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Die „demokratische“ Periode in Kyrene

E. Homogenisierung durch Kommunikation und Institutionen

3. Institutionen

3.2 Die „demokratische“ Periode in Kyrene

Dieses Kapitel behandelt die demokratischen Verfassungen in Kyrene. Insgesamt ist über die Zeit zwischen der Einrichtung der Demokratie in Kyrene und der Eroberung der Kyrenaika durch Ptolemaios (ca. 450-322 v. Chr.) nur wenig bekannt. Dennoch informieren die wenigen Quellen, die über diese Zeitperiode Auskunft geben, über eine erstarkende soziale und politische Heterogenität des kyrenischen Poliskollektivs und seine ausdifferenzierte Spaltung in virulente und konstitutive Segmente. Nach dem Ende der Königsherrschaft nimmt die wirtschaftliche und kulturelle Prosperität Kyrenes nicht ab, man führt weiterhin Beziehungen zu anderen Staaten.399 Als einer der ersten Philosophen in Kyrene wirkt Aristippos seit dem späten 5. Jh. v. Chr. Er begründet den philosophischen Hedonismus. Die Forschung vermutet nach dem Sturz der Könige einen Abbruch der Vormachtstellung Kyrenes in der Region.400 Doch es bleibt unklar, inwieweit sich die Kompetenzen der Könige in die anderen Poleis (Taucheira, Barka, Euhesperides, s. Abb. 2) und kleineren Orte tatsächlich erstreckten.

Sichtbar wird die immanente Segmentierung der Region mit ihren Polisbürgerschaften, die um die Macht streiten, in den Münzprägungen. Die Münzprägungen in der Kyrenaika setzen im letzten Viertel des 6. Jh. v. Chr. ein.401 Zunächst prägen die Poleis eigene Symbole auf ihre Münzen, doch während der Herrschaft des letzten Königs existiert eine gemeinsame Münzprägung im selben Standard, mit der Silphionstaude auf dem Avers und dem Kopf des Zeus Ammon auf dem Revers. Die jeweils prägende Polis markiert ihre Münzen durch die Anfangsbuchstaben ihres Namens. Nach dem Ende der Königsherrschaft halten die Poleis am selben Münzstandard fest, denn er ermöglicht weiterhin die einfache Konvertibilität des Geldes. Jedoch belegen die Markierungen auf den Münzen wechselnde Städtebünde.402 Die Kyrener prägen mit den Euhesperiden gemeinsame Münzen, während die Barkaier mit den Bewohnern Taucheiras prägen. Später prägen die Barkaier mit den Kyrenern. Insbesondere die Emissionen der Barkaier gelten als Beleg für das Abschütteln der kyrenischen Dominanz und das Entstehen von Städtebünden mit unterschiedlichen Interessen. Die politischen Führer pochen auf die Unabhängigkeit und das kollektive Selbstbewusstsein ihrer eigenen Polis.

Noch 100 Jahre später betont Pseudo-Skylax (108, 3-5) die Grenzen der beiden mächtigsten und miteinander konkurrierenden Poleis: „Und vom Hafen Kyrenes bis zum Hafen Barkas sind es 500 Stadien. Und die Polis der Barkaier ist vom Meer 100 Stadien entfernt […]. An diesen vorbei an den Chersonesiten der Aziriden, einige gehören den Kyrenern, andere den Barkaiern zu den Hesperiden.“ Über den Handel mit Silphion ist aus dieser Zeit nichts bekannt.403

Die politischen Entwicklungen des 5. Jh. v. Chr. und die Segmentierung der Gemeinschaft in Kyrene lassen sich lediglich anhand einiger Inschriften und Angaben bei Aristoteles und Diodor nachvollziehen. Wie das Aristoteles-Fragment (Aristot. fr. 611, 17 Rose apud Herakl.

