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Information als pragmatisches Konzept

3 Vier Informationstheorien

3.4.4 Information als pragmatisches Konzept

Die Konzentration auf das technisch Machbare bei Informationssystemen hat in den letzten Jahrzehnten die Aspekte des Inhalts, Gebrauchs und Nutzens von Information vernachlässigt [Kuhlen 1999: 135]. In der Informationstheorie (und auch Informatik) wurden Fragen der Semantik und Pragmatik überwiegend ausgeklammert, d.h. die Be-deutung von Information sowie deren Intention und Wirkung im Informationsprozess auf Seiten des Senders bzw. Empfängers gerieten ins Abseits [vgl. Kuhlen 2004: 8]. Es ist jedoch offenbar, dass wir es bei Information mit einem sozialen Phänomen zu tun ha-ben, das über die technischen Aspekte hinausreicht [Kuhlen 1991: 94].60 Eine Informati-onsgesellschaft in diesem Sinne ist keine informatisierte, sondern eine informierte

60 Umgekehrt, so könnte ein Informatiker vielleicht einwenden, hat sich die Informationswissenschaft bislang zu sehr auf den pragmatischen Aspekt allein konzentriert.

+ Nutzer + Kontext repräsentieren

Daten (extern, materiell)

Wissen (intern, immateriell)

Information

(als Daten realisiert, Wissen repräsentierend, im Kontext

des Nutzers)

sellschaft [Kuhlen 1995: 37, FN 22]. Jeder Einzelne in dieser informierten Gesellschaft benötigt handlungsrelevantes Wissen idealerweise genau dann, wenn er gerade Ent-scheidungen fällen muss, Probleme zu überwinden hat, Ziele erreichen will usw. Der in-formationelle ‚Mehrwert’ von Information (gegenüber Wissen) und Informationspro-dukten besteht genau in diesem Nutzen für kritische Handlungssituationen [vgl. Kuhlen 1999: 153]: „Informationen fügen dem Wissensbestand einen Mehrwert durch die prag-matische Ausrichtung hinzu. Information ist handlungsrelevantes Wissen.“ [Kuhlen 1995: 82].

Information wirkt auf das Handeln ein und ruft meist eine Re-Aktion hervor: „Informa-tionen sind die Triebfedern von Handeln und Reak„Informa-tionen.“ [Kuhlen 1999: 150]; es kann überhaupt nicht von Information gesprochen werden, wenn nichts bewirkt wurde: „Es gibt keine wirkungslose Information. Wird nichts im Rezipienten bewirkt, dann hat es sich nicht um Information gehandelt.“ [Kuhlen 1995: 42]. Daraus ergibt sich, dass Infor-mation durch seine Einbettung in einen Handlungszusammenhang nicht objektiv sein kann, sondern situationsspezifisch von Kontext und Nutzer abhängt. Diese Faktoren sind jedoch kontingent, d.h. treten in unvorhersagbarer, zufälliger Weise mit in Erschei-nung, sobald Wissen in einer Handlungssituation aktiv(iert) wird. Zu diesen Kontin-genzfaktoren zählen etwa auch die individuelle Informationsverarbeitungskapazität (be-dingt durch die aktuelle Befindlichkeit, durch Intelligenz, Alter usf.), zeitliche Restrikti-onen, individuelle Interessen, finanzielle Mittel usw. [Kuhlen 1990: 13; Kuhlen 1995:

36; Kuhlen 1999: 139; Kuhlen 2004: 14 f.]. Diese Aspekte stellen die pragmatischen Rahmenbedingungen bei der Nutzung von Information durch ein Subjekt dar. Informati-on wird damit abhängig vom aktuellen KInformati-ontext ihrer Nutzung und der geplanten AktiInformati-on des Nutzers, der sein eigenes oder fremdes Wissen aktivieren und aktiv einsetzen muss, um seine bezweckten Handlungen durchführen zu können. Dies lässt sich kurz fassen im pragmatischen Primat von Information als ‚Wissen in Aktion und Kontext’ [Kuhlen 1990: 14; Kuhlen 1991: 100; Kuhlen 1995: 34; Kuhlen 1998: 139; Kuhlen 2004: 15].

