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Daten, Wissen und Information

3 Vier Informationstheorien

3.4.3 Daten, Wissen und Information

Dass Daten, Wissen und Information (oder auch Nachricht) nicht beliebig austauschbar sind, zeigt ein Substitutionstest, wie ihn Kuhlen exemplarisch durchführt (Auszug):

„Das ist keine Information [*sind keine Daten, *ist kein Wissen, sind keine Nachrich-ten], das weiß ich schon.“, „Mit dieser Information [diesen Daten, ?diesem Wissen, die-ser Nachricht] kann ich nichts anfangen.“, „Diese Information [?diese Daten, *dieses Wissen, diese Nachricht] verstehe ich nicht; dazu fehlt mir das Hintergrundwissen.“,

„Ohne weitere Information [weitere Daten, ?weiteres Wissen, ?weitere Nachrichten]

kann ich nicht handeln […]“, „Dieser Information [diesen Daten, *diesem Wissen, die-ser Nachricht] vertraue ich […]“, „Vor lauter Informationen [Daten, *Wissen, ? Nach-richten] weiß ich nun überhaupt nichts mehr.“, „Ich weiß genug, ich will keine weiteren Informationen [keine weiteren Daten, *kein weiteres Wissen, ?keine weiteren Nachrich-ten].“, „Diese Information ist [diese Daten sind, ?dieses Wissen ist, diese Nachricht ist]

mir 500 Euro wert.“, „Das Universum besteht aus maximal 2n Informationen [*Daten,

*Wissen, *Nachrichten].“ [Kuhlen 2004: 10]. Wenn auch die Intuitionen hier sicher di-vergieren, wird deutlich, wie weit diese vermeintlich synonymen Begriffe tatsächlich auseinander fallen.59

Diese Begriffe sind nicht nur in der Alltagssprache schwer zu fassen, zumal sich auch hier wieder fachsprachliche Verwendungsweisen untermischen; vielmehr spielen sie in allen wissenschaftlichen Disziplinen eine gewisse Rolle, wobei jede Disziplin aber ihre eigenen Interessen einbringt [vgl. Kuhlen 2004: 3]. ‚Daten’ und ‚Nachricht’ sind promi-nente Begriffe (aus) der Informatik und betonen den eher syntaktisch-semantischen Cha-rakter, wohingegen Wissen und Information sich auf den semantisch-pragmatischen As-pekt konzentrieren, den etwa die Informationswissenschaft (oder die Philosophie) her-vorhebt: „Ging es der klassischen Informationstheorie […] und über lange Zeit auch der technisch, formal bestimmten Informatik um die syntaktische Korrektheit im Umgang mit den Daten, so geht es in der informationswissenschaftlichen Sicht um die semanti-sche Stimmigkeit der Daten und ihre pragmatisemanti-sche Relevanz.“ [Kuhlen 1995: 136 f.].

Trotz dieser starken Vereinfachung lässt sich sagen, dass aus Sicht der Informatik die Systemperspektive überwiegt, aus Sicht der Informationswissenschaft hingegen die Nut-zerperspektive Vorrang hat [vgl. Kuhlen 1995: 137 (Fußnote 3)]. Sowohl Informatik

59 Dies wäre allein schon durch die grammatischen Eigenheiten zu begründen: ‚Daten’ tritt fast nur im Plural auf, ‚Wissen’ grundsätzlich nur im Singular; ‚Information’ ist zugleich als Masse (‚viel Infor-mation’) wie als Objektmenge (‚viele Informationen’) konzipierbar, ‚Daten’ nur als Objektmenge (‚viele Daten’) und ‚Wissen’ nur als Masse (‚viel Wissen’). Genau genommen müsste man also von

‚einem Datum’ und ‚einer Wissenseinheit’ (= Faktum?) sprechen, wenn man diese Ausdrücke mit ‚In-formation’ vergleichen will.

wie Informationswissenschaft tragen den Wortstamm ‚informat-’ in ihrem Namen; die Informationswissenschaft jedoch begreift Information als ihren zentralen Begriff in ei-nem über den Daten- und Nachrichtenbegriff hinausgehenden Verständnis „als Teilmen-ge von Wissen, die von einer bestimmten Person oder einer Gruppe in einer konkreten Situation zur Lösung von Problemen benötigt wird und häufig nicht vorhanden ist.“

[Kuhlen 1990: 13; vgl. ebenso Kuhlen 1991: 98; Kuhlen 2004: 15].

