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B. Die ersten Staatsanwälte?

II. Der Staatsanwalt als Ankläger?

1. Baden

Die Staatsanwaltschaft, die ab Juli 1832 in Baden arbeitete, bildete ein Sonderreferat mit limitierter sachlicher Zuständigkeit, dem erst im Rückblick überhaupt eine kohärente 'Vorreiterrolle' attestiert werden kann. Von jedem der vier badischen Hofgerichte wurde ein Hofgerichtsrat als Staatsanwalt abgestellt; er bekam je einen

„Substituten“ als Hilfsarbeiter zugeteilt.261 Die vier Juristen blieben auch in dieser Rolle – wie die badischen Richter – „Staatsdiener“262. Ihre Bestellung bestimmte eine großherzogliche Instruktivverordnung.263

die aufgrund des neuen „Preßgesetzes“264 notwendig geworden war.

Dieses badische Preßgesetz gilt allgemein als Ausdruck einer liberalen Pressepolitik, der man sich in Baden für eine kurze Phase im Vormärz verschrieben habe: „Alle Zensur […] ist aufgehoben.“265 Das Preßgesetz hatte neben der deklaratorischen Aufhebung der Zensur ein Kautions- und Druckerlaubnisverfahren vorgesehen,

261 Mayer (1852), 47. Haager (1860), 283: Die nach Gerichtsbezirken aufgeteilten Hofgerichte hatten ihren Sitz jeweils in Meersburg, Freiburg, Rastatt und Mannheim; am Oberhofgericht arbeitete der Staatsanwalt, der auch am Hofgericht Mannheim zuständig war.

262 Ormond (1994), 81 f.; zur Organisation der Staatsanwälte in Baden Brauer (1847), 169 f.

263 Die Instruktivverordnung scheint eine badische Spezialität gewesen zu sein. Sie ist zunächst als monarchische Verwaltungs- und Vollzugsanweisung, also als formalisierter Befehl zu verstehen.

In rechtshistorischen Kontext gesetzt, ist ihr dieselbe Wirkungskraft wie Gesetzen zuzuschreiben, weil zu jener Zeit der politische Streit um die Unterscheidung von (möglichst parlamentarischem) Gesetz und (monarchisch-exekutiver) Verordnung gerade erst offen ausbrach, Ogorek (2008), 191; Stolleis (1992), 110. Rechtliche Wirklichkeit war diese Unterscheidung damals noch nicht. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass badische Richter die Instruktivverordnungen neben Gesetz und Argumentationsfiguren wie der Natur der Sache als gleichwertiges Material für ihre Urteilsbegründungen benutzten; so dokumentiert in: Annalen der Großherzoglich Badischen Gerichte, Nr. 38, Jg. 3/1835, 225; 268.

264 Abgedruckt in den Badischen Gesetzesblättern, Bd. 2/1834, 441-447.

dessen Einhaltung strafbewehrt war. Es regelte also ein differenziertes 'Verwaltungsverfahren mit Nebenstrafrecht'. Unter seinem zweiten Titel führte das Preßgesetz diese Strafnormen auf (§§ 18-22), die nur vor dem Hintergrund des Druckmediums Sinn ergaben: Sie enthielten neben nur zwei eigenständigen Straftatbeständen266 die Klarstellung, dass jedes Vergehen und Verbrechen auch

„durch den Inhalt oder die Darstellung einer Druckschrift“ begangen werden könne und deswegen auch hierfür die „allgemeine Gesetzgebung“ gelte. Außerdem wurde für den Tatbestand der Majestätsbeleidigung „durch die Presse“ gleichsam eine mediumsbedingte Strafmaßerhöhung angedroht.267 Eher als Annex wurden zur Umsetzung noch Strafverfahrensregeln aufgestellt, die den öffentlichen Anklageprozess statuierten und eben die Staatsanwaltschaft als Anklagevertretung vorsahen.268

Außerdem erließ der Großherzog von Baden das „Gesetz über die Ehrenkränkungen“, das Beleidigungstatbestände unter Strafe stellte und als Privatklagedelikte ausgestaltete. Eine Ausnahme davon bildete ein Sonderdelikt, bei dem „Staatsbeamte“ und „Staatsdiener“ Tatobjekte waren. Hierfür führte der Staatsanwalt unter Verweis auf die Verfahrensregeln des Preßgesetzes die Anklage.269

Der politische Kern des Preßgesetzes, die Aufhebung der allgemeinen Zensur, war eine Idee, die zunächst nur auf dem Papier stand270 und durch Bundesbeschluss innerhalb kürzester Zeit wieder rückgängig gemacht wurde.271 Mit dieser Änderung

