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Der Kult um den Oikisten Battos

G. Homogenisierung durch gemeinsame Götter und Kulte

1. Der Kult um den Oikisten Battos

Der um 600 v. Chr. in Kyrene eingerichtete Kult dient als gemeinsamer Bezugspunkt aller Erst- und Nachsiedler und ihrer Nachfahren. Unabhängig ihrer Kollektivzugehörigkeiten, ihrer ursprünglichen Heimat, der sozialen Herkunft, Alters oder Berufes ehren die Kyrener den Gründer (οἰκιστής) ihrer Apoikia als ἀρχηγέτης, als Anführer, Patron und gemeinsamer Vorfahre aller Kyrener.709 Durch das Bekenntnis zu dieser Gründerfigur bildet sich ein stark ausgeprägtes Vertrautheitskollektiv, die Menschen wandeln auf den Spuren ihres Oikisten. Im Gegensatz zur Verehrung griechischer Götter ist die Verehrung eines Heros ein lokales Phänomen. Griechische Gemeinschaften, so G. Ekroth „seems to have manifested their local identity through the physical appearances of hero-cults, while the cults places of the gods,

707 Einzelne Münz-, Statuen- und Inschriftenfunde und Baudenkmäler belegen unter anderem die Verehrung von Demeter, Artemis, Hermes, Athena und Hekate.

708 Vgl. Antonaccio 1994, 410: „In the polis, hero cult creates a civic kinship that may serve individuals or the needs of the state to foster a new group identity.“ s. auch die Ausführungen bei Malkin 1987, 203, der ein besonderes Gewicht auf den Oikisten legt. Laut Malkin 1994, 127 bewahren die meisten Apoikiai die Namen des Oikisten, der Metropolis und das Datum der Gründung. Wie Hall 2008, 388-411 in Auflistungen zeigt, werden schon bald in vielen Orten Informationen umgeformt und lassen Zweifel an der Historizität der Informationen aufkommen. Für das Kollektivbewusstsein aber zählt die Überzeugung der Menschen an den Wert der überlieferten Informationen.

709 Vgl. das Scholion zu Aristoph. Plut. 925, das die Verehrung Battos' als Archegetes bestätigt: […] τιμῶντες σὖν αὖτον οἱ Κυρηναῖοι ὡς ἀρχηγέτην.

especially the peripteral temples, shared a similar, more generally recognizable appearance.“710 Bei der Einrichtung des Oikistenkultes in Kyrene ist der Grab- und Heroenkult in Teilen Griechenlands seit fast 200 Jahren ein fester Bestandteil der Verehrung von Heroen, gerade Heroisierten und ferner anonymen Personen, die in der Bronzezeit bestattet wurden. 711 In der geometrischen Periode hatte eine Wiederverwendung bronzezeitlicher Gräber eingesetzt, ohne sich zwangsläufig auf Bestattungen zu beziehen.

Vielmehr hängt der Grab- und Heroenkult mit dem verstärkten Zirkulieren der Epen zusammen, die von Heroen berichten, obwohl ihnen keine Verehrung zuteilwird. J. N.

Coldstream zufolge entsteht durch das Epos ein erstes Kollektivbewusstsein unter den Griechen und der Wunsch, den Idealen und kollektiven Praktiken der Helden nachzueifern;

durch ihre Opfergaben vergegenwärtigen die Griechen die Vergangenheit.712 Die antiken Griechen definieren aber nicht, wie ein Heros beschaffen ist. Für sie sind Heroen erwachsene Männer und in der Regel Könige, Krieger oder Individuen in Führungspositionen, die keine religiösen Funktionen übernehmen. Nach ihrem Tod – im Mythos oder im realen Leben – werden ihnen kultische Ehren zuteil.713

