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Zeichen- und Informationsprozesse

4.2.4 ‚Information’ und seine Verwandten im Englischen

5 Informationsverständnisse im Detail

5.2 Eine semiotische Informationskonzeption

5.2.3 Zeichen- und Informationsprozesse

In den folgenden Abschnitten sollen einige weitere Beispiele für verschiedene Formen von Zeichen- und Informationsprozessen aufgezeigt werden. Eine ausführliche Diskus-sion über Zeichen und deren Verhältnis zu der von ihnen vermittelten Information er-folgt in Abschnitt 6.

5.2.3.1 Natürliche Zeichen- und Informationsprozesse

Betrachten wir eine ‚Schäfchen’-Wolke am Himmel: Gemeint ist hier eine Wolke, die zufälligerweise tatsächlich wie ein Schaf aussieht. Die Tatsache, dass ich diese Forma-tion als Schaf erkenne – als eine perzeptuelle Gestalt aus einem System von tausenden solcher Gestalten, mit denen ich zeit meines Lebens perzeptuelle Erfahrungen machen konnte – und mir daraufhin die Vorstellung bzw. der Begriff eines echten Schafes zur Kenntnis gelangt – als konzeptueller Gehalt eines Begriffssystems –, lässt diesen

Vor-gang zu einem ikonischen Zeichen- bzw. Informationsprozess werden: Die assoziative Nähe einer weißen Schafswolke in Relation zu meiner prototypischen Vorstellung eines realen Schafes ermöglicht das Schließen von einer unmittelbar wahrgenommenen Wol-kenformation auf die mittelbare Schafinformation. Ein intentionaler Absender für Ikone, wie Keller dies einfordert, ist nicht notwendig. Die Zeichenhaftigkeit einer Erscheinung hängt allein davon ab, ob ich sie als Zeichen von oder für etwas interpretiere. In diesem Sinne kann alles Zeichen sein, genau so wie alles potenzielle Information sein kann. Ein stilisiertes Schäfchen als Zeichnung auf einem Blatt Papier hingegen kann darüber hin-aus auch eine kommunikative Intention besitzen, oder es handelt sich einfach nur um ei-ne Zeichnung ohei-ne weitere Hintergedanken. Ein Interpret mag vielleicht sogar eiei-ne In-tention hineinlegen, obgleich es gar keinen Kommunikationsversuch gegeben hat. Für die Frage der Zeichen- und Informationshaftigkeit einer Erscheinung spielt es letztlich keine Rolle, ob das Zeichen kausal – wie im Falle der Schäfchenwolke – oder intentio-nal – wie im Falle der Zeichnung – entstanden ist. Der Produktionsvorgang eines Zei-chens (oder allgemein einer Erscheinung) ist strikt zu trennen vom Rezeptionsvorgang:

Beide Schaf-Zeichen werden auf natürliche Weise interpretiert, ein arbiträr-konventio-naler Interpretationskode ist hierfür nicht notwendig.

Der Schatten eines Gegenstandes liefert Information über diesen Gegenstand: über seine Lage im Raum, über seine Struktur und Größe, aber auch über die Lage der Lichtquelle usw. Der Schatten ist ein Zeichen für den jeweiligen Gegenstand, wenn der Schatten be-reits wahrnehmbar ist, der Gegenstand selbst indes (noch) nicht; oder der Schatten ist Hinweis auf die Eigenschaften der Lichtquelle, die ebenfalls nicht unmittelbar wahrzu-nehmen sein muss. In jedem Fall liegt der Interpretation eines Schattens die prominente Produzent-Produkt-Relation (als Sonderfall einer Ursache-Wirkungs-Relation) zugrun-de, mit deren Hilfe auf den Produzenten des Schattens rückgeschlossen werden kann – unabhängig davon, ob man als Verursacher des Schattens das Objekt selbst oder die Lichtquelle betrachtet. Der Schatten kann damit auf mehreres, nicht aber auf alles Belie-bige verweisen. Der stets kausal entstehende und natürlich interpretierte Schatten kann nun ebenfalls wieder kommunikativ genutzt werden: Einmal durch einen vereinbarten Kode, indem beispielsweise der Schattenriss eines bestimmten Objekts an die Wand projiziert wird, um eine Nachricht zu übermitteln (hier tut es im Übrigen auch ein Imitat des Objekts z.B. aus Pappe, wodurch sich auch täuschen ließe); oder auf natürliche Wei-se, indem ein frontal projizierter Schattenriss einer Person an einem erleuchteten und verhangenen Fenster in der Nacht jemandem bedeuten kann, sich nicht weiter zu nähern (zumindest kann ein Passant dies so interpretieren, ohne dass der Schattenspender so

