• Keine Ergebnisse gefunden

2.3 Kellers Zeichenkonzeption

2.3.2 Zeichen und Kommunikation

Die Brauchbarkeit von Begriffen zeigt sich am deutlichsten in der alltäglichen Kommu-nikation. Die in einem Begriff akkumulierte Information oder Erkenntnis ist Teil kollek-tiven Wissens, so dass idealiter alle Sprachteilnehmer darauf Zugriff haben. Mit Hilfe von Begriffen lässt sich aber Information nicht nur passiv speichern, sondern auch aktiv einsetzen: Begriffe bzw. entsprechende Wörter sind nicht nur Informationsträger, son-dern – im wohlverstandenen metaphorischen Sinne – auch Informationsüberträger. So-bald ein Sprecher etwa das Wort ‚Hund’ (re)aktiviert und einem Hörer akustisch an das Ohr gibt, wird dort eine aktuale ‚(Wieder-)Erkenntnis’ erzeugt, indem der Begriff HUND

des Hörers aktiviert wird. Damit lässt sich gezielt die mentale Struktur des Hörers da-durch beeinflussen, dass passives, normalerweise nur latent geteiltes Wissen auch aktual und bis zu einem gewissen Grade bewusst geteilt wird. Beide verfügen im Moment der Kommunikation über dieselbe ‚(Hunde-)Erkenntnis’. Kommunizieren heißt letztlich, das Gegenüber auf bestimmte Art und Weise beeinflussen zu wollen [Keller 19942: 20], und zwar so, dass dem anderen offen zu erkennen gegeben wird, wozu man ihn bringen möchte: „Kommunizieren in dem hier relevanten Sinne heißt Mitmenschen beeinflus-sen, und zwar dadurch, daß man dem andern mittels Zeichen (im weitesten Sinne) zu erkennen gibt, wozu man ihn bringen möchte, in der Hoffnung, daß diese Erkenntnis für den andern ein Grund sein möge, sich in der gewünschten Weise beeinflussen zu las-sen.“ [Keller 1995: 105].

Wichtig hierbei ist, dass die Entscheidungsfreiheit des anderen berücksichtigt wird; d.h.

dass der Adressat einer Äußerung erkennt, dass man ihn zu etwas Bestimmtem bringen oder veranlassen möchte: „Die Aufforderung Gehen sie bitte die Treppe hinunter unter-scheidet sich unter bestimmten Bedingungen in dem beabsichtigten Beeinflussungsziel nicht wesentlich von einem Tritt. Beide Formen der Beeinflussung können beim Adres-saten dieselbe Wirkung hervorrufen, nämlich das Hinuntergehen der Treppe. Aber nur die Aufforderung ist ein Fall von Kommunikation in dem hier intendierten Sinne. Denn nur für sie – und nicht für den Tritt – gilt, daß die angestrebte Beeinflussung dadurch zustande kommen soll, daß der Adressat erkennt, wozu man ihn bringen möchte, und daß gerade diese Erkenntnis der Grund dafür ist, sich in der gewünschten Weise beein-flussen zu lassen […] Kommunikation ist Beeinflussung unter Respektierung der Ent-scheidungsfreiheit des anderen.“ [Keller 1995: 105, Herv. im Orig. & J. R.]. Im Falle des Fußtritts trifft es gerade nicht zu, dass die Erkenntnis des Beeinflussungsziels des Treters beim Fußtritt-‚Interpreten’ der Grund dafür ist, dass dieser sich beeinflussen lässt und die Treppe hinuntergehen soll.26 Die Erkenntnis im Falle alltäglichen Kommu-nizierens reicht hier noch weit über die der einzelnen Wörter hinaus; es gilt vielmehr, unter Zuhilfenahme der einzelnen Wort-Informationen die Gesamtintention des Spre-chers zu (re)konstruieren, d.h. eine Satz- bzw. Äußerungserkenntnis zu gewinnen.