Die kultische Verehrung läuft dabei in entgegengesetzte Richtungen. Einerseits sind Kulte vor allem in der Argolis und Messenien belegt, wo die Geschichte um die bronzezeitlichen Stätten verloren gegangen ist. Andererseits existieren die Kulte in Attika, wo das Wissen um lokale Heroen die sogenannten „Dunklen Jahrhunderte“ überdauert und die Bevölkerung die mykenischen Anlagen auf der Akropolis im Alltag bemerkt. Neben dem Zirkulieren der Epen weisen einige Forscher ebenso auf die Einflechtung lokaler Ahnenkulte in gerade entstehende Polis-Strukturen hin.714 Aufgrund dieser Thesen ist auch das Grabmal Battos' differenziert zu bewerten. Die Bedeutung des Grabbaus und des Kultes kann variieren, wenn sich unterschiedliche Einzelpersonen und Interessenskollektive um eine Vergegenwärtigung der Vergangenheit bemühen. J. Whitley differenzierte die Thesen um die Funktionen von lokalen Heroenkulten weiter aus. Er bemerkte die politische Instrumentalisierung einiger Kulte durch angestammte Gemeinschaften, die sich von Neuankömmlingen bedroht fühlen sowie Gemeinschaften, die mit Nachbarstädten in Konkurrenz stehen.715 Demnach sind schon in der geometrischen Periode einzelne Gemeinschaften an der Demonstration einer konkreten kollektiven Identität interessiert. Sie äußern ihr gemeinsames Kollektivbewusstsein durch einen Kult, an dem alle Ansässigen teilhaben können.

Wie in einigen Regionen Griechenlands des 8. und 7. Jh. v. Chr. sind auch in den Apoikiai im darauffolgenden Zeitraum (8.-7. Jh. v. Chr.) Heroengräber bedeutend. Wie Ekroth schreibt, können die frühesten Gräber in den Apoikiai auch die Heroenkulte in Griechenland beeinflussen.716 Durch einen Oikistenkult erlangt das neu entstandene Poliskollektiv seine Autonomie in Identitätsfragen.717 Ebenso werden die Interessen einzelner Individuen sichtbar,

710 Das Zitat bei Ekroth 2015, 387. Wie Ekroth 2007, 110 ferner ausführt, folge auch die Errichtung einer Kultstätte den lokalen Bedürfnissen und zeige einen „lack of panhellenic conformity“.

711 Eine Typologie der Heroenverehrung erstellte Whitley 1994, 220-222: Kulte an den Gräbern kürzlich Heroisierter (1), Kulte von Heroen aus den homerischen Epen (2), Kulte von Heroen, die nicht in der epischen Tradition vertreten sind (3) und Kulte an Gräbern aus der Bronz- und Eisenzeit (4). Beispiele für jährlich stattfindende Feierlichkeiten für mythische und historische Gründerfiguren gibt Malkin 1987, 195-200. 204-240.

712 So die These von Coldstream 1976, 8-10. 16-17. Vgl. Ekroth 2015, 385-386.

713 So interpretieren West 1978, 370-373; Ekroth 2015, 385-386. Vgl. Ekroth 2007, 102. Ausführlich schreibt West 1978, 373: „Its two senses, the religious and the secular, are not derived from one another, nor from a single original sense. Each represents a particular facet of a system separately developed in the Dark Ages. As a secular and secularized term for young warriors, the word was preserved only in the epic tradition. As a religious term it survived independently of epic – on the mainland? – associated with the honored dead and more loosely with terrestrial numina resident in the district.“

714 Zur Forschungsgeschichte um den Ahnenkult Antonaccio 1994, 390-410. Vgl. auch Ekroth 2007, 102-104.

715 Whitley 1988, 174-181. Vgl. Ekroth 2015, 386. In Thessalien und auf Kreta hingegen existieren keine Monumente, die an das sogenannte heroische Zeitalter erinnern könnten.

716 Ekroth 2007, 103.

717 Zur dieser Bedeutung McGlew 1993, 18. 171-172; Malkin 1987, 203; Dougherty 1993a, 24. Vgl. Dougherty 1993b, 180-184, die betont, dass die Aussendung von Siedlern als Sühneleistung und Reinigung nach einer Phase des unrechtmäßigen Verhaltens zu verstehen ist. Laut Malkin 1987, 189 tradiere jede Apoikia den Namen des Oikisten, der Mutterstadt und das Gründungsdatum über viele Jahrhunderte.

