• Keine Ergebnisse gefunden

Vorsorgender Umweltstaat und Stoffstrommanagement

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 184-193)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

4.4 Das Paradigma des Umweltstaats

4.4.3 Vorsorgender Umweltstaat und Stoffstrommanagement

Ein nachhaltiger Umweltstaat steht vor der Aufgabe, die anthropogenen Stoffströme in ihrer 1.

Quantität, 2. Qualität des Stoffverbrauchs sowie der Stofffreisetzung und Stoffresorption zu steuern (vgl. Führ, 1997, 160). Im Sinne einer regulativen Idee von Nachhaltigkeit muß er dabei 3.

Unsicherheit in allen relevanten Rechtsbereichen berücksichtigen. In sachlicher und zeitlicher Hinsicht bedeutet die erwähnte Perspektivausweitung des Stoffstromansatzes eine Verschiebung von der Outputkontrolle zur Inputsteuerung. Dies führt dazu, daß rechtlich konstituierte Kausalzusammenhänge aufgrund von ökologischer Unsicherheit brüchig werden. Der nachhaltigkeitsorientierte Stoffstromansatz zielt primär auf eine Stoffmengensteuerung. Diese liegt jenseits der unmittelbaren Gefahrenabwehr und häufig auch noch jenseits der Risikovorsorge. Die Problematik wird noch dadurch verstärkt, daß Nachhaltigkeit bis in jüngster Zeit unzureichend konzeptionalisiert war.

144 Die rechtlichen Aspekte (z.B. Drittschutz) sind vom politisch-administrativen System zu wahren; die demo-kratietheoretischen von der rechtssoziologischen Theorie.

Bis auf wenige Ausnahmen ließen sich bisher kaum konkrete Ansätze zur Verwirklichung der Idee eines umfassenden Stoffstromrechts in der Rechtswissenschaft finden. Grund dafür ist die mit dem Stoffstromansatz notwendige sachliche, zeitliche und räumliche Perspektivausweitung. So hat die von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages in Auftrag gegebene Studie zum stoffbezogenen Umweltrecht Mängel und Lücken im Bereich 1. des Schadstoffrechts, 2. der Ressourcenschonung, 3. des Stoff- bzw. Chemikalienrechts und 4. des anlagen- bzw.

medienbezogenen Umweltrechts konstatiert (BT, 1994, 646 f):

ad 1.

• starke Betonung von technik- und medienbezogenen Aspekten, Vernachlässigung stoffbezogener Aspekte

• Mangel an Koordination und Integration im Stoffrecht

• Lücke im Bodenschutz

• Betonung auf Änderung der Freisetzung von Stoffen, keine Strategie im Hinblick auf geringeren Einsatz von Stoffen (außer Wasch- und Reinigungsmittelgesetz und Chemikaliengesetz)

• fehlende Strategie gegen die indirekte Freisetzung gefährlicher Stoffe über Produkte

• Mangel an genereller Stoffbeobachtung, fehlende Transparenz der Stoffströme (außer etwa beim Pflanzenschutzgesetz)

ad 2.

• Ressourcenschutz besteht nur ansatzweise im Berg-, Forst- und Wasserrecht

• ansatzweise Berücksichtigung des Stoffeinsatzes bei der Produktion

• bis auf wenige Ausnahmen keine Berücksichtigung von Produktdesign und Produktver-wendung

• fehlende Transparenz der Stoffströme ad 3.

• Chemikaliengesetz soll Information über potentielle Gesundheits- und Umweltgefahren neuer Chemikalien bringen, um regulative Maßnahmen zu ermöglichen. doch ein präventives Verbot von Stoffen ist trotz der herabgesenkten Eingriffsschwelle nach der Novellierung nur in Ausnahmefällen möglich

• Übergewicht der Wirkungs- gegenüber den Expositionsinformationen und der Verzicht auf die Berücksichtigung des angestrebten Nutzens schließen präventive Maßnahmen in der Regel aus

• die Ungleichbehandlung von alten und neuen Stoffen ist ökologisch und ökonomisch fragwürdig

ad 4.

