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Information in Genetik und Biologie

3 Vier Informationstheorien

3.3.4 Information in Genetik und Biologie

Janich zeigt zunächst einige Beispiele für informationistische Redeweisen in der Biolo-gie auf: „Die Fähigkeit, Informationen zu speichern und zu verarbeiten, ist eine wesent-liche Eigenschaft lebender Systeme. Im Laufe der biologischen Evolution hat diese Fä-higkeit eine enorme quantitative und qualitative Steigerung erfahren. Im wesentlichen werden drei Formen der Information benutzt: 1. genetische Informationen, 2. Informati-onen im Nervensystem und im Hirn, 3. extrasomatische InformatiInformati-onen, die außerhalb des Organismus in Aufzeichnungen, Büchern usw. gespeichert sind.“ [Ebeling & Feistel 19862: 302, zit. nach Janich 1999a: 28 bzw. Janich 1999b: 68 f.]; ferner: „Verschlüsse-lung von Informationen in den Erbanlagen“, „Informationsspeicherung, -verarbeitung und -akkumulation kann als Charakteristikum des Lebens betrachtet werden“, „Lebewe-sen und die von ihnen hervorgebrachten Strukturen … sind von außerordentlicher Kom-pliziertheit, so daß ihre Herausbildung, Erhaltung und Weiterentwicklung ohne Speiche-rung und Übertragung von Information […] undenkbar wäre“ [Ebeling & Feistel 19862: 304, zit. nach Janich 1999b: 69]; und schließlich: „1. Die quantitative und strukturelle Seite … Das ist der metrische und syntaktische Aspekt der Information; 2. Die inhaltli-che Seite, d.h. das, was die eintreffenden Symbole für das empfangene [sic] System be-deuten … Das ist der semantische Aspekt der Information; 3. Die Bewertungsseite, d.h.

der Nutzen und die Bedeutsamkeit dessen, was empfangen wird … Das ist der pragmati-sche Aspekt.“ [Ebeling & Feistel 19862: 312 unter Bezugnahme auf Klix 1974, zit. nach Janich 1999b: 69].

Die Anleihen im Bereich menschlicher Kommunikation und technischer Substitute sind kaum zu übersehen: Das semiotische Vokabular kommt hierbei ebenso zum Einsatz (‚syntaktisch’, ‚semantisch’, ‚pragmatisch’, ‚bedeuten’) wie Ausdrücke des Computer-Jargons und der Nachrichtentechnik (‚speichern’, ‚übertragen’, ‚empfangen’, ‚verschlüs-seln’, ‚verarbeiten’). Kennzeichnend für die Auffassung von der biologischen (Entste-hung von) Information ist die Vorstellung, „daß materielle Systeme (wie z.B. Moleküle) als Träger von Informationen, und Wechselwirkungen solcher Systeme als Informati-onsprozesse betrachtet werden. Einen Höhepunkt erreicht diese Betrachtungsweise in der Anthropomorphisierung chemischer Objekte und Vorgänge, wenn etwa in Unter-suchungen biochemischer Reaktionen Molekülen eine ‚molecular recognition’ in dem Sinne zugesprochen wird, daß sich Moleküle im flüssigen oder gasförmigen Medium ei-nen Reaktionspartner suchen und nach Erkenei-nen der Passung sich mit ihm vereinigen […]“ [Janich 1999a: 28 f.]. Hier treten die kausale und die informationistische Redewei-se deutlich in Konkurrenz zueinander, obgleich bei Letzterer bereits die Gelingensbedin-gungen alltäglicher sinnvoller Rede nicht immer gewahrt sind: Niemand käme nämlich auf die Idee zu sagen, das mongoloide Kind sei erblich falsch informiert [vgl. Janich

1998: 169]; vielmehr wird hier dann von einem Abbildungsfehler bei der Übertragung bzw. Kopierung der Information (kodiert und redupliziert in der DNA) gesprochen,

„analog menschlicher Missverständnisse oder Übertragungsfehler in Bereichen der Kommunikation“ [vgl. Janich 1999b: 71].