ihren Status durch eine Siedlungsgründung zu erhöhen. Einen klaren Hinweis für diese Intention gibt Diodor (11, 49, 2) bei seiner Beschreibung der Gründung Aetnas durch Hieron I. von Syrakus, der mehrere syrakusische Apoikiai gründet und ferner die Einwohner von Naxos und Catania in Lentini ansiedelt. Aetna gründete Hieron mit der Absicht, posthume Ehren zu empfangen: τοῦτο δ᾽ ἔπραξε σπεύδων […] ἐκ τῆς γενομένης μυριάνδρου πόλεως τιμὰς ἔχειν ἡρωικάς. Archäologische Befunde aber, die auf einen Grabkult zu Ehren des Oikisten in den Apoikiai hindeuten, sind sehr selten. Die Existenz vieler Gräber sowie von Altären und ἡρῶα beruht oftmals auf reinen Vermutungen.718 Hinweise in Textquellen reichen von konkreten Ortsangaben und archäologischen Befunden bis hin zu bloßen Erwähnungen, in denen sich fiktive und historische Oikisten vermischen. 719 Die unterschiedlichen Traditionen betreffend der Oikisten deutet Hall mit der Funktion der überlieferten Erzählungen, die sie in einem bestimmten Zeitraum erfüllen.720 Darüber hinaus seien – wie seine Auflistungen zeigen – auch die durch antike Autoren überlieferten Gründungsdaten mit Vorsicht zu genießen. Im Falle der Siedlungsgründungen in Unteritalien und auf Sizilien sind die Informationen betreffend der Gründung, über den Oikisten und der Herkunft der Siedler ebenfalls lückenhaft und in einigen Fällen nur durch eine einzige Quelle überliefert.721

Eine nicht wiederlegbare Verehrung des Oikisten findet sich auf der Agora in Kyrene (Abb. 6).722 Seine Person und Verehrung wird über Jahrhunderte im kollektiven Bewusstsein der Kyrene verankert bleiben.723 Die in den sechziger Jahren erfolgten Grabungen auf der Agora bringen zahlreiche datierbare Keramikscherben und die drei ältesten Strukturen Kyrenes zum Vorschein. Im äußersten Südwesten der rechteckigen Agora steht am Ende des 7. Jh. v. Chr. ein großer Oikos, der sich nach Osten hin öffnet (Abb. 8). V. Purcaro deutet den Oikos als Tempel des Apollon Archegetes.724 Im Osten der Agora bauen die Kyrener zwei fast nebeneinanderliegende Anlagen: ein Temenos mit einem Oikos und einen kleinen Tumulus, beide Anlagen sind nach Norden hin ausgerichtet. Anhand der Keramik datieren die Ausgräber beide Bauten in das späte 7. Jh. beziehungsweise in das frühe 6. Jh. v. Chr. Über die Oikos-Struktur im Temenos wird in der Forschung spekuliert.725 Der Oikos ist zunächst ein kleiner quadratischer Raum mit 1,5 m Seitenlänge (Abb. 7) und wird im frühen 6. Jh. v.

718 So schreibt Malkin 1987, 190, Identifizierungen von Oikistengräbern seien „mostly tentative and doubtful.“ Vgl. auch Malkins Bedenken betreffend der überlieferten Informationen zum Oikistenkult ebd. S. 204.

719 Zum Beispiel überliefert Pausanais (3, 1, 8) den Kult der mythischen Figur Theras, dem Oikisten der Insel, die seinen Namen trägt: καὶ Θήρας μὲν τῇ τε νήσῳ μετέβαλεν ἀφ᾽ ἑαυτοῦ τὸ ὄνομα καί οἱ καὶ νῦν ἔτι οἱ Θηραῖοι κατὰ ἔτος ἐναγίζουσιν ὡς οἰκιστῇ.

720 Hall 2008, 394: „Rather, the point is that the only reason why variant traditions have survived in the literary record – sometimes over many centuries – is that they all served a meaningful function at some time or another.