Lemb.) berichtet (s.o.), wird ungefähr Mitte des 5. Jh. eine demokratische Verfassung eingerichtet. Im selben Zeitraum setzen die Inschriften der Demiurgen ein, sie verwalten nun die ehemaligen Ländereien der Könige (τεμένα).404 Ferner ist anzunehmen, dass die priesterlichen Funktionen der Könige jetzt ein gewählter Priester übernimmt.405 L. Bacchielli und M. Scott sehen in den verstärkten Baumaßnahmen auf der Agora in der zweiten Hälfte des

399 Die Kyrener halten die Freundschaft mit den Spartanern aufrecht und unterstützen 413 v. Chr. während des Peloponnesischen Krieges spartanische Hopliten die auf ihrer Reise von Griechenland nach Sizilien, die durch ungünstige Winde an die libysche Küste getrieben werden. Thuk. 7, 50, 2: „Nachdem sie nach Libyen abgetrieben worden waren, gaben ihnen die Kyrenaier zwei Trieren und Lotsen für die Fahrt und da trafen sie auf der Fahrt die Euesperiten, die von den Libyern belagert wurden und sogleich fuhren sie weiter nach Neapolis, einem karthagischen Handelsplatz […].“ Laut Fulford 1989, 189 begünstigen die Winde vor allem Reisen in östlicher Richtung. Hingegen spendet der Kyrener Epikerdes im selben Jahr Geld für die gefangenen Athener in Syrakus.

Er wird in IG I3 Nr. 125 geehrt. Dazu Demosth. or. 20, 41-42.

400 Goodchild 1971, 26; Applebaum 1979, 34; Mitchell 2000, 94.

401 Zu diesen Prägungen Asolati 2006, 181-183.

402 So interpretieren die Münzserien Goodchild 1971, 26; Mitchell 2000, 93-94.

403 Laut Mitchell 1966, 113 gehört das Monopol auf den Handel mit Silphion nun der Oberschicht.

404 Applebaum 1979, 33; Mitchell 2000, 100. Das Amt der Demiurgen hätte nach Mitchell bereits vor der demokratischen Periode existiert.

405 Applebaum 1979, 33. Dieser Priester fungiert in späterer Zeit als ἱερεὺς ἐπώνυμος.

5. Jh. v. Chr. Belege für die Einrichtung der Demokratie, da sie für größere Versammlungen umgestaltet wird.406 Aufgrund fehlender Inschriften, die über Beschlüsse von Kollegien oder Versammlungen berichten, bleibt unbekannt, auf welche Weise die „erste“ demokratische Verfassung funktioniert. Applebaum und Bacchielli sprechen von einer „restricted democracy“ oder einer „democrazia moderata“, in der nicht alle Kyrener das Bürgerrecht besitzen und das Schicksal ihres Poliskollektivs bestimmen können.407

Im Folgenden wird auf eine Passage aus der Politik des Aristoteles eingegangen (Arist. Pol.

6, 4 [1319b 6-27]), denn bei seiner Analyse von Einrichtungen demokratischer Verfassungen führt Aristoteles Kyrene als Beispiel an und belegt die anhaltende Spaltung des kyrenischen Poliskollektivs in Segmente. Stufenweise werden weitere in Kyrene Ansässige in die Bürgerschaft aufgenommen. Die Aufnahme dieser Menschen erzeugt Akzeptanz und Ablehnung, schließlich entsteht aus der hieraus entstehenden Diskussion eine virulente Dynamik, die weite Teile der Einwohnerschaft Kyrenes erfasst. In Bezug auf demokratische Verfassungen scheidet Aristoteles den Demos in Gruppierungen, die seiner Ansicht nach die beste charakterliche Qualität besitzen (etwa Landwirte) und ihnen unterlegene Gruppen (Handwerker, Markthändler, Tagelöhner). Will man die beste Demokratie einrichten, sei es laut Aristoteles erforderlich, vermeintlich schlechten Gruppen die Partizipation an politischen Entscheidungen zu verweigern. Dagegen sind in einer schlechten Demokratie alle Bürger beteiligt. Um die laut Aristoteles schlechtere Verfassung einzurichten, nehmen die Führer der demokratischen Partei ein größeres Segment an Menschen in die Bürgerschaft auf, die zuvor für nicht würdig genug erachtet wurden. Auch diejenigen Neubürger, deren Eltern eine nicht voll-rechtskräftige Ehe führen oder nur ein Elternteil das Bürgerrecht besitzen, erhalten das Bürgerrecht.408 Diese Entwicklung scheint sich im Laufe des 5. Jh. v. Chr. in Kyrene abgezeichnet zu haben:409

