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Bedeutung, Begriff und Kategorie

2.3 Kellers Zeichenkonzeption

2.3.5 Bedeutung, Begriff und Kategorie

Symptome, Ikone und Symbole besitzen alle Bedeutung im Sinne ihrer kausalen, assozi-ativen bzw. regelhaften Zusammenhänge zwischen Wahrgenommenem und zu Erken-nendem, die als Basis von Schlüssen dienen, um eben dies zu erhalten. Es scheint offen-sichtlich, dass Symptome aufgrund ihres natürlichen und nur passiven (rezipierenden)

‚Gebrauchs’ keine Begriffe bilden, zumal deren Interpretation prinzipiell frei ist. Auch Ikone werden auf natürliche Weise verstanden und ermöglichen grundsätzlich verschie-dene Interpretationen aufgrund ihrer prinzipiell freien Assoziativität [vgl. Keller 1995:

125, Fußnote 20]. Allerdings ist hier die mehr oder weniger ausgeprägte perzeptuelle bzw. konzeptuelle Nähe zwischen dem wahrnehmbaren Zeichen und dem nicht wahr-nehmbaren, intendierten Sinn dafür verantwortlich, dass dennoch nicht völlig beliebige Interpretationen möglich sind und sich gewisse überkontextuelle und interindividuelle stabile Vorstellungen mit einem Ikon verbinden lassen (was ja letztlich zum Umkippen des Ikons zum Symbol führt). Begriffsbildend im eigentlichen Sinne sind nur Symbole mit verbindlichem (konventionalem) Gebrauch; die Gebrauchsregel eines symbolischen Ausdrucks im Sinne seiner Bedeutung erzeugt die Kategorien, nach denen wir die Welt klassifizieren [Keller 1995: 93]: „Indem wir den korrekten Gebrauch der Wörter er-werben, erwerben wir eine bestimmte Klassifikation der Welt.“ [Keller 1995: 93 f.]. Be-deutungen respektive Gebrauchsregeln sind Einheiten der linguistischen bzw.

sprachli-chen Ebene,30 Begriffe sind „Einheiten unseres Denkens, die geformt werden durch Ge-brauchsregeln unserer Sprache“ [Keller 1995: 97], d.h. epistemische Entitäten. Die Umkehrung kann indes nicht gelten, wie man an solch dehnbaren Begriffen wie SALAT

erkennt: „Wir erlernen nicht erst den Begriff ‚Salat’ und dann gleichsam in einem zwei-ten Schritt, diesen Begriff mit dem Wort Salat zu bezeichnen, sondern wir lernen in un-serem kommunikativen Alltag die Regel des Gebrauchs des Wortes Salat. Indem wir dies lernen, lernen wir, mit einer gewissen Unschärfetoleranz, Salat von Nicht-Salat zu unterscheiden.“ [Keller 1995: 82, Herv. im Orig.]. Gerade durch Begriffe mit ‚Famili-enähnlichkeitsstruktur’ (vgl. unten) wie SPIEL und auch INFORMATION wird deutlich, dass sie erst durch Gebrauch des entsprechenden Wortes entstehen und nicht präexistent sind.31

Keller untersucht den Zusammenhang von Gebrauchsregel und Begriff, d.h. welche Ar-ten von Gebrauchsregeln zu welchen Typen von Begriffen führen. Ein Begriff ist gemäß Keller durch seine Intension im Sinne einer Merkmalsmenge definiert; die Menge der unter den Begriff fallenden existierenden Dinge heißt Extension, die Menge der mögli-chen Gegenstände Komprehension.32 Die Intension des Begriffs klassifiziert somit seine Komprehension; das, was allen unter einen Begriff fallenden Dingen gemeinsam ist, be-stimmt das Wesen eines Begriffs im Sinne seiner Wesensmerkmale [Keller 1995: 87].