To maintain that literary traditions preserve the historical truth of a colony’s origins while simultaneously drawing arbitrary distinctions that ancient authors refused to make between more and less credible accounts is, I would suggest, untenable from a methodological point of view and risks misunderstanding the purpose of foundation stories.“

721 Hall 2008, 388-397. Während im Falle der sizilischen Apoikiai nur wenige Ungereimtheiten auftreten, seien sie bei der Betrachtung der unteritalischen Gründungen die Regel.

722 Für Malkin 1987, 206 ist der Oikistenkult in Kyrene ein Beispiel für einen typischen Kult, der sich auch in anderen Apoikiai finden lässt. Die Architektur des Grabmals auf der Agora und den Oikistenkult in Kyrene behandeln unter anderem Chamoux 1953, 131-133; Stucchi 1965b, 58-65; Goodchild 1971, 21. 98; Büsing 1978, 66-75; Applebaum 1979, 14-15; Laronde 1987, 171-175; Malkin 1987, 204-216; 2003, 163; Scott 2013, 17-24.

723 Wie Leschhorn 1984, 67 mit Belegen anführt, begegnen οἰκιστής und das poetische οἰκιστήρ vornehmlich bei älteren Autoren (Pindar, Herodot). Vgl. Seibert 1963, 24-26. Der Siedlereid und Kallimachos folgen diesen Angaben. Für Pasquali 1914, 201 ist οἰκιστήρ „der staats- und religionsgeschichtliche Ausdruck der Stadt Kyrene“. Pindar, der Verfasser des delphischen Orakels, das Battos zum siedeln auffordert (Hdt. 4, 155, 3) und Kallimachos verwenden das dorische Wort wohlbedacht.

724 Purcaro 2001, 25. Wie Purcaro schreibt (ebd. S. 48) wird an den ersten Apollontempel ein Prytaneion angefügt. Die ersten Bauten definieren von Anfang an die westliche und östliche Grenze der Agora von Kyrene.

Wie Scott 2013, 17 schreibt, folgt die Ausrichtung der ersten Bauten einer Prozessionsstraße, die durch Pindar (P.

5. V. 93) unter dem Namen Skyrota bekannt ist. Die Straße verbindet die Agora mit der Akropolis und dem Apollonheiligtum im Norden. Die Agora scheint, so Scott, am Ende des 7. Jh. v. Chr. nicht das Zentrum der Polis zu sein. Zu dieser Prozessionsstraße bereits Chamoux 1953, 132.

725 Der von der Mauer umschlossene Temenos ist 16 m lang und ist 10,5 m breit. Dazu Büsing 1978, 67.

Chr. durch zwei weitere Räume zu beiden Seiten und einen Korridor vergrößert (Abb. 8).726 Stucchi deutet den Oikos aufgrund seines Grundrisses und eines sich in der Nähe befindlichen Altars als ein Heiligtum des Opheles. Der Name ist eine Variante von Ephialtes, dem Helfer von Asklepios. Einen Beleg findet Stucchi auf einer im Temenos gefundenen Vasenscherbe, auf der das Wort ΟΦΕΛΕΙ eingeritzt ist.727 Dieser Interpretation entgegnet Büsing, dass jeder Gott, ungeachtet des offiziellen Beinamens, „Helfer“ genannt werden darf. Statt ophelei als Substantiv aufzufassen, wie Stucchi es tut, glaubt Büsing das Verb ὀφέλλειν zu erkennen, dessen Aussage „hilf!“ oder „er hilft“ nicht auf einen Namen oder Gott verweise. Vielmehr sei der Oikos als erstes Apollonheiligtum aufzufassen, wenn man die Erzählungen über die Gründung der Stadt beachtet, in denen Apollon als sanktionierende Gottheit eine bedeutende Funktion einnimmt.728 Im 5. Jh. v. Chr. wird über diesem Heiligtum ein doppelt so großer Tempel errichtet; im Hinblick auf das kollektive Selbstverständnis gewinnt der Kult an Bedeutung.

Die dritte Struktur ist der bereits erwähnte Tumulus, der an den Temenos angrenzt (Abb.

