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Zwei Informationswelten in der Wissenschaft

3 Vier Informationstheorien

3.3.2 Zwei Informationswelten in der Wissenschaft

Die Vielköpfigkeit der Information als Kultur- vs. Naturgut ermöglicht die Etablierung neuer Sprechweisen innerhalb der Naturwissenschaften, die zusehens etablierte Termi-nologien verdrängen oder überlagern. Von zwei Kugeln zu behaupten, sie tauschten beim Zusammenstoß Informationen über Geschwindigkeit und Richtung aus, statt in der üblichen kausalen Redeweise zu bleiben und dies durch Stoßgesetze zu erklären, ist ein Beispiel hierfür [vgl. Janich 1995: 473]. Es stellt sich die Frage, ob damit tatsächlich et-was für das Verstehen und Erklären von Phänomenen gewonnen ist, wenn von der kau-salen in die informationistische Rede gewechselt wird. Zudem bleibt unklar, wo genau die Grenzen sinnvoller informationstheoretischer Terminologie verlaufen. Dies ließe sich bis zur völligen Absurdität treiben: Soll man etwa gesiebtem Sand unterstellen, die einzelnen Sandkörner werden durch das Sieb ‚erkannt’ und ‚selektiert’, so dass nur Kör-ner eiKör-ner bestimmten Größe durch das Sieb gleiten [vgl. Janich 1998: 177]? Tatsächlich werden in der Chemie neuerdings z.B. chemische Reaktionen so beschrieben, „als wür-den Moleküle ihre Reaktionspartner suchen oder erkennen“ [Janich 1996: 291]; in der Biologie wird die Gestalt der Fischflosse qua Anpassung an die Hydrodynamik des Wassers im Sinne der ‚Informierung’ (Strukturprägung) des Fisches durch seine Umwelt erklärt, wodurch also die Fischflosse Information über die Strömungsgesetze des Was-sers trage [vgl. Janich 1996: 299]; in der Physik kann die Formgebung einer Flüssigkeit durch ein Glas – gleichsam die Anpassung der Flüssigkeit an seine Umwelt – als ‚Infor-mierung’ des Flüssigkeitskörpers über die korrekt einzunehmende Form durch das Glas betrachtet werden [vgl. Janich 1996: 296]. Es scheint, als sei durch Information und In-formationsprozesse mittlerweile so gut wie alles beschreib- oder gar erklärbar.

Die Verdoppelung des jeweiligen Beschreibungsinventars ist offensichtlich: Einer kau-salen Redeweise wird eine informationstheoretische entgegengestellt, obgleich die ge-nannten Beispiele nach wie vor ohne Verlust in kausaler Rede darstellbar wären, ohne dass durch die informationstheoretische ein Gewinn erzielt werden könnte. Sie scheint keinen besonderen Prognosewert zu haben, so dass neue Einsichten aus einer informati-onstheoretischen Sicht zu erwarten wären: Die Verdoppelung ist damit schlicht redund-ant [vgl. Janich 1996: 299]. Ein verwandtes Phänomen ergibt sich im Bereich techni-scher Substitute für genuin menschliche Informationsleistungen: so etwa, wenn ein Ta-schenrechner das (Kopf-)Rechnen leistungsgleich ersetzt oder Nachrichten durch ein technisches Medium verbreitet werden, die zuvor allein durch Mundpropaganda ausge-tauscht wurden; auch die Verschriftlichung gesprochener Sprache, die ja stets ein Hilfs-mittel benötigt wie Schriftträger und Schreibgerät, sowie das Xerokopieren von Doku-menten, die zuvor mühsam per Hand übertragen werden mussten, gehören in die Kate-gorie technischer Substitutionen [Janich 1995: 477; Janich 1996: 293; Janich 1998: 173 f.; Janich 2000: 51–54]. Der Vorteil der Ersetzung primär menschlicher Informations-leistungen liegt nicht nur in der Transportierbarkeit durch Zeit und Raum (Nachrichten, Schrift), sondern auch in der Ersparnis von Ressourcen (Taschenrechner, Xerokopie).

Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass nicht alle Leistungen des Informati-onsprozesses ersetzt werden: Die Herstellung (Gewinnung) und Verarbeitung (Interpre-tation) von Information bleibt nach wie vor dem Menschen vorbehalten. Bei der Nach-richtenübertragung etwa wird nur der Sender, Empfänger und Kanal technisch ersetzt, nicht aber Quelle und Ziel als Ausgangs- und Endpunkt von Information(sprozessen), die jeweils Menschen sind [vgl. Janich 2000: 50 f.].

Im Falle des Taschenrechners (als vereinfachtes Modell für den Computer im Allgemei-nen) liegt ein vergleichbarer Fall vor: Bei der physikalischen Realisierung einer Rechen-maschine kann für den Rechner von den Zwecken der Erbauer und Nutzer des Rechners abgesehen werden, die nur in menschlicher Kommunikation und Informationsverarbei-tung vorzufinden sind. Die gesamte Mathematik als kulturelles Symbolsystem ein-schließlich der Logik des dezimalen und binären Rechnens ist zwar Voraussetzung für die Konstruktion einer physikalischen Rechenmaschine, das Gerät selbst braucht jedoch über keinerlei Kenntnisse der Mathematik zu verfügen (und kann es gar nicht), ge-schweige denn etwas über die konkreten Zwecke der Erbauer und Nutzer zu wissen. Der Rechner ist das Mittel in einer Mittel-Zweck-Relation, die der Mensch setzt; der Zweck des Rechners geht seiner technischen Umsetzung voraus [Janich 1996: 293]. Das Einge-ben von RechenaufgaEinge-ben und das Auslesen von Ergebnissen sind hier allein wieder dem Menschen vorbehalten; die Konstruktion von Rechnern und die Verwendung von Re-chenergebnissen sind zweckrational und deshalb menschliche und keine technischen

Kategorien. Ob das durch einen Rechner gelieferte Ergebnis gültig (korrekt, wahr) ist, obliegt wiederum nur der Beurteilung des Erbauers und Nutzers. Nur in diesem Sinne technischer Substitute als abhängig von den menschlichen Zwecken und zwischen-menschlicher Kommunikation sind Computer informationsverarbeitende Systeme. Ge-nau genommen benutzen sie nur Daten, die als Ein- und Ausgabe in und von der Ma-schine diese steuern und erst dem Menschen wieder zur Information werden; Rechen-maschinen sind daher Datenverarbeitungssysteme [vgl. Janich 1993: 67].

Aufgrund der durch den Menschen in die Maschine gelegten Zwecke ist die informatio-nistische Redeweise im Bereich technischer Substitute allerdings nicht überflüssig und daher auch nicht durch eine kausalistische Terminologie ersetzbar. Das Erkennen und Verstehen des gestörten oder störungsfreien Funktionierens eines Taschenrechners lässt sich nicht allein in der physikalischen Dimension bestimmen, denn die Naturgesetze gelten bei fehlerfreier wie fehlerbehafteter Berechnung gleichermaßen; d.h. falsche Re-chenergebnisse falsifizieren kein Naturgesetz, sondern bestimmen eine Störung nur rela-tiv zum Zweck eines Geräts [Janich 1999a: 44]. Eine physikalische Beschreibung kann deshalb gültig sein, obgleich die mathematische Beschreibung die Ungültigkeit der Re-chenergebnisse erweist; aus der Betrachtung und Beschreibung physikalischer Gesetz-mäßigkeiten alleine lässt sich mathematische Gültigkeit gerade nicht ableiten [vgl.