• die an Umweltqualitätszielen orientierte Festlegung von Immissionsgrenzwerten ist prinzipiell ein adäquater Ansatz zur Abwehr von Gesundheitsgefahren

• die zum Schutz ökologischer Elemente und Funktionen gesetzten Immissionsgrenzwerte sind unzureichend und können daher das Steuerungsdefizit der emissionsorientierten Strategie nicht beheben

Einschlägige Vorgaben für die Behandlung von Stoffströmen finden sich in anlagenbezogenen und in stoffbezogenen Regelungen (vgl. zum folgenden Führ, 1997, 164 ff). So schreibt das Bundesimmissionsschutzgesetz die Vermeidung von Reststoffen vor, die durchbrochen wird, wenn eine technische Beseitigung nicht möglich oder unzumutbar ist. Auch werden in der Praxis Vermeidung und Verwertung als gleichrangige Pflichten angesehen. Der Immissionsschutz von Luft und Wasser ist ansonsten weitgehend auf die nachgeschaltete Begrenzungen der Emissionen gerichtet. Nach dem Urteil von Führ verfolgt das Recht zwar einen medienübergreifenden Ansatz bei der Beurteilung der Stoffverluste von Industrieanlagen. "Defizite ergeben sich jedoch zum einen daraus, daß die Produkte (und Kuppelprodukte bzw. 'Wertstoffe'), die die Anlagen verlassen, nicht berücksichtigt werden. Außerdem stößt der Vollzug der Vorschriften auf eine Vielzahl struktureller Hemmnisse." (Führ, 1997, 165)

Stoffbezogene rechtliche Regelungen finden sich primär im Chemikaliengesetz und im Kreis-laufwirtschafts- und Abfallgesetz. Zweck des 1990 novellierten Chemikaliengesetzes ist es, den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen zu schützen, sie erkennbar zu machen, abzuwenden und ihrem Entstehen vorzubeugen (§ 1 ChemG).

Gesundheitsgefährdende Stoffe (§ 3a ChemG) werden reguliert. Bezüglich stoff- und produktbezogener Grundpflichten legt das ChemG jedoch jenen, in deren Handlungsbereich die Zielverwirklichung fällt, keine rechtsverbindlichen Pflichten auf. Allenfalls in Form einer Obliegenheit könnte das ChemG trotz seines appellativen Charakters noch rechtliche Steuerungswirkung haben. Neben den Pflichten, Gefahren abzuwenden und Vorsorge zu treffen, schlägt Führ (1997, 172) zur Schließung chemikalienrechtlicher Lücken vor, über die Wirkung eines Stoffes (oder Erzeugnisses), seine Gewinnungsorte und -verfahren, Anwendungsbereiche, Anwendungsmengen und Verwertungs- und Beseitigungsmöglichkeiten die Erhebung und Mitteilung von Daten gesetzlich festzuschreiben.

Demgegenüber zielt das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) auf die Ver-ringerung von Massenstoffe. Im Mittelpunkt des 1994 verabschiedeten Gesetzes steht die Verantwortung des Herstellers für sein Produkt (§ 22 Abs. 1, S. 1). Das Gesetz reklamiert den Gedanken der Kreislaufwirtschaft, nach der lineare Stoffflüsse im Sinne der Ressourcenschonung zunächst zu vermeiden und dann zu recyceln sind. Dies findet in dem Vorrang der Verwertung vor der Beseitigung Ausdruck und gilt unabhängig davon, ob die Beseitigung nicht auch schadlos erfolgen könnte. Lediglich 'technische Unmöglichkeit' und 'Unzumutbarkeit' (aufgrund zu hoher Kosten) begründen hier wiederum Ausnahmen von der Beseitigungspflicht, die aber ihrerseits wieder durch eine größere Umweltverträglichkeit der Beseitigung (unter qualitativen und quantitativen Emissionsaspekten) durchbrochen werden kann. Das Gesetz konkretisiert Abfallverwertung durch Recyceln nicht über eine allgemeine Verpflichtung hinaus, sondern überläßt dies (umfassenden) Rechtsverordnungen. Das KrW-/AbfG vermengt private und