7). Der Tumulus mit seinem ovalen Grundriss ist das einzige gefundene Grabmal im Umkreis der frühen Siedlung. Das Grabmal erlebt mehrere Bauphasen, zunächst besitzt es einen Durchmesser von 6,20 m und wird nach außen durch einen 1,5 m starken Steinring verschlossen (Abb. 9). Im Inneren des Tumulus überdeckt eine Erdschicht einen aus Kalk und Phosphor bestehenden Aschekegel, der aufgrund von Tieropfern entstanden ist.729 Unter diesem Aschekegel finden die Ausgräber die Scherben eines rhodischen Dinos (datiert in das letzte Viertel des 7. Jh. v. Chr.), einen Kelch chiotischen Stils (erstes oder zweites Viertel des 6. Jh. v. Chr.), einen Becher rhodischen Stils (erste Hälfte 6. Jh.) sowie nicht datierbare Keramik.730 Im 5. Jh. v. Chr. wird der Boden der Agora durch Aufschüttungen angehoben, das erste Grabmal zerstört und sechs Meter östlich ein neues, zweites Grabmal mit einem Kenotaphen errichtet (Abb. 7).731 In der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. Chr. wird das Niveau der Agora noch einmal angehoben und auch der zweite Tumulus abgetragen. Man entfernt Deckplatten des Kenotaphen und setzt stattdessen ein Firstdach auf (Abb. 10). Dann wird das Grab mit einer Mauer eingefasst; Eingang und Giebel des Daches wenden sich der Agora zu.

Nach dieser letzten architektonischen Umgestaltung bleibt das Heroengrab über einen Zeitraum von 450 Jahren bestehen. Der Dichter Catull (7, 6) nennt das Grabmal im 1. Jh. v.

Chr. Batti veteris sacrum sepulcrum.732 Dieser dritte Bau wird während des judäischen Aufstands zerstört und zum Ende des 2. Jh. n. Chr. vollständig überbaut.733 Ausgehend von den Scherbenfunden datiert Stucchi den ersten Tumulus in das erste Viertel des 6. Jh. v. Chr.

und bringt ihn mit einer Ode Pindars (P. 5. V. 89-98) in Verbindung, der das Grab Battos I.

erwähnt:734

726 Büsing 1978, 67-68.

727 Stucchi 1965b, 46-48. Das Gefäß ist rhodischen Stils und datiert in die erste Hälfte des 6. Jh. v. Chr. Der Interpretation Stucchis folgen Goodchild 1971, 95; Austin 2008, 198; Scott 2013, 17.

728 Büsing 1978, 69-70.

729 Büsing 1978, 71: „Der Aschekegel war aus zahlreichen Opferfeuern entstanden, durch Regen auseinandergeflossen, durch Erdmassen zusammengerückt, hatte aber bei der Ausgrabung noch eine Höhe von 40 cm und einen Durchmesser von zwei Metern […]. Bei der Untersuchung der Asche stellte sich zur Überraschung aller heraus, dass Battos nicht in Kyrene gestorben war: Erde in dieser Zusammensetzung kommt in Kyrene oder der Umgebung der Stadt nicht vor.“

730 Stucchi 1965b, 58-62. Zu den undatierten Scherben gehören ein Becher ionischen Stils, eine korinthische Kanne, die Fragmente einer Tasse sowie einer Amphora.

731 Büsing 1978, 72-73. Der Kenotaph ist 2,86 m lang 1,14 m breit und 1,10 m hoch. Über den Inhalt ist nichts bekannt. Bacchielli 1985, 10 vermutet, das alte Grab sei durch einen Aufstand zerstört worden.

732 Catull 7, 3-6: Quam magnus numerus Libyssae harenae / laserpiciferis iacet Cyrenis / oraclum Iovis inter aestuosi / et Batti veteris sacrum sepulcrum.

733 Stucchi 1965b, 253-290; Büsing 1978, 73-75. Die Fläche nehmen nun eine Stoa und ein Tempel ein.

734 Übers. E. Dönt. Vgl. Schol. Pind. P. 5. 124 f. Drachmann 188: τὸ δὲ χ΄ ὅτι πρυμνοῖς εἶπεν ἀντὶ τοῦ τοῖς ἐσχάτοις ἄκροις.

