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1983), Israel (MATRAS, 1983) und Frankreich (COURGEAU, 1985). In Deutsch-land hat sich besonders MAYER mit dem Sonderforschungsbereich Mikroanalyti-sche Grundlagen der Gesellschaftspolitik der DeutMikroanalyti-schen Forschungsgemeinschaft um die Etablierung der Lebensverlaufsforschung bemüht (vgl. dazu BLOSSFELD, 1989, 1986; MAYER & TUMA, 1989; HUININK, 1988; MAYER, 1987, 1979).

Im Gegensatz zu subjektiven Biographien werden in der Lebensverlaufsforschung Ereignisse im Lebensverlauf objektiv und repräsentativ erhoben, so dass Lebensver-läufe quantitativ rekonstruiert und standardisiert werden können. Durch die zeitliche Dimension kann der Lebensverlauf in Ereignissequenzen zerlegt werden (z.B. Schu-le, Ausbildung, Beruf). Diese Ereignisse innerhalb des Lebensverlaufs stehen im Zu-sammenhang mit räumlichen Mobilitätserscheinungen. Dadurch implizieren soziale Veränderungen auch räumliche Veränderungen, wie zum Beispiel Veränderungen im Karriereverlauf.

Die vorliegende Arbeit bezieht sich soweit die vorhandenen Daten dies erlauben -auf die Methoden der Lebensverl-aufsforschung. Durch die Interviews wurde ver-sucht, sowohl die räumlichen Veränderungen als auch die Auf- und Abstiegsmobili-tät der Karrieren zu erfassen. Dabei gehen historische, politische und wirtschaftliche Faktoren auf der Makroebene ebenso mit ein wie Wanderungsmotive, Einstellungen und Wertschätzungen der Individuen auf der Mikroebene. Durch die quantitative und qualitative Interpretation der Ergebnisse soll untersucht werden, inwieweit ein Zu-sammenhang zwischen räumlicher und sozialer Mobilität besteht und welche gesell-schaftlichen Determinanten einen Einfluss darauf haben. Die Stärke des Ansatzes liegt damit auf der Verknüpfung von makro- und mikroanalytischen Forschungsme-thoden.

6.2 Entstehung eines Arbeitsmarkts und Arbeitsreformen

Es ist davon auszugehen, dass Karrieren von Führungskräften und Hochqualifizier-ten auch in der VR China durch regionale DisparitäHochqualifizier-ten im Arbeitsplatzangebot be-stimmt werden. Doch wie sieht der Arbeitsmarkt in der VR China aus? Gibt es ihn überhaupt und wenn ja, in welchem Ausmaß?

Ausgangspunkt der Reformen im Arbeitsmarkt und Beschäftigungssystem war das System der Eisernen Reisschüssel (tie fanwan). Dieses System stammt aus den 50er Jahren und war zum Schutz von Facharbeiterinnen und -arbeitern erlassen worden, galt jedoch bald danach für alle städtischen Arbeitskräfte. Nach dem Schulabschluss wurde den Arbeitskräften ein Arbeitsplatz zugeteilt. In den meisten Fällen wurde da-bei keine Rücksicht auf Fähigkeiten und Vorlieben genommen. Die zugeteilte Ar-beitseinheit (danwei) wiederum sorgte für die Haushaltsregistrierung (hukou). Die Beschäftigung war eine Anstellung auf Lebenszeit und die Beschäftigten wurden durch ihre Arbeitseinheit mit Sozialleistungen versorgt. Eine chinesische Besonder-heit war dabei die Vererbung des Arbeitsplatzes (dingti). Bei der Pensionierung

konnte der Arbeitsplatz an nahe Verwandte vererbt werden. Diese Praxis wurde 1986 offiziell abgeschafft, existiert aber in Regionen mit hoher Jugendarbeitslosigkeit ver-einzelt weiter (WARNER, 1996, 139).

In den 80er und 90er Jahren gab es eine Reihe von Bestimmungen, Maßnahmen und Gesetzen, die wesentlich zum Entstehen eines Arbeitsmarkts beigetragen haben2. Dazu zählt an erster Stelle das Arbeitsvertragssystem (laodong hetongzhi) vom Juli 1986. Dieses Gesetz regelt, dass bei Neuanstellungen nur noch befristete Arbeitsver-träge geschlossen werden dürfen. Gleichzeitig wurden drei weitere Bestimmungen erlassen: Erstens die Verpflichtung zur öffentlichen Rekrutierung, zweitens die Aus-weitung der Kündigungsmöglichkeiten und drittens der Aufbau eines außerbetriebli-chen Sozialversicherungssystems. Doch zeigten diese Regelungen nicht den ge-wünschten Erfolg. Vor allem trug das Nebeneinander von fest angestellten und auf Zeit angestellten Arbeitskräften nicht zu der gewünschten Effizienzsteigerung bei.

