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Syntaktische Informationsprozesse

4.2.4 ‚Information’ und seine Verwandten im Englischen

5 Informationsverständnisse im Detail

5.2 Eine semiotische Informationskonzeption

5.2.2 Semiotische Informationsprozesse

5.2.2.1 Syntaktische Informationsprozesse

Zum syntaktischen Informationsprozess zählen vor allem zwei Verarbeitungsschritte, die wir oben bereits andeutungsweise charakterisiert haben: zum einen die Transforma-tion vollständig potenzieller InformaTransforma-tion im Sinne physikalisch manifester, medialer Formationen in aktuelle syntaktische Information im Sinne kategorisierter Form(atio-n)en, d.h. die Abbildung eines analogen Eingangsmusters auf ein bekanntes gespeicher-tes Muster, wodurch die Selektion und Aktivation einer bestimmten Kategorie in digita-ler/diskreter Abgrenzung zu allen anderen Kategorien erreicht wird (paradigmatisch-syntaktischer Aspekt des Informationsprozesses); zum anderen die Zusammenordnung oder Gruppierung der einzeln erkannten, einfachen Figuren zu einer komplexer struktu-rierten Konfiguration oder Kombination kategorisierter Elemente, wodurch ein Katego-rienverbund als höhere Kategorie entsteht (syntagmatisch-syntaktischer Aspekt des In-formationsprozesses).88 Die Digitalisierung eines analogen Signals kommt der Diskreti-sierung eines kontinuierlichen Bereichs in abgrenzbare Einheiten gleich, wodurch sich eine Abbildung konkreter Instanzen des Bereichs auf eine Menge gleichcharakterisierba-rer Werte (Kategorie) ergibt. Die bereits diskreten Einzelwerte formieren sich (automa-tisch) zu abstrakteren Kategorien (bzw. lassen sich formieren). Man könnte dies auch als Formatierung der Signale hin zu Daten bezeichnen, wodurch der Übergang von poten-ziell zu aktuell syntaktischer Information vollzogen ist: Daten sind gemessene und da-mit auch formatierte, klassifizierte, symbolifizierte Signale oder Signalmuster. Zusam-mengenommen beinhaltet die Formatierung bzw. der syntaktische Informationsprozess damit zwei unterscheidbare Schritte:

Syntaktische Information

Primärsyntaktische Information Sekundärsyntaktische Information Paradigmatische Information Syntagmatische Information durch Erkennung und Katego- durch Kombination erkannter risierung eines Signal(bündel)s Einzel(ein)heiten zu einem Ganzen

88 Mit dem Zwischenschritt der memorial-mentalen Formationen, die die eingegangenen Signale als Reizkonstellationen repräsentieren, wollen wir uns hier nicht weiter befassen.

Ein grünes Ampelsignal für sich alleine ist zunächst ein uninterpretierter Sinneseindruck (Quale) ohne Format und Bedeutung. Die nackte sinnesphysiologische Grünempfindung ist informationslos, solange das Grün nicht als Grünlicht einer Ampelanlage – d.h. an ei-nem Gegenstand, der grün ist – erkannt wurde, indem auch die kreisrunde Form des Lichts sowie die oftmals darauf platzierten Aufkleber wie Pfeile, Männchen oder Fahr-räder zu einem Ganzen zusammengeordnet werden. Die syntaktische Information, dass es sich um ein grünes Ampellicht für Fußgänger handelt, bietet stets ‚nur’ unmittelbare Information über den Aussender des Signals, der hier die Ampel bzw. deren Grünlicht ist: Dort ist etwas Grünes, das als Ampellicht zu deuten ist. Was das grüne Ampellicht mittelbar bedeutet, ist eine davon verschiedene Information, nämlich die semantische und pragmatische: Man darf bzw. soll losfahren. Der Absender des Signals dagegen ist nicht die Ampel, sondern die Verkehrsbehörde, die den Verkehr mit Hilfe der Ampel steuern will.89 Das Ampellicht ist Teil mindestens zweier Kategorien- und Regelsysteme zugleich: zum einem das System der Anordnung von zwei oder drei Lichtern mit den Farben Rot, Grün und eventuell Gelb inklusive deren Syntax – hierzu zählt nicht nur, welche Farbe(n) in Kombination mit welchen anderen Farben zu welchem Zeitpunkt aufleuchten dürfen, sondern auch, wie das Ampellicht korrekt zu realisieren ist im Hin-blick auf seine Spezifikationen (z.B. sind statt runder keine dreieckigen Lichter möglich;

statt Männchen, Pfeilen oder Fahrrädern als nähere Bestimmung können keine Buchsta-ben appliziert werden usf.) –, zum anderen das System der Verkehrszeichen selbst, wo-bei diese in einer eigenen Syntax wiederum kombinierbar sind.

