• Keine Ergebnisse gefunden

Das Zeichen ist ein Komplex aus Lautbild und Vorstellung. Die Vorstellung ist sowohl individual- wie sozialpsychologisch als (Durchschnitts-)Konzept bzw. Begriff zu verste-hen, die man als Bedeutung eines Zeichens interpretieren kann. Das Signifikat darf hier-bei jedoch nicht mit dem bezeichneten Objekt selbst verwechselt werden: Wenn die Be-deutung eines Wortes (allein) durch das Objekt selbst bestimmt wäre bzw. durch die Abstraktion einer Menge gleicher Objekte zu einer Objektklasse, dann müssten alle Sprachen dieselbe Abgrenzung innerhalb des Wortschatzes vornehmen. Es ist aber eine bekannte Tatsache, dass dies nicht der Fall ist: „Das Französische sagt ohne Unterschied louer (une maison) da, wo das Deutsche die zwei Ausdrücke ‚mieten’ und ‚vermieten’

gebraucht […]“ [Saussure 19672: 139]. Die Reihe solcher Beispiele ist lang. In der Tat gibt es vermutlich keine zwei vollständig synonymen Ausdrücke in zwei verschiedenen Sprachen. Daraus folgt jedoch, dass die Bedeutung eines Zeichens nicht allein aus dem Verhältnis von Vorstellung und Objekt bestimmt werden kann.

Vielmehr scheint auch relevant zu sein, welche Nachbarbegriffe eine Sprache vorzuwei-sen hat. Wenn im Deutschen ‚mieten’ und ‚vermieten’ unterschieden wird, wo sich das Französische mit einem einzigen Wort begnügt, dann ergibt sich die Bedeutung der deutschen Wörter allein durch den relativen Kontrast der beiden Begriffe MIETEN und

VERMIETEN untereinander. Eine Entsprechung in der (physischen) Welt kann dafür nicht ursächlich sein, denn zum einen handelt es sich um abstrakte Konzepte, zum anderen ist dieselbe Einteilung in anderen Sprachen wie dem Französischen gerade nicht zu finden.

Es muss also innerhalb des Sprachsystems, konkret dem Wortschatz (Lexikon), nach einem Grund gesucht werden: Die Bedeutung der Wörter ist eine allein im System der langue sich konstituierende relative Größe, deren ‚Wert’ sich nur durch ihren Platz im Gesamtzusammenhang aller Zeichensignifikate eines Sprachsystems ergibt. Die Sprache enthält keine Vorstellungen (Bedeutungen, Begriffe), die ohne das System präexistent wären [Saussure 19672: 143 f.]. Zeichen und deren Bedeutungen können damit nicht isoliert, sondern nur im Verhältnis zu anderen Zeichen desselben Systems beschrieben werden.

Das französische Wort ‚mouton’ kann unter geeigneten Umständen dieselbe Bedeutung haben (Vorstellung hervorrufen) wie das englische Pendant ‚sheep’. Sein Gesamtwert jedoch innerhalb der französischen Sprache ist anders festzusetzen als das englische Ge-genstück: Im Englischen steht ‚sheep’ das Kontrastwort ‚mutton’ zur Seite, das zuberei-tetes Schafsfleisch meint [vgl. Saussure 19672: 138]. Wo das Französische beide Begrif-fe vereint, trennt das Englische wiederum diese Vorstellungen. Hierbei wird erneut deut-lich, dass im Sprachsystem nicht (allein) die Beziehung Zeichen–Objekt konstitutiv für

die Signifikation eines Wortes ist, sondern vor allem die Relation Zeichen1–Zeichen2

bzw. Signifikat1–Signifikat2 (z.B. ‚sheep’ vs. ‚mutton’) im Vordergrund steht [vgl. auch Saussure 19672: 144; Larsen 1998: 2051]. Begreift man die Bedeutung konkret als indi-viduelle oder kollektive Vorstellung eines Zeichens, so ist sein Wert darüber hinaus noch durch die abstrakte Relation zu den jeweils anderen Zeichen gegeben. Der Wert ei-nes Zeichens (Wortes) in der Sprache wird damit innerhalb des Systems dieser Sprache durch die Abgrenzung zu allen anderen Zeichen mitbestimmt. Die langue ist nichts an-deres als ein System von bloßen Werten [Saussure 19672: 132].

