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Syntaktik, Semantik und Pragmatik

2.2 Morris’ Zeichenkonzeption

2.2.2 Syntaktik, Semantik und Pragmatik

Das Zeichen gemäß Morris wurde oben als etwas bestimmt, bei dem eine ‚Existenz’

durch Wahrnehmung und Interpretation eines physikalischen Ereignisses von einer nicht unmittelbar gegenwärtigen Entität Notiz nimmt. In diesem Zeichenprozess treten ver-schiedene Elemente auf, die wir oben als grundlegend für die Semiose bestimmt hatten:

Zeichenträger, Designat und Denotat, Interpret und Interpretant. Das Zeichen – und wir meinen hier den eigentlichen Zeichenträger, der im Zeichenprozess als Zeichen fungiert – lässt sich nun in verschiedener Hinsicht mit den anderen Elementen der Semiose in Beziehung setzen: Wenn wir das Verhältnis von Zeichen und Designat bzw. Denotat be-trachten, befinden wir uns in der semantischen Dimension des Zeichenprozesses, der durch die Semantik untersucht wird. Wenn wir die Relation zwischen Zeichen und Inter-pret(ant) hervorheben, bewegen wir uns in der pragmatischen Dimension der Semiose, die durch die Pragmatik erforscht wird. Schließlich lässt sich auch das Verhältnis ver-schiedener Zeichenträger zueinander betrachten, womit wir uns in der syntaktischen Di-mension des Zeichenprozesses befinden, der innerhalb der Syntaktik zu untersuchen ist.

Im folgenden Diagramm sind diese Dimensionen im Zusammenhang wiedergegeben:

18 Die Unterscheidung nach Designat vs. Denotat ist gleichbedeutend mit abstrakt vs. konkret (Menge/

Klasse vs. Element), aber nicht identisch mit abwesend vs. anwesend. Ein Designat als abstrakte En-tität ist für die Unterscheidung an-/abwesend nicht zugänglich; ein Denotat hingegen existiert stets real als Objekt oder Ereignis und kann dabei an- oder abwesend sein.

ZEICHEN-TRÄGER ANDERE

ZEICHEN-TRÄGER

INTERPRETANT INTERPRET DESIGNAT

DENOTAT

syntaktische Dimension

der Semiose pra

gmatisch e Dim

ensio n der S

emiose semantische Dimension

der Semiose

SEMIOSE SEMIOTIK

SYNTAKTIK SEMANTIK PRAGMATIK

Abb. 2-2: Dimensionen der Semiose [Morris 1972: 94]

Die Syntaktik soll die Beziehungen der Zeichen(träger) untereinander untersuchen, wo-bei von den Objekten und Interpreten abgesehen wird, d.h. es erfolgt eine Abstraktion von semantischen und pragmatischen Aspekten [Morris 1972: 32]. Morris insistiert, dass alle Zeichen sich in irgendeiner Relation zueinander befinden, d.h. im Grunde ge-nommen keine isolierten Zeichen existieren, die nicht Teil irgendeines (Zeichen-)Sys-tems sind. Explizit werden dabei auch potenzielle Zeichenbeziehungen zugelassen, wo-bei ein Zeichen nicht unbedingt aktuell, wie z.B. in einem konkreten Satz, in bestimm-ten Verhältnissen zu anderen Zeichen stehen muss [vgl. Morris 1972: 24 f.]. Von Inter-esse sind hierbei zunächst die syntagmatischen Beziehungen der Zeichenträger (Signifi-kanten) zueinander, mit denen sich im Speziellen die Syntax befasst; Signifikate im wei-teren Sinne von Designaten werden aufgrund der Abstraktion von semantischen As-pekten gerade nicht berücksichtigt.19 Die Relation zwischen Zeichenträgern ist im

19 Hier besteht also ein zu beachtender Unterschied zu Saussures Auffassung, der die syntagmatische Re-lation als Verkettung von Zeichen im Sinne von Signifikanten und Signifikaten verstanden hat [vgl.

