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3 Vier Informationstheorien

3.3.3 Information als Abstraktion

Die Quasi-Umkehrung der semiotischen Trias Syntax–Semantik–Pragmatik zu Pragma-tik–Semantik–Syntax ist für Janich zentral und begründet durch die Primarität von (sprachlichem) Kommunizieren, die als Praxis des (Sprach-)Handelns unmittelbar der Lebensbewältigung dient und nicht weiter hintergehbar ist (Zwecke sind nicht kausal erklärbar, Sprach- und Kommunikationskompetenz werden als implizite praktische Fer-tigkeiten und Kenntnisse erworben usf.). Eine Informationstheorie solle daher als

Theo-rie zu einer Praxis konstruiert werden [Janich 1995: 474]: Hierbei spielt vor allem auf-forderndes und fragendes Reden eine prominente Rolle, an denen sich an der Reaktion der Kommunikationspartner Erfolg und Misserfolg der Handlung besonders deutlich ab-lesen lassen (Zweck erfüllt, Ziel erreicht?), ohne aber zugleich mit der (philosophischen) Wahrheitsproblematik beschreibender oder behauptender Rede konfrontiert zu sein [vgl.

Janich 1995: 475]. Gerade bei Aufforderungen wird besonders deutlich, wie sprachli-ches in nicht-sprachlisprachli-ches Handeln übergeht und durch die Wahlmöglichkeit des Befol-gens oder Verweigerns einer Aufforderung Handeln von bloßem (Reiz-Reaktions-)Ver-halten unterscheidbar bleibt: Nur zum Handeln lässt sich sinnvoll auffordern, zu Verhal-ten nicht [Janich 1995: 479]. Diese ‚Gelenkstelle’ zwischen Aufforderung und Re-Akti-on liefert erst Kriterien für gelingendes (erfolgreiches) oder misslingendes (erfolgloses) Kommunizieren, an dem ablesbar wird, ob die (auffordernde) Sprachhandlung verstan-den wurde (d.h. Bedeutung hat) und gültig ist (d.h. anerkannt wurde [vgl. Janich 1999a:

50]). Janichs Informationsbegriff richtet sich an diesen semantischen und pragmatischen Aspekten aus: Dabei wird von der Handlung des Informierens ausgegangen, die notwen-dig bedeutungsvolle Kommunikation zwischen mindestens einem Sprecher und Hörer einschließt. Bei einer Auskunft etwa als Paradefall einer (durchaus auffordernden) Infor-mationshandlung erwartet der Hörer die Gültigkeit (Wahrheit) der Auskunft, so dass der Nachfragende seine aktuellen Probleme damit lösen kann und die intendierten Ziele er-reicht werden; der Sprecher will sich entsprechend verstanden wissen und erwartet das

‚Befolgen’ der Auskunft, damit der Hörer sie für seine Zwecke einsetzen kann [vgl. Ja-nich 1998: 179].

Ausgangspunkt für Janichs Bestimmung des Begriffs der Information ist nun das zu-grunde liegende Handlungsprädikat ‚informieren’52 in der Form ‚A informiert B, dass S’

[Janich 1993: 65 f.; Janich 1995: 479; Janich 1996: 300], wobei ‚informieren’ als Ober-begriff zu ‚mitteilen’, ‚behaupten’, ‚auffordern’ usw. zu verstehen ist [Janich 1995:

481].53 Information als Substantiv wird nun definiert als Abstraktion von Sprecher A, Hörer B und Darstellung einer Aussage bzw. Sachverhalts S; d.h. weder die spezielle sprachliche Darstellungsform (Wortwahl, Satzbau, Satzmodus Aktiv vs. Passiv usw.) darf eine Rolle spielen, noch wer unter welchen Umständen den zu vermittelnden Sach-verhalt zum Ausdruck bringen will. Bei der Bestimmung von Information aus Informie-ren qua Informationshandlung spielen danach Invarianzen bezüglich A, B und S eine entscheidende Rolle: Eine bedeutungsvolle, wahrheitsgemäße und zielführende

52 Es wird gerne vergessen, dass ‚Information’ (‚informatio’) vom Verb ‚informieren’ (‚informare’) ab-geleitet und damit sekundär ist.

53 Fox war hier ja entgegengesetzter Meinung und betrachtete ‚to inform’ als spezifischere Variante von

‚to tell’ (vgl. 3.2.4).

kunft etwa soll nicht davon abhängen, wer sie zu wem mit welcher sprachlichen Formu-lierung äußert, sondern soll unter allen Umständen informationsgleich sein (etwa bei ei-ner Fahrplan-/Telefonauskunft, Rechtsberatung usw.) [Janich 1993: 66; Janich 1995:

481; Janich 1996: 301; Janich 1998: 179; Janich 1999a: 51]. Im Alltag findet sich eine Reihe standardisierter Kommunikationsmuster wie Auskunft (Hinweisgeben), Instrukti-on (Unterrichtung, Unterweisung, Aufklärung, Aufforderung, Frage, Bitte), Spiele und Rituale wieder, die von Natur aus auf Sprecher-, Hörer- und Darstellungsinvarianz aus-gerichtet sind (dies ist also kein uneinlösbares Postulat). Definitionstheoretisch ist ‚In-formation’ ein so genannter Abstraktor, wie er auch in der Definition des Begriffs ‚Zahl’

zu finden ist. Aufgrund der Abstraktion lässt sich daher weder von Information noch von Zahlen in ostensiver Weise behaupten *‚Dies ist eine Zahl bzw. Information’ [vgl.

