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Reaktion Österreichs und Aktivitäten auf europäischer Ebene Die österreichische Bundesregierung reagierte auf die in der Geschichte der

II. Die Sanktionen der 14 EU-Mitgliedsstaaten gegen Österreich

2. Reaktion Österreichs und Aktivitäten auf europäischer Ebene Die österreichische Bundesregierung reagierte auf die in der Geschichte der

europäischen Integration einmalige Vorgangsweise gegenüber einem Mit-gliedsstaat mit einer entschiedenen und klaren Zurückweisung der durch keinerlei Tatsachen in Österreich gerechtfertigten und undemokratisch zu-stande gekommenen Sanktionen und forderte ihre sofortige Aufhebung.

Wie das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten in einer Erklä-rung vom 1. Februar festhielt, widersprach das Vorgehen der 14 EU-Partner-länder dem Geist der unter EU-Mitgliedsstaaten gebotenen Solidarität und Zusammenarbeit. In unmittelbarer Reaktion auf die Sanktionen wurde den österreichischen Vertretungsbehörden Informationsmaterial für ihre Argu-mentation in den Empfangsstaaten zur Verfügung gestellt und ein intensiver Dialog mit der dortigen Öffentlichkeit eingeleitet – mit Erfolg, wie die in maßgeblichen EU-Staaten durchgeführten Meinungsumfragen belegten, die eine gegen die Sanktionen gerichtete Stimmung ergaben.

Vor allem in der ersten Phase der Sanktionen kam es zu Benachteiligungen und Boykottmaßnahmen, welche weit über die am 31. Jänner angekündigten Sanktionen hinausgingen. In einigen Mitgliedsstaaten wurde sogar öffent-lich zum Sturz der österreichischen Bundesregierung aufgerufen. Durch die

Herabstufung der bilateralen Kontakte auf die rein technische Ebene war Ös-terreich in die – oft informellen – Meinungsbildungsprozesse auf EU-Ebene nicht gleichberechtigt eingebunden und dementsprechend benachteiligt.

Auch wurden österreichische Bewerber für Posten in Internationalen Orga-nisationen auf diskriminierende Weise, teilweise sogar aktiv, boykottiert.

Dennoch gelang es Österreich unter beträchtlichen Anstrengungen, mit Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft den Großteil seiner Kandida-turen durchzubringen.

In den bilateralen Beziehungen zu einzelnen EU-Partnern kam es zu beson-deren Misstönen: So fror Belgien die militärische Zusammenarbeit mit Ös-terreich völlig ein. Der Bürgermeister von Brüssel schloss ÖsÖs-terreich zu-nächst von einer Tourismus-Messe aus, der belgische Außenminister rief zu einem Urlaubsboykott in Österreich auf und die französischsprachige Ge-meinschaft Belgiens untersagte Schulbesuche in Österreich. Frankreich sagte alle öffentlichkeitswirksamen Vorhaben des bilateralen Programms für militärische Zusammenarbeit im Jahr 2000 ab. Darüber hinaus wurden in Frankreich und Belgien vereinzelt Schüler- und Studentenaustauschpro-gramme ausgesetzt. Auch im Kulturbereich sowie im Bereich der Unter-richts- und Wissenschaftskooperation kam es vor allem in Belgien und Frankreich, aber auch in Luxemburg und den Niederlanden zu diversen, mit den Sanktionen in offensichtlichem Zusammenhang stehenden Absagen von Veranstaltungen. Diese Schikanen gegen Österreicherinnen und Öster-reicher zeigten fremdenfeindliche Untertöne und schadeten damit dem eu-ropäischen Friedens- und Einigungswerk, weil sie nationalistischem Gedan-kengut in Europa Vorschub leisteten.

Bundeskanzler Schüssel, Bundesministerin Ferrero-Waldner sowie die übri-gen Mitglieder der Bundesregierung stellten sich in unzähliübri-gen Auftritten in Fernsehen und Radio sowie bei Interviews in Printmedien der ausländi-schen Öffentlichkeit und leisteten Aufklärungsarbeit, um das verzerrte Ös-terreichbild durch sachliche und objektive Information zurechtzurücken.