Trabant 1996: 69].

ziellen die der Implikation, d.h. ein Zeichen impliziert andere. Als Beispiel nennt Morris das Wort ‚Tisch’, das ‚Möbelstück mit einer waagrechten Fläche, auf die man Sachen stellen kann’ impliziert [Morris 1972: 25]. Es scheint, als habe Morris hier auch die paradigmatischen Relationen im Auge, da man die obige Implikation von ‚Tisch’ auch unter dem Gesichtspunkt lexikalischer Relationen verstehen kann, denn MÖBELSTÜCK

ist Oberbegriff zu TISCH [vgl. hierzu auch Nöth 20002: 91].20 Bezieht man sich im Be-sonderen auf die syntagmatischen Relationen der Zeichenträger, so werden hingegen grammatische Aspekte relevant. Dabei spielen Formations- und Transformationsregeln eine wesentliche Rolle, da sie festlegen, wann eine Menge von Zeichen gültige Kombi-nationen (Sätze) darstellen, und wie sich neue Sätze korrekt aus gegebenen Sätzen ab-leiten lassen [Morris 1972: 33]. „Syntaktik ist also die Untersuchung von Zeichen und Zeichenkombinationen, sofern sie syntaktischen Regeln unterworfen sind.“ [Morris 1972: 34].

Die Semantik beschäftigt sich mit der Beziehung der Zeichen(träger) zu ihren Designa-ten/Denotaten im Sinne der (Klasse der) durch sie denotierten Objekte oder Sachverhal-te [Morris 1972: 42]. Hierbei wird wiederum von pragmatischen AspekSachverhal-ten abstrahiert, d.h. vom Interpret(ant)en abgesehen; jedoch ist die syntaktische Dimension vorauszuset-zen [Morris 1972: 43], denn ohne vorhandenen Zeichenträger kann keine Designation von Dingen stattfinden (das Designat ist ja ein Aspekt des Zeichen[träger]s). Analog zu den oben erwähnten (Trans-)Formationsregeln der syntaktischen Dimension gibt es se-mantische Regeln, welche die Bedingungen stellen, unter denen ein Zeichen auf einen Gegenstand oder Sachverhalt anwendbar ist [Morris 1972: 44]. „Die semantischen Re-geln korrelieren Zeichen mit Sachverhalten, die durch sie denotiert werden können. Ein Zeichen denotiert alles, was die Bedingungen erfüllt, die in der semantischen Regel nie-dergelegt sind […]“ [Morris 1972: 44]. Die Regel selbst gibt damit die Bedingungen des Designierens an, wodurch das Designat festgelegt wird [Morris 1972: 44]. Dabei ist un-erheblich, ob die Regel bzw. Bedingungen tatsächlich formuliert werden oder nicht [Morris 1972: 45]. Man kann sich eine semantische Regel am obigen Beispiel ‚Tisch’

veranschaulichen, den Morris als ‚Möbelstück mit einer waagrechten Fläche, auf die man Sachen stellen kann’ umschrieben hat: Ein Objekt kann nur dann als ‚Tisch’ be-zeichnet werden, wenn es ein Möbelstück (Kategorie) mit einer waagrechten Fläche auf mehreren Beinen (Bestandteile) ist, worauf man irgendetwas abstellen kann (Zweck).

Die semantische Regel wird damit zur Gebrauchsregel für ein Zeichen, die besagt, was

20 Wie gesagt würde die Implikation ‚Möbelstück’ von ‚Tisch’ voraussetzen, dass man eine semantische Relation zwischen beiden zur Kenntnis nimmt, die in der syntaktischen Dimension gerade ausgegrenzt sein soll. Ob und wie dieser Widerspruch gelöst werden kann, muss hier offen bleiben.

das Zeichen designieren bzw. denotieren kann [Morris 1972: 47].21 Es ist ohne Weiteres möglich, dass das Zeichen designiert, ohne zu denotieren, wenn mit den Gebrauchsbe-dingungen keine reale Existenz zu verbinden ist: Beispielsweise wird das durch die se-mantische Regel ‚weißes Pferd mit einem Horn auf der Stirn’ bestimmte Designat nie-mals ein Einhorn als Denotat haben. Die konkrete Anzahl der Objekte, die tatsächlich denotiert werden, ist letztlich unerheblich bzw. beliebig.