öffentliche Steuerungsformen und versucht, über das traditionelle Ordnungsrecht hinauszugehen. Es nimmt nicht mehr Bezug auf das Modell der Gefahrenabwehr und operiert auch nicht mit Ge- oder Verboten, sondern regt durch öffentliche Zwänge die Schaffung eines privaten, selbstorganisierten Sammelsystems an. Handel und Industrie können bei Verkaufsverpackungen von ihrer individuellen Rücknahmepflicht freigestellt werden, wenn sie sich einem flächendeckenden und haushaltsnahen System zur Erfassung, Sortierung und Verwertung von gebrauchten Verkaufsverpackungen anschließen. Die Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen (VerpackV) vom 12. Juni 1991 wurde im Sommer 1998 novelliert. Die Novelle schreibt Quoten für die Verwertung gebrauchter Verkaufsverpackungen, gestaffelt nach Materialarten, vor. In jährlich zu erbringenden Leistungsnachweisen, den so genannten Mengenstromnachweisen, muß das Duale System den Landesumweltministerien die ordnungsgemäße Erfassung, Sortierung und Verwertung der gebrauchten Verkaufsverpackungen belegen.145

Ladeur (1998) hat den stoffbezogenen Ansatz des KrW-/AbfG grundsätzlich kritisiert, weil er insgesamt die Ablösung eines erfahrungsbasierten Ordnungsrechts (mit unbestimmten Rechts-begriffen und Vollzugsdefiziten) durch Verordnungen vorsehe. Er kritisiert die Festlegung auf ein Kreislaufmodell im Gesetz und moniert zu Recht die Bildung von Durchschnittspreisen für Abfälle, was die Produzenten problematischer Abfälle begünstige (ebd., 295). Gleichzeitig aber spricht sich Ladeur grundsätzlich gegen einen stofflichen Ansatz im Abfallrecht und im Umweltrecht aus (vgl.

Ladeur, 1997; ders., 1998). Er befürchtet u.a., daß Ökobilanzen zeitlich entfernte Folgever-antwortung ohne Handlungsbezug etablieren würden (Ladeur, 1998, 302 f) – gemeint ist wohl eine ordnungspolitisch nicht konforme Folgeverantwortung – und daß stoffbezogene Kooperation prinzipiell mißlingen müßten, wenn Win-win-Strategien nicht durch kooperatives Verwaltungs-handeln – und nur dieses beobachtet Ladeur – zu erschließen seien.146 Diese grundsätzliche Kritik an der Genese eines problembehafteten 'Stoffstromrechts' erweist sich aber ihrerseits gegenüber der ökonomischen Nachhaltigkeitsdebatte als wenig lernfähig, insofern sie mehr noch als die Probleme des Rechtssystems jene des Wirtschaftssystems herausstellt, ohne die Gefahr des Staatsversagens (Vollzugsdefizit) überhaupt zu thematisieren. 'Problematisch' ist Kooperation im Konzept eines Stoffstromrechts fast zwangsläufig, weil Eigentumsrechte (an Natur) nicht ausgeweitet, sondern durch die demokratische Willensbildung eingeschränkt werden sollen. Kooperation entlang von

145 Daneben besteht seit dem 20. Dezember 1994 die Europäische Verpackungsrichtlinie. Ihr Ziel ist es, bis zum Jahre 2001 europaweit Verpackungsabfälle zu reduzieren. Die Richtlinie schreibt für die Verwertung gebrauchter Verpackungen Zielmarken von mindestens 50 und maximal 65 Prozent vor. (Die Höchstgrenze soll das wirt-schaftspolitische Ziel haben, Verwerfungen des Binnenmarktes zu verhindern.) Zur Ausgestaltung der Systeme werden sonst keine konkreten Vorgaben gemacht. Eine dem deutschen Recht vergleichbare Abfallhierarchie besteht nicht: Vermeidung wird nicht angestrebt und Verwertung kann sowohl energetisch – durch Verbrennen mit Energierückgewinnung – als auch stofflich erfolgen. Auf die stoffliche Verwertung muß lediglich ein Anteil von mindestens 25 Prozent und maximal 45 Prozent des gesamten Verpackungsmaterials entfallen.

146 Er wirft dem Konzept der Dematerialisierung und den neueren Ansätzen der ökologischen Wirtschaft vor, "völlig diffus" zu bleiben und "jeden Bezug auf die Entwicklungsbedingungen der Technologie" vermissen zu lassen (Ladeur, 1998, 311, Fn 91). Er verkennt mit seiner polemischen und falschen Kritik die bestehende Verknüpfungen von Dematerialisierungsansätzen und Wachstumstheorien mit endogen Technologiepfaden; vgl. Bleischwitz, 1998, 138 ff; ders., 2002, 6 f.