Die Reduplikation einer DNA-Struktur ist rein kausal fassbar und bedarf analog dem Abgussverfahren von Prägestock und Münze keiner informationsbegrifflichen Rede – im letzteren Falle wäre sie sogar auffällig unsinnig. Die Abbildgüte einer duplizierten Struktur wird in jedem Falle an einer Norm gemessen und durch Menschen beurteilt, sei es bei der Münze oder dem DNA-Strang; hier lassen sich dann auch Gründe angeben, warum der Abdruck fehlerhaft oder korrekt ist. Eine Norm ist jedoch nichts Kausales, und Ursachen oder Wirkungen können nicht wahr oder falsch (gültig oder ungültig), sin-nig oder unsinsin-nig sein. So kann auch der Sprung von der kausalen auf die informationel-le Ebene nicht gelingen, wenn Information in den Kategorien von Bedeutung und Gel-tung beurteilt wird, Kausales aber nicht; GelGel-tung müsste kausal erklärt werden, was nicht möglich ist, da hierzu interpersonale Normen notwendig sind [Janich 1998: 174].

Für Janich ist es deshalb eine allzu optimistische Sicht zu fordern, aus der primären Be-schreibung einer materiellen Struktur – z.B. einer Schallplattenrille oder CD-Spuren – ließe sich die darin kodierte Information im Sinne semantisch und pragmatisch bedeu-tungsvoller und gültiger Inhalte gewinnen [vgl. Janich 1999b: 73 f.]. Er sieht darin sogar ein erkenntnistheoretisches Problem, solange die Beziehung zwischen beiden Ebenen bzw. Redeweisen im Dunkeln bleibt [Janich 1999b: 73]. Falls sich die Genetiker darauf-hin in ihrer Rede auf die syntaktischen Aspekte von Information zurückziehen würden, wäre dies für Janich nichts weiter als Jargon, der kausale Erklärungen ersetzt, ohne Neu-es in Chemie und Biologie einzubringen [Janich 1999b: 77]. Als Diagnose ist fNeu-estzuhal- festzuhal-ten, dass die Rede von Information innerhalb von Biologie und Chemie in zuvor bereits außerhalb dieser Disziplinen bekannten und verstandenen Termini gründet, um das Un-bekannte und Unverstandene darstellen zu können [Janich 1999b: 71]. Das Auf-den-Kopf-Stellen dieser Beziehung im Rahmen des naturalistischen Programms „kommt der Weigerung gleich, spezifische Kulturleistungen von Naturentwicklungen zu unterschei-den“ [Janich 1999b: 82, Herv. im Orig.]. In der Tat scheint es auch dem gesunden All-tagsverstand zuwiderzulaufen, Kultur vollständig auf Natur reduzieren zu wollen.

3.3.5 Fazit und Bewertung

Janich spricht eine ganze Reihe von Problemen im Zusammenhang mit dem Informati-onsbegriff an, die er versucht, konstruktiv durch seinen Vorschlag einer Definition durch Abstraktion zu lösen. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die Naturalisierung

von Information als Gut, das unmittelbar oder mittelbar auf dem Weg über Technisie-rung und Modellbildung als Naturgegenstand vorfindlich ist. Janichs Ausgangspunkt ist das Informieren als kommunikationaler Akt mit Bedeutung und Geltung einer Äußerung (z.B. Auskunft), bei dem Sprecher und Hörer einander verstehen wollen und in wahr-heitsgemäßer bzw. gelingender Rede (Erfolg der Auskunft) kooperativ handeln. Dies ist sicher ein verbreitetes Verständnis von Informierung im Alltag, wenngleich auch nicht das einzige. Es ist bezeichnend, dass Janich überhaupt nicht auf den vielgestaltigen All-tagsbegriff eingeht, dem er Vagheit und Ambiguität unterstellt, zumal dadurch gerade die Chance verpasst wurde zu explizieren, wie der Informationsbegriff der Alltagsspra-che funktioniert. Dabei hätte erkannt werden können, dass etwa Information in der Wen-dung ‚Ich bekomme gerade eine neue Information herein (*dass S)’ nicht unbedingt der expliziten Darstellung eines Inhalts S bedarf; auch scheint es zweifelhaft, ob tatsächlich immer Sprecher und Hörer involviert sind. Brechen diese Voraussetzungen zusammen, dann ist auch Janichs Definition hinfällig. Die Idee von der Information als Abstraktion ist im Übrigen keineswegs neu, worauf bereits [Strombach 1983: 4] und [Oeser 1976]