Unter Wissen ist dabei der „Bestand an Modellen über Objekte bzw. Objektbereiche und Sachverhalte“ zu verstehen, „über den Individuen zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügen bzw. zu dem sie Zugang haben und der mit einem zu belegenden Anspruch für wahr genommen wird. Als Wahrheitskriterium kann die Begründbarkeit angenommen werden […] Wissen ist der statische Bestand, die Summe der bisherigen begründbaren, individuellen oder kollektiven Erfahrungen, Erkenntnisse, Einsichten.“ [Kuhlen 1995:

38, Herv. im Orig.; vgl. auch Kuhlen 1991: 99]. Unter dieses Verständnis von Wissen fällt „angesichts fehlender objektiver Wahrheitskriterien bzw. variabler Begründungs-möglichkeiten“ [Kuhlen 1995: 39] alles, was der Wahrheitsdimension grundsätzlich zu-gänglich ist, so auch Annahmen und Meinungen (man sollte hier dann besser von Glau-ben oder neutral von Kenntnis sprechen). Dadurch ergibt sich eine Wissensskala von wahren bis falschen Aussagen über gesicherte, empirisch evidente und plausible Aussa-gen bis zu Annahmen, VermutunAussa-gen und MeinunAussa-gen [vgl. Kuhlen 1995: 40]. Wenn In-formation als diejenige aktive und handlungsrelevante Teilmenge von Wissen bzw. all-gemein Kenntnis verstanden wird, die in eine extern repräsentierte und damit kommuni-zierbare Form gebracht wurde, dann sagt Information nichts über den Wahrheitswert aus, d.h. Information kann im Extremfall sowohl wahr wie falsch sein [vgl. Kuhlen 1995: 40; Kuhlen 2004: 15]. Information wird im Gegensatz zu Wissen vielmehr unter den Gesichtspunkten der „Zuverlässigkeit (Reliability), Nützlichkeit, Handlungsrele-vanz, Aktualität, Vollständigkeit oder Kosten“ [Kuhlen 1995: 40, Herv. im Orig.] be-trachtet.

Information in diesem Sinne ist also nicht wahr oder falsch, sondern – allgemein im Sinne des Praxisbezugs gefasst – praktisch oder unpraktisch. Wie ‚praxisch’ Informa-tion in der jeweiligen SituaInforma-tion tatsächlich ist, lässt sich grundsätzlich an den Effekten ablesen, die sie ausgelöst hat: Problem gelöst? Entscheidung gefällt? Handlung erfolgt?

Ziel erreicht? usw. Diesem sichtbaren ‚Output’ nach der Informierung muss der wahr-nehmbare Input Information vorausgehen, d.h. die interne kognitive und damit unzu-gängliche Struktur Wissen kann ihre Wirkung nur entfalten, wenn es als Information re-präsentiert und kommuniziert wird. In diesem Sinne ist Information ein ‚Surrogat’, eine mediale Manifestation oder Repräsentation von Wissen; sie nimmt damit stets Bezug auf Wissen (d.h. referenziert es) und ist in dieser Hinsicht nicht als eigenständiges

Ob-jekt existent, da sie nicht losgelöst von ihrer Nutzung in einer spezifischen Situation be-trachtet werden kann [vgl. Kuhlen 1999: 138 f.; Kuhlen 2004: 6, 9]. Wird Information aus ihrer aktuellen individuell-kontextuellen Konstellation herausgelöst und z.B. nach einem Lernprozess im Gedächtnis oder Speicher abgelegt, kann man wieder von Wissen sprechen, das später erneut verwendbar ist. In diesem Lichte betrachtet ist Wissen (als gelernte Information) nachhaltiger als die aktuell verwendete Information: „Es [das Wissen] ist dem aktuellen Nutzungskontext entzogen und ist offen für weitere Anwen-dungen in der Zukunft.“ [Kuhlen 2004: 13]. Allerdings wird „[n]icht jede Information […] automatisch neuer Bestandteil des Wissens. Informationen sind oft der Beginn von Lernen. Hat man das, was sie repräsentieren, nämlich bislang das Wissen anderer, ge-lernt, so sind sie zum eigenen Wissen geworden, in das Netz der bestehenden Wissens-einheiten und ihrer Verknüpfungen ‚eingewebt’.“ [Kuhlen 1990: 15].