et-was tatsächlich intendieren musste93). Die syntaktische Information, die ein Interpret daraus gewinnt, ist das Erkennen eines schwarzen Flecks am Fenster als Schatten; die semantische Information ist zunächst wohl die dadurch induzierte Kenntnisnahme einer Person, die vor einer Lichtquelle steht; die pragmatische Information, die sich daraus ab-leiten ließe, ist das Anliegen der Person, nicht näher zu treten. (Um eine solche Schluss-kette vollziehen zu können, ist eine Menge stereotypen Wissens notwendig; vielleicht auch eine gewisse Beklemmung, die nachts in bestimmten Situationen auftritt und zu ir-rationalem Verhalten einlädt.)

5.2.3.2 Kultürliche Zeichen- und Informationsprozesse

Ein Blick auf unsere Kultur zeigt uns, dass wir uns in einem Meer künstlicher, konven-tionaler Zeichen befinden, die praktisch in alle Bereiche unseres Lebens eingedrungen sind. Ein hervortretender Bereich ist der Verkehr, den wir durch eine Vielzahl von Ver-kehrszeichen regeln wollen. Das wahrnehmbare Moment dieser VerVer-kehrszeichen sind die Verkehrsschilder, der nicht wahrnehmbare Aspekt ist die dahinter stehende Intention der Verkehrsplaner, mit dem jeweiligen Zeichen den Verkehrsteilnehmer auf eine be-stimmte Weise beeinflussen zu wollen. Die Bedeutung und der Zweck eines Schildes bzw. Zeichens ist vorher festgelegt und kann durch eine einfache Syntax auch kombina-torisch ad-hoc erweitert werden (beispielsweise lassen sich mehrere Zeichen zugleich in- oder untereinander anbringen). Damit existiert eine Art Lexikon von Verkehrszei-chen (Paradigmatik) und eine zugehörige Syntax (Syntagmatik). Bei den meisten dieser Zeichen handelt es sich um Instruktionszeichen, die vor allem pragmatische Information vermitteln wollen (Warnung, Hinweis, Aufforderung); Inhaltsinformation kommt etwa bei Tempolimits hinzu, die durch Zahlenwerte angegeben sind. Ähnlich der natürlichen Sprache vereinen sich in Verkehrszeichen zumindest zweierlei Arten von Zeichen: sym-bolische und ikonische Zeichen. Symbolisch ist etwa die allgemeine Bedeutung der geo-metrischen Formen (kreisrund, drei-/vier-/mehreckig), die Farben mit ihren jeweiligen Bedeutungen (rot, blau, weiß, schwarz), oder auch Negationen (Durchstreichen); iko-nisch sind z.B. die bildhaften Darstellungen (Männlein/Weiblein, Fahrzeuge usw.). Die

93 Man könnte argumentieren, dass keine Kommunikation zustande kommt, wenn der Absender gar keine Intention verfolgt hat. Was aber, wenn der Schattenwerfer unwillkürlich jeden Abend vor dem Fenster steht, um auf diese Weise Passanten zum Weitergehen zu drängen? Würde er nicht auf die Frage, ob dies den Passanten etwas zu verstehen geben soll, nach kurzer Überlegung vielleicht doch antworten:

‚Offenbar ist mir nicht bewusst, dass ich die Leute damit zum Verschwinden bringen wollte’? ([Keller 19942: 35 ff.] hat die Unabhängigkeit bzw. Nicht-Synonymie der Prädikate ‚bewusst’ und ‚intentional’

[im Sinne von ‚zweckhaft’] gezeigt, so dass vorige Aussage keinen Widerspruch beinhaltet.) Ob also etwas tatsächlich ein Kommunikationsversuch war, liegt vor allem im Ermessen der Beteiligten und kann nicht durch absolute Kriterien festgelegt werden.