hinweisen. Das Knüpfen von Information an Sprache und Kommunikation verbietet dar-über hinaus, bei natürlichen Zeichenprozessen von Informationsvermittlung zu spre-chen: Ist es etwa keine Information, dass Rauch Feuer bedeutet? Ist es keine Informie-rung, wenn in einer Affenhorde ein aufmerksames Mitglied die anderen durch einen Warnruf vor einem Feind warnt und zur Flucht auffordert? In beiden Fällen lässt sich ohne Weiteres von Bedeutung und Geltung sprechen: Die Beziehung Rauch–Feuer ist stets gültig, d.h. Rauch bedeutet natürlicherweise immer Feuer (hierzu bedarf es keines Urteils eines Kulturmenschen); beim Fluchtruf eines Affen wird die Gültigkeit unter-stellt, obgleich hier sogar Irrtum möglich ist, wenn der rufende Affe etwa einer Wahr-nehmungstäuschung erlegen ist.

Sprachliche Kommunikation ist hierzu keinesfalls notwendig; es erscheint überhaupt grotesk zu glauben, Information wäre erst vor ein paar hunderttausend Jahren in die Welt gekommen, als der Mensch anfing zu sprechen. Dies ist sicher ein viel zu enges Verständnis von Information. Zudem verkennt Janich mit seiner Kritik an der Naturali-sierung scheinbar, dass Kultur physisch aus Natur entstanden sein muss; Kultur kann nicht wie ein Popup-Fenster aus dem Nichts aufklappen. So ist etwa der Weg von natür-lichen zu kultürnatür-lichen (arbiträren, konventionalen) Zeichen durchaus wohlverstanden und aufschlussreich hinsichtlich des Entstehens (eines Aspekts) von Kultur aus Natur [vgl. Keller 19942, insbesondere Kap. 2]. Diese physische Rückführung von kultürlichen auf natürliche Gegebenheiten ist das eigentliche Ziel des Naturalisierungsprogramms;

Janichs diagnostizierte Primarität der Kultur über Natur ist eine rein methodische (vgl.

PmO), d.i. konzeptionelle oder terminologische, und greift daher als Kritik ins Leere.

Bezeichnend hierfür ist etwa, dass Janich mit keinem Wort auf Dretskes Naturalisie-rungsversuch von Wissen via Information eingeht [vgl. Dretske 1981]. Wenn sich in der Genetik die Redeweise von natürlicher Information so erfolgreich durchgesetzt hat, hat dies sicher auch einen guten Grund; ob es sich dabei letztlich tatsächlich um Metaphorik handelt, wird noch zu klären sein. In jedem Fall sind Metaphern stets eine hilfreiche Denkfigur bei der Bewältigung komplexer und abstrakter Probleme und Fragestellun-gen, die auf dem Weg über die Analogiebildung durchaus neue Einsichten in zuvor Un-verstandenes eröffnen kann. Die Metaphorisierung der Information hat – wie Janich ja selbst bemerkt – ihren Ursprung in der wörtlichen Rede von der Einformung oder Ge-staltung der Materie und wurde erst später auf die Einformung des Geistes (Bildung) übertragen. Es erstaunt, dass Janich diese Herkunft der ‚informatio’ derart ignoriert.

3.4 Kuhlen

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Kuhlen nähert sich dem Phänomen Information aus der Sicht des Informationswissen-schaftlers, der verschiedene Aspekte von Information aufgreift und im Lichte der spezi-ell informationswissenschaftlichen Anforderungen präsentiert. Dabei stehen vor allem die pragmatischen Aspekte von Information im Vordergrund, die den Gebrauch von In-formation in der Gesellschaft und beim Einzelnen hervorheben. Eine grundsätzliche Be-griffs- oder Terminologiedebatte hierzu hält Kuhlen allerdings für unfruchtbar und da-her unangebracht [Kuhlen 1991: 93; Kuhlen 2004: 7 f., 10]. Diszplinen wie die Biologie z.B. bräuchten ihre wichtigsten Begriffe auch nicht zu definieren, um zu funktionieren, selbst wenn sie so fundamental seien wie ‚Leben’ [Kuhlen 1991: 93]. Die Informations-wissenschaft hat jedoch eine ‚Nachbardisziplin’, die Informatik, die ebenfalls den Be-griff der Information für sich in Anspruch nimmt, so dass sich die Schwierigkeit der Ab-grenzung und Rechtfertigung ergibt. Es scheint also zumindest angebracht, das Ver-ständnis der Informationswissenschaft hinsichtlich ihres bestimmenden Namensbestand-teils genauer zu explizieren.