Deshalb wurde im Februar 1992 die Umwandlung von Festverträgen in Zeitverträge erlassen. Gleichzeitig wurde jedoch die Möglichkeit geschaffen, dass besonders drin-gend benötigte Fach- und Führungskräfte auch unbefristete Verträge erhalten konn-ten. Dies sollte der hohen Fluktuation von gut qualifiziertem Personal Einhalt gebie-ten (HEBEL & SCHUCHER, 1997, 127-129).

Ende der 80er Jahre kam es zu großen Lohnreformen. Zuvor waren die Lohnstufen landesweit einheitlich festgelegt, jetzt fielen sie in die Entscheidungsautonomie der Unternehmen. Dadurch kam es aber auch zu einer Zunahme der Gehaltsunterschiede der Arbeitskräfte. Für eine gewisse Zeit wird dies von der Regierung befürwortet, um die gewünschte Effizienzsteigerung zu erzielen und die Unterschiede werden als Fle-xibilität interpretiert (WARNER, 1996, 142). Seit Beginn der 90er Jahre zählen Qua-lifikation und Motivation mehr als Seniorität und politische Treue. Die Arbeitsplatz-mobilität nimmt seit den 90er Jahren auch in den Staatsbetrieben zu, besonders bei Hochqualifizierten und Facharbeiterinnen und Facharbeitern. Insgesamt sind Ar-beitsplatzwechsel einfacher geworden (vgl. SCHUCHER, 1999, 50; DAVIS, 1992, 1064). 1993 ließen sich mehr als eine Million Personen aus dem technischen und dem Managementbereich in Personalbörsen registrieren, weil sie einen neuen Arbeits-platz wünschten. Nach neuesten Schätzungen möchte jede dritte hochqualifizierte Führungskraft ihren Arbeitsplatz wechseln, wobei ausländische Unternehmen einen hohen Stellenwert als potentielle Arbeitgeber haben (WARNER, 1996, 143).

Die chinesische Regierung strebt für die Zukunft eine Kombination von staatlicher Kontrolle und marktwirtschaftlicher Regulierung auf dem Arbeitsmarkt an. Sie hofft, durch beschäftigungsfördernde Maßnahmen die Arbeitslosigkeit in Grenzen zu hal-ten3. Gleichzeitig sollen sich Arbeitskräfte ihre Arbeitsplätze und Firmen ihre Ar-beitskräfte frei aussuchen können. Überschüssige ArAr-beitskräfte aus dem ländlichen

2. Zu Reformmaßnahmen und zur Entstehung eines Arbeitsmarkts geben die Arbeiten von WARNER (1996) und SCHUCHER (1998) detaillierte Analysen.

6.2 Entstehung eines Arbeitsmarkts und Arbeitsreformen 117

Raum sollen in die ländliche Industrie wechseln (SCHUCHER, 1999, 49). Dies alles setzt die Zunahme von beruflicher Mobilität voraus. Eine zunehmende berufliche Mobilität erfordert jedoch auch eine entsprechende Qualifikation der Beschäftigten.

Kennzeichnend für die berufliche Mobilität in der VR China ist die Tatsache, dass Arbeitskräfte aus dem ländlichen Raum ein wesentlicher Faktor für Prozesse der be-ruflichen Mobilität sind. Die städtischen Erwerbstätigen sind im Gegensatz dazu noch relativ immobil geblieben. Auch spielt derzeit der Generationenwechsel eine größere Rolle als der Arbeitsplatzwechsel. Im Vergleich zu den Vätern ergibt sich nach einer chinesischen Studie (nach SCHUCHER, 1999, 50) eine Verlagerung von landwirtschaftlichen zu nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeiten bei den Söhnen sowie ein Wechsel in höherqualifizierte Positionen. Ein drittes Merkmal sind Arbeitsplatz-wechsel aus kollektiven, privaten und anderen nicht-staatlichen Unternehmensfor-men. Im Vergleich dazu sind Arbeitsplatzwechsel im Staatssektor noch äußerst ge-ring (SCHUCHER, 1999, 50).

Hindernisse für eine höhere berufliche Mobilität von städtischen Beschäftigten sieht SCHUCHER in den Überresten der Planwirtschaft und den administrativen Eingrif-fen in das Beschäftigungssystem (1999, 50). Neben hukou-System, staatlicher Allo-kation von Arbeitskräften und der Verwaltung von Personalakten4 (dang´an) ist es vor allem das System der danwei mit betrieblichen Vergünstigungen (besonders Wohnungen) und sozialer Absicherung, das eine höhere berufliche Mobilität behin-dert. Daneben wird aber auch die Ansicht vertreten, dass die bisherigen Arbeitsrefor-men zu einer kompletten Umwandlung der städtischen Gesellschaftsstrukturen füh-ren können. Als Grund für diese mögliche Umwandlung wird die abnehmende Bedeutung der danwei durch die Reformen genannt (DAVIS, 1992, 1064).