Interpretation eines Verkehrszeichens gestaltet sich damit nicht weniger komplex als die eines natürlichen Zeichens: Das Zeichen ist als Verkehrszeichen zu erkennen, das aus mehreren kombinatorischen Einzelzeichen zusammengesetzt ist und einer bestimmten Syntax folgt; deren Einzelbedeutung ist zu einer Gesamtbedeutung zu verbinden, um schließlich den intendierten Effekt verstehen zu können. Bei häufig wiederkehrenden Zeichen kürzt sich dieser Interpretationsprozess ab, d.h. die ineinander verwobenen Ein-zelzeichen werden unmittelbar als Ganzes erkannt und interpretiert (wie ja auch wieder-kehrende Sätze als Ganzes interpretiert werden und dadurch als Idiome, Kollokationen oder allgemein Syntagmen ins Lexikon übergehen).

Viele Zeichen unserer Kultur sind Warn- und Alarmzeichen, so etwa auch Sirenen- oder Feueralarm. Interessant hieran ist, dass sie gleichermaßen in realen wie inszenierten Si-tuationen verwendet werden (Probealarm). Um die eigentliche Bedeutung ermitteln zu können, muss entweder Vorwissen um die tatsächliche Situation herrschen (Ankündi-gung eines Probealarms), oder die Situation muss intuitiv einschätzbar sein (die meisten wurden schon einmal von Sirenenalarm überrascht, ohne dass wir uns im Keller verbar-rikadiert hätten). In jedem Fall ist die semantische Information, d.i. die Bedeutung des Geheuls, in beiden Fällen, auf eine Gefahrensituation hinzuweisen. Zur pragmatischen Information gehört dann die Auflösung der Ambiguität, ob es sich um einen realen oder inszenierten Alarm gehandelt hat; entsprechend ist der Zweck des Alarms Übung oder Warnung einschließlich der intendierten Effekte (Ignorierung oder Schutzsuche). Das tatsächliche performationelle Verhalten richtet sich letztlich an dieser Frage aus: Man geht weiter seinen Tätigkeiten nach oder sucht Schutz, gerät in Panik usw. Selbst expli-zit vereinbarte Zeichen wie Alarmsignale können also informationell mehrdeutig sein (bei Verkehrszeichen wäre dies allerdings weniger ratsam). Die potenzielle pragmati-sche Information, die das Signal stets trägt und überträgt, muss vom System disambigu-iert werden, um aktuelle pragmatische Information zu erhalten, die dann tatsächlich auch Verhaltensänderungen und andere Reaktionen bewirkt (Performation).

5.2.3.3 Maschinelle Zeichen- und Informationsprozesse

Wir kennen Computer vor allem als Datenverarbeitungsmaschinen, die syntaktisch im Systemformat organisierte Bit- und Byteketten manipulieren. Diese rein formalen Sym-bole oder Einheiten können vom System als Zahl, Buchstabe, Pixel, Ton usw. oder In-struktion interpretiert werden und stellen dann aber einen bedeutungsvollen Inhalt dar.