Ein natürliches oder artifizielles Kategoriensystem umfasst wenigstens zwei Kontrastka-tegorien, durch die sich Unterscheidungen in einem Gegenstandsbereich durchführen lassen. Im Falle eines Computers mit der grundlegenden Unterscheidung zweier Zustän-de durch ein Bit muss ein analoges Signal durch Digitalisierung auf diesen Bereich ab-gebildet werden: Alle Signale, die in ihrer jeweiligen physikalischen Dimension (Farb-intensität, Tonhöhe usw.) die Schwelle von 0.5 unterschreiten, werden beispielsweise auf 0, alle anderen auf 1 abgebildet (paradigmatische Selektion). Durch syntagmatische Kombination der zwei grundlegenden binären Einzelkategorien lassen sich auch kom-plexe Kategorien verwirklichen, durch die prinzipiell beliebig große Bereiche

89 Die Unterscheidung zwischen Aussender und Absender eines Signals wird auch deutlich im Falle se-mantisch informationsloser Äußerungen wie ‚Ich bin es’: Sinnvolle Information über den Absender – z.B. ES IST JÜRGEN REISCHER – gewinnt man allein dadurch, dass man die unmittelbaren Eigenschaf-ten des Aussenders, nämlich den Stimmapparat des Absenders, auswertet (dieser Schluss ist im Gegen-satz zu ‚Es ist Jürgen Reischer’ ein natürlich-kausaler, da der Stimmapparat ein Teil des Absenders und damit der Aussender Symptom für den Absender ist). Dadurch wird ermittelbar, ob es sich um ei-ne Frau, eiei-nen Mann oder ein Kind, um eiei-nen Verwandten, Bekannten oder Fremden usf. handelt. Im Falle des Rundfunkwesens ist der Absender eine Fernsehanstalt (als Institution, die das Programm pro-duziert und auswählt), der Aussender die signalübermittelnden Apparate (Sendeantennen, Satelliten).

bar werden (ähnlich wie die Kategorie Satz aus den endlichen Einzelkategorien der Wörter eine unendliche Bandbreite von Ausdrücken klassifizieren kann). So ermöglicht die Zusammenfassung von 8 parallel angeordneten Bits (Byte) eine komplexere Katego-rie, die 128 Mal mehr oder genauer kategorisieren kann. Was das jeweilige Bit oder By-te allerdings bedeuBy-tet, ist inBy-terpretationsoffen: Ob sie eine Zahl, ein Pixel, einen Ton, ei-nen Buchstaben oder (noch) gar nichts darstellen, hängt allein von der konkreten Inter-pretation ab. Für sich genommen bedeuten Bytes gar nichts und stellen reine Formen – kategoriale Ketten von Unterschieden – dar.

Durch die Analog-Digital-Wandlung eines Signals zu einem Datum wird eine Quantität zu einer Qualität transformiert, indem die Größe als etwas qualifiziert wird: Das Signal als messbare Größe wird dem Verarbeitungs- und Repräsentationsmodus des Informati-onssystems unterworfen (formatiert), wobei die aufgenommenen Signale in eine für das System grundsätzlich verstehbare und verarbeitbare Form gebracht werden, die sich mit anderen Formen kombinieren lässt. Die N:1-Zuordnung einer beliebigen Menge von physikalischen Quantitäten auf eine einzige Qualität ermöglicht dem System, dass ver-schiedene Signal-Tokens ein und desselben erkannten Signal-Typs (Datum) semantisch-pragmatisch einheitlich interpretierbar werden: Jede konkrete Äußerung eines abstrakten Ausdrucks hat kontingente Merkmale, von denen durch Typisierung zuerst abstrahiert werden muss, will man der Äußerung überhaupt regelhaft einen bestimmten Sinn verlei-hen können. Das Qualifiziertsein von Daten im Sinne ihres grundsätzlicverlei-hen Geeignet-seins für das Informationssystem sowie ihres KategorisiertGeeignet-seins bezüglich eines Katego-riensystems ist Grundlage dafür, dass sie darüber hinaus auch potenziell qualifizierend sein können im Sinne von wissensförderlich (weiterbildend). Daten sind ja explizit für die semantische und pragmatische Interpretation angelegt und aufbereitet worden; sie dienen keinem Selbstzweck. Verweist ein Datum in seiner Eigenschaft als Symbolform auf einen Inhalt, dann ist erst eigentlich ein Zeichenprozess zustande gekommen.