265 § 1 Preßgesetz; zur Entstehung des Preßgesetzes: Germann (1948), 216 ff. Arnold (2003), 116 f., wertet das Preßgesetz als „ein sehr liberales Gesetz“ mit einem „materiellen Fortschritt der Entwicklung der Pressefreiheit“. Moses (2006), 48, sieht es als „einen ersten Erfolg“, weil es „in Teilbereichen der Rechtspflege den mündlichen Anklageprozeß“ realisierte; Die Pressefreiheit war durch ein Kautionssystem zulasten des verantwortlichen Redakteurs (§ 7 Preßgesetz) allerdings nur als soziales Privileg Wohlhabenden vorbehalten; s.a. Germann (1948), 226 f.

266 § 21 schützte jede „anerkannte Religionsgesellschaft“ vor „Ausdrücken der Verachtung“ in Druckerzeugnissen, § 22 stellte die Darstellung und Verbreitung „unzüchtiger Gegenstände“

durch Druckschriften unter Strafe.

267 § 20 Preßgesetz, unter Verweis auf das Gesetz über die Ehrenkränkung.

268 §§ 43-89 Preßgesetz.

269 Abgedruckt in den Badischen Gesetzesblättern, Bd. 2/1834, 447 f.; diese Problematik ist heute mit dem § 194 StGB eingefangen.

270 Das Preßgesetz war nicht einmal vier Monate in Kraft, Arnold (2003), 131. Das Preßgesetz war zum 1. März 1832 in Kraft getreten und bereits zum 28. Juli 1832 durch Verordnung in seinen die Zensur regulierenden Normen wieder zurückgenommen worden. Diese Verordnung findet sich in den Badischen Gesetzesblättern, Bd. 2/1834, 561. Zu dieser Entwicklung generell Rotteck, zitiert bei Germann (1948), 222.: „Die Früchte der freisinnigen Verfassung Badens sind nicht ins Leben getreten.“

271 Unter Druck der Großmächte Preußen und Österreich, und mehr ratlos als tatkräftig, s. Arnold (2003), 121 ff.

fiel für die badischen Staatsanwälte allerdings nur das 'Nebenstrafrecht' weg, denn die Preß- und Ehrenkränkungsdelikte wurden beibehalten und später in das neu erlassene badische StGB übernommen – sie lebten weiter fort, und mit ihnen die badischen Staatsanwälte.

Diese nahmen mit ihrer strafprozessualen Arbeit für die Preßdelikte an der Regulierung eines politischen Gebietes teil, das sich im Vormärz „als konstitutiv für die entstehende bürgerliche Öffentlichkeit herauskristallisiert“ hatte272. Mit der Pressefreiheit verband man die politische Hoffnung, dass durch sie ein die Bürgerschaft umfassendes Partizipationspotential aktiviert werden würde.273 Zugleich bedeutete die Pressefreiheit in Verknüpfung mit staatspolitischen Forderungen eine grundlegende Modusänderung für die Ausübung politischer Macht: „Eine Preßfreiheit verbunden mit absoluter Monarchie ist undenkbar. […] Eine freie Presse kann nur im Rechtsstaate gedeihen“274. Dieser Komplex – die Presse verbunden mit der politischen Meinungsfreiheit als bürgerliches Recht – war in dieser Form ein neues Phänomen. Ihm vorausgegangen waren Ende des 18. Jahrhunderts Veränderungen275 sowohl in der Informationsinfrastruktur276 als auch im Lektüreverhalten277. In dieser Zeit entstanden die ersten wenigen und kurzlebigen Zeitschriften, die dezidiert politische Kritik publizierten.278 Um 1848 herum erwuchs dann „ein Blätterwald“, auch durch die zahlreichen Neugründungen von Lokalzeitungen, der den „öffentlichen Meinungskampf“ und die „öffentliche Meinungsbildung“ in der breiten Masse möglich machte279.

Baden war nun von den deutschen Partikularstaaten im „täglichen Verkehr“ schon früh durch ein besonders großes Aufkommen „aller Produkte der Pressfreiheit“

betroffen – bedingt durch „die weite gemeinsame Grenze mit Frankreich“, wo seit der

272 Siemann (1995), 350.

273 Mügge (1845), 2: „Der menschliche Geist hatte ein Mittel erhalten, die kühnsten Wahrheiten, zahllos vervielfältigt, […] zu überliefern und allen bewegenden Ideen einen rascheren Lauf zu geben. […] Die Presse weckt die Köpfe und die Herzen“.