Auch die österreichischen Botschaften waren durch laufende, gezielte Infor-mationsarbeit um eine Objektivierung der öffentlichen Meinungsbildung über Österreich bemüht.

Das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten zog in Überein-stimmung mit führenden österreichischen Völker- und Europarechtsexper-ten folgende Schlussfolgerungen betreffend die rechtlichen Aspekte der Sanktionen:

1. Die Erklärung der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft „im Namen von XIV Mitgliedsstaaten“ stellte eine Überschreitung ihrer Kompetenzen dar, da eine Präsidentschaft nicht befugt ist, Erklärungen abzugeben, die nicht auf einen Beschluss aller Mitgliedsstaaten zurückgehen.

2. Die Erklärung verstieß gegen fundamentale Rechtsgrundsätze und den Geist der Verträge, die die Gemeinschaft und die Union begründen (s. Art 2

EGV: Förderung der Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten; Art 11 (2) EUV: Stärkung der gegenseitigen politischen Solidarität etc.)

3. Das Vorgehen gegen Österreich verletzte zudem den allgemeinen Rechts-grundsatz „audiatur et altera pars“ und damit das Gebot der Fairness und Objektivität, das im Rahmen der EU von den anderen Mitgliedsstaaten er-wartet werden kann. Österreich war nicht einmal die Gelegenheit gegeben worden, seinen Standpunkt darzulegen.

4. Weiters verstießen die Maßnahmen gegen die völkerrechtliche Courtoi-sie.

In dem Bemühen, so bald wie möglich eine Aufhebung der Sanktionen her-beizuführen, nahm Österreich, auch auf den Rat bedeutender Europarecht-ler hin, von einem rechtlichen Vorgehen (Klage beim EuGH) Abstand, dessen Ausgang angesichts des so genannten „bilateralen Charakters“ der Sanktionen zu ungewiss und jedenfalls zu langwierig erschien. Sofern das Handeln von öffentlichen Körperschaften der Mitgliedsstaaten oder von EU-Organen jedoch diskriminierende Wirkungen gegen Österreich zeitigte, wandte sich Österreich an die Europäische Kommission als die „Hüterin der Gemeinschaftsverträge“ und erzielte dabei eine Reihe von Erfolgen.

Anlässlich des ersten EU-Außenministertreffens nach Inkrafttreten der Sanktionen, beim Rat Allgemeine Angelegenheiten am 14. Februar, sprach Bundesministerin Ferrero-Waldner die Maßnahmen der 14 Partnerländer an und legte den österreichischen Standpunkt klar dar. Die Präsidentschaft ver-weigerte eine Diskussion mit dem Hinweis auf den bilateralen Charakter der Sanktionen.

Vor den Außenministerräten und den beiden Europäischen Räten bemühten sich Bundeskanzler Schüssel und Bundesministerin Ferrero-Waldner in in-tensiven Telefonaten mit ihren Amtskollegen um eine Darlegung der bishe-rigen Regierungstätigkeit. Sie wandten sich darüber hinaus mehrfach schriftlich mit diesbezüglichen Erläuterungen an die Staats- und Regie-rungschefs und die Außenminister. Darin wurde insbesondere hervorgeho-ben, dass die Sanktionen ihr Ziel nicht erreichen, sondern Fremdenfeind-lichkeit und Nationalismus in Europa stärken und damit das europäische Friedenswerk schwächen. Weiters wurde auf die wiederholten Bekennt-nisse zu den europäischen Werten in der Präambel zum Regierungspro-gramm, auf das Europa-Kapitel des Regierungsprogramms mit dem Be-kenntnis zur EU-Erweiterung sowie auf die notwendige Budgetsanierung im Interesse von Wirtschafts- und Währungsunion und Stärke des Euro hinge-wiesen. Ebenfalls hervorgehoben wurden die gesetzlichen Maßnahmen der Bundesregierung im Interesse der Volksgruppen. In diesen Botschaften wurde auch unterstrichen, dass die Bundesregierung weder in Worten noch Taten europäische Werte oder Menschenrechte verletzt, und dass Men-schenrechte in Österreich – anders als in vielen anderen Ländern – direkt vom Verfassungsgerichtshof einklagbar und garantiert sind.