Stoffströmen ist aber als wechselseitige Bedingtheit von Mikro- und Makroprozessen zu verstehen, die auf beiden Ebenen dem ökologischen Leitbild einer Dematerialisierung folgt (vgl. Bleischwitz, 2002, 15 ff). Das derartige Makroprozesse allein durch das administrative System – wie Ladeur vorschlägt – auf einen Nachhaltigkeitspfad gelotst werden könnten, erscheint nicht nur zweifelhaft, sondern wäre unter demokratietheoretischen Aspekten auch falsch.

Das Leitbild eines kooperativen Stoffstrommanagements lag der EG-Öko-Audit-Verordnung von 1993 zugrunde, welche das betriebsinterne Monitoring von Stoffströmen (Environmental Management and Audit Scheme, kurz: EMAS) als Bestandteil der EU-Umweltpolitik einführte. Das EMAS soll auf der Mikroebene den betrieblichen Umweltschutz verbessern, den Unternehmen Kostensenkungsmöglichkeiten aufzeigen und die Rechtssicherheit des Umweltschutzes erhöhen.147 Es soll ein proaktives Verhalten von Unternehmen fördern (vgl. dazu Führ, 1994) und unterwirft das Monitoring spezifischen Anforderungen (stoffliche Kenngrößen, Öffentlichkeit etc.). Das EMAS ist ein freiwilliges Verfahren, das kurz nach seinem Entstehen durch den privatwirtschaftlichen Umweltmanagementstandard (ISO-Norm 14001) Konkurrenz bekam (vgl.

dazu Bültmann, Wätzold, 1999). Die vorgesehene Revision der Öko-Audit-Verordnung durch die EU zielte demzufolge darauf, die Attraktivität des EMAS gegenüber der ISO-Norm zu erhöhen und deren Kompatibilität zu fördern (ebd., 36 f). Es ist zu erwarten, daß das Öko-Audit das innerbetriebliche Informationsniveau über (entfernte) Umweltauswirkungen des Unternehmens deutlich erhöhen wird (vgl. Führ, 1996, 244 ff). Darüber hinaus sind zur Sicherung der Eigenverantwortung der Unternehmen ein zentrales Stoffstromregister und der unmittelbare Zugang zu umweltrelevanten Daten der Unternehmen notwendig (Führ, 1997, 173 ff). Die Informationspflicht muß auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse umfassen, wobei dem eine Geheimhaltungspflicht der Behörden korrespondieren muß (Wolf, 1996, 85).

Das Monitoring des Stoffstroms erfordert zusätzlich zu den proaktiven Beiträgen der Unter-nehmen zivilgesellschaftliche Kooperationen zur Informationsverarbeitung. Dies betrifft die Zusammenarbeit von Herstellern, Ärzten, Sozialversicherungen, Behörden, Verbraucherverbänden und Öffentlichkeit (Führ, 1997, 175). Kooperation kann nicht auf dualistisch-korporatistische Verhandlungsgremien beschränkt werden (vgl. Ladeur, 1994, 322 ff), sondern muß die faktische Pluralität der Zivilgesellschaft widerspiegeln und sich in praktischen Diskursen über die Gestaltung fairer Verfahren (faire Datenverkehrsordnung, informationelles Gleichgewicht) verständigen (vgl.

BT, 1994, 652, 666 ff). Es geht hierbei um die systematische und effektive Erfassung negativer Effekte von Stoffen und Produkten. Der Stoffstromansatz macht hier die Hinwendung von der direkten, ordnungsrechtlichen zur indirekten, ökonomischen und informatorischen Verhaltenssteuerung notwendig.

147 Die Einführung des EMAS hat u.a. die Absicht, umweltrechtliche Wissenslücken in Unternehmen zu schließen und dadurch die Rechtsbefolgung zu erhöhen. Dies kann natürlich die Außenbeziehung mit den Umwelt- und Aufsichtsbehörden verbessern (vgl. Becke, 1999, 308). Von administrativer Seite würde die EMAS-Teilnahme jedoch mit zweifelhaften Erlassen honoriert, die immissions- und abfallrechtliche Betriebsprüfungen für auditierte Betriebe auf besondere Anlässe beschränkten; vgl. Lübbe-Wolff, 1998c.

