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Naturkapital und schwache Nachhaltigkeit

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 97-101)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

3.3 Thermodynamik und die Grenzen der Ökonomie

3.3.1 Naturkapital und schwache Nachhaltigkeit

Das Konzept des Naturkapitals, welches zuvorderst von der sogenannten 'Londoner Schule' entwickelt wurde, hat sich in ihrem Beitrag zum Nachhaltigkeitsdiskurs einerseits weiter an der neoklassischen Wachstumsposition orientiert, andererseits bereits Einsichten der ökologischen Ökonomie aufgenommen. Die Definition von nachhaltiger Entwicklung des Brundland-Berichts wird wie beim Solow-Hartwick-Modell noch utilitaristisch interpretiert: Nachhaltigkeit beruhe auf einer im Zeitablauf nicht-sinkenden gesellschaftlichen Wohlfahrt. Andererseits wird die strikte Erhaltung von einigen Naturgütern als notwendig angesehen: Der natürliche Kapitalstock ist konstant zu halten und damit Nachhaltigkeit im starken Sinne zu verwirklichen (strong sustainability). Damit werden nicht nur Konsumentenpräferenzen als wohlfahrtsstiftend angesehen, sondern auch unmittelbar Ressourcenbestände. Im Unterschied zur Mehrzahl der neoklassischen Modelle wird Natur so als Produktionsfaktor in die Wohlfahrtstheorie aufgenommen.

Nachhaltigkeit wird dann durch die Konstanz des ökonomischen Wertes von Naturkapital operationalisiert. Bedeutsam ist das Konzept der Londoner Schule vor allem deshalb, weil es operationalisierbar ist und bereits zur Modifikation volkswirtschaftlicher Rechnungssysteme geführt hat.

Die Ökonomie wird von der Londoner Schule – im