πρὸς δὲ τὸ καθιστάναι ταύτην τὴν δημοκρατίαν καὶ τὸν δῆμον ποιεῖν ἰσχυρὸν εἰώθασιν οἱ προεστῶτες προσλαμβάνειν ὡς πλείστους καὶ ποιεῖν πολίτας μὴ μόνον τοὺς γνησίους ἀλλὰ καὶ τοὺς νόθους καὶ τοὺς ἐξ ὁποτερουοῦν πολίτου, λέγω δὲ οἷον πατρὸς ἢ μητρός: ἅπαν γὰρ οἰκεῖον τοῦτο τῷ τοιούτῳ δήμῳ μᾶλλον. εἰώθασι μὲν οὖν οἱ δημαγωγοὶ κατασκευάζειν οὕτω, δεῖ μέντοι προσλαμβάνειν μέχρι ἂν ὑπερτείνῃ τὸ πλῆθος τῶν γνωρίμων καὶ τῶν μέσων, καὶ τούτου μὴ πέρα προβαίνειν: ὑπερβάλλοντες γὰρ ἀτακτοτέραν τε ποιοῦσι τὴν πολιτείαν, καὶ τοὺς γνωρίμους πρὸς τὸ χαλεπῶς ὑπομένειν τὴν δημοκρατίαν παροξύνουσι μᾶλλον, ὅπερ συνέβη τῆς στάσεως αἴτιον γενέσθαι περὶ Κυρήνην: ὀλίγον μὲν γὰρ πονηρὸν παρορᾶται, πολὺ δὲ γινόμενον ἐν ὀφθαλμοῖς μᾶλλόν ἐστιν. ἔτι δὲ καὶ τὰ τοιαῦτα κατασκευάσματα χρήσιμα πρὸς τὴν δημοκρατίαν τὴν τοιαύτην, οἷς Κλεισθένης τε Ἀθήνησιν ἐχρήσατο βουλόμενος αὐξῆσαι τὴν δημοκρατίαν, καὶ περὶ Κυρήνην οἱ τὸν δῆμον καθιστάντες. φυλαί τε γὰρ ἕτεραι ποιητέαι πλείους καὶ φατρίαι, καὶ τὰ τῶν ἰδίων ἱερῶν συνακτέον εἰς ὀλίγα καὶ κοινά, καὶ πάντα σοφιστέον ὅπως ἂν ὅτι μάλιστα ἀναμειχθῶσι πάντες ἀλλήλοις, αἱ δὲ συνήθειαι διαζευχθῶσιν αἱ πρότερον.

„Um diese Demokratie einzurichten und den Demos zu stärken, pflegen seine Führer eine möglichst große Zahl <in die Bürgerschaft> aufzunehmen und das Bürgerrecht nicht nur denjenigen mit vollgültiger Abkunft zu verleihen, sondern auch Abkömmlingen aus nicht vollgültiger Ehe und solchen, bei denen nur ein Elternteil, also Vater oder Mutter, Bürger ist.

Denn jeder dieser Personengruppen passt eher zu einer solchen Demokratie. Man soll aber zusätzliche <Bürger> nur so weit aufnehmen, bis die Menge die Angesehenen und die mittlere

406 Bacchielli 1985, 1-12; Scott 2013, 22-29. Scott 2013, 25: „By the end of the fifth century BC the western side of the agora was even more fervently that of the democracy (with prytaneion, Demiurgi stelae, bouleuterion, Athenian-style stoa, sanctuary of Aristaeus and the Dioscuri), while the eastern side was integrated and rebuilt with the royal founder kept at the boundary, his tomb remodelled to resemble contemporary styles of burial at Cyrene and thus denying him a perceptibly historic presence.“ Zum Stilreichtum in der Plastik Bacchielli 1985, 1-2 mit Literatur. Sichtbar wird vor allem der Einfluss der athenischen Bildhauerkunst. Trotz allem setzt sich das Segment der Aristokraten durch und erwirkt die Untertützung der gestrandeten Spartaner. Einen Überblick über die öffentlichen Bauten auf der Agora gibt Purcaro 2003, 93-96