Janich 1995: 478; Janich 1996: 296; Janich 1998: 173 f.; Janich 1999b: 74 f.]. Hierzu sind stets Kenntnisse über den Zweck des Geräts, die mathematischen Bedingungen des gelingenden (korrekten, wahrheitsgemäßen) Funktionierens sowie die investierte Se-mantik nötig (Schriftzeichen in einer unverstandenen Sprache auf der Anzeige wären sinnlos). Ob etwa der Abguss einer zunächst unentschlüsselten Inschrift semantisch ent-stellende Kopierfehler aufweist, kann allein derjenige beurteilen, der Schrift und Spra-che bereits kennt [vgl. Janich 1999a: 42]. Auch hier gibt die physikalisSpra-che Beschreibung von Original und Kopie keinen Aufschluss über semantische und pragmatische Fakto-ren, weil physikalische Abweichungen nicht notwendig Einfluss auf die Bedeutung ha-ben müssen. Das Gelingen des Mitteilungsakts durch die Inschrift setzt auch hier Bedeu-tung und Zweck des kommunikativen Austauschs voraus; die LeisBedeu-tungsgleichheit von Sprache und Schrift (als Ersatzkommunikation) ist eine semantische und pragmatische Frage, keine physikalische.

Das Kriterium für die Sinnhaftigkeit und Nicht-Redundanz einer informationistischen Beschreibung stellt sich für Janich so dar: „[I]nformationstheoretische oder kognitive Beschreibungen haben immer dort ihren Sinn, wo sie wahrheitsfähige Resultate betref-fen. Wo solche nicht als Leistungen bezweckt werden, genügen stoffliche und energeti-sche Kausalerklärungen.“ [Janich 1996: 297]. Die Technisierung von Information er-setzt menschliche Leistungen, die auf ihre Bedeutung und Gültigkeit hin beurteilt

wer-den können, so dass die informationistische Redeweise nicht redundant ist. Die Natura-lisierung der Information hingegen kann in dieser Hinsicht nur misslingen, denn Natur-gegenstände erfüllen keine Zwecke (wie technische Substitute) oder sind nach Bedeu-tung und Gültigkeit zu beurteilen. In diesem Sinne ist die Verwendung informationsthe-oretischen Vokabulars in Physik, Chemie oder Biologie zumindest metaphorisch, meist jedoch überflüssig oder gar irreführend. Denn naturalistisch-informationistische Rede-weisen beschreiben rein materiell-kausal-physikalische Systeme und wollen aus deren Struktur und Verhalten semantische und pragmatische Merkmale ableiten, ohne dabei auf ein Vorverständnis hinsichtlich des Zwecks, des Funktionierens oder der Gültigkeit des Systems zurückgreifen zu müssen. Information ist dabei reduziert auf Struktur und

‚Verhalten’: Das Glas ‚informiert’ die Flüssigkeit über die einzunehmende Form, ob-gleich man hier nicht von Ge- oder Misslingen, Gestörtheit oder Ungestörtheit des

‚Kommunikationsakts’ sprechen kann, da Naturgesetze weder eine Wahl lassen noch ir-gendetwas beurteilen können.

Die dabei implizit unterstellte Reihenfolge Syntax–Semantik–Pragmatik ist für Janich der grundlegende Fehler des Naturalisierungsprogramms: Semantik und Pragmatik sol-len alleine aus der Struktur eines materielsol-len Systems gewonnen werden [Janich 1999a:

42 f.], auch wenn Bedeutung, Geltung und Gelingen von Information bzw. Informierung stets der Beurteilung im Hinblick auf einen bestimmten Zweck unterliegen. Eine infor-mationstheoretisch sinnvolle Beschreibung setzt demnach Subjekt und Handeln voraus [Janich 1995: 473]. Die semiotisch eingeschliffene Abfolge Syntax–Semantik–Pragma-tik ist daher umzukehren, da Syntax SemanSyntax–Semantik–Pragma-tik und PragmaSyntax–Semantik–Pragma-tik nicht konstituieren kann [Janich 1999a: 45]. Syntax ist nur in dem trivialen Sinne Voraussetzung für Semantik und Pragmatik, als „auch die kompetentesten Sprecher und Hörer nicht kommunizieren können, wenn unerträglicher Lärm jede menschliche Stimme übertönt oder dicke Mau-ern einen akustischen Kontakt unterbinden“ [Janich 1999a: 45]. Syntax mag bestenfalls Bedingung dafür sein, dass Semantik und Pragmatik überhaupt etabliert werden können, nicht aber dafür, welche Bedeutung und welcher Zweck damit verknüpft ist.