274 Mügge (1845), 3.

275 Die sogenannte „erste Leserevolution“, Wehler (1987/2008), Bd. 2, 522: Der Charakter des Lesens „wurde aus einem ursprünglich privaten, ständisch begrenzten Privileg zu einer allgemeinen, öffentlichen Angelegenheit.“

276 Wehler (1987/2008), Bd. 2, 522: „Lesekabinette, öffentliche Lesehallen, […] Volksbüchereien“;

Siemann (1995), 214: Von den „Lesegesellschaften“ hin zu den „Leihbibliotheken“.

277 Wehler (1987/2008), Bd. 2, 522: „Von der wiederholten intensiven Lektüre […] zur extensiven neuen Lektüre“; Siemann (1995), 214: „[...] das sich nicht mehr intensiv auf nur wenige Bücher wie die Bibel […] beschränkte, sondern sich vielen Titeln zuwandte.“

278 Wehler (1987/2008), Bd. 2, 526 ff.

279 Siemann (1995), 370 ff.

Julirevolution 1830 die Pressefreiheit formell hergestellt war.280 Das badische Preßgesetz ist deswegen auch als Versuch zu verstehen, ein besonders dringliches politisches Problem nicht zuletzt über eine Verfahrensänderung zu bewältigen. Man musste sich nicht nur mit der Forderung nach Meinungsfreiheit und schärfer werdender Kritik an der Zensur auseinandersetzen, sondern auch damit, dass sich unter den sozial-ökonomischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts überhaupt „durch [...] Druckschrift“ eine Eigendynamik in der Kommunikation entwickeln konnte, die sich einer Regulierung tendenziell entzog. Dass im Vormärz aus gesamteuropäischer Perspektive „erhebliche Restriktion und Repression der Pressefreiheit“ die prägende

„politische Strategie“ darstellte,281 entspricht Versuchen, dieser Eigendynamik mit aller Macht Herr zu werden.

Das badische Preßgesetz enthielt vor diesem Hintergrund zur Bewältigung der politischen Problemlage doch wesentlich diffizilere Regelungen, als sein § 1 mit der präambelhaften Aufhebung der Zensur vorgab. Durch das statuierte gerichtliche Verfahren sowohl für das 'Nebenstrafrecht' als auch für die Preßdelikte wurde „eine Entscheidung zugunsten des Justizsystems“ getroffen, „eine weitgehende Abkehr von dem durch die Karlsbader Beschlüsse festgelegten Polizeisystem“ vollzogen:282

„Die vom Pressegesetz vorgesehenen Strafen“ konnten „ausschließlich von den Gerichten verhängt werden“.283 Damit ist grundlegend eine Tendenz zur Verrechtlichung von vormals administrativ durchwirkter Materie festzustellen. Die Zensur hatte zuvor allein auf Verwaltungsebene in Amtsstuben stattgefunden.284 Aus soziologischer Perspektive wird die Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz285 betont, wenn ein politischer Inhalt – hier die Zensur – über ein gerichtliches Verfahren vermittelt wird. Für Baden bedeutete dies aber, dass mit den gerichtlich verhandelten Preßdelikten eine offizielle Kriminalisierung in Fällen etabliert wurde, die zuvor auf administrativen Wegen ohne Strafurteil geregelt worden waren. Die Preßdelikte waren zudem so ausgestaltet, dass sie keine konkrete einzelne

280 Germann (1948), 215; zum Aufschwung des badischen Pressewesens nach der französischen Julirevolution 1830: Salomon, Ludwig: Geschichte des deutschen Zeitungswesens, Bd. 3/1906, 413 ff., 423 ff.

281 Leonhard (2003), 31 f.

282 Arnold (2003), 116.

283 Arnold (2003), 116; wertet das Preßgesetz deswegen als liberalen Fortschritt.

284 Dagegen richtete sich die liberale Forderung, dass die „Censur von der Verwaltung getrennt“

werden solle; Mügge (1845), Vorrede, 3.

285 Von der verpassten Chance zur erhöhten Akzeptanz der Zensur bei der Bevölkerung im Sachsen des Vormärz schreibt Westerkamp (1999), 136 f.

Handlung sanktionierten, sondern eine Art Haftungskette aufstellten: Sie machten der Reihe nach Verfasser, Herausgeber, Verleger, Drucker und Verteiler (den Buchhändler) für den Text verantwortlich286 und statuierten dadurch annähernd eine Produkthaftung, die nicht nur den Autoren als Erzeuger, sondern auch die politische und ökonomische Umwelt eines Textes in die Verantwortung nahm.