407 Applebaum 1979, 33; Bacchielli 1985, 8.

408 Über die Herkunft der neuen Bürger kann man letzten Endes nur spekulieren. Lazzarini 1987, 172 nimmt auch die Aufnahme von Kindern aus Mischehen an, in denen die Mutter eine Libyerin ist.

409 Übers. E. Schütrumpf.

Besitzklasse <gerade zahlenmäßig> übersteigt, und man soll über diese Grenze nicht hinausgehen. Denn wenn sie zu zahlreich sind, schaffen sie in der Verfassung eher ein Klima der Unordnung, und sie verbittern die Vornehmen, sodass diese weniger geneigt sind, die Demokratie hinzunehmen; in Kyrene kam es dazu, dass eine solche Entwicklung zur Ursache für innenpolitische Auseinandersetzungen wurde. Denn ein geringes Maß an Übel ist man bereit zu übersehen, wenn es aber überhandnimmt, dann fällt es umso stärker in die Augen. Außerdem sind für diesen Typ von Demokratie Maßnahmen von Nutzen, wie sie Kleisthenes in Athen ergriff, als er die Demokratie stärken wollte: Man muss neue Phylen und Phratrien in größerer Zahl bilden und die <Vielzahl> privater Kulte auf wenige zu reduzieren, zu denen die Allgemeinheit Zugang hat. Überhaupt muss man sich alle erdenklichen Mittel aussinnen, die so weit wie möglich zu einer Verschmelzung aller Bürger miteinander führen, während früher zwischen ihnen bestehende Verbindungen zerrissen werden.“ (Arist. Pol. 6, 4 [1319b 6-27])

Einige Forscher bringen diese Passage mit den Reformen des Demonax und seiner Phylenreform in Verbindung.410 Doch der wahrscheinlichere Kontext ist die Entwicklung der kyrenischen Verfassung in der zweiten Hälfte des 5. Jh. v. Chr.411 Nach dem Ende der Königsherrschaft sind zunächst die Aristokraten in der Politik Kyrenes tonangebend. Sie waren unter der Königsherrschaft benachteiligt, hatten die Könige bekämpft und sie schließlich gezwungen, den Schutz der Perser zu suchen. Die fruchtbaren Plateaus um Kyrene, welche die ökonomische Basis für Macht und Einfluss bilden, befinden sich nach wie vor im Besitz eines Segmentes aus Aristokraten. Die Aristokratie bildet während der gesamten Geschichte Kyrenes das konstitutive und am einflussreichsten wirkende Segment, das seine Macht und Vermögen zum Beispiel mit prunkvollen Grabmälern zur Schau stellt. Gleichwohl zeichnet auch die Aristokratie eine immanente Heterogenität an Interessen aus. Wie in Griechenland scheinen auch unter ihnen unterschiedliche Ansichten über die beste Verfassung zu existieren, die Meinungsverschiedenheiten werden jedoch erst am Ende des 5. Jh. v. Chr.

sichtbar, als sie sich in gewaltsamen Ausschreitungen entladen (Diod. 14, 34, 3-6). Zunächst aber dominieren die Aristokraten den überschaubaren Demos. Darum beinhaltet die nach dem Ende der Königsherrschaft eingeführte Demokratie keine radikalen Verfassungselemente, die Partizipation der Bürger an politischen Entscheidungen gestaltet sich stufenweise.412 Denn im Gegensatz zu Regionen wie Attika hatte sich in der Kyrenaika keine Klasse von Kleinbauern ausgebildet, die einen ähnlichen politischen Druck ausüben konnte.413 Obgleich die Nachsiedler durch die Reformen des Demonax stärker berücksichtigt wurden, bilden sie weiterhin das schwächste Glied in der Kette. Letztlich waren sie in der Vergangenheit auf das Wohlwollen und Landzuteilungen der Könige angewiesen. Der Versuch der letzten Könige, weitere Nachsiedler als loyale Einwanderer in der Kyrenaika anzusiedeln, steigerte den Unmut der Aristokraten und brachte die Königsherrschaft zu Fall.