Wenn nun aber Wissen als gelernte Information und Information wiederum als aktivier-tes und medial repräsentieraktivier-tes Wissen bestimmt ist, geraten wir ganz offenbar in einen Zirkel: Weder Information noch Wissen kann wirklich grundlegend sein. Daher bedarf es einer dritten, fundamentaleren Kategorie: den Daten. Sie können verstanden werden als „gemessene Einheiten, die durch Beobachtung von natürlichen bzw. konstruierten oder simulierten Gegenständen oder Ereignissen gewonnen und nach syntaktisch wohl-geformten Regeln in einem vereinbarten Zeichensystem dargestellt werden […] Sie be-deuten für sich genommen nichts.“ [Kuhlen 2004: 12]. Daten haben das Potenzial, In-formationen zu werden, sobald „sie a) gezielt aus Daten-/Informationssystemen abgeru-fen und b) in einem bestimmten Kontext und/oder zu einem bestimmten Zweck wahrge-nommen werden.“ [Kuhlen 2004: 12, Herv. J. R.]. Was aus der Umwelt als Input aufge-nommen wird, sind also nur in dem Sinne Informationen, dass aus den (passiv) ange-troffenen oder (aktiv) nachgefragten Daten oder Signalen im Sinne potenzieller Informa-tion aktuelle InformaInforma-tion durch deren InterpretaInforma-tion im Kontext erzielt wird (unter einer bestimmten Zielsetzung, aufgrund eines bestimmten Bedürfnisses) [vgl. Kuhlen 1999:

138; Kuhlen 2004: 14]. Der Zusammenhang zwischen Daten, Wissen und Information lässt sich nun insgesamt so fassen, dass Daten grob der syntaktischen, Wissen der se-mantischen und Information der pragmatischen Ebene zugesprochen wird [Kuhlen 1999: 137; Kuhlen 2004: 12]. Dabei übernehmen Daten die Aufgabe, immaterielles Wissen in einem Zeichensystem materiell zu kodieren (repräsentieren); werden die Wis-sen repräWis-sentierenden Daten in einen entsprechenden Kontext von einem Individuum genutzt, handelt es sich um Information. Information fußt damit notwendig auf Wissen via Daten [vgl. auch Kuhlen 1999: 137]. Eine Übersicht mag dies nochmals veranschau-lichen:

Abb. 3-2: Zusammenhang zwischen syntaktischen Daten, semantischem Wissen und pragmatischer Information

Dass Wissen in Daten repräsentierbar ist, bedeutet jedoch nicht, dass Maschinen unmit-telbar Wissen verarbeiten können. So wenig wie ein Buch das darin kodierte Wissen verstehen kann, so wenig gelingt dies einem Rechner. Erst Verstehen macht Daten zu Wissen [vgl. Kuhlen 1995: 39]. So kann man auch nicht davon sprechen, dass Maschi-nen Informationssysteme sind, da sie Daten einlagern und verarbeiten, nicht aber Infor-mationen. Computer sind keine Nutzer in dem Sinne, dass sie Bedürfnisse haben, Pro-bleme lösen müssen, Entscheidungen fällen wollen usw. Informationssysteme sind sie nur virtuell, da sie Daten bereitstellen, die bei Bedarf als Information vom Menschen ge-nutzt werden können; sie sollen das dem Menschen in seinem Gedächtnis zur Verfü-gung stehende Wissen erweitern. Dass Maschinen auf die spezifischen Bedürfnisse ei-nes Nutzers dabei bislang kaum einzugehen vermögen, macht sie zu rein syntaktischen oder bestenfalls semantischen Systemen der Datenverarbeitung oder Wissensrepräsenta-tion, nicht aber zu pragmatischen Informationssystemen [vgl. Kuhlen 1991: 95].