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Semantische Informationsprozesse

4.2.4 ‚Information’ und seine Verwandten im Englischen

5 Informationsverständnisse im Detail

5.2 Eine semiotische Informationskonzeption

5.2.2 Semiotische Informationsprozesse

5.2.2.2 Semantische Informationsprozesse

Der semantische Informationsprozess basiert auf den Ergebnissen des syntaktischen und umfasst die Zurkenntnisbringung eines – im weiteren Sinne verstandenen – Inhalts auf-grund des syntaktischen und aller vorgeschalteten Prozesse. Aus der unmittelbaren Be-kanntschaft mit einer wahrgenommenen Entität und deren Erkennen als diese Entität re-sultiert eine davon zu unterscheidende Kenntnis über etwas anderes: Rauch und ‚Feuer’

bringen gleichermaßen FEUER zur Kenntnis (wobei nur ‚Feuer’ ambig ist); auch der An-blick eines Feuers selbst lässt den Wahrnehmenden auf Dinge schließen, die nicht

un-mittelbar im Feuer liegen: Aufgrund seines konzeptuell-stereotypischen – und eben nicht perzeptuell-prototypischen – Wissens assoziiert der Interpret Inhalte wie BRAND

-STIFTUNG,BLITZSCHLAG,VERSICHERUNGSSCHADEN u.v.m. Einen Begriff von Feuer und beliebigen Entitäten im Allgemeinen hat man erst, wenn man Dinge über deren unmit-telbare Wahrnehmung hinaus über sie weiß.90 Wenn also aus dem Anblick eines Feuers nichts weiter resultiert, als dass man es eben als solches erkennt, liegt ein (syntaktischer) Informationsprozess ohne Semiose vor: Der Zeichenprozess erfordert, dass auch etwas Semantisches zur Kenntnis gelangt. Semiosen sind daher spezielle Informationsprozes-se, wo Signifikant und Signifikat zusammenwirken (dies schließt auch die reine Inhalts-memorierung qua semantischem Informationsprozess als Zeichenprozess aus).

Innerhalb des semantischen Informationsprozesses müssen wir zwei Stufen unterschei-den: zum einen die vordergründige (primäre) Interpretation einer Erscheinung, z.B. die Wörtlichnahme eines sprachlichen Ausdrucks; zum anderen die Ermittlung des hinter-gründigen (sekundären) Sinns, z.B. die nicht-wörtliche Aktualbedeutung eines Aus-drucks. Darüber hinaus sind auch Vieldeutigkeiten und Vagheiten zu eliminieren, um möglichst spezifische und eindeutige semantische Information zu erreichen. Ambiguitä-ten auflösen und Unschärfen präzisieren muss als Teil der primären Interpretation ange-nommen werden, da dies Input für die sekundäre Interpretation liefern kann, durch die z.B. Metaphern und Metonymien aufgeklärt werden. Man betrachte hierzu die folgenden Beispiele: (I) Ein Ikon wie verweist primär auf den relativ unspezifischen Begriff VOGEL, spezieller vermutlich auf TAUBE, wobei deren spezifische Eigenschaften wie Farbmusterung oder Größe zunächst offen bleiben müssen; sekundär könnte damit auch der Begriff FRIEDEN gemeint sein, was in jedem Fall der Kontext zu entscheiden hat (hierfür spielen die konkreten Tauben-Eigenschaften partiell eine Rolle: Die Taube soll-te weiß sein, was durch die Ikonie des unausgefüllsoll-ten Umrisses angedeusoll-tet wird). (II)

‚Venus strahlt’ besteht zwar nur aus zwei Wörtern, eröffnet jedoch eine Reihe von Inter-pretationsmöglichkeiten: Der Eigenname ‚Venus’ ist zweideutig zwischen dem Planeten und der Göttin; hier muss eine Vereindeutigung stattfinden, nicht nur damit das Prädikat passend interpretiert werden kann, sondern auch um eine metaphorische Übertragung zu erkennen: Eine Frau kann als Venus bezeichnet werden, wenn sie als ‚Schönheitsgöttin’

betrachtet wird. Das Verb ‚strahlt’ ist erneut mehrfach interpretierbar zwischen den Les-arten ‚Strahlung aussenden’ (Planet) und ‚strahlend lächeln’ (Göttin, Frau); darüber