Zunächst ist von keinem ausgeprägten Kollektivbewusstsein bei den unteren Schichten auszugehen, es fehlen in den Quellen jedwede Äußerungen. Erst durch die Einwirkung von politischen Führern und Demagogen wächst im Verlauf des 5. Jh. v. Chr. der Wunsch vieler Bürger nach einer größeren politischen Einflussnahme. Es entsteht eine Virulenz, die wohl weite Teile der Stadtbewohner erfasst und auch die Oberschicht spaltet, aus der im Normalfall die politischen Führer aller Parteien stammen. Daher klagt Aristoteles die Demagogen und auch die Anhänger der demokratischen Partei in Kyrene an, in späterer Zeit für die Aufnahme von Neubürgern in die Bürgerschaft verantwortlich zu sein und die Instabilität im Poliskollektiv gefördert zu haben.

Der Zeitraum, in dem der Demos wächst und der Unmut der Aristokraten nochmals überhandnimmt, ist nicht zu ermitteln. Jedoch lässt sich diese Art eines Verfassungswechsels

410 s. zu den Reformen des Demonax S. 13.

411 Die Meinungen zusammengestellt bei Mitchell 2000, 100 Anm. 35. Auch Bacchielli 1985, 8-9 verbindet die Passage bei Aristoteles mit der demokratischen Periode in Kyrene in der zweiten Hälfte des 5. Jh. v. Chr.

412 Für eine stufenweise Aufnahme zahlreicher Neubürger plädiert auch Mitchell 2000, 96; 102.

413 Mitchell 1966, 112. In der Antike sind die Kyrener für ihre Reiter und Pferde und nicht für ihre Hopliten berühmt. Einzig in der Schlacht bei Leukon seien laut Herodot (4, 160) 7000 Hopliten gefallen. Bis in die hellenistische Zeit nennt keine Quelle eine auch nur annähernd große Zahl. Die unteren Schichten werden in der Geschichte Kyrenes auch nicht als Ruderer gebraucht.

ebenso in anderen Poleis des 5. und 4. Jh. v. Chr. fassen, in denen der Demos und eine Oligarchie um die Macht kämpfen und sich arrangieren.414 Diese „zweite“ demokratische Verfassung in Kyrene, mit radikaldemokratischen Elementen, gerät am Ende des 5. Jh. v. Chr.

durch die Aufnahme weiterer Segmente in die Bürgerschaft aus den Fugen. Ungefähr 402/1 v.

Chr. bricht in Kyrene eine Stasis aus. Laut Diodor (14, 34, 3-6) töten die Demokraten unter ihrem Anführer Ariston 500 Personen aus der Oberschicht (δυνατώτατοι) und viele der Angesehenen (χαριέστατοι) müssen fliehen. Diese kehren mit 3000 messenischen Söldnern zurück, die von den Spartanern aus Kephallenia und Naupaktos nach der Niederlage der Athener vertrieben wurden.415 Nach einer Schlacht bei Kyrene, bei der fast alle Messenier sterben, kommen beide Parteien überein, weiterhin im selben Poliskollektiv zu leben.