Damit waren erste Anfänge gemacht, die „Kontrolle der öffentlichen Meinung“ über eine „weniger sichtbare, indirekte Zensur zu üben“:287 Es waren nicht länger Zensoren, die für jeden Leser greifbar „weiße Flecken“ in den Texten hinterließen;

auch die Zeiten der öffentlich befohlenen Verbote einzelner Zeitungen wie des

„Wächter am Rhein“ waren vorbei: Diese Art der Kontrolle war überholt und mutete nahezu plump288 an. Das tendenziell bereits präventiv ausgerichtete Verwaltungsverfahren wurde – zunächst nur teilweise – durch das eher repressive Gerichtsverfahren ersetzt. Für die Zeitungsredakteure und ihre Zeitungsartikel bedeutete dies, dass sie eine faktisch wahrnehmbare Sozialkontrolle durch Kriminalisierung erst nachträglich erfuhren. Damit einher ging allerdings auch eine grundsätzliche Verschiebung des Erwartungshorizonts. Nun war es nicht mehr der Zensor, der eingriff, bevor irgendjemand irgendetwas lesen konnte. Nun waren es stattdessen Redakteur und Autor, die, wenn sie durch ihre tägliche Arbeit nicht bewiesen, dass sie den Gesetzen folgten, potentiell auf der Anklagebank saßen. Das Gerichtsverfahren setzte zwar repressiv ein; der damit verbundene Kontrollanspruch hatte sich aber bereits vorverlagert in die Sphäre der Normadressaten. Im repressiven Gerichtsverfahren war zugleich ein vorgreifender Präventionsanspruch verborgen: Der Zeitungsredakteur als rechtsunterworfener Bürger war stets Normadressat. Seine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben war mit der steten Gefahr verbunden, angeklagt zu werden, und stand damit unter einem stets aktiven Selbstgericht – „wer sich verhaltensnormkonform verhält, hat somit nichts zu befürchten“289.

286 §§ 25-27 Preßgesetz.

287 Naujoks (1982), 114 ff.; zum Wechsel in den Kontrollstrategien und -verfahren nach 1848.

288 Naujoks (1982), 118: „diesen relativ simplen Unterdrückungsmechanismus jener vormärzlichen Kontrolle der öffentlichen Meinung“.

289 So affirmativ Reus (2010), 83; diese Aussage ist freilich bezeichnend für Vor- und Nachteile von Prävention. Vorteile und Nutzen – hier das mit den liberalen Idealen besetzte Justizverfahren anstelle des damals noch unkontrollierbaren Verwaltungsverfahrens – sind evidenter als ihre

„Kosten“, die „weniger direkt und weniger konkret […] auch seltener ins Entscheidungskalkül eingestellt“ werden und zulasten „der Selbstbestimmung des Einzelnen und der Freiheitlichkeit des Gesamtsystems“ gehen; Grimm (1986), 39.

Dass in Baden das vom Preß- und Ehrenkränkungsgesetz „eingefürte Verfahren […]

g e r i c h t l i c h “290 und nicht administrativ geführt wurde, hatte damit gewissermaßen einen langwährenden Preis. Mit den Preßdelikten, die auch nach 1832 trotz Wiederaufleben der Zensur beibehalten und genau wie die „Ehrenkränkungen“ wenig später in das badische Strafgesetzbuch aufgenommen wurden,291 war dem materiellen Strafrecht eine vormals der Verwaltung obliegende Ordnungsaufgabe übertragen worden. Übertragungsmuster dieser Art lassen sich damit erklären, dass

„das Strafrecht im Vergleich zu außerstrafrechtlichen Regulierungsalternativen als jedenfalls faktisch geringere Belastung angesehen“ wird, weil „anstelle umfänglicher verwaltungsrechtlicher Aufsichts- und Kontrollmaßnahmen“ eben das

„strafrechtskonforme Verhalten“ des Einzelnen greift.292

Für die badischen Staatsanwälte von 1832 gilt, dass ihre Geburtsstunde in den Augenblick dieser Übertragung fällt. Nicht die Reform des Strafverfahrens war für ihren Einsatz ausschlaggebend, sondern ein materielles Aufgabengebiet, das von der Verwaltung auf die Gerichte verlagert wurde und sich dadurch auszeichnete, dass Prävention durch Repression erreicht werden sollte. Dem entspricht, dass die badischen Staatsanwälte zunächst keineswegs im gesamten materiellen Strafrecht, sondern nur mit sachlich begrenzter Zuständigkeit arbeiteten und unter liberalen Vorzeichen eingeführt, aber unter reaktionären Bedingungen beibehalten wurden, weil man auch unter den veränderten politischen Bedingungen die Einführung der Preß- und Ehrenkränkungsdelikte nicht mehr rückgängig machte.