Im Speziellen sind hierbei die Zeichen der Maschinensprache eines bestimmten Prozes-sortyps (beispielsweise Pentium-Prozessoren) zunächst einmal Symbole im Sinne arbi-trärer Instruktionszeichen (Maschinenbefehle), die einem System solcher Zeichen

ange-hören. Die Ketten von Bits, die einen Maschinenbefehl und seine Ergänzungen nach ei-ner bestimmten Morphosyntax – die erlaubten Bitkombinationen, die den Befehl und seine Prädikat-Argument-Struktur formieren – zunächst formal kodieren, sind latent oder aktuell stets als Instruktion interpretiert, d.h. ihre Bedeutung erlangen sie aus der festgelegten Wirkung, die sie auf das System ausüben: Beispielsweise bedeutet der Be-fehl mit der (morpho)syntaktischen Kodierung ‚00101011’ (den Algorithmus) SUBTRA

-HIERE im Sinne prozeduraler semantischer Information; ergänzende Argumente spezifi-zieren, welche Werte wie und wo verarbeitet werden (z.B. subtrahiert ‚sub eax,eax’ den Inhalt des 32-Bit-Arithmetikregisters ‚eax’ von sich selbst und setzt ‚eax’ damit gleich 0). Dem Prozessor ist diese Instruktion und ihre funktionale Bedeutung per Chipdesign eingebrannt (Implementierung der Maschinensprachkompetenz). Maschinenbefehle sind Symbolzeichen im nicht-metaphorischen Sinne: Sie weisen (morpho)syntaktische Struk-tur auf und besitzen semantisch-pragmatische Aspekte.

Auf einer höheren Stufe kann der Rechner auch durch natürliche Sprache instruiert wer-den, sei sie gesprochen oder geschrieben. Man spricht hier dann zurecht von Spracher-kennung (phonetisch und syntaktisch) sowie Sprachverstehen (semantisch und pragma-tisch). Bei Ersterem werden kontinuierliche Lautsequenzen als bestimmte Wörter er-kannt und beispielsweise auf den Bildschirm ausgegeben (Diktiersysteme); dabei erfolgt die Diskretisierung des Eingabestroms in lexikalische und syntaktische Einheiten (para-digmatische und syntagmatische Prozessierung). Letzteres ermöglicht darüber hinaus auch, Befehle entgegenzunehmen, Aussagen zu machen oder Fragen zu stellen, um dar-auf mehr oder weniger angemessen zu reagieren (Dialogsysteme). Es ist unstrittig, dass bei der Verarbeitung natürlich-menschlicher Sprache, für die ein normaler Rechner ja nicht konstruiert wurde, keine native Verarbeitung natürlicher Sprache stattfindet. Es handelt sich hier aber dennoch um semantische und nicht nur syntaktische Symbolmani-pulation, sobald die Semantik einer natürlichen Sprache auf die Semantik einer Maschi-nensprache abgebildet wird. Die Maschine versteht tatsächlich eine natürliche Sprache, zwar nicht nativ, aber doch vermittelt durch die eigene Maschinensprache.94

94 Im umgekehrten Falle, wenn der Programmierer im Kopf ein Programm in Maschinensprache oder ei-ner höheren Programmiersprache interpretiert, würde auch niemand argumentieren, dass dieses bedeu-tungsfrei sei, nur weil wir nicht nativ mit Maschinensprachkompetenz ausgerüstet sind. Für eine weite-re Diskussion dieses Themas im Rahmen von Searles Chinesisches-Zimmer-Argumentation vgl. [Rei-scher 2000].

5.2.3.4 Bildliche Zeichen- und Informationsprozesse

Bilder wollen wir hier als ikonische Zeichen betrachten, die Information vermitteln (vgl.

ausführlicher Kapitel 6). Das Bild selbst ist ein Medium, das durch entsprechende Inter-pretation Information auf verschiedenen semiotischen Ebenen liefert. Ein ikonisches Zeichen wie das in Wittgenstein wiedergegebene Hase-Ente-Kopf-Ikon [Wittgenstein 1967: XI] ist ambig zwischen zwei Interpretationen als Hasen- und/oder Entenkopf (‚Hasente’-Kippbild). Die potenzielle semantische Information ist entsprechend HASE

oder ENTE (da vom Kopf als Körperteil auf das ganze Tier geschlossen wird, handelt es sich zudem noch um einen symptomisches Zeichen); die potenzielle syntaktische Infor-mation ist die rein perzeptuelle Erkennung der Hasen- oder Entenkopf-Gestalt. Die aktuelle syntaktische und semantische Information hingegen ist entweder der Hasenkopf bzw. HASE oder der Entenkopf bzw. ENTE; d.h. hier musste durch die Interpretation not-wendig eine Vereindeutigung stattfinden, ansonsten ist das Bild weder syntaktisch noch semantisch verstanden worden. Analog funktionieren die berühmte Vase-Gesichter-Am-biguität und alle anderen solcher bildhaften Überblendungen. Der Informationsgewinn liegt hier jeweils darin, Potenzialität zu Aktualität reduziert zu haben, d.h. eine mög-lichst kleine und eindeutige Auswahl aus einer Reihe von Alternativen treffen zu kön-nen.

Im Gegensatz zu einem Kippbild würde man ein Suchbild nicht unmittelbar als Vertre-ter von Ikonie betrachten (unVertre-ter Suchbild wollen wir hier sowohl normale Bilder mit ei-nem versteckten Gegenstand als auch Schwarz-Weiß-Fleckenbilder, die sich zu eiei-nem Gesamtbild zusammenfügen, verstehen). Da sich hierin ebenfalls potenzielle Informati-on versteckt und nach Erkennung der gesuchten Gestalt syntaktische InformatiInformati-on gege-ben ist, die durch einen assoziativ-ikonischen Schlussprozess auf einen Gegenstand bzw. dessen Begriff oder Vorstellung verweist, handelt es sich zumindest um potenziel-le Ikone. Das berühmte Dalmatiner-Suchbild ist solange nur ein Fpotenziel-leckenteppich aus Schwarz-Weiß-Signalen, bis ein interpretierendes Informationssystem darauf einen Hund erkennt und womöglich eine Assoziation zum Dalmatiner im Allgemeinen oder seinem eigenen Hund herstellt. Misslingt die Interpretation, ist das Bild informationslos, da sich die Situation dann nicht anders darstellt als in Abb. 5-1b, auf der eine zufällige Ansammlung verteilter Signale dargestellt ist (statt eines Smileys). Die Überlagerung la-tenter Informationen bei Kippbildern bzw. die Einlagerung lala-tenter Information in Such-bildern zeigt, dass Signale oder mediale Träger im Allgemeinen stets nur potenzielle In-formation in allen semiotischen Dimensionen tragen, und es eines InIn-formationssystems bedarf, um daraus aktuelle Information zu gewinnen. Für den Interpreten spielt es dabei keine Rolle, ob Bedeutung und Zweck tatsächlich intendiert waren (vgl. Schäfchen-wolke).

Gerade im Falle der Interpretation von Bildern (qua ikonische Einzelzeichen) wird auch deutlich, dass Information nicht notwendig der Wahrheitsdimension unterliegen muss.

Ob ich das Hasente-Ikon als Hase oder Ente oder gar nicht zur Kenntnis nehme, die Schafswolke als Schaf oder einfach nur als Wolkenfetzen hinnehme, kann nicht Gegen-stand eines Wahrheitsurteils sein. Auch einzelne symbolische Zeichen, z.B. Instrukti-onssignale wie Alarmzeichen und Aufforderungssätze wie ‚Hilfe!’, ‚Halt!’ usw. liefern Information auf mehreren semiotischen Ebenen, ohne dass es überhaupt eine wahrheits-fähige Aussage (Proposition) gäbe. Sogar die Übermittlung von offensichtlich Unwah-rem enthält noch Information: Die Aussage ‚Der Wal ist ein Fisch’ ist nach unseUnwah-rem Kenntnisstand sicher falsch, und trotzdem lassen sich daraus die (Präsuppositions-)In-formationen ‚Es gibt Fische’ und ‚Es gibt Wale’ folgern.

5.2.3.5 Inferenzielle Zeichen- und Informationsprozesse

Syllogismen sind Informationsprozesse, die implizite Information explizit machen kön-nen, wenn etwa aus zwei Prämissen-Aussagen eine dritte Aussage gewonnen wird: Zu wissen, dass man Menschen in Not helfen muss und dort ein Mensch in Not ist, erlaubt den Schluss, dass diesem Menschen geholfen werden muss. Auch wenn dadurch streng genommen keine wirklich neue Information erzielt werden kann, so wird doch aktual handlungsrelevante Information aus zuvor kontextfreiem, gespeichertem Faktenwissen (ohne pragmatische Konstellation) herausgearbeitet. Erst die explizite Zurkenntnisbrin-gung eines impliziten Wissensinhalts ermöglicht den Einbezug in geplante Handlungen.

Syllogismen bewirken nichts weniger, als Wissen in Aktion und Kontext zu setzen, in-dem verborgenes, letztlich aber schon vorhandenes Wissen unter neuen situativen Gege-benheiten genutzt wird.95 Dies stellt eine Ausprägung informationeller Autonomie dar, die nicht auf den Anspruch abzielt, sich möglichst viel Inhaltswissen zu merken oder je-derzeit aus externen Quellen selbst besorgen zu können, sondern die eigenen Ressour-cen – d.h. den statischen Wissensbestand und das dynamisch daraus abgeleitete Wissen – optimal (d.h. ökonomisch hinsichtlich Zeit- und Kostenaufwand) zu nutzen. Die Kom-petenz zum Schlussfolgern ist im Lichte informationeller Autonomie nicht weniger rele-vant als die Kompetenz zur Informationsbeschaffung, -bewertung und -verwertung.

Syllogistische Informationsprozesse sind Zeichenprozesse, sofern man davon ausgeht, dass es (innerlich) medial kodierte Aussagen sind und nicht Propositionen, die verarbei-tet werden. Es spricht nichts dagegen, dass gespeicherte Wortlaute aus dem Gedächtnis

95 Es ist stets die pragmatische Konstellation (Kontext), die neu ist an der Information, nicht die semanti-sche Information im Sinne des Aussagegehalts oder des zur Kenntnis Gelangten.

abgerufen oder rekonstruiert und wie sprachliche Äußerungen verarbeitet werden, die von einer externen Sprechquelle stammen. Es ist kaum vorstellbar, wie ohne phone-tisch-syntaktische Kodierung und Re-Präsentation der semantischen Gehalte – Alle P sind Q, R ist ein P – der Syllogismus anwendbar sein soll. Es bedarf keiner (externen) medialen Information, um innerliche lautsprachliche Operationen durchführen zu kön-nen; darüber hinaus ist zu bedenken, dass das Gehirn auf neuronal-subsymbolischer Ebene selbst ein physikalisches System ist. Wie bei einem Computer auch hat der inner-liche Abruf gespeicherter (memorialer) Information den ‚Vorteil’, dass die Transforma-tion von medialer zu memorialer InformaTransforma-tion, d.h. eine Formatierung der Signale in ent-sprechende Daten, entfällt. Dies bedeutet aber nicht, dass kein Zeichenprozess mehr vorläge: Die sukzessive ‚Ausfaltung’ potenzieller Signalinformation (qua Formation oder medialem Zeichenträger) in aktuelle syntaktische, semantische und pragmatische Information expliziert ja gerade erst die eigentliche (aktuelle) Zeichenstruktur im Sys-tem und den eigentlichen Zeichenprozess, bei dem vom Wahrgenommenen – sei es sin-nesmodal aus dem Gedächtnis abgerufen (inneres Gehör, innere Sprache) oder durch die Sinne aufgenommen – auf das nicht Wahrzunehmende verwiesen wird (mittels Assozia-tion, Schließen, usw. im und durch das System). Auch die gespeicherte Wortlautkette

‚grüner Igel’ lässt mich und Sie einen grünen Igel vor meinem geistigen Auge zur Kenntnis nehmen.