Man kann hier ohne Weiteres davon sprechen, dass Wörter bzw. deren damit verbunde-ne Begriffe gleichsam wie Werkzeuge eingesetzt werden, mit deren Hilfe sich das Ge-genüber kommunikativ und kognitiv ‚bearbeiten’ lässt. Zeichen als Mittel der Beeinflus-sung sind dann als Spezialfälle von Werkzeugen zu betrachten [Keller 1995: 72, 78, 151]: Zu denken ist hierbei einerseits an nach innen gerichtete Werkzeuge des individu-ellen Denkens, mit deren Hilfe sich rekurrente Standardprobleme wie etwa das Zusam-menfassen von Dingen unter eine Kategorie bewerkstelligen lassen, andererseits auch an nach außen gewandte Werkzeuge des interindividuellen Kommunizierens, durch welche eine ‚Manipulation’ der Umwelt einschließlich der Kognition anderer Personen geleistet werden kann. Im letzteren Fall wird die natürliche Interpretationsfähigkeit des Hörers durch den Sprecher ausgenutzt, die aller Kommunikation zugrunde liegt [vgl. Keller 1995: 113]. Menschen(affen) verfügten seit jeher über die Fähigkeit, Dinge als Zeichen zu betrachten und diese entsprechend zu interpretieren, indem daraus Schlüsse gezogen werden [Keller 1995: 12]. Zeichen dienen dazu, „von unmittelbar Wahrnehmbarem auf

26 Den Fall einer einseitigen ‚Kommunikation’, in der ein Hörer keine Freiheit hat, etwa einen militäri-schen Befehl zu verweigern, diskutiert Keller nicht. Hier würde der Äußerungsinterpret beeinflusst, ohne dass dessen Erkenntnis des Beeinflussungsziels des Befehlsgebenden der Grund dafür wäre, dass der Untergebene entsprechend handelt, z.B. einen Kriegsgegner ‚präventiv’ erschießt. Der Grund des Handelns wäre hier allein der ausweglose Zwang, der durch den militärischen Apparat auferlegt ist.

nicht unmittelbar Wahrnehmbares zu schließen“ [Keller 1995: 113]. „Der Mensch be-nutzt nicht nur Zeichen zum Zwecke der Beeinflussung, er be-nutzt auch Dinge, Ereignisse und dergleichen als Zeichen. Er nutzt wahrnehmbare Dinge in der Welt, um daraus Schlüsse auf nicht unmittelbar Wahrnehmbares zu ziehen und um andere dazu zu brin-gen, ebensolche Schlüsse zu ziehen.“ [Keller 1995: 107, Herv. im Orig. fett]. Wir finden hier bereits den Hinweis auf zwei grundlegend verschiedene Typen von Zeichen, wie Keller sie versteht: solche, die einfach ‚da’ sind und genutzt werden, und solche, die be-reits vorhanden sind, um benutzt zu werden. Damit können beliebige Dinge zu Zeichen werden durch „exploitative Nutzung“ [Keller 1995: 107]. Das allgemein zugrunde lie-gende Prinzip jedweder Art von Zeichenverwendung lautet jedoch: „Unmittelbar Wahr-nehmbares wird genutzt, um auf nicht unmittelbar WahrWahr-nehmbares zu schließen (aus der Interpretenperspektive gesehen) bzw. um zum Schließen auf nicht unmittelbar Wahr-nehmbares einzuladen (aus der Sprecherperspektive gesehen).“ [Keller 1995: 107 f.].

Im Falle der Kommunikation ist das Nicht-Offensichtliche nicht nur das angedachte Konzept, ein Begriff oder eine Proposition, die der Kommunikant vermitteln will, sond-ern auch noch die dahinter stehende Intention, die der Hörer erkennen soll. Besitzen wir bei Begriffen noch geteiltes Wissen über deren Informationsgehalt, auf das Sprecher wie Hörer gemeinsam zurückgreifen können, ist die Intention des Sprechers gerade das Mit-zuteilende, worüber aufgrund der kognitiven Abgeschlossenheit der Kommunikations-partner kein gemeinsames Wissen bestehen kann.27 Dies muss erst noch erreicht wer-den. Der gesamte Prozess, der dies ermöglicht, wird von Keller prägnant so zusammen-gefasst: „Die Mittel, die man einsetzt, um zu versuchen, dem andern [zu] erkennen zu geben, wozu man ihn bringen möchte, nennt man gemeinhin Zeichen. Zeichen sind also Hinweise, die der Sprecher dem Adressaten ‚an die Hand’ gibt, um ihn dazu zu bringen und in die Lage zu versetzen, zu erschließen, in welcher Weise der Sprecher den Ad-ressaten zu beeinflussen beabsichtigt. Zeichen sind […] keine Behälter zum Zwecke des Ideentransports von einem Kopf in einen anderen. Zeichen sind Hinweise mehr oder we-niger deutlicher Natur, die den anderen zu Schlüssen einladen und ihm Schlüsse ermög-lichen sollen. Den Prozeß des Schließens nennt man Interpretieren; das Ziel dieses Pro-zesses heißt Verstehen.“ [Keller 1995: 106, Herv. im Orig. fett]. Allerdings sind nicht