Außerdem ist eine bemerkenswerte Parallele zu den 1846 eingesetzten Berliner Staatsanwälten festzustellen: Ähnlich wie in Preußen mit dem Polenaufstand hatte sich in Baden mit dem grenzüberschreitenden Presseverkehr, den die sich radikalisierende, liberale badische Presse prägte,293 eine Situation ergeben, die der herkömmlichen Kontrolle zu entgleiten drohte und politisch extrem aufgeladen war. In dem durch das Preßgesetz etablierten Verfahren und auch nach der Wiedereinführung der Zensur lieferten sich Zensor, Polizei und Redakteure tagtäglichen „Kleinkrieg“294 – der Zensor zensierte und der Redakteur legte gegen

290 Keller (1866), 56; Hervorhebung im Original.

291 Für die „Ehrenkränkungen“ bedeutete das in Baden: §§ 285–325 des neuen Strafgesetzbuches, s. Keller (1866), 56.

292 Theile (2010), 150, in Bezug auf Wirtschaftsstrafrecht und mit Verweis auf u.a. Tiedemann, Schünemann und Hassemer.

293 Dazu Müller, Hildegard: Liberale Presse im badischen Vormärz. Die Presse der Kammerliberalen und ihre Zentralfigur Karl Mathy 1840-1848, Heidelberg 1986, insb. 40 ff.

294 Bultmann (2007), 91.

jeden einzelnen Zensurstrich Beschwerde bei der Großherzoglichen Regierung ein.295 Der Zensor leitete gegen den Redakteur aber auch zugleich polizeiliche Untersuchungen in Strafsachen ein, die zur Anklage durch den Staatsanwalt führen sollten.296 Nach Aufhebung des Preßgesetzes im Juli 1832 waren für diese Strafverfahren in erster Instanz nicht mehr die Gerichte, sondern die Stadtämter zuständig. Im Fall von Gustav Struve297 ist solch ein Strafverfahren mit Beteiligung des Staatsanwaltes nur ein Mal dokumentiert worden: Der Staatsanwalt hatte beim Stadtamt Mannheim wegen Übertretung eines Druckverbots eine Geldstrafe in Höhe von 20 Gulden beantragt298 und Struve legte gegen das entsprechende 'Straferkenntnis' des Stadtamtes Appellation beim Badischen Hofgericht ein.299 Dieser Vorgang wurde durch Struve selbst in seinen „Actenstücken der Mannheimer Censur und Polizei“ dokumentiert. Da er dort einen regen Schriftverkehr – eine „schier unendliche Fülle von Rekursen und Beschwerdeschriften, die alle rechtsstaatlichen Mittel des Großherzogtums ausnutzten und die Behörden fast zur Verzweiflung trieben“300 – wiedergab, aber darin nur ein einziges Mal in besagter Sache der Staatsanwalt auftauchte, ist plausibel, dass die Staatsanwälte in solchen kleinteiligen Auseinandersetzungen eine Filterfunktion übernahmen: Nicht jede polizeiliche Untersuchung, die der Zensor in seinem lokalen 'Kleinkrieg' als Abwehr gegen die Redakteure anzustrengen versuchte, brachten die Staatsanwälte auch zur Anklage.

Ähnlich wie bei ihren Kollegen am Berliner Kammergericht war die Einrichtung der badischen Staatsanwälte im Strafverfahren eine experimentelle und zunächst sachlich begrenzte Lösung. Ihre Arbeit beschränkte sich keineswegs nur auf die Anklage, sondern erfüllte auch eine Sondierungsfunktion, die sich dann unabhängig von politischen Programmen strukturell als Verwaltung des Strafrechts bewährte.

295 Vgl. Struve (1846), etwa LXXVII f.

296 Struve (1846), VIII.

297 „Radikaler Anwalt“, Redakteur und Eigentümer der Mannheimer Abendzeitung; s. Bultmann (2007), 91; Nolte (1994), 279; s.a. Deuchert (1983), 176-183.

298 Struve (1846), CXXI ff.

299 Struve (1846), CXXI ff. Deuchert (1983), 180 macht „zehn Preßprozesse“ aus, mit denen die Polizei zusammen mit der Kreisregierung Struve „eingedeckt“ habe. Unklar bleibt, ob damit schon Gerichtsverfahren oder nur polizeiliche Anzeigen und staatsanwaltschaftliche Untersuchungen gemeint sind.

300 Nolte (1994), 279: Struve als „radikaler Anwalt“ habe diese rechtsstaatlichen Mittel besonders gut zu nutzen gewusst.