Information als pragmatischer Wirk-Stoff ist – aus Sicht der Informationswissenschaft – primär gegenüber Wissen als semantischem Gut.

Der eigentliche Wert von Information leitet sich aus dem Handlungszusammenhang ab:

Der vorhandene ‚Rohstoff’ Wissen wird zu Information ‚veredelt’ und erlangt dadurch seinen Mehrwert, indem das so aktivierte und eingesetzte Wissen tatsächlich wirkt. Für diese Transformation muss Informationsarbeit geleistet werden, die zunächst einmal Geld kostet: „Die Erarbeitung von Information, die Veredelung, Aufbereitung, Um-wandlung von Wissen, kurz, die Erzeugung informationeller Mehrwerte und ihre Dar-stellung in Informationsgütern kosten Geld.“ [Kuhlen 1995: 13]. Der erzielte Mehrwert ist dabei nicht nur abstrakt im Sinne der Ermöglichung von Handlung (Problemlösung,

Entscheidung usf.) zu denken, sondern durchaus konkret zu verstehen: „Informationelle Mehrwerte entstehen, indem über ein informationelles Ausgangsprodukt, z.B. einen Ar-tikel in einer Zeitschrift, Informationsarbeit gelegt wird, durch die z.B. ein Abstract, ei-ne Indexierung oder eiei-ne mehrsprachige Version entsteht. Kann dadurch ein höherer Ge-winn auf dem Markt erzielt werden als nur mit dem Ausgangsprodukt, so erhöht sich der Tauschwert […] Ist der informationelle Nutzen für einen Nutzer höher als der des Ausgangsprodukts allein, so erhöht sich für ihn der Gebrauchswert.“ [Kuhlen 1995: 9, Herv. im Orig.; vgl. auch Kuhlen 1990: 15]. Ist Wissen einigermaßen als objektiv (gül-tig) zu betrachten – wenn auch subjektiv im Gedächtnis des Einzelnen, aber eben auch im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft implementiert –, so ist die Subjektivität und Kontextualität von Information Grund dafür, dass deren Qualität und damit auch ihr Wert je nach Nutzer und Nutzungssituation (auch desselben Nutzers) variiert.

Informationsarbeit wird aber nicht nur in Richtung vom Wissen zur Information geleis-tet, z.B. in dem relevante Teile von Wissen selektiert und in Aktion gesetzt werden, son-dern auch umgekehrt: Erarbeitete Information soll auch dauerhaft als (gelerntes) Wissen verwaltet (gespeichert) werden können, um bei Bedarf wieder abrufbar zu sein [vgl.

Kuhlen 1999: 150]. Dadurch ergibt sich ein Informationskreislauf, der zwei Transfor-mationen beinhaltet:

Abb. 3-3: Transformationsmodell Wissen–Information und Information–Wissen [Kuh-len 2004: 15; vgl. auch Kuh[Kuh-len 1990: 14; Kuh[Kuh-len 1995: 35]

[1] „potentiell aktuelles Wissen“ = potenzielle Information

[2] „Wissen in Aktion und Kontext“ = (aktuelle/tatsächliche) Information Informationsverwaltung

(Transformation 2)

Kontingenzfaktoren als Rahmenbedingungen /

Einflussfaktoren

Information Wissen in Aktion

und Kontext[2]

potentiell aktuelles Wissen[1]

Informationserarbeitung (Transformation 1)

Handeln Entscheiden

Ausgangspunkt für Informationsarbeit ist ein Informationsdefizit im Sinne fehlenden Wissens, ohne das eine anstehende Aufgabe nicht lösbar ist. Informationsarbeit stellt dieses nicht vorhandene Wissen bereit und greift dabei auf das Wissen anderer zurück, das als fremde externe Ressource durch Informationsprodukte auf Informationsmärkten angeboten wird [vgl. Kuhlen 1995: 151 f.]. Erinnertes oder aus eigener Kraft geschaffe-nes neues Wissen ist daher bestenfalls als Grenzfall der Informationsarbeit zu werten [vgl. Kuhlen 1990: 15; Kuhlen 1995: 151]. Information ist nicht unmittelbar als/aus Wissen verfügbar, sondern muss aus dessen Repräsentationsformen erst als derjenige Teilbereich erarbeitet werden, der handlungs- und entscheidungsrelevant ist [Kuhlen 1995: 41]. Es handelt sich deshalb nicht nur um einen simplen Übergabeprozess, wenn Wissen eingeholt und situationsgerecht als Information genutzt werden soll, zumal In-formation stets einen gewissen Neuigkeitswert besitzen muss bzw. zumindest eine neue Sicht auf bekanntes Wissen darstellt [Kuhlen 1990: 15].

