Personen wurden befragt, davon 27 in Deutschland. eine auswertung nach ländern erfolgte nicht.

154 ebenda, s. 22, table 5.

0 500 1000 1500

2015 2014 2013 2012 2011

Straftaten

Vordergrund.155 Jedoch hat sich der Anteil derjenigen, die hier zustimmen, von 26 Prozent im Jahr 2011 auf 40 Pro-zent im Jahr 2015 erhöht, wobei auch hier die westeuro-päischen Befragten häufiger zustimmten.156 Die befragten jüdischen Gemeindefunktionäre und Entscheidungsträger erwarten zudem in den kommenden fünf bis zehn Jahren einen deutlichen (23 Prozent) bzw. mäßigen (44 Prozent) Anstieg des Antisemitismus, 27 Prozent erwarten ein Gleichbleiben und nur drei Prozent einen gewissen/

starken Rückgang. Auch hier sind die westeuropäischen Befragten mit 67 Prozent Zustimmung pessimistischer als die osteuropäischen mit 53 Prozent.157 Entsprechend stieg auch die Zustimmung zu der Forderung, in den nächs-ten fünf bis zehn Jahren Antisemitismus vorrangig zu bekämpfen, auf einer Zehn-Punkt-Skala von 7,5 im Jahre 2011 auf acht im Jahr 2015 an.158 Trotz dieses wahrge-nommenen Ansteigens einer antisemitischen Bedrohung fühlte sich 2015 die große Mehrheit der Befragten in allen europäischen Ländern gleichermaßen sehr bzw. ziemlich sicher (22 Prozent und 63 Prozent), nur neun Prozent gaben an, sich ziemlich unsicher zu fühlen, während sich fünf Prozent überhaupt nicht sicher fühlten.159 Die west-europäischen Befragten haben häufiger als die osteuropä-ischen direkt Akteure benannt, von denen ihrer Meinung nach eine ständige bzw. gelegentliche Bedrohung für Juden ausginge: von rechten Nationalisten 67 Prozent vs.

47 Prozent; von marxistischen linken Parteien 60 Prozent vs. 37 Prozent; von »non-mainstream media« 68 Prozent vs. 48 Prozent; von muslimischen religiösen Führern 48 Prozent vs. 14 Prozent.160

155 Die hauptsächlichen Bedrohungen sahen die Befragten in internen Pro-blemen der jüdischen Gemeinschaft, so in der entfremdung vom jüdischen Gemeindeleben (61  Prozent), in der schwäche jüdischer Organisationen (55 Prozent), in der abnahme der jüdischen Bevölkerung (54 Prozent) und in gemischten ehen (44 Prozent). ebenda, s. 7.

156 Insofern ist die Überschrift (»antisemitismus ist größte Bedrohung«) ei-nes kurzen Berichts über diese studie in der Jüdischen allgemeinen, 2. 3. 2016 irreführend, zumal der Bericht selbst dann auf die als noch wichtiger erachte-ten internen Probleme jüdischen lebens in europa hinweist (www.juedische- allgemeine.de/article/view/id/24838).

157 american Joint Distribution committee, third survey, s. 22 f.

158 ebenda, s. 15 und 13.

159 ebenda, s. 7 und 21.

160 ebenda, s.  23. leider erfolgt hier keine auswertung nach einzelnen westeuropäischen ländern, doch dürfte die zahl der in jedem einzelnen land Befragten zu niedrig sein, um hier statistisch verlässliche aussagen treffen zu können.