Eine Reihe angesehener Persönlichkeiten veröffentlichte eine Erklärung für Österreich, in der sie abschließend feststellten: „Dieses Land verdient Vertrauen und Dialog – und keinen Ausschluss aus der europäischen Fa-milie“.

In weiterer Folge sprach Bundeskanzler Schüssel die Frage der Beziehungen zwischen Österreich und den anderen EU-Mitgliedsstaaten anlässlich seines Treffens mit Premierminister Guterres in Brüssel (13. März) sowie bei der außerordentliche Tagung des Europäischen Rats in Lissabon am 23. März an.

Er erläuterte die Auswirkungen der Sanktionen auf Schüler, Studenten, Wis-senschaftler, Künstler und Wirtschaftstreibende und forderte die Wiederauf-nahme des Dialogs unter den 15 Mitgliedsstaaten. Premierminister Guterres erklärte im Namen der 14 Mitgliedsstaaten, dass die Rechte Österreichs und der österreichischen Staatsbürger gewahrt bleiben müssten und appellierte an die Mitgliedsstaaten, die Bürgergesellschaft betreffende Auswirkungen der Sanktionen zu unterbinden. Zu einer Diskussion kam es jedoch auch bei dieser Gelegenheit nicht.

Bundespräsident Thomas Klestil besuchte sowohl die Europäische Kommis-sion (8. März) als auch das Europäische Parlament (12. April), wo er in sei-ner Rede appellierte, „das Gebot der Objektivität und das Gebot der Fairness nicht aus den Augen zu verlieren“ und die Abgeordneten bat, „gemeinsam einen Ausweg aus dieser Situation zu suchen und zu finden.“ Die Präsiden-tin des Europäischen Parlaments Nicole Fontaine gab anschließend ihrer Hoffnung Ausdruck, „dass Österreich wieder ein vollständiger Teil unserer Union werden könne“. Diese später als Missverständnis dargestellte Äuße-rung rief in Österreich beträchtlichen Unmut hervor, weil sie als gezielte Provokation verstanden wurde.

In Österreich unternahm die Bundesregierung mehrere erfolglose Versuche, im Parlament einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller vier im Natio-nalrat vertretenen Parteien gegen die Sanktionen zustande zu bringen. Diese Bemühungen scheiterten insbesondere daran, dass die Opposition sich nur bereit finden wollte, die Boykottmaßnahmen gegen Österreicherinnen und Österreicher zu verurteilen, die Sanktionen gegen die Bundesregierung je-doch als gerechtfertigt bezeichnete. Die österreichische Bevölkerung hinge-gen folgte überwiehinge-gend nicht dieser auch von den 14 EU-Mitgliedsstaaten vertretenen Unterscheidung und fühlte sich durch die Sanktionen getroffen und zu Unrecht diskriminiert.

Obwohl die Opposition ihre Unterstützung zur gemeinsamen Verteidigung Österreichs gegenüber den Sanktionen verweigerte, konnte die Landes-hauptleutekonferenz (in der Landeshauptleute aus ÖVP, FPÖ und SPÖ ver-treten sind) am 17. Mai eine gemeinsame Erklärung verabschieden, in der es heißt: „Die Landeshauptmännerkonferenz unterstützt ausdrücklich die dip-lomatischen und politischen Bemühungen der Bundesregierung und erwar-tet, dass es dadurch zur Aufhebung der Sanktionen kommt. Die

Bundeslän-der unterstützen diese Bemühungen durch eigene Beiträge auf regionaler Ebene“. Sie forderte weiters dazu auf, die Sanktionen durch „ein transparen-tes System gegenseitigen Verständnisses und Respekts, das für alle Mitglie-der verbindlich gelten soll“, abzulösen. Die Landtage von Kärnten, Mitglie-der Stei-ermark, Tirol, Salzburg, Vorarlberg und Oberösterreich forderten in eigenen Entschließungen ein Tätigwerden der Landesregierungen für eine Aufhe-bung der als ungerechtfertigt und undemokratisch zustandegekommen be-zeichneten Sanktionen.