Auf der Makroebene sind Abgaben und Steuern angesiedelt, die entsprechende Mikroprozesse des betrieblichen Stoffstrommanagements in First-Mover-Vorteile verwandeln. Die mit Öko-abgaben verbundene Steuerungstiefe läßt sich nur durch Ökoeffizienzanalysen prognostizieren.

Während der ordnungsrechtliche Bereich der Gefahrenabwehr durch Ressourcen- und Stoffsteuern nicht betroffen wird, erlangen derartige Steuern Dominanz über den Vorsorgebereich des Ordnungsrechts. Für das Rechtssystem ist dabei nicht apriori erkennbar, ob zukünftige Veränderungen des Rechtssystems allein das Umweltrecht betreffen oder nicht auch etwa das Wirtschafts- und Steuerrecht. Klar ist hingegen, daß der Rückgriff auf ökonomische Instrumente weiterhin einen ordnungsrechtlichen Rahmen benötigt. Aufgrund der ökonomisch-materiellen Dynamik der Stoffströme wird es kaum zu Rechtsvereinfachungen im Umweltrecht kommen, selbst wenn ein implementiertes, effektives Stoffstromrecht die Vollzugshäufigkeit senken könnte. In räumlicher Hinsicht erfordert der Stoffstromansatz die Perspektivausweitung auf europäisches und internationales Recht.

Aufgrund der unvermeidlichen Abhängigkeit vom Ordnungsrecht haben sich einige ökonomen auf die Verzahnung von ökonomischen Instrumenten und regulativem Umwelt-ordnungsrecht konzentriert. Das Programm führt mikroökonomische Analysen des Ordnungsrechts durch und analysiert dabei die Effizienz der eingesetzten Instrumente (Gawel, 1996). Ein Ergebnis ist, daß Umweltökonomen wieder begonnen haben , Abgaben- und Kompensationslösungen Ökosteuern vorzuziehen: "Ökosteuern sind weder eine Alternative zur imperativen Umweltpolitik, noch eignen sie sich systematisch zu deren Ergänzung. Da sie typischerweise Inputs und Güter belasten, lassen sich Ökosteuern weder über das Anlagenkonzept noch über das Emissions- oder Immissionsprinzip mit dem Ordnungsrecht verknüpfen." (Ewringmann, 1994, 277) Mit Gawel kommt Ewringmann deshalb zu dem Schluß, daß Ökosteuern effizienzfreien Demeritorisierungs- und Finanzierungszwecken zuzuordnen seien. Dies gestattet es, "sich einzig auf den Wirkungszweck zu konzentrieren und Fiskalerwägungen zu vernachlässigen." (Köck, 1996, 154).

Eine Fokussierung auf bestehendes Umweltrecht wäre jedoch insofern unzureichend, als daß dies allein allokativ ansetzt und zudem die Rolle der Ökonomik im politischen Prozeß nicht hinreichend reflektiert.

In der Ökonomik wird nämlich regelmäßig das Aufkommen doch wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt, indem in der Tradition von der Public-Choice-Theorie die ökologische Lenkungsabsicht bezweifelt und Rent-Seeking durch Politiker und Interessengruppen unterstellt wird. Die Public Choice Theorie hat zwar selbst nie eine intertemporale Allokation jenseits von dezisionistischer Coase'scher Umweltdistribution begründet, doch sie kann so zumindest antiaufklärerisch in Ökonomik und Gesellschaft die Nachhaltigkeitsagenda zersetzen und damit Politik machen (Buchanan, 1976). Aufgrund widersprüchlicher Empfehlungen der Ökonomik an die Politik unterliegt auch die an sich erfolgversprechende mischinstrumentelle Umweltstrategie in hohem Maße der 'Gefahr des Zerredens' (Benkert, 1994). Doch jede umweltökonomische Regulierung – und dies schließt Selbstregulierung ein – bleibt auf einen rechtlichen Rahmen angewiesen, der notwendig unsicherer ist als die geschlossenen Modelle intertemporaler

Allokation.148 Die Probleme von Unsicherheit im rechtlichen Kontext sind jedoch von der Umweltökonomie bisher fast gänzlich vernachlässigt worden (vgl. Köck, 1996, 154 f).