Janich 1995: 481], d.h. der prädikative Gebrauch scheidet aus (man kann lediglich über dargestellte Ziffern bzw. Nummernfolgen solche Aussagen machen, nicht aber von ab-strakten Zahlen54). Folgt man der Argumentation Janichs und betrachtet Information als Abstraktion aus sprachlichen Mitteilungen, dann wäre dies bereits Grund genug, Infor-mation als konkret auffindbaren Naturgegenstand abzulehnen, da InforInfor-mation notwen-dig an Sprache und Kommunikation (bzw. Sprachhandeln) geknüpft ist.

Diese Primarität von Information auf der Ebene des sprachlichen Kommunizierens (In-formierens), in dem Bedeutung und Geltung eine entscheidende Rolle für die Kommu-nikationspartner spielen, lässt die Technisierung und Naturalisierung von Information bereits als notwendig abgeleitete Prozesse erscheinen, da menschliche Sprache tech-nisch bestenfalls substituiert (d.h. simuliert) werden kann und außerhalb des Bereichs menschlicher Kultur nicht existiert. Die Rede von Information ist daher methodisch pri-mär an Sprache geknüpft [Janich 1995: 482]; wenn also Biologen oder Physiker Infor-mation naturalisieren wollen und einem ‚Naturgegenstand’ InforInfor-mation den Vorrang vor dem Kulturobjekt Information geben, verletzen sie die methodische Ordnung, da sie In-formation als kommunizierender und informierender Mensch und Wissenschaftler be-reits voraussetzen. Was durch die Naturwissenschaft eigentlich erklärt werden soll, ist längst als kulturelles Gut vorhanden und sogar notwendige Voraussetzung dafür, über-haupt Wissenschaft betreiben zu können. Dies nennt Janich das „Prinzip der methodi-schen Ordnung“ (PmO) [Janich 1995: 475; Janich 1998: 172 f.; Janich 2000: 49 f.], wonach die technische Substitution von Information wie auch deren Übertragung in na-turwissenschaftliche Redeweisen, die oftmals auf technischen Modellen fußen, sekundär ist. Das PmO impliziert außerdem, dass aufgrund der Primarität von Information als ver-wurzelt in menschlicher Sprach- und Kommunikationspraxis nur auf dieser Ebene

54 Vgl. die analoge Diskussion bei Fox in Abschnitt 3.2.2.

sächlich Information produziert und registriert werden kann [Janich 1995: 482]; d.h.

auch, dass weder Artefakte noch nicht-menschliche Systeme Information prozessieren.

Die Rede von ‚lesen’, ‚rechnen’ und ‚verstehen’ z.B. bei Computerprogrammen ist dem-nach als metaphorisch zu begreifen [Janich 1999a: 52]; Janich hält die Vorstellung einer autonom denkenden Maschine gar für eine gedankenlose Übertragung [Janich 1995:

478]. Problematisch würde dies für Janich dann, wenn die Anthropomorphisierung so weit ginge, dass die Verantwortung vom Hersteller oder Benutzer auf das Gerät über-geht oder technische Modelle auf Naturgegenstände angewendet würden, so dass die Natur selbst Zwecke verfolgt und Mittel bereit hält [Janich 1999a: 53 f.].

Janich betont hier immer wieder, dass derartige Redeweisen von Information auf einer metaphorischen Übertragung beruhen, die wörtlich der menschlichen Kommunikation entstammen und auf technische Substitute wie auch Modellbildungen der Naturwissen-schaften ausgeweitet werden [vgl. Janich 1995: 471; Janich 1998: 179 f.]. Wozu dies führen kann, zeigt sich exemplarisch an der erfolgten und erfolgreichen Technisierung von Information nach dem Verständnis der ‚Mathematischen Theorie der Kommunika-tion’ [Shannon & Weaver 1949], wo durch eine mathematische Analogie bei der Be-schreibung von ‚Information’ diese mit dem physikalischen Phänomen der Entropie ver-knüpft wurde [vgl. Janich 1995: 471; Janich 1998: 172].55 Damit wird Information ne-ben Materie und Energie zu einem weiteren ‚Grundstoff’ der Natur (bzw. Physik). Ein informationstheoretischer Paradigmenwechsel in Physik, Chemie oder Biologie ist aber überhaupt nicht notwendig: „Weiterhin kann jeder Mikrovorgang kausal beschrieben werden. Selbstverständlich spricht nichts gegen praktische Abkürzungen, solange be-wußt bleibt, daß es sich bei informationstheoretischen Mitteln lediglich um eine elegan-tere Beschreibung durch metaphorische Sprachbenutzung handelt. Kritisierbar bleibt aber, wenn dies vergessen und ‚Information’ naturalistisch als Naturgegenstand betrach-tet wird.“ [Janich 1995: 483]. Gerade in der Genetik scheint diese Warnung durch die Rede von der Erbinformation überhört worden zu sein. Daher soll abschließend Janichs Kritik daran nochmals exemplarisch vollzogen werden.

55 Das Aufzeigen der formalen Ähnlichkeit soll uns hier genügen:

Informationsentropie nach Shannon: H = –∑i=1..n (pi ld pi).

Entropie nach Boltzmann: S = – kBi (wi ld wi).

Bis auf die Boltzmann-Konstante kB und unterschiedliche Variablenbezeichnungen sind beide Formeln gleich [vgl. Lyre 2002: 26/46 f.; Shannon 1948: 11]; pi und wi bestimmen jeweils Wahrscheinlichkei-ten.