90 Begriffe scheint es in rudimentärer Form auch bei Tieren zu geben: Affen etwa wissen, dass man be-stimmte Pflanzen zu sich nehmen muss, um die Verdauung anzuregen oder von einer Krankheit zu ge-nesen; sie wissen auch, dass man Steine und Äste zur Nahrungsbeschaffung verwenden kann. Sie ken-nen also die Funktion einer Pflanze oder eines Gegenstands, die man an ihken-nen nicht unmittelbar able-sen kann.

aus ist festzuhalten, dass ‚strahlen’ gemäß der ersten Lesart sowohl ‚radioaktiv strahlen’

als auch ‚lichthell strahlen’ bedeuten kann und dies wiederum durch den Kontext (oder Weltwissen) zu spezifizieren ist. Innerhalb des semantischen Informationsprozesses sind also mindestens zwei aufeinanderfolgende Verarbeitungsstufen anzusetzen, die Inhalts-informationen durch Reduktion von Interpretationsmöglichkeiten oder Produktion von abgeleiteten Alternativen erzeugen:

Semantische Information

Primärsemantische Information sekundärsemantische Information Inhaltsgewinn durch Reduktion Inhaltsgewinn durch Produktion von Vagheiten, Ambiguitäten symbolischer, metaphorischer und Unspezifitäten und metonymischer Inhalte

Die Eindeutigkeit der dargestellten Interpretationsreihenfolge ist sicherlich eine sugges-tive Idealisierung; es ist z.B. nicht auszuschließen, dass als metonymisch erkannte Aus-drücke nochmals metaphorisch oder symbolisch weiterzuinterpretieren sind, so dass ent-weder weitere Zwischenstufen eingefügt werden müssen und/oder Iterationen innerhalb des semantischen Informationsprozesses zu akzeptieren sind.91 Die Unterscheidung in primär- und sekundärsemantische Information bietet auch die Möglichkeit, die Auflö-sung von Deiktika und Pronomen unterzubringen: Primär bezeichnen beide nichts, d.h.

besitzen kein Denotat/Designat im Sinne eines Begriffs, sondern sind semantisch zu-nächst alleine durch ihren operationalen Gebrauch bestimmt (‚Suche eine passende Be-zugsentität im Ko[n]text und etabliere eine Verweisrelation’); sekundär kommt durch die realisierte Verweisung wiederum eine Entität zur Kenntnis, die wie alle anderen wei-terverarbeitet werden kann (da Pronomen und Deiktika weder symbolisch, metaphorisch noch metonymisch gebraucht werden, stellt sich die Frage nach einer weiteren semanti-schen Interpretation hier nicht).

Das Zurkenntnisbringen einer Entität durch einen semiotischen Verweisprozess – das unmittelbar Wahrnehmbare verweist auf das nur mittelbar Wahrzunehmende – ist strikt zu trennen von einem Referenzprozess im Sinne einer tatsächlichen Bezugnahme auf ei-ne Entität: Letzteres erfolgt mittels eiei-nes Aktualbegriffs oder -konzepts auf eiei-ne Entität

‚in der Welt’, Ersteres mit Hilfe eines aktuellen Perzepts (als Signifikant) auf ein zuge-höriges Konzept (Begriff oder Vorstellung als Signifikat) innerhalb des

91 Weitere Interpretationsbeispiele folgen in Abschnitt 5.2.3.

tems. Das Referieren auf eine Entität mit Hilfe eines Zeichens durch einen Sprecher ist nur eine Funktion von vielen, die mittels sprachlicher Zeichen in einem Sprechakt be-werkstelligt werden kann. Der referenzlose Gebrauch von Zeichen ist geradezu die Stär-ke der Sprache: Über Nicht-Existentes und Abwesendes zu sprechen ermöglicht fiktive Geschichten, in denen keine einzige Entität real zu existieren braucht; dennoch verwei-sen die Zeichen auf entsprechende Vorstellungen oder Begriffe (ohne referieren zu müs-sen), die wir uns von den umschriebenen Entitäten machen. Den sigmatischen Aspekt des Zeichenprozesses, also die Frage nach dem Bezug eines Zeichens, wollen wir hier jedoch nicht als eigenständige semantische Ebene betrachten.92