Da jedoch auch nach drei Monaten intensivster österreichischer Bemühun-gen von Seiten der EU-14 keine Bereitschaft zu einem Überdenken ihrer Haltung zu erkennen war, beschloss die Bundesregierung am 5. Mai zur Verteidigung österreichischer Interessen das „Aktionsprogramm zur Auf-hebung der Sanktionen“. So wurden u. a. die Erstellung nationaler und internationaler Meinungsumfragen zu dem Thema in Auftrag gegeben, eine

„diplomatische Offensive“ (Information der Meinungsbildner und der europäischen Bürgergesellschaft) beschlossen, die Erarbeitung eines öster-reichischen Vorschlages zur Reform des Artikels 7 EUV im Rahmen der Re-gierungskonferenz angekündigt und die Abhaltung einer Volksbefragung für den Fall erwogen, dass bis zum Ende der portugiesischen Ratspräsident-schaft (30. Juni) kein konkreter Plan zur Aufhebung der Sanktionen vorlie-gen würde.

Beim informellen Außenministertreffen auf den Azoren am 6./7. Mai gelang es Bundesministerin Ferrero-Waldner erstmals eine Diskussion zwischen al-len Mitgliedsstaaten über die Sanktionen zustande zu bringen. Dabei zeigte sich das Interesse einiger Mitgliedsstaaten, aus innenpolitischen Gründen und angesichts des Unverständnisses ihrer Bevölkerung für die Sanktionen, aber auch in Berücksichtigung der österreichischen Argumente und der Wir-kungslosigkeit der Sanktionen, ein „Ausstiegsszenario“ zu erwägen.

In einer Entschließung zum Europäischen Rat von Feira (19./20. Juni) for-derte das Europäische Parlament u. a. die Präsidentschaft auf, „die Bezie-hungen zwischen den 14 Mitgliedsstaaten und Österreich zu bewerten und mit allen beteiligten Seiten in der EU ein Verfahren auszuarbeiten, das zu ei-ner akzeptablen Lösung führt.“

Am 29. Juni schließlich ersuchte der portugiesische Premierminister – aber-mals im Namen von 14 Mitgliedsstaaten – den Präsidenten des Europäi-schen Gerichtshofes für MenEuropäi-schenrechte Luzius Wildhaber drei Persönlich-keiten zu nominieren, um einen Bericht vorzulegen, der das „Eintreten der österreichischen Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte, insbe-sondere hinsichtlich der Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und Ein-wanderern“ sowie die „Entwicklung der politischen Natur der FPÖ“ zum In-halt hätte.

In diesem Sinne erteilte Luzius Wildhaber – nachdem er zuvor auch die ös-terreichischen Zustimmung zu dieser Vorgangsweise eingeholt hatte – dem

ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Martti Ahtisaari, dem Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Jochen Frowein und dem ehemaligen spanischen Außenminister, ehemali-gen Generalsekretär des Europarates und ehemaliehemali-gen Mitglied der Europäi-schen Kommission Marcelino Oreja am 12. Juli das Mandat zur Erstellung des oben erwähnten Berichts, der in der Folge als „Weisenbericht“ bezeich-net wurde. Wie Wildhaber in seinem Antwortschreiben an den portugiesi-schen Premierminister festhielt, empfahl er den drei Persönlichkeiten, den Bericht „so schnell wie irgendwie möglich“ vorzulegen.

3. Der Bericht der „Weisen“ und die Aufhebung der Sanktionen