Im Unterschied zur Umweltökonomie ist nach der Umweltpolicyforschung die Instrumentenwahl für das Politikergebnis generell "wenig erklärungsfähig, wenn die Stärke, Konfiguration oder Kompetenz der Akteure, ihre strategische Langzeitorientierung, ihre situativen und strukturellen Handlungsbedingungen und der Charakter des Problems ausgeklammert werden." (Jänicke, 1996, 11) Von daher verbietet sich die strikte Entgegensetzung einer ordnungsrechtlicher versus einer marktkonformer Steuerung, denn das Umweltordnungsrecht ist durch immanente Effizienzprobleme charakterisiert: Die Effektivität der Rechtsanwendung bzw. des Vollzugs läßt sich nicht sinnvoll mit dem ökonomischen Maßstab effizienter Allokation beurteilen, da dieser Maßstab immer auch das unzureichende intertemporale Verständnis der ökonomischen Theorie und ihrer strategisch-instrumentellen Rationalität widerspiegelt. Von einem rationalen Umweltrecht – im Sinne ökonomischer Rationalität – kann allenfalls in Verbindung zu umweltpolitischen Zielen gesprochen werden (vgl. Lübbe-Wolff, 1996). Mit Habermas gesprochen: Sinn kann weder vom ökonomischen noch vom politisch-administrativen System intern reproduziert werden. W. Köck (1996, 156 ff) hat deshalb auf die Bedeutung von Umweltzielen für den Einsatz umweltökonomischer Instrumente hingewiesen.

Führ zählt derartige Umwelthandlungsziele in Form von Umweltplänen zu den Instrumenten eines übergreifenden Stoffstromrechts (vgl. Führ, 1997, 171).149 Es ist vorgeschlagen worden, Umweltqualitätsziel und Umwelthandlungsziel unter einen (nichthierarchischen) Oberbegriff des Umweltziels zu stellen (Rehbinder, 1997, 314 f). Dabei geben Umwelthandlungsziele an, wie (in einzelnen Schritten) Umweltqualitätsziele erreicht werden können. Diese wiederum können unterschieden werden in Schutz-, Sanierungs-, Vorsorge- und Nachhaltigkeitsziele. Die sachliche Hierarchie folgt diesen rechtlichen Kategorien von Umweltqualitätszielen annähernd mit der Unterscheidung zwischen Gefahren- und Massenstoffen: Massenstoffe eigenen sich eher für eine hohe Steuerungsebene mit großer Steuerungstiefe als Gefahrenstoffe die humantoxisch wirken oder nur lokal verbreitet sind. Korrespondierende Umweltziele lassen sich quantitativ spezifizieren und gehen dann über qualitative Umweltziele hinaus (vgl. Nordbeck, 2001, 8 f). Gleichwohl wiegt Ressourcenschonung als rechtliches Schutzgut weniger schwer als das Schadstoffproblem (Rehbinder, 1995, 10).

Aus rechtlicher Sicht eröffnen Umweltqualitätsziele vier Entwicklungsperspektiven (vgl. Köck, 1997, 529 ff): 1. Sie stärken die Umweltqualitätsorientierung des Umweltrechts gegenüber technik- und anlagenbezogenen Regelungen. 2. Sie lassen sich in Verbindung bringen mit Forderungen nach einer Umweltgesamtplanung. 3. Sie dienen als Basis für umweltökonomische Lösungen der Umweltproblematik. 4. Sie lassen sich als Instrument eines kooperativen Umweltstaates interpretieren, der auf öffentliche Selbstverpflichtungen zurückgreift.

148 Auch kann, wie Kirchgässner und Pommerhehne (1993) dargelegt haben, Recht – oder genauer: gerechte Rechtsanwendung – für den homo oeconomicus das Kriterium der Indifferenz erfüllen; s. S. 286.

149 (Vgl. aus sozialwissenschaftlicher Sicht auch: Carius, Sandhövel, 1998 und Nordbeck, 2000; ders., 2001.