Der Wert, verstanden etwa als kommunikatives Potenzial eines Zeichens in der Sprache, setzt ein Wertesystem voraus. Weder kann es also einen einzelnen Wert für sich geben, noch kann ein Wert ohne die ihn hervorbringende Wertegemeinschaft existieren: „Die Gesellschaft ist notwendig, um Werte aufzustellen, deren einziger Daseinsgrund auf dem Gebrauch und dem allgemeinen Einverständnis beruht. Das Individuum ist für sich allein außerstande, einen Wert festzusetzen.“ [Saussure 19672: 135]. Werte setzen also voraus, dass es ein Einverständnis im Sinne einer (stillschweigenden) Konvention oder Anerkenntnis zwischen den Sprechern gibt, dass ein Zeichen eine bestimmte Rolle in-nerhalb der Sprache spielt. Diese wird festgelegt durch den tatsächlichen Gebrauch die-ses Zeichens im Sprechen. So wie das Geldstück heute nicht mehr durch seine materiel-le Existenz wertvoll ist, sondern durch seinen anerkannten Gebrauch in der Gemein-schaft [vgl. Saussure 19672: 141 f.], so erlangt das Zeichen Geltung durch die Rolle im Kommunizieren, die es für die Gemeinschaft spielt. Die Münze als materielles Gebilde ist mit einem monetären Wert versehen und hat allein durch die Anerkenntnis durch die das Wertesystem konstituierende Gemeinschaft kausales Potenzial – und das nicht nur im Sinne von Schmiergeld –, obgleich der Wert eine rein abstrakte Größe ist. Die mate-rielle Münze ist keine Münze mehr, sobald sie nicht mehr als Wert eines bestimmten Wertesystems (an)erkannt wird (vgl. unbedruckte Stücke Metall oder Papier, fremdlän-dische Münzen). Eine Figur im Schach besitzt Wert nur insofern, als sie in diesem Sys-tem aus Figuren und Regeln eine bestimmte Rolle spielt. Die konkrete materielle Exis-tenz der Figur ist völlig unerheblich. Ein verloren gegangener oder zerbrochener Sprin-ger kann durch ein beliebiges anderes Objekt ersetzt werden, sobald man dieses zum Springer erklärt, d.h. ihm diesen anerkannten Wert verleiht [vgl. Saussure 19672: 131].

Nun ist nicht nur die Bedeutung eines Zeichens in ihrem Wert durch die Abgrenzung zu anderen Zeichenbedeutungen bestimmt, sondern ebenso das Lautbild (Signifikant): Es ist eine nicht weniger abstrakte Größe als die Bedeutung (Signifikat) und kann daher nur durch die Verhältnisse innerhalb des Systems festgelegt sein. Welche Laute in einer Sprache zu unterscheiden sind und damit auch Wörter voneinander abzugrenzen vermö-gen, legt die Sprache selbst fest, nicht die Artikulationsfähigkeit des Menschen oder die

konkrete Aussprache eines Individuums. Dass ‚r’ und ‚l’ im Deutschen wortunterschei-dend sind (vgl. ‚Lachen’ vs. ‚Rachen’), in manchen Dialekten des Chinesischen nicht, ist allein dem unterschiedlichen Wert von ‚r’ vs. ‚l’ als im deutschen Sprachsystem aner-kannte Laut-Opposition zu verdanken. Genau dies ist nichts, was das ‚r’ oder ‚l’ als konkreter physikalischer Schalllaut mit sich bringt, sondern nur das Lautsystem – als Teilsystem der langue – bestimmt. Es kann hierfür keine objektiven, physikalischen oder biologischen Gründe geben, da sonst alle Sprachen dieselbe Unterscheidung treffen müssten.

Das Zeichen wird damit zu einer Werteeinheit aus Lautbild und Vorstellung, die jeweils durch ihre Stellung im (Teil-)System der Signifikanten und Signifikate bestimmt sind.

Somit bekommt auch das ganze Zeichen einen Wert innerhalb des Systems, in dem sich die Zeichen durch ihre Koexistenz hinsichtlich ihrer Werte wechselseitig determinieren [vgl. Fehr 1997: 155]. Tritt beispielsweise durch Import aus einer anderen Sprache ein fremdsprachiges Zeichen dem einheimischen System bei, so fügt es sich in das Gesamt-system, indem es eine freie Position besetzt und damit die Werte aller anderen Zeichen beeinflusst, ohne dass sich notwendig deren Bedeutung oder Lautung ändern muss [vgl.

