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»Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit«

Empirisch wird ein signifikanter Zusammenhang von antisemitischen und abwertenden Einstellungen gegen-über anderen sozialen Gruppen auf mittlerem Niveau deutlich.203 Besonders eng ist der empirische Zusam-menhang von Antisemitismus mit Fremdenfeindlichkeit, ethnischem Rassismus, der Abwertung von Muslimen und Homophobie.204 Das bedeutet, viele Befragte, die antisemitischen Einstellungen zustimmen, neigen auch zu Rassismus und Sexismus, zur Abwertung von Eingewan-derten, Asylsuchenden, Roma, Muslimen, aber auch von homosexuellen Menschen usw. In Prozent ausgedrückt, stimmen z. B. 44 Prozent der Befragten, die zu Antisemi-tismus neigen, auch fremdenfeindlichen Einstellungen zu, 40 Prozent einer Abwertung von Muslimen, 40 Prozent Homophobie und 36 Prozent dem klassischen Sexismus sowie 26 Prozent einem ethnischen Rassismus; 62 Prozent der Befragten fordern »Etabliertenvorrechte«. Signifikante Zusammenhänge auf mittlerem Niveau lassen sich nicht nur für klassischen, sondern ähnlich hoch auch für sekun-dären und israelbezogenen Antisemitismus feststellen.205

4.4.2 Soziale Distanz

Eine weitere Dimension, in der sich die Akzeptanz einer gesellschaftlichen Gruppe ausdrückt, ist die soziale Distanz, d. h. die subjektiv empfundene Entfernung zu einer Person oder Gruppe. Es wird angenommen, dass die soziale Distanz, die man zwischen sich und den Mitglie-dern einer bestimmten Gruppe gewahrt sehen will, ein Ausdruck von Vorurteilen gegenüber dieser Gruppe ist.

Soziale Distanz wird in den Sozialwissenschaften mit Fragen zur Akzeptanz von Gruppenmitgliedern ermittelt, die die Zustimmung/Ablehnung unterschiedlich enger

203 vgl. expertise zick u. a., tabelle 8.

204 vgl. auch hohe Korrelationen zwischen negativen einstellungen zu sinti und roma, Juden, schwarzen, Muslimen, Osteuropäern und asylbewerbern in der studie: zwischen Gleichgültigkeit und ablehnung. Bevölkerungseinstellun-gen geBevölkerungseinstellun-genüber sinti und roma, expertise für die antidiskriminierungsstelle des Bundes, vom zfa und vom IvKF e.v., Berlin 2014 (2. auflage), s. 72 ff.

205 eigene analysen der Daten der Fes-Mitte-studie 2014 für diesen Bericht.

sozialer Beziehungen messen.206 Zahlreiche Studien zeigen, dass es eine Hierarchie in der Bewertung ethnischer Minoritäten gibt, die sowohl die Majorität als auch die Minoritäten kennen, über die also ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens besteht.207 Die erste Studie, die sich der Untersuchung ethnischer Hierarchien in Deutschland widmete, ergab unter den vorgegebenen Gruppen die folgende Rangfolge: Deutsche, deutsche Juden, Italiener, Türken, Asylbewerber, wobei zwischen deutschen Juden und Italienern nur eine geringe Distanz lag.208 Eine neue repräsentative Studie, die die soziale Distanz mit Fragen nach der Nachbarschaft bzw. der

206 Die ursprüngliche Bogardus-skala umfasste sieben stufen sozialer Dis-tanz von der einheirat in die Familie bis zum ausschluss einer Gruppe aus dem eigenen land. siehe: emory s. Bogardus, Measuring social Distances, in: Journal of applied sociology, 9 (1925), s. 299–308. zumeist werden heute aber Fragen zur akzeptanz im Freundeskreis, als nachbarn und als Partner in einer lie-besbeziehung bzw. die akzeptanz der einheirat in die eigene Familie gewählt.

siehe: nicole Jäckle, Die ethnische hierarchie in Deutschland und die legiti-mierung der ablehnung und Diskriminierung ethnischer Minoritäten. Über den Konsens in den individuellen vorurteilen von Mitgliedern einer Gesellschaft, Diss. Universität Marburg 2008, s.  231, http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/

z2008/0475/pdf/dnj.pdf (eingesehen 27.11.2016).