Im Arbeitsgesetz, das im Januar 1995 in Kraft trat, wurden die Arbeitsreformen mit weiteren Lohn- und Sozialreformen verbunden. Dies sollte verhindern, dass kleine Teilreformen scheiterten. Das Arbeitsgesetz gilt für alle Arbeitsverhältnisse, unab-hängig von der Eigentumsform der Unternehmen. Das Gesetz beschreibt die Kon-trollfunktionen der Behörden und formuliert Rechtsnormen für Arbeitsverträge. Es enthält auch Schutzbestimmungen für die Arbeitskräfte sowie Regelungen für

Ar-3. Nach Einschätzung von chinesischen Ökonomen wird für Anfang 1999 mit einer städtischen Arbeitslosig-keit von 8-9% gerechnet. Die Zahl der städtischen Arbeitslosen würde dann bei 15-18 Mio. Menschen lie-gen (C.A., 1998, 1307). WANG (1998, 475) spricht von 7,5% für Anfang 1998. Landesweit liegt die offizielle Arbeitslosenrate bei ca. 3% (SCHÜLLER, 1999a, 80/20; WANG, 1998, 464), westliche Schät-zungen geben die städtische Unterbeschäftigung mit 15% und die Unterbeschäftigung in der Landwirt-schaft mit 30% an (SCHÜLLER, 1999a, 80/20).

4. Eine Personalakte gibt es für jede chinesische Arbeitnehmerin und jeden chinesischen Arbeitnehmer. Sie enthält Angaben zur Person, zu Ausbildung und Qualifikation, zu beruflichem Werdegang sowie Abschlusszeugnisse bei einem Arbeitsplatzwechsel. Sie ist den Arbeitskräften nicht zugänglich. Ihr Vor-liegen ist Voraussetzung für Lohnzahlungen und Sozialleistungen. Im neuen Arbeitsgesetz wird die Pflicht zur Führung von Personalakten nicht erwähnt. Es lässt sich daraus schließen, dass die Bedeutung der Personalakte mit dem Entstehen eines freien Arbeitsmarkts abnehmen wird (PROBST, 1995, 9).

beitsstreitigkeiten5. Besonders bemerkenswert ist, dass ausdrücklich das Recht auf freie Berufswahl angesprochen wird, wodurch es in der Zukunft durchaus zu mehr beruflicher Mobilität kommen kann (PROBST, 1995, 13). Trotz aller Reformmaß-nahmen ist die VR China noch sehr weit von einem freien und einheitlichen Arbeits-markt entfernt.

Besonders stark getrennt sind die Arbeitsmärkte von Städten (ca. 170-200 Mio. Ar-beitskräfte) und ländlichen Räumen (ca. 450-480 Mio. ArAr-beitskräfte) (WANG, 1998, 464; SCHÄDLER & GUTERMUTH, 1996, 109). Hier existieren hohe Barrieren, die vor allem die Beschäftigung von ländlichen Arbeitskräften in den Städten verhindern sollen (SCHUCHER, 1998, 743ff). Mit den ca. 100 Mio. Wanderarbeiterinnen und -arbeitern sind die Grenzen zwischen den beiden Segmenten des Arbeitsmarkts je-doch zunehmend fließend. WANG (1998, 459) spricht von einer weiteren Teilung des chinesischen Arbeitsmarkts. Diese Teilung besteht zum einen aus einem lokalen und gegen die Beschäftigung von auswärtigen Arbeitskräften abgeschotteten Seg-ment. In diesem Segment sind hauptsächlich die Beschäftigten von Kollektivunter-nehmen und der ländlichen Industrie tätig. Zum anderen besteht der chinesische Ar-beitsmarkt aus einem schnell wachsenden, nationalen Segment. Dieser Teil ist durch die Millionen an wandernden Arbeitskräften, einem unternehmerfreundlichen sozio-politischen Umfeld, der Koexistenz von massiver Unterbeschäftigung sowie einer von in den Staatsunternehmen Beschäftigten betriebenen Schattenwirtschaft gekenn-zeichnet (WANG, 1998, 460). Die treibenden Kräfte für die Entstehung eines natio-nalen Arbeitsmarkts waren die zahlreichen ausländischen Unternehmen sowie die in-ländischen Privatunternehmen. Noch kann sich die chinesische Regierung auf das Mittel der Haushaltsregistrierung zur Kontrolle des nationalen Arbeitsmarkts beru-fen. Die Bedeutung des nationalen Arbeitsmarkts und sein soziopolitisches Verände-rungspotential nehmen aber in dem Maße zu, wie die Zahl der städtischen Arbeitslo-sen, der Wanderarbeiter und der in der Schattenwirtschaft Tätigen zunimmt (WANG, 1998, 460).