27 Keller trennt die beiden hintereinander geschalteten Ebenen des Erkennens des Nicht-Offensichtlichen nicht deutlich voneinander ab: Der Hörer muss sowohl die Konzepte (mentaler Informationsgehalt) des Sprechers als auch dessen Intentionen rekonstruieren. Für Ersteres stehen dem Sprecher (konven-tionale) Begriffe zur Verfügung, die aufgrund ihres Status als geteiltes Erkenntnisgut von allen rekon-struierbare und damit verstehbare Informationen beinhalten. Letzteres, d.h. die Rekonstruktion und Er-kenntnis der eigentlichen Sprecherintention im Sinne dessen, was der Sprecher tatsächlich mit seiner Äußerung zu erreichen trachtet, muss dem ersten Schritt logisch nachgeschaltet sein. Es gilt also, von wahrnehmbaren Zeichen auf primär nicht-wahrnehmbare Begriffe (Konzepte oder Gedanken) und von diesen auf die sekundär noch verborgeneren Intentionen zurückzuschließen.

alle Zeichen intendiert und damit der Kommunikation dienlich nur aufgrund der Tatsa-che, dass sie interpretierbar sind: Fußspuren und Fingerabdrücke etwa sind natürlich(e) Zeichen, aber sie dienen normalerweise nicht dazu, jemandem etwas zu verstehen geben zu wollen, um ihn zu beeinflussen und zu etwas zu bewegen [vgl. Keller 1995: 107].

Kommunizieren-Können basiert also auf der schon bei Tieren anzutreffenden natürli-chen Fähigkeit, Zeinatürli-chen zu interpretieren und daraus Schlüsse zu ziehen. Hunde etwa sind imstande, die chemischen Geruchsspuren ihrer Artgenossen zu interpretieren und zu verstehen. Beim Menschen ist die evolutionär erworbene bzw. ererbte Fähigkeit, na-türliche Zeichen zu nutzen, Voraussetzung sowohl der Interpretation nicht-kommunika-tionaler Zeichen wie Spuren oder Symptome, als auch der Verarbeitung kommunikativ zweckhafter Zeichen wie Gestik, Mimik und Lautäußerungen usw. Es bedarf deshalb ei-ner semiotischen Grundkompetenz, um Dinge als Zeichen wahrnehmen und interpretie-ren zu können; erst darauf aufbauend ergibt sich die Fähigkeit des zeichenhaften Kom-munizierens, d.h. sprachliche Kompetenz ist semiotischer Kompetenz logisch nachge-ordnet [Keller 1995: 12 f.]. Die Kommunikation mittels Sprache im Speziellen ist selbst wiederum aufbauend auf der Fähigkeit, überhaupt zeichenhaft kommunizieren zu kön-nen. Kommunizieren mittels sprachlicher Zeichen ist lediglich ein Sonderfall des Kom-munizierens überhaupt: „Eine Sprache erleichtert das Kommunizieren, ist aber nicht Be-dingung seiner Möglichkeit.“ [Keller 19942: 44]. Andernfalls wäre nicht erklärbar, wie der Mensch phylogenetisch wie ontogenetisch überhaupt zur Sprache gelangen kann, wenn vor dem Sprachbesitz keine Kommunikation mittels natürlicher Zeichen möglich ist [vgl. Keller 19942: 44]. Sprachliche Zeichen sind letztlich Folgeerscheinungen oder Nebenprodukte allgemeiner kommunikativer Bemühungen, nicht deren Voraussetzung [Keller 1995: 103]; sprachliche Zeichen kommen nicht durch kluge Planung zustande – wer sollte das tun und wie sollte man dies vor allem verbindlich verabreden? –, sondern sind unbeabsichtigte Nebeneffekte allgemeiner Handlungen [Keller 1995: 31 f.].28 So-wohl Werden wie Wandel von Zeichen und Sprache werden gesteuert von den semioti-schen Kompetenzen und kommunikativen Erfordernissen der einzelnen Individuen und jeweiligen Umstände. Auf der einen Seite ermöglicht die Wandelbarkeit von Zeichen und Sprache die Integration immer neuer Information in deren Begriffen; auf der ande-ren Seite ist die Instabilität der Zeichen eine Gefahr für die Kommunikation, die kon-stante Bedeutungen und Begriffe zum gelingenden Informationsaustausch benötigt.

28 Keller hat ausführlich dargestellt, wie Genese und Wandel von Zeichen vonstatten gehen. Wir können hier nicht näher darauf eingehen [vgl. Keller 19942].