Das Grab des Oikisten Battos ist das einzige, das unversehrt in einer Apoikia gefunden wurde, wenn man die baulichen Veränderungen der Folgezeit außer Acht lässt. Es erscheint auf den ersten Blick plausibel, auch den in unmittelbarer Nähe entdeckten Altar mit dem Grabkult in Verbindung zu bringen. Einen wichtigen archäologischen Befund stellt auch der von Chamoux erwähnte βόθρος dar, der in einen Bereich des Grabmals mündet.735 Pindar belegt die Trennung des Grabes von der Agora als Resultat ihrer architektonischen Ausgestaltung in der archaischen Epoche. Er beschreibt das Grab als πρυμνοῖς, „abseits“ beziehungsweise

„abgelegen.“ Das Grab wird erst während der demokratischen Periode in der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. Chr. in die Agora integriert. Pindar stellt zudem klar, dass den Nachfahren von Battos I. nicht dieselben Ehren zuteilwerden. Diese vornehmsten Honoratioren bestattet man vor den Stadttoren, nur ein Heros erhält diese Ehre. Expliziter drückt sich ein weiteres Scholion (Schol. Pind. P. 5. 129 Drachmann 189) aus, das die Bestattung der anderen Könige außerhalb Kyrenes betont:

Gemäß Pindar und den Scholien befindet sich das Grab von Battos I. also auf der Agora. Das Poliskollektiv verehrt ihn nach seinem Tod als Gründerheros, der Kult wird laut Pindar seit langem praktiziert wird (ἔπειπα).736 Zweimal bezeichnet Pindar Battos mit dem Wort μάκαρ, ein Adjektiv das Heroen und Götter vorbehalten ist (P. 4. V. 59; 5. V. 94). Der Kult um den Oikisten gestaltet sich als jährliche Feier auf der Agora, wo der Oikist begraben liegt und dient als weiteres Vehikel für die Tradierung der Erzählungen um Battos und die Gründung der Stadt. Die Menschen umkreisen sein Grab, sie weihen und sprechen Gebete, wenn eine Prozession (P. 5. V. 85-95) auf der Straße stattfindet, die Battos einst anlegen ließ. Sein Hain dient – wie ein Temenos – auch als Asyl für Schutzflehende; die Individuen stehen unter dem Schutz des Heros. Wie bereits im Abschnitt über das Individuum geschrieben, weisen Menschen kulturelle Prägungen auf, sie verinnerlichen viele Angebote, die von der Familie, Freunden und anderen Kollektiven an sie herangetragen werden.737 Auch im Fall des

735 Chamoux 1953, 131 nennt den Bothros „un curieux dispositif qui est peutêtre oraculaire.“

736 Wie ein weiteres Scholion informiert (Schol. Pind. P. 5. 124 f. Drachmann 188, seien die anderen Könige getrennt von den anderen „Heroen“ bestatten worden: ἔνθα πρυμνοῖς ἀγορᾶς: τὸν τάφον αὐτοῦ συνίστησιν ἐπὶ τοῖς τῆς ἀγορᾶς ὁρίοις ὄντα. φηςὶ γὰρ, ἐπ’ ἐσχάτοις τῆς ἀγορᾶς δίχα κεῖται θανὼν, ἐπὶ τῷ διορίζοντι τὴν ἀγορὰν ἄκρῳ. ἔστι δὲ καὶ οὕτω διελέσθαι· ἐπὶ πρυμνοῖς τῆς ἀγορᾶς κεῖται θανὼν, δίχα τῶν ἄλλων ἡρώων. Vgl. auch Schol. Pind. P. 4. 126 Drachmann 188-189: ἐπιδιχα: διακεχωρισμένος τῶν βασιλέων […]. Gräber oder Residenzen, welche den Nachfolgern Battos I. gehörten, wurden bis heute nicht entdeckt. Insofern scheint die Existenz mehrerer Kulte unwahrscheinlich.