207 louk hagendoorn, Intergroup Biases in Multiple Group systems: the Perception of ethnic hierarchies, in: wolfgang stroebe/Miles hewstone (hrsg.), european review of social Psychology, 6 (1995), s. 199-228. louk hagendoorn/

Jose Pepels, why the Dutch Maintain More social Distance from some eth-nic Minorities than Others: a Model explaining the etheth-nic hierarchy, in: louk hagendoorn/Justus veenemann/wilma vollebergh (hrsg.), Integrating Im-migrants in the netherlands. cultural versus socio-economic Integration, ash-gate 2003, s. 41–61.

208 Jäckle, ethnische hierarchie, s.  232. In früheren studien wurde eine ähnliche hierarchisierung ermittelt: Italiener, Juden, türken, afrikaner/oder asylbewerber (vgl. alphons silbermann/F.hüsers, Der »normale« hass auf die Fremden: eine sozialwissenschaftliche studie zu ausmaß und hintergründen von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, München 1995; auf der Basis der Daten der allBUs-Bevölkerungsumfragen von 1996 und 2006: werner Berg-mann/rainer erb, antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland 1996, in:

richard alba/Peter schmidt/Martina wasmer (hrsg.), Deutsche und auslän-der – Freunde, Fremde oder Feinde?, Opladen 2000, s. 402–437; werner Berg-mann/verena Münch antisemitismus im vergleich 1996–2006, in: Jahrbuch für antisemitismusforschung, 21 (2012), s. 325–369.

Differenzwahrnehmung bezüglich des Lebensstils erhoben hat, bestätigt die Ergebnisse der früheren Studien (Abb. 4.4).

Während gegenüber Italienern, Juden und Schwarzen die Ablehnung als Nachbarn sehr gering ausfällt, steigt die soziale Distanz gegenüber Osteuropäern, Muslimen, Asyl-bewerbern bis hin zu Sinti und Roma immer stärker an.209 Die Wahrnehmung von Differenzen zum Lebensstil der abgefragten Gruppen zeigt eine fast identische Hierarchi-sierung, wobei der Unterschied von Schwarzen und Itali-enern zu Juden hier etwas stärker ausfällt, was vermutlich der Annahme von Unterschieden in der religiösen Praxis geschuldet ist (Abb. 4.5). Dies dürfte auch für die hohe Zustimmung hinsichtlich der Lebensstildifferenzen zu Muslimen verantwortlich sein, während dies im Fall der Asylbewerber bzw. Sinti und Roma primär auf eine Diffe-renzwahrnehmung des sozialen Status zurückzuführen ist.

Insgesamt gesehen ist die soziale Distanz gegenüber Juden gering ausgeprägt.

209 zwischen Gleichgültigkeit und ablehnung, s. 75 f. abweichend von den abgebildeten werten, die auf der verwendeten 7er-skala nur die extremwerte der ablehnung bzw. Unterscheidung 6 + 7 einbezogen haben, wird hier auch die leichtere Form der ablehnung/Unterscheidung (skalenwert 5) einbezogen. Da-her liegen die werte hier etwas höDa-her als in der studie.

14

21

4 3

31

5

29

0 5 10 15 20 25 30 35

Osteuropäer Muslime

Schwarze M. Italiener

Sinti+Roma

Juden

Asylbewerber

Abb. 4.4: »Wie angenehm oder unangenehm wäre Ihnen eine Person der folgenden

Gruppen als Nachbar?« (eher–sehr unangenehm – Skalenwerte 5–7) (in Prozent)

antIseMItIsche eInstellUnGen In Der BevÖlKerUnG | 67

Abb. 4.5: »Was meinen Sie, wie stark unterscheiden sich die in Deutschland lebenden Gruppen in ihrem Lebensstil von der Mehrheit?« (eher–sehr stark – Skalenwerte 5–7) (in Prozent)

Wie auch im Fall dergruppenbezogenen Einstellungen (Kapitel 4.4.1) korrelieren die Antworten zur sozialen Distanz gegenüber den genannten Gruppen sehr hoch miteinander.210