Daten werden üblicherweise als aus Messungen oder Erhebungen hervorgegangene Re-präsentationseinheiten betrachtet. Eine Messung ist jedoch gleichbedeutend mit der Dis-kretisierung oder Digitalisierung eines als analog angenommenen physikalischen Zu-stands. Entsprechend ist die Kategorisierung von sensorischem Input auch nichts ande-res als eine biologische ‚Messung’ der Systemumwelt, sobald Stimuluskonstellationen erkannt und klassifiziert werden konnten, d.h. in einem syntaktischen Format ohne Be-zugnahme auf eine bestimmte Sinnesmodalität innerhalb des Systems abgelegt sind.

Außerhalb eines Systems existieren keine Daten, sondern nur mediale Repräsentations-formen derselben. Buchstaben auf einen Blatt Papier sind Signalformationen, keine Da-ten; die drei Signale /–\ formieren sich erst zu einer Buchstabengestalt, wenn sie als Ganzes im System als A (wieder)erkannt wurden. Erst dann mag A auch auf die

phone-tische Einheit [a] verweisen und/oder Teil eines größeren Buchstabenkomplexes sein, der als orthografisches Wort eine höhere Kategorie formt. Daten sind im System bereits so formatiert, wie sie später verarbeitet werden; ein Blatt Papier kennt weder ein Format noch besitzt es eine Möglichkeit zur Verarbeitung dessen, was durch Schwarz-Weiß-Signale an potenzieller Information auf die Blattoberfläche aufgetragen wurde. Nach diesem Verständnis ist Papier ein Datenträger, ebenso wie auch eine CD ein Datenträ-ger und eine LP ein TonträDatenträ-ger ist – hier käme auch niemand auf die Idee zu behaupten, dass die Rillen der Schallplatte bereits Töne sind: Töne sind wie Daten systemrelativ und nicht in der Welt, in der es allein Schallwellen und Signalmuster (Formationen) gibt.

Die physikalischen Formationen sind stets potenziell strukturiert und erkennbar für das System (sofern dieses darauf vorbereitet ist), und damit auch potenziell bedeutungsvoll und wirkfähig: Geologische Formationen geben dem Geologen Auskunft über erdge-schichtliche Prozesse, biologische Formationen wie die Jahresringe in Baumstümpfen lassen den Biologen auf das Alter des gefällten Baumes schließen, kulturelle Formatio-nen wie alte entzifferte Inschriften erlauben dem Historiker Rückschlüsse auf vergange-ne Ereignisse usf. Jede Signalformation trägt potenzielle Information in allen drei semi-otischen Dimensionen in sich, die je nach Umständen partiell oder vollständig vom Sys-tem expliziert werden: Das akustische Signal [fOI6] als noch unrezipiertes Zeichen ent-hält potenziell bereits alle drei semiotischen Informationsstücke, die sukzessive vom System aktualisiert werden können. Als Formation ist aber letztlich alles zu betrachten, das nicht-chaotischer Natur ist: jedes Objekt – Objekte sind nur dann als solche gegeben, wenn sie stabile Merkmale besitzen und in ihrem Erscheinen nicht ständig fluktuieren (man denke an das Flimmern eines Fernsehers ohne eingestellten Sender) –, jede Ob-jektkonstellation (Situation, Ereignis, Prozess), zumindest aber jeder persistente Unter-schied als erkennbare Figur-Grund-Struktur, die unterscheidbar ist. Wo Formationen vorhanden sind, kann sich auch (semantische) Information entwickeln.