(3) οἱ δὲ Μεσσήνιοι διὰ τὸ παλαιὸν πρὸς τοὺςΣπαρτιάτας μῖσος πανταχόθεν ἐλαυνόμενοι, μετὰ τῶν ὅπλων ἀπηλλάγησανἐκ τῆς Ἑλλάδος, καὶ τινὲς μὲν αὐτῶν πλεύσαντες εἰς Σικελίανἐγένοντο Διονυσίου μισθοφόροι, τινὲς δ᾽ εἰς Κυρήνην ἔπλευσαν, περὶτρισχιλίους ὄντες, καὶ μετὰ τῶν ἐκεῖ φυγάδων ἐτάχθησαν. (4) οἱ γὰρ Κυρηναῖοι κατ᾽ ἐκεῖνον τὸν καιρὸν ἐνταραχῇ καθειστήκεισαν, Ἀρίστωνος καί τινων ἑτέρων κατειληφότων τὴνπόλιν. προσφάτως μὲν πεντακόσιοι οἱ δυνατώτατοι τῶν Κυρηναίων ἀνῄρηντο, τῶν δ᾽ ἄλλων ἐπεφεύγεισαν οἱ χαριέστατοι. (5) οὐ μὴν ἀλλ᾽ οἱ φυγάδες προσλαμβανόμενοι τοὺς Μεσσηνίους παρετάξαντο πρὸς τοὺς τὴν πόλιν κατειληφότας, καὶ τῶν μὲνΚυρηναίων πολλοὶ παρ᾽ ἀμφοτέροις ἔπεσον, οἱ δὲ Μεσσήνιοι σχεδὸνἅπαντες ἀνῃρέθησαν. (6) μετὰ δὲ τὴνπαράταξιν οἱ Κυρηναῖοι πρὸς ἀλλήλους διαπρεσβευσάμενοι διηλλάγησαν, καὶ παραχρῆμα ὁρκωμοτήσαντες μὴ μνησικακήσειν, κοινῇ τὴν πόλινκατῴκησαν.

(3) „Die Messenier aber, ob aufgrund des alten Hasses, den die Spartaner gegen sie hegten, nunmehr aus alle Orten vertrieben, verließen Griechenland unter Waffen; einige von ihnen begaben sich nach Sizilien und wurden Söldner unter Dionysios; etwa dreitausend andere segelten nach Kyrene und schlossen sich dort den Verbannten an. (4) Bei den Kyrenern herrschte nämlich zu dieser Zeit Aufruhr, da Ariston mit gewissen anderen Parteigängern die Stadt eingenommen hatte. Dabei waren erst jüngst fünfhundert der einflussreichsten Kyrener hingerichtet, von den übrigen die Angesehenen in die Verbannung geschickt worden. (5) Die Verbannten nahmen nun die Messenier auf und lieferten denen, welche sich der Stadt bemächtigt hatten, eine Schlacht, in der auf beiden Seiten viele Kyrener, die Messenier sogar fast bis auf den letzten Mann getötet wurden. (6) Nach dem Kampf knüpften die Kyrener untereinander Verhandlungen und versöhnten sich; sie schworen zugleich auch, der früheren Vergehen nicht mehr gedenken zu wollen, und bewohnten ihre Stadt wieder gemeinschaftlich.“(Diod. 14, 34, 3-6)

Die der Stasis nachfolgende, „dritte“ demokratische Verfassung ist eine gemäßigte Demokratie, keine radikale.416 Der genaue Zeitraum der Einrichtung dieser Demokratie ist unbekannt. In einer Inschrift (S.E.G. 9, 3), die in das erste Viertel des 4. Jh. v. Chr. datiert, findet sich die Formel ὁ δᾶμος εὐτυχῆι ὁ Κυραναίων. Applebaum datiert die Einführung dieser Demokratie in die Jahre 373-375 v. Chr. da in diesem Zeitraum Kyrener an den Panathenäen teilnehmen und neue Münzserien die neue wirtschaftliche Prosperität der Stadt belegen sollen.417 Insgesamt belegen die wenigen Quellen, die über die demokratische Periode(n) in Kyrene berichten, die latente Spaltung der Bürgerschaft und von Parteien, die nach dem Ende

414 Verfassungswechsel sind in Korkyra (Thuk. 3, 70-83), Megara im Jahre 424 v. Chr. (Thuk. 4, 66-73), auf Samos (Thuk. 8, 73) und auch in Syrakus bezeugt. Zur Kontroverse über die sich widersprechenden Quellen hinsichtlich Syrakus Rutter 2000, 137-151.