3.4.5 Fazit und Bewertung

Für die Informationswissenschaft ist der Begriff der Information absolut grundlegend.

Kuhlen hat bei der Begriffsbestimmung die spezifischen Anforderungen und Rahmenbe-dingungen der Informationswissenschaft berücksichtigt und ist so zu einer pointierten Aussage über Information gekommen, die einer Definition gleichkommt (Information als Wissen in Aktion und Kontext). Wenige andere wissenschaftliche Disziplinen kön-nen von sich behaupten, zu einem solchen (zumindest weitgehenden) Konsens gekom-men zu sein. Dass man sich hierbei auf ein vor allem pragmatisches Verständnis geei-nigt hat, ist zugleich eine Stärke und eine Schwäche: Pragmatik macht nämlich nur unter den Aspekten der Semantik und Syntax bzw. Syntaktik wirklich Sinn, denn Pragmatik bekommt man nicht alleine. Dem pragmatischen Mehrwert der Information geht gewis-sermaßen der semantische Nährwert voraus. Eine Auskunft, die nicht verständlich ist, weil sie nichts bedeutet, oder nur syntaktischen Kauderwelsch darstellt, ist nutz- und wirkungslos; nicht einmal ihre potenzielle Relevanz im aktuellen Handlungszusammen-hang könnte so bemessen werden. Die semantischen und syntaktischen Aspekte sind zwar durch die Relation zu Wissen und Daten bis zu einem gewissen Grade gewährleis-tet; allerdings ist der semiotische Ansatz insoweit halbherzig, als nicht nur ein zu starkes Gewicht auf den pragmatischen Aspekt gelegt wurde, sondern auch der eigentliche Pro-zess der Semiose – auf die Informationswissenschaft übertragen die Frage, wie man vom Signal oder Datum mit (potenzieller) Bedeutung und Zweck zur tatsächlichen Handlung gelangt – überhaupt nicht hinterfragt wurde. Darüber hinaus werden noch weitere Pro-bleme offenbar, wie sie im Folgenden anzusprechen sind.

Zunächst sei ein Einwand wiederholt, wie er in Abschnitt 3.4.3 (Fußnote) angesprochen wurde: Die grammatischen Eigenheiten von ‚Daten’ als vor allem Pluralwort vs. ‚Wis-sen’ als Singularwort und Massennomen vs. Information als Überlagerung aus all dem.

Wenn man Daten, Information und Wissen in einen bestimmten Zusammenhang brin-gen will, dann sollte dies aus alltagssprachlicher Sicht als ‚Datum’, ‚Wissenseinheit’