Der rechtliche Gehalt von Umweltzielen wird bisher in allgemeiner Form in gesetzlichen Zielbestimmungen, Grundsätzen oder Optimierungsgeboten in den maßgeblichen Umwelt- und Planungsgesetzen festgehalten (vgl. ebd., 533 ff, Rehbinder, 1997, 321 ff). Die gesetzliche Fixierung von Umwelthandlungszielen ist dagegen noch äußerst selten. Es überwiegen exekutive Programme. Im stofflichen Bereich stellt lediglich das Abfallrecht eine Ausnahme dar, welches nach der Verpackungsverordnung Mehrweg- und Verpackungsquoten festlegt, die mittelbare Außenwirkungen haben. Erst wenn die Quoten kollektiv verfehlt wurden, treten die Pfand-erhebungs- bzw. Rücknahme- und Verwertungspflichten in Kraft.150 Nach Rehbinder (1997, 318)

"könnte die Ermächtigung für Zielfestlegungen nach § 25 KrW-/AbfG als Beleg für die Notwendigkeit und als Modell für die künftige gesetzliche Legitimierung von in ihrer Wirkung politischen Umweltzielen angesehen werden." Zu verallgemeinern sei diese Vorschrift aber nur dann, wenn Umweltziele einseitig vom Staat gesetzt werden könnten.151

In bezug auf den Rechtsschutz können Umweltziele immer im Rahmen des Inzidentrechts-schutzes überprüft werden, d.h. es kann ihre Verhältnismäßigkeit und Gleichheitswidrigkeit bei Einzelmaßnahmen überprüft werden (vgl. Rehbinder, 1997, 326). Mit Kenntnis des Verlaufs der Diskussion über Ökosteuern empfiehlt es sich, die Struktur von Umweltzielen analytisch in ihre ökonomischen, politischen, administrativen und planerischen Aspekte zu zerlegen (vgl. Nordbeck, 2001, 9 ff). Zwar sind die administrativen Aspekte bei R. Nordbeck nur institutionell und nicht rechtlich geprägt (was auch dazu geführt haben mag, daß planerische Aspekte als rein kognitive und nicht als rechtlich-institutionalisierte Verfahren ausgeführt werden), doch geben die ökonomischen und die politischen Aspekte hinreichend Aufschluß über potentielle Konflikte in deliberativen Prozeduren der Umweltzielfindung. Nach Nordbeck beschränkt sich der ökonomische Aspekt auf die optimale Allokation knapper Ressourcen, während die politischen Aspekte komplexer sind (vgl.

auch Fürst, 2002, 184 ff). Die politische Funktion von Umweltzielen im Rahmen des politischen Prozesses ist demnach:

• Machterwerb oder Machterhalt für ökologisch interessierte Gruppen,

• Interessenausgleich hinsichtlich knapper Ressourcen, d.h. die Bewältigung von Verteilungskonflikten,

• Integration der Beteiligten durch Konsensbildung bei Werten, Zielen und Überzeugungen

• Selbstdarstellung nach innen und außen,

• Legitimation der Entscheidung durch Rekurs auf Ziele.

150 Die Sanktionen sind in diesem Sinne die Wiederherstellung ordnungsrechtlicher Individualpflichten, die durch die kollektiv verbindlichen Quoten nur temporär suspendiert wurden. Gegenüber einzelnen Abfallverursachern entfallten sie keine Rechtswirkung, so Rehbinder, 1997, 319.

151 Köck hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, daß (n. h. M.) für die Exekutive nur die Verpflichtung zur Beteiligung des Parlaments an der Umweltzielplanung bestehe (was in den Enquete Kommissionen des BT auch geschieht), nicht aber zur Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen. Allerdings habe sich der Kontext verschoben: Der Umweltstaat lege einen institutionell vorgezogenen Grundrechtschutzes in Form der Verfahrensbeteiligung mittelbar Betroffener nahe; Köck, 1997, 534 f.

Können Umweltziele demnach sogar distributive Rationalität (vielleicht gar in intergenera-tioneller und internationaler Hinsicht) in das Rechtssystem einführen, welches im Bereich des Umweltrechts sonst ganz vorwiegend einer allokativen Rationalität verhaftet bleibt? Die Frage ist bisher von der Forschung noch nicht beachtet worden.

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 184-193)