Die semantische Regel als jene Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Zeichen auf ein Ding anwendbar ist, hat Morris später als Signifikat eines Zeichens bezeichnet:

„Die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um etwas ein Denotat zu nennen, werden ein Signifikat des Zeichens genannt. Vom Zeichen wird gesagt, daß es ein Signifikat signifi-ziert […]“ [Morris 1973: 92, Herv. im Orig.].22 Das Signifikat im Sinne der semanti-schen Regel oder den Bedingungen des Designierens legt die Menge der dadurch er-reichbaren Denotate fest. Diese Beziehung zwischen Signifikat und Designat ist äquiva-lent dem Verhältnis von Intension und Extension bzw. Bedeutung und Bezug. Durch die Einführung des Signifikats ergibt sich eine Reformulierung bei der Bestimmung der Se-mantik: „Semantik befaßt sich mit der Signifikation der Zeichen […]“ [Morris 1973:

326]; d.h. es geht nicht mehr (nur) um die Relation des Zeichenträgers zu einer Menge von Objekten (Designat), sondern darüber hinaus um die Bedingungen des Designat-seins bzw. die Regel des Zeichengebrauchs. Allerdings fügt der Begriff des Signifikats nichts wirklich Neues hinzu, da dieses letztlich gleichwertig mit der semantischen Regel im Sinne der Gebrauchs- bzw. Designationsbedingungen eines Zeichens ist. Damit wird auch der Begriff der Bedeutung überflüssig, „da die Bedeutung eines Zeichens durch die Feststellung seiner Gebrauchsregeln vollständig bestimmt ist […]“ [Morris 1972: 74];

d.h. er kann auf die semantische Regel bzw. das Signifikat zurückgeführt werden. Den Zusammenhang zwischen Zeichenträger Z, Signifikat S, Designat D und Denotat O soll das folgende Bild nochmals verdeutlichen:

21 In [Reischer 2002: 214] ist die Gebrauchsregel plakativ als Betriebsanleitung (Gebrauchsanweisung) für ein Zeichen charakterisiert worden, um den Werkzeugcharakter von Zeichen und Sprache hervor-zuheben.

22 Morris’ und Saussures Signifikat lassen sich nicht ohne Weiteres aufeinander abbilden: Das Letztere ist mentalistisch im Sinne einer individuellen Vorstellung konzipiert (wenn auch mit kollektiver Kom-ponente), das Erstere als überindividuelle semantische Gebrauchsregel zu betrachten (hier wird ja ge-rade vom Interpreten abstrahiert). Beide kann man jedoch als die dem Signifikanten (Zeichenträger) zugehörige Bedeutung verstehen.

Abb. 2-3: Zusammenhang von Signifikat, Designat und Denotat am Beispiel des Zei-chen(träger)s ‚Spinne’ unter Ausblendung der konkreten syntaktischen und pragmati-schen Aspekte

Will man ein komplexeres Zeichen wie einen ganzen Satz aus einfacheren Zeichen ge-winnen, so benötigt man dafür nicht nur syntaktische Regeln zu dessen Formation, son-dern auch eine komplexe semantische Regel des gesamten Satzes, um dessen Designat bestimmen zu können: „Die semantische Regel für die Verwendung eines Satzes baut auf den semantischen Regeln zur Verwendung der beteiligten Zeichenträger auf […]

wenn ein gegebener Sachverhalt der semantischen Regel eines Satzes gemäß ist, dann ist der Sachverhalt ein Denotat jenes Satzes […]“ [Morris 1972: 46 f.]. Wie erwähnt, müssen die semantischen Regeln nicht von den Sprechern einer Sprache explizit ausfor-muliert worden sein, sondern sie existieren vielmehr als Verhaltensgewohnheiten in ei-ner Sprechergemeinschaft. Ihre Sprecher folgen alle denselben semantischen Regeln, da sie sich sonst nicht untereinander verständigen könnten [Morris 1972: 44, auch 74].