4.4.3 Zusammenhang mit Rechtsextremismus und Rechtspopulismus

Im derzeit zu beobachtendem Rechtspopulismus steht die Abwertung von Juden zwar aktuell nicht im Mittelpunkt, ist aber dennoch eng damit verknüpft: Wer ein rechtspo-pulistisches Einstellungsmuster vertritt, das sich durch Demokratieverachtung, aggressiven Autoritarismus und die Abwertung von Eingewanderten, Muslimen, Roma und Asylsuchenden skizzieren lässt, vertritt häufiger auch antisemitische Einstellungen.211 Zudem korreliert die Zustimmung zu Antisemitismus mit der Zustimmung zu anderen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen und lässt sich mit Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus, der Verharmlosung der NS-Diktatur, nationalem Chau-vinismus und der Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur auf einem gemeinsamen, übergeordneten Faktor abbilden (FES-Mitte-Studie 2016).212 Die Zustimmung zu Positionen der Alternative für Deutschland (AfD) und neu-rechte Positionen, die Identität und Widerstand betonen und darüber völkische Denkmuster in die Debatte zurück-bringen, ist empirisch ebenfalls eindeutig mit Antisemitis-mus verknüpft (Auswertungen aus der FES-Mitte-Studie

210 ebenda, s. 77.

211 Küpper/zick/Krause, Pegida in den Köpfen.

212 eine für diesen Bericht durchgeführte explorative Faktorenanalyse zeigt eindeutige und hohe ladungen von a ≥ .8 aller sechs Dimensionen rechtsext-remer einstellungen, wie sie von der sogenannten Konsens-Definition vorge-schlagen und oben aufgeführt werden.

2016: Korrelation mit neurechten Einstellungen r=.42, mit AfD-Sympathie r=.22).

4.4.4 Zusammenhang mit Antiamerikanismus, Kapitalismus- und Globalisierungskritik

Eine weitere Frage betrifft die Breite des Phänomens des Antisemitismus. Die oben skizzierte Perspektive unter-sucht Antisemitismus v. a. als ein Vorurteil. Die sozial-psychologische Vorurteilsforschung versteht unter dem Begriff der »Vorurteile« eine große Bandbreite von Abwer-tungs- und Ausgrenzungsformen. Bereits Gordon Allport hat hier die Eskalationsspirale von kleinen beleidigenden Randbemerkungen über Verleumdung und Vermeidung bis hin zu Diskriminierung, Verfolgung und sogar Ver-nichtung beschrieben.213 Insbesondere die deutsche Anti-semitismusforschung versteht Antisemitismus z. T. noch deutlich breiter als ein viel komplexeres ideologisches Phänomen, das sich aus weiteren Verschwörungstheorien speist. Hier werden v. a. der Antiamerikanismus, Antikapi-talismus, Antiimperialismus und die Globalisierungskritik ins Spiel gebracht. Aus empirischer Sicht ist die Frage inte-ressant, wie eng antisemitische Einstellungen mit diesen Ideologien tatsächlich verknüpft sind.

In den Bevölkerungsumfragen bestätigt sich empirisch eine gewisse Schnittmenge, die aber nicht sehr groß ist:214 Klassischer wie auch israelbezogener Antisemitismus korrelieren zwar signifikant, aber nicht sehr hoch mit traditionellem Antiamerikanismus, der z. B. Amerikanern Oberflächlichkeit und Egoismus unterstellt, ebenso mit

213 Gordon w. allport, the nature of Prejudice, cambridge, Ma 1954/1971.

214 Details vgl. expertise von zick u. a.

20

46

4 7

50

11

47

0 10 20 30 40 50 60

Osteuropäer Muslime

Schwarze M. Italiener

Sinti+Roma

Juden

Asylbewerber

einem krisenbezogenen Antiamerikanismus, der Amerika eine Gefährdung der Weltwirtschaft und sozialen Markt-wirtschaft vorwirft (GMF-Survey 2009). Noch schwächer ist der Zusammenhang mit Kapitalismus- und Globali-sierungskritik und den drei oben genannten Facetten von Antisemitismus (Leipziger-Mitte-Studie 2014; FES-Mit-te-Studie 2016). Insgesamt erweisen sich Kapitalismuskri-tik und Antiamerikanismus als keine besonders starken Indikatoren für Antisemitismus.

º Antisemitismus im Sinne eines Vorurteils gegenüber Juden korreliert mit der Abwertung anderer sozialer Gruppen: Wer z. B. fremdenfeindliche Einstellungen vertritt, teilt mit höherer Wahrscheinlichkeit auch anti-semitische Einstellungen.

º Antisemitismus ist mit Rechtspopulismus, Rechtsextre-mismus und neurechten Positionen verknüpft.

º Die empirischen Befunde empfehlen, zwischen Antise-mitismus einerseits, Antiamerikanismus, Kapitalismus- und Globalisierungskritik andererseits zu unterscheiden und Letztere nicht als Facetten oder subtile Ausdrucks-formen von Antisemitismus zu verstehen.

4.5 zur rolle