415 Paus. 4, 26, 2: „Nach der Niederlage der Athener bei Aigospotamoi vertrieben die Lakedaimonier die Messenier aus Naupaktos, als sie das Meer beherrschten. Sie (die Messenier) segelten zu ihren Verwandten nach Sizilien und nach Rhegion, aber die Mehrzahl von ihnen erreichte Libyen und die Euesperiten. Denn die Euesperiten wurden durch einen Krieg mit den umwohnenden barbarischen Nachbarn geplagt und forderten alle Griechen auf, zu ihnen zu kommen. So ging die Mehrzahl der Messenier zu ihnen. Ihr Anführer war Komon, der sie auch bei Sphakteria kommandierte.“

416 Die These einer weiteren Demokratie vertreten Laronde 1987, 250; Mitchell 2000, 101. Für Bacchielli 1985, 1 existiert nach 401 v. Chr. „un governo formato da democratici ed aristocratici.“

417 Zu diesen Münzen Applebaum 1979, 35-36.

der Königsherrschaft in der Region um die Wahrung eigener Interessen bemüht sind. Ebenso zeigt sich die Spaltung des kyrenischen Poliskollektivs in konstitutive und virulente Segmente, die über die Verleihung des Bürgerrechts an bestimmte Gruppen und deren Teilnahme an politischen Entscheidungen uneins sind. Anzunehmen ist, dass erst die demokratisch gesinnten Aristokraten das Zusammengehörigkeitsgefühl der unteren Schichten wecken sowie ihren Wunsch nach politischer Teilhabe. Belegen lassen sich diese Bemühungen nicht. Diese

„dritte“ Verfassung scheint in der ersten Hälfte des 4. Jh. v. Chr. fortzubestehen.418

Die „dritte“ Verfassung weicht jedoch in den Jahren vor dem Zug Alexanders des Großen aus nicht eindeutig geklärten Gründen einer Oligarchie.419 Höchstwahrscheinlich war es nicht gelungen, durch eine rege Kommunikation und gemeinsame Interaktionen ein stabiles Kollektivbewusstsein zu formen. Über diese Oligarchie liegen jedoch keine Informationen vor, um Schlüsse zu ziehen, sie geht wiederum durch eine Stasis in den Jahren 324-322 v. Chr.

unter. In dieser Oligarchie beherrschen 1000 Aristokraten die Verhältnisse in Kyrene. Denn wie aus einer Inschrift hervorgeht, die in die Jahre nach 322 datiert (S.E.G. 9, 1), sollen nach der Einrichtung einer neuen Verfassung die neuen „10.000“ (μύριοι) Bürger in Kyrene walten wie die „1000“ (χίλιοι) in der Vergangenheit, also während der Herrschaft der Oligarchen.420 Es ist nicht bekannt, ob nur die „1000“ das Bürgerrecht besaßen, deutlich zu erkennen ist jedoch die anhaltende starke Spaltung des Poliskollektivs und innerhalb der Aristokratie. Das nächste Kapitel geht näher auf die Inschrift und die Ereignisse ein, denn zum ersten Mal treffen in einer offiziellen Inschrift Kollektivbildungen, Ämter und die Verfassung Kyrenes offen zutage. Zuvor aber wird auf die weiter voranschreitende Spaltung des Poliskollektivs in politisierte und virulente Kollektive eingegangen, die als Fortsetzung ihrer Politik Gewalt anwenden.

In den Jahren 331-322 v. Chr. schreitet die Spaltung des Poliskollektivs weiter voran. 332-331 v. Chr. besetzen Alexander und seine Truppen Ägypten, dabei wird im Januar 332-331 an der Mittelmeerküste ein weiteres Alexandria gegründet (Abb. 1). Nach seinem Sieg in Ägypten reist Alexander im Frühling weiter zur Oase Siwa und erreicht im März/April 331 v. Chr. die Hafenstadt Paraitonion (Παραιτόνιον, heute Marsa Matruh s. Abb. 1). Der Ort befindet sich 288 km westlich von Alexandria und etwa 300 km nördlich von Siwa.421 Nur hier zweigt eine Straße zur Oase nach Süden ab. Wie Diodor mitteilt, kommen Alexander Gesandte aus Kyrene entgegen, die ihn mit reichen Geschenken ehren und mit ihm einen Freundschafts- und Symmachievertrag abschließen:422