737 Durch regelmäßige Wiederholungen verinnerlicht man Hansen 42011, 148 zufolge zahlreiche Praktiken, Sitten und Gebräuche. Er schreibt ebd.: „Was im Innern des Individuums ankommt, was von einer äußeren zur inneren Bedingung wird, entscheidet sich folglich auf beiden Seiten. Wie weit die äußere zum Tragen kommt,

κτίσεν δ᾽ ἄλσεα μείζονα θεῶν, Vorstadt liegen die anderen heiligen Könige, die gestorben […].“

Oikistenkultes erachten die Kyrener die kollektive Verehrung Battos' als sinnvoll und sinngebend, denn der Grab- und Heroenkult wird bereits seit zwei Jahrhunderten in Griechenland vollzogen. Die zahlreichen Um- und Neubauten auf der Agora, in die das Oikistengrab miteinbezogen wird, bezeugen die Rolle der kyrenischen Eliten und ihre Vereinnahmung eines bedeutenden Symbols für ihre Polis und das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Einwohner. Sie stellen die konstruierte kollektive Identität bewusst über die reale soziale und politische Heterogenität, um Homogenität zu stiften.

Hierzu müssen sie sich zunächst die kursierenden mythischen Erzählungen um Battos und Traditionen, die sie selbst später einmal als sinnstiftende Elemente an das Poliskollektiv herantragen, persönlich als Wahrheit annehmen und verinnerlichen. Die im Temenos vollzogenen Kultpraktiken verleihen den Eliten die notwendige Kompetenz und Anerkennung durch das Poliskollektiv.

Das Grab Battos' als Kultstätte bezeugt eine 1922 gefundene Marmorstele (S.E.G. 9, 72).

Die Stele datiert in die Regierungszeit der Oligarchie der „1000“ nämlich in die Mitte des 4.

Jh. v. Chr.738 Die Stele wurde an einer unbekannten Stelle im Apollonheiligtum aufgestellt und in den römischen Bädern östlich des Heiligtums wiederverwendet. Dort diente die Stele als Sitzfläche für Badende in einem Frigidarium. Sie ist in zwei Teile gebrochen, ferner sind die Ecken bestoßen, sodass der Anfang und das Ende vieler Zeilen ergänzt werden muss. In der Forschung wird die Inschrift „Große Heilige Inschrift“, „Heiliges Gesetz“, „Sacred Law“ oder „lex sacra“ genannt, da sie Aufzeichnungen eines Apollonpriesters beinhaltet. Der Textinhalt ist durch horizontale Linien in 22 Paragraphen unterteilt, die zwar an eine größere Uniformität denken lassen, die aber durch eine Lesung widerlegt wird. Selbst nach mehreren Editionen und vielen Lesungen herrscht in der Wissenschaft keine Einigkeit über den Zweck vieler Regeln.739 Die Stele gibt sich im ersten Paragraphen (Z. 1-3) als delphisches Orakel aus, das einst die Besiedlung Libyens forderte. Daher besitzen die Regeln ein altehrwürdiges Alter.740 Die Zeilen 21-25 beinhalten Reinheitsvorschriften und die kultische Verehrung des Battos. Aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes der Inschrift sind die Lesungen dieses Paragraphen mehrdeutig, bis heute ist keine zufriedenstellende Lösung gefunden worden:741

Im Mittelpunkt dieses Paragraphen, dessen Grammatik und Bedeutung bis heute debattiert wird, steht das Wort ΚΑΜΑΝΤΙΩΝ, das drei verschiedene Lesungen erlaubt: αἴ κα μαντίων, ἅ κα μαντίων und Ἀκαμαντίων. Für die erste Lesung sprechen sich Oliverio und von Wilamowitz-Moellendorff aus, jedoch existiert auf der Stele kein Platz für ihr postuliertes Iota.742 Die zweite, von K. Latte und J. J. E. Hondius vorgeschlagene Lesung (ἅ κα μαντίων)

liegt aber nicht nur an der inneren, denn bestimmte Standardisierungen üben überindividuell Druck aus.“

738 Auf demselben Marmorblock ist eine Liste von Poleis und Einzelpersonen verzeichnet, die man in den Jahren 330-325 mit Getreide beliefert. Dazu Robertson 2010, 371-372.

739 Robertson 2010, 7 schreibt dazu: „Perhaps no other Greek inscription that is so extensive and so well

739 Robertson 2010, 7 schreibt dazu: „Perhaps no other Greek inscription that is so extensive and so well