(bzw. ‚Faktum’, ‚Erkenntnis’, ‚Kenntniselement’, ‚Proposition’) und ‚Information’ ge-schehen. Dieser Befund nährt zudem den Verdacht, dass ‚Information’ (im Alltagsge-brauch) nicht auf derselben begrifflichen Stufe stehen kann wie ‚Daten’ und ‚Wissen’, da die grammatischen und damit auch semantischen Eigenschaften Letzterer spezifi-scher sind als die von ‚Information’ (vgl. hierzu Abschnitt 4.2). Problematisch ist auch die Forderung an Information, sie müsse medial und kommunikational vermittelt sein, d.h. von außerhalb eingeholt werden, so dass erinnertes Wissen keine Information dar-stellt. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass man sich einer Information umgangs-sprachlich sehr wohl erinnern kann – ‚Ich erinnere/entsinne mich dieser Information’ –, wohingegen man sich kaum eines Wissens erinnern wird – *‚Ich erinnere mich dieses Wissens’. Information ist damit nicht allein das, was man von außen zugeführt be-kommt, sondern auch das, worüber man verfügen kann, d.h. was man bereits als Kennt-nis besitzt und worüber man folglich Verfügungsgewalt hat. Information ist daher nicht ausschließlich ein kommunikatives, sondern auch ein kognitives Gut. Dies ist schon deshalb einzufordern, weil sonst die zugeführte Information im Rezipienten gar keine Wirkungen entfalten könnte, um dessen Handlungen zu beeinflussen. Der eigentlich da-bei stattfindende Rezeptions- und Transformationsprozess, d.h. die Aufnahme, Verar-beitung und Nutzung von Information im Hinblick auf das Handeln, bleibt gänzlich un-expliziert (etwa auch die Frage, wie die Intention eines Auskunftgebenden im Rezipien-ten erkannt wird und wirkt). Die Vorstellung vom ‚Wissen in Aktion’ lässt sich ebenso gut auf das eigene Wissen anwenden, indem Erinnertes im Rahmen des aktuellen Kon-texts zum ersten Mal oder erneut handlungsrelevant ist. Dass man sich dabei nicht (von außerhalb) informiert, ist unbestritten; jedoch erzeugt man spontan und aus eigener Kraft Information für den aktuellen Zweck, z.B. indem durch einen Syllogismus impli-zite Information expliziert wird und dadurch zum ersten Mal ein Inhalt bewusst zur Kenntnis(nahme) kommt. Hier wurde Wissen aktiviert, das als Wirkwissen genutzt wer-den kann, wobei schon Erinnern nicht umsonst zu haben ist, sondern kognitive Informa-tionsarbeit erfordert. Wir wären praktisch handlungsunfähig, wenn nicht die allermeiste Information latent in unserem Gedächtnis schon vorhanden wäre und nur noch situati-onsgerecht aktiviert werden müsste. Sollte dies alles etwa nicht unter Informations(v)er-arbeitung fallen?

Das Hauptinteresse von Kuhlen als Vertreter der Informationswissenschaft ist primär selbstverständlich die Aufbereitung und der Austausch von Information zwischen Indi-viduen (mit/ohne technische Hilfsmittel) sowie auch die Produktion und Nutzung von Information innerhalb der Gesellschaft. Dabei kann jedoch der Transformationsprozess, wie aus einer medialen Repräsentationsform von Wissen tatsächlich wirkende Infor-mation wird, nicht einfach beiseite gelassen werden, zumal sich hier die eigentliche Schnittstelle zwischen Information und Handeln befindet. Terminologische bzw. be-griffliche und/oder konzeptionelle Erweiterungen und Präzisierungen sind hierfür uner-lässlich. Eine vollständige Exploration des Gebrauchs von ‚Information’ etwa hilft auch, das bestehende Verständnis von ‚Information’ zu schärfen. Eine theoretische Reflexion und Diskussion solch wichtiger Begriffe kann man nicht einfach an andere Disziplinen wie Informationsphilosophie, (Wirtschafts-)Informatik, Biologie usf. abgeben.61 Gerade die Informationswissenschaft, die ‚Information’ nicht nur als einzige Wissenschaft voll-ständig im Namen trägt, sondern auch aufgrund ihres weitgehenden Konsenses eine gute Ausgangsbasis für weitere Reflexionen darstellt, sollte sich aus der allgemeinen Diskus-sion nicht heraushalten; vielmehr kann sie als ‚gutes Beispiel’ dienen und ihre verein-heitlichten Vorstellungen auf andere Informationswissenschaften ausweiten. Überdies kann man sehr wohl von einer Wissenschaft erwarten, dass sie sich ihrer wichtigsten Begriffe im Klaren ist. Wenn die Biologie nicht zu definieren oder erklären vermag, was unter ‚Leben’ zu verstehen ist, dann ist dies sicher ein zu behebender Mangel. Dies kann schließlich nicht nur in diesem Bereich zu erheblichen rechtlichen oder ethischen Kon-sequenzen führen.

61 Hierzu passt eine Redewendung aus einem anderen schnelllebigen, wenn auch ungleich profaneren Be-reich unserer Gesellschaft: „Wer bremst, verliert“. Und wer verliert, so muss man hinzufügen, hat auf Dauer nichts zu vermelden.