418 In dieser Zeit lädt die kyrenische Bürgerschaft Platon ein, um für sie eine neue Verfassung und Gesetze auszuarbeiten (Plut. Ad princ. inerud. 779d): „Die Bürger der Kyrener baten Platon, nachdem er Gesetze geschrieben hatte, ihre politische Verfassung zu ordnen und dass er ihnen Gesetze überlassen solle. Der aber bat um Entschuldigung, indem er erklärte, dass es ihnen gut gehe, denn nichts denkt sich so erhaben wie ein Mann, wenn er das besitzt, was er als Glück ansieht.“ Platon stirbt 348/347 v. Chr. sodass bis in diesen Zeitraum mit einer weiterhin gemäßigten Demokratie zu rechnen ist. Über eine Reise Platons nach Kyrene berichtet Diogenes Laertios (3, 6). Platon soll sich auf einer Bildungsreise mit dem Mathematiker Theodoros von Kyrene ebenda getroffen haben und dann nach Italien weitergereist sein. Theodoros von Kyrene ist vor allem aus den Werken Platons (Teaitetos, Sophistes, Politik) bekannt.

419 Wann und unter welchen Umständen dieser erneute Verfassungswechsel hin zu einem kleineren Entscheidungsgremium stattgefunden hat, ist nicht bekannt. Laronde 1987, 249-252 spricht sich für die Jahre 370-360 v. Chr. aus, doch hätte Aristoteles diesen Wechsel sicherlich bemerkt.

420 Der Originaltext lautet (S.E.G. 9, 1 Z. 34-35): Πρασσόντωσαν δὲ οἱ μὲγ γέροντες ἐπ’ εἰρήνης ἔπρασσον, ἡ

<δὲ> βουλὴ, οἱ δὲ μύριοι ἃ οἱ χίλιοι.

421 Arr. an. 3, 3, 1: „Nach diesen Vorgängen griff er wieder seinen Plan auf, zum Ammonion zu reisen und den Gott zu konsultieren, weil man sagt das Orakel des Ammon sei exakt und Perseus und Herakles es konsultierten, der eine als er gegen die Gorgonen von Polydektos geschickt wurde, der andere als er Antaios in Libyen und Bousiris in Ägypten aufsuchte.“ Marsa Matruh liegt etwa 270 km östlich von Alexandria.

422 Zur politischen Bedeutung dieses Treffens Laronde 1987, 35-36.

καταστήσας δὲ τὰ κατὰ τὴν Αἴγυπτον προῆλθεν εἰς Ἄμμωνος, βουλόμενος χρήσασθαι τῷ θεῷ. κατὰ μέσην δὲ τὴν ὁδὸν ἀπήντησαν αὐτῷ πρέσβεις παρὰ Κυρηναίων στέφανον κομίζοντες καὶ

„Nachdem er [=Alexander] die Verhältnisse in Ägypten geordnet hatte, zog er zum Heiligtum des Ammon, um den Orakelgott zu befragen. Als er die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, begegneten ihm Gesandte der Kyrener brachten ihm einen Ehrenkranz

Ferner berichtet Curtius Rufus (4, 7, 9): „Deshalb fuhr er mit denen, die er mit sich zu führen festgelegt hatte, stromabwärts zum Sumpfsee der Mareotis. Dort überreichten ihm Gesandte aus Kyrene Geschenke, suchten mit ihm Frieden zu schließen und dass er ihre Städte besuchen

Ferner berichtet Curtius Rufus (4, 7, 9): „Deshalb fuhr er mit denen, die er mit sich zu führen festgelegt hatte, stromabwärts zum Sumpfsee der Mareotis. Dort überreichten ihm Gesandte aus Kyrene Geschenke, suchten mit ihm Frieden zu schließen und dass er ihre Städte besuchen