Saussure 19672: 144]. Die Übernahme des französischen Wortes ‚Prestige’ etwa gegen-über dem deutschen ‚Ansehen’ oder ‚Geltung’ hat nicht deren Bedeutung verändert, sondern nur deren Wert: Sie wurden durch die Einfuhr des bildungssprachlichen Wortes minimal ab- oder umgewertet. Auch durch innere Umgruppierung des Systems ohne Einfluss von außen können sich Lautbilder oder Bedeutungen unabhängig voneinander wandeln: so etwa ‚Information’, das heute kaum noch als Bildung (Einformung des Geistes) zu verstehen ist, aber nach wie vor die gleiche Lautung aufweist; oder ‚par-fum’, dessen Aussprache heute weitgehend zu ‚parfüm’ angepasst wurde, ohne dass sich dabei seine Bedeutung geändert hätte. Verschiebt sich der Lautbildwert, braucht sich nicht notwendig auch der Bedeutungswert zu verschieben und umgekehrt. Trotz aller Veränderungen bleibt die Identität des gesamten Zeichens im System gewahrt, denn das Zeichen ist nichts Materielles, dessen Substanz einfach zerfallen könnte, sondern eine assoziative Einheit aus Vorstellung und Lautbild, dessen abstrakter Gesamtwert sich je-weils neu aus der aktuellen Anordnung der Zeichen des Systems ergibt. Es ist einem Sprachsystem inhärent, dass es sich im Verlauf der Zeit (diachron) wandelt, da Zeichen zirkulieren und deren Werte in jedem Moment durch die sprechende Menge neu festge-setzt werden, ohne aber jemals einen endgültigen und absoluten Wert zu erreichen [Fehr 1997: 114, 159].

Solange Gedanke und Laut für sich alleine genommen bestehen, stellen diese jeweils nur eine gestaltlose Masse dar [Saussure 19672: 133]. Erst die Vereinigung von Lautbild und Vorstellung zum Zeichen ergibt eine (immaterielle) Form im Sinne einer Struktur

[vgl. Saussure 19672: 134; Nöth 20002: 75], die den ansonsten amorphen Gedanken oder Lauten Kontur verleiht. Die Sprache ist damit keine Substanz, sondern ein gegliedertes und gliederndes System, das „als Verbindungsglied zwischen dem Denken und dem Laut“ [Saussure 19672: 133] fungiert. Lautbild und Vorstellung sind einander sich ent-sprechende Abgrenzungseinheiten unseres vorsprachlichen Lautgebens und Denkens, die infolge ihrer Eingliederung in das (Werte-)System zu sprachlichen Bedeutungs- und Ausdrucksformen werden. Eine bloße Asphaltmasse in einer Stadt ist erst dann eine Straße im Netz (System) der Verkehrswege, wenn sie angebunden ist an und abgegrenzt wird von anderen Straßen, wenn sie durch Verkehrsteilnehmer tatsächlich benutzt wird und als Verkehrsweg eine bestimmte Rolle spielt. Wie sich die Substanz der Straße dar-stellt, ob sie erneuert, ausgebessert, verbreitert wird, ob Häuser zu ihrer Seite abgerissen und anders wiederaufgebaut werden, ist unerheblich. Nicht ihre materielle Realisierung, sondern allein ihre Stellung, ihr Wert im System der Straßen ist relevant [vgl. Saussure 19672: 129].

Ein (Sprach-)System ist eine Gesamtheit im Sinne eines Netzwerks struktureller Rela-tionen zwischen Zeichen, deren Wert sich durch Position und Opposition gegenüber den anderen Zeichen innerhalb des Systems ergibt. Kennzeichnend für einen Wert ist, dass man ihn gegen etwas Unähnliches auswechseln und mit ähnlichen Dingen vergleichen kann [Saussure 19672: 137]. So kann man etwa ein Geldstück mit nur abstraktem Wert gegen konkrete Waren eintauschen, die außerhalb des Geldwertesystems stehen, oder mit anderen abstrakten Geldwerten innerhalb des Systems vergleichen. Entsprechend kann man ein Zeichen mit anderen Zeichen desselben Sprachsystems vergleichen, aber auch gegen das damit bezeichnete konkrete Objekt ‚eintauschen’ – gerade dies begrün-det ja die Leistungsfähigkeit einer menschlichen Sprache, indem sie die dargestellten Gegenstände in Abwesenheit zu vergegenwärtigen vermag.11 Zeichen müssen sich gera-dezu vom konkreten Objekt lösen, um als soziale Zeichen ein System von abstrakten Relationen und Werten bilden zu können.