Die Pragmatik befasst sich mit der Beziehung der Zeichen zu ihren Interpreten und da-mit auch Interpretanten [Morris 1972: 52]. Sie setzt sowohl Semantik wie Syntaktik voraus [vgl. auch Morris 1972: 57], da ein Interpretant ja die Notiznahme eines Desig-nats im Sinne einer semantischen Einheit ist, das selbst wiederum einen Zeichenträger voraussetzt. Klassisch kann der Interpretant, bewirkt durch einen entsprechenden Zei-chenträger, als Begriff oder Gedanke im Sinne einer mentalen Einheit betrachtet werden [Morris 1972: 53], vermittels dessen der Interpret auf die Klasse der Objekte (Designat) oder ein einzelnes konkretes Objekt (Denotat) eben aufgrund der Notiznahme Bezug nimmt (d.h. diese zur Kenntnis nimmt bzw. darauf fokussiert). Morris will den Interpre-tanten jedoch im Speziellen als Gewohnheit verstanden wissen, „auf Grund der Anwe-senheit des Zeichenträgers auf abwesende Objekte, die für die Bewältigung der jeweili-gen Situation relevant sind, so zu reagieren, als ob sie anwesend wären.“ [Morris 1972:

55]. Mittels Interpretanten werden Zeichen(träger) und Designation also aufeinander be-zogen: „Der Interpretant eines Zeichens ist die Gewohnheit, kraft derer dem

Zeichenträ-Syntaktik Semantik:

Signifikat*

Pragmatik S

p i n n e

* achtbeinig, zentimetergroß, netzwebend, eklig usw.

Designat

Denotat Z:

ger die Designation bestimmter Gegenstandsarten oder Sachverhaltsarten zugeschrieben wird“ [Morris 1972: 58].

Die Gewohnheit qua Interpretant im Sinne der Notiznahme eines Designats durch einen Interpreten kann nun als pragmatische Regel verstanden werden, die beinhaltet, „den Zeichenträger unter bestimmten Umständen zu verwenden und umgekehrt bestimmte Umstände zu erwarten, wenn das Zeichen benutzt wird.“ [Morris 1972: 55]. „[P]ragma-tische Regeln geben die Bedingungen an, die der Interpret erfüllen muß, um einen Zei-chenträger als Zeichen von etwas verstehen zu können.“ [Morris 1972: 59]. Darüber hinaus sind pragmatische Regeln immer dann anzuwenden und vorauszusetzen, wenn etwas nurmehr außerhalb aller syntaktischen und semantischen Regeln zu erfassen ist:

„Pragmatische Regeln geben die Bedingungen an, unter denen Ausdrücke verwendet werden, insoweit jene Bedingungen mit den Begriffen der syntaktischen und semanti-schen Regeln nicht formuliert werden können.“ [Morris 1972: 59]. So gibt es z.B. rein pragmatisch determinierte Ausdrücke in einer Sprache, wie z.B. Interjektionen oder Re-densarten: ‚Oh!’ und ‚Guten Morgen!’ sind nicht durch semantische Regeln determi-nierbar, denn sie designieren nichts [vgl. Morris 1972: 59]. Sie können dann nurmehr über pragmatische Regeln erfasst werden. Hierzu gehören vielleicht auch rhetorische Bedingungen wie z.B. die Umstände des Gebrauchs von Ausdrücken mit mitschwingen-den Bedeutungsqualitäten (Konnotationen wie etwa bei ROSS und GAUL statt PFERD) usw.

Keine der genannten semiotischen Disziplinen der Syntaktik, Semantik und Pragmatik kann den Begriff ZEICHEN alleine definieren. Es sind daher alle drei Aspekte notwendig, um zu explizieren, was man unter einem Zeichen zu verstehen hat [Morris 1972: 80]. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Betrachtung von Zeichen nicht eine weitere Disziplin erforderlich macht, in der die Eigenschaften der Zeichen(träger) selbst untersucht wer-den, wie Phonemik oder Phonologie, die im Speziellen die Lautcharakteristiken der Zei-chen systematisch zu erfassen versuZei-chen [vgl. Trabant 1996: 70; Nöth 20002: 90]. Dies ist aber deshalb nicht erforderlich, da Zeichenhaftigkeit ja gerade nicht von einem kon-kreten physikalischen Medium abhängig gemacht werden soll, sondern die Semiose sinnvollerweise davon abstrahiert. Es ist völlig unerheblich, in welchem Medium Zei-chen(träger) letztlich tatsächlich realisiert sind: ob akustisch, visuell, haptisch usw. Ent-scheidend ist nur, dass ein Signal durch einen Interpreten als Zeichen von etwas zur No-tiz genommen wird.