Die erste Klasse von Begriffen nennt Keller Fregesche Begriffe: Dabei ist stets eindeutig entscheidbar, ob etwas unter einen solchen Begriff fällt oder nicht. PRIMZAHL und BUN

-DESVERFASSUNGSRICHTER sind Begriffe dieser Art [Keller 1995: 87 f.]. Die allermeisten Begriffe sind jedoch nicht von dieser Art, sondern durch ihre Vagheit charakterisiert. Es sind Begriffe mit unscharfen Rändern, bei denen keine scharfe Grenze dahingehend ge-zogen werden kann, was (noch) unter den Begriff fällt und was nicht (mehr). Beispiele hierfür sind etwa WASSER, KRANK oder HAUS [Keller 1995: 88]: Wie rein muss Wasser sein, um es als solches zu bezeichnen? Ab wann ist jemand tatsächlich krank? Wie klein oder groß darf ein Gebäude sein, damit es als Haus durchgeht? Gegebenenfalls müssen hier vom Einzelnen Grenzen gezogen werden. Eine dritte Klasse von Begriffen sind die bereits erwähnten mit Familienähnlichkeitsstruktur. Dabei weist die Intension kein allen Elementen der Komprehension gemeinsames Wesensmerkmal auf, sondern sie wird durch eine Reihe überlappender Merkmale zusammengehalten. Den Begriff der

30 Keller legt sich hier nicht eindeutig fest, ob Gebrauchsregeln Konstrukte von Linguisten bzw. Sprach-philosophen sind oder tatsächlich existente Sprachgesetze.

31 Keller gesteht jedoch zu, dass im wissenschaftlichen Diskurs auch Kategorien entstehen, bevor dafür eine Bezeichnung zur Verfügung steht [Keller 1995: 82].

32 Im Folgenden werden wir uns dieser Unterscheidung nicht anschließen und ‚Extension’ im Sinne von Kellers Komprehension und Extension als unspezifischen Gegensatz zu ‚Intension’ verwenden.

enähnlichkeit wörtlich genommen weisen beispielsweise die Mitglieder einer Familie diverse Ähnlichkeiten auf, ohne dass sie ein einziges Merkmal gemeinsam zu haben brauchen. Kellers Beispiel ist Wittgensteins berühmtes SPIEL: Was unter diesen Begriff fällt, d.h. was von ihm als Spiel klassifiziert wird, ist zum Teil adhoc durch die Sprach-gemeinschaft bestimmt (ähnlich den unscharfen Begriffen) [vgl. Keller 1995: 89 f.]. Die Diversität von SPIEL umfasst das Spiel von Babys, Sportspiele, Kampfspiele, Brettspie-le, GlücksspieBrettspie-le, StraßenspieBrettspie-le, Computerspiele usf. Hingegen begreifen wir Wettangeln und Jagd nicht als Spiel, obwohl nichts dagegen spräche [vgl. Keller 1995: 90]. Später werden wir auch noch die angedeutete Familienähnlichkeitsstruktur des Informationsbe-griffs explizieren. Als letzte Klasse von Begriffen betrachtet Keller solche mit Prototy-penstruktur. Unter einem Prototyp ist diejenige Entität der ontologischen Ebene zu ver-stehen, die unser epistemisches Stereotyp am besten erfüllt: Wir verfügen über eine be-stimmte stereotype Vorstellung davon, was einen Gegenstand, etwa einen Vogel, seinem Wesen nach auszeichnet; dasjenige Ding, was dieser Erwartung am ehesten entspricht, z.B. in unseren Breiten der Spatz, ist der Prototyp [Keller 1995: 91 f.]. Die Kategorie VOGEL ist deshalb aber nicht vage – denn es ist (biologisch) eindeutig bestimmbar, was ein Vogel ist –, sondern im Begriff versammeln sich eine Reihe von Unterbegriffen (SPATZ, AMSEL, ADLER, PINGUIN usw.), die das Stereotyp besser oder schlechter erfül-len, ohne dass dies vom individuellen Urteil eines Einzelnen abhinge (die ganze Sprach-gemeinschaft bestimmt nur, was prototypischer ist für den Begriff oder nicht, nicht aber, was überhaupt unter ihn fallen soll).33

Keller versucht, den Zusammenhang von Gebrauchsregel und entsprechendem Begriff zu explizieren: Bestimmte Typen von Regeln führen zu bestimmten Typen von Begrif-fen. Fregesche Begriffe wie PRIMZAHL werden durch Definitionen bestimmt: Nur was durch eins und sich selbst teilbar ist, ist eine Primzahl. Danach richtet sich die eindeuti-ge Entscheidung aus, was als Primzahl gilt und was nicht. Nur bei Freeindeuti-geschen Begriffen spielen ausschließlich Wahrheitsbedingungen eine Rolle [Keller 1995: 98]. Begriffe mit unscharfen Rändern wie etwa WASSER werden durch Gebrauchsregeln bestimmt, die Ei-genschaften der bezeichneten Entität sowie deren Nutzungs- und Erscheinungsweise als Kriterien des Gebrauchs heranziehen. Wasser ist das, was wir trinken und zum Waschen benutzen, was klar und flüssig ist und aus dem Wasserhahn kommt [vgl. Keller 1995:

98]. Prototypenbegriffe wie VOGEL werden weder durch Definition noch durch Nut-zungsmerkmale der Entität bestimmt (im Gegensatz z.B. zu GEFLÜGEL). Der Gebrauch wird vielmehr über typische Beispiele gelernt, was Auswirkungen auf die Begriffsbil-dung hat: Wenn häufiger vertretene und deshalb präsentere Beispiele wie etwa Spatzen

33 Eine weiterentwickelte Version der Begriffstypologie findet sich in [Reischer 2002: 219 ff.].

und Amseln auch häufiger als Vögel bezeichnet werden, werden sie als besserer Proto-typ für VOGEL angesehen als FALKE oder gar STRAUSS. Unsere Vogel-Theorie (Stereo-typ, Begriff) richtet sich an diesen typischen Beispielen aus. Als Letztes ist der Zusam-menhang zwischen Begriffen mit Familienähnlichkeitsstruktur und den sie erzeugenden Gebrauchsregeln zu explizieren. Nach Keller sind die Gebrauchsregeln von Wörtern wie

‚Spiel’ „geleitet von einer Reihe von Prototypen, die wir ad hoc als Spiele zu bezeich-nen lerbezeich-nen“ [Keller 1995: 99, Herv. im Orig.]. Diese Reihe von Prototypen lässt sich durch Adjunktion von Merkmalen, die durch ‚und’ und ‚oder’ rekombinierbar sind, zu einer Familie von Prototypen zusammenschließen. Dieses Konglomerat bestimmt quasi unser Stereotyp, unseren Begriff von SPIEL, der durch eine Reihe zusammenhängender Prototypen wie KARTENSPIEL, BRETTSPIEL, SPORTSPIEL usw. exemplifiziert ist. Der Be-griff bestimmt dann die Kategorie, d.h. alles was unter sie eingeordnet werden kann.

Langfristig gesehen sind die Kategorien das Ergebnis eines andauernden Lernprozesses, nicht nur individuell, sondern auch kollektiv: Der Gebrauch eines Ausdrucks passt sich seiner sprachlichen und außersprachlichen Umgebung an; unnütze oder nicht mehr nutz-bringende Begriffe sterben aus, neue werden gebildet. Bedeutungen bzw. die durch sie erzeugten Begriffe sind allein an der Nützlichkeit ausgerichtet, nicht an der Logik [vgl.

Keller 1995: 79]. So ist auch zu begründen, dass nützliche, aber unter (psycho)logi-schem Gesichtspunkt komplexe und ‚wilde’ Begriffe wie INFORMATION auf Dauer be-stehen können. Der Erwerb solcher und anderer Begriffe verschafft uns Lösungsstrate-gien für kognitive oder praktische Handlungsprobleme, mit denen der Einzelne selbst niemals in Kontakt gekommen wäre [vgl. Keller 1995: 77] bzw. die ein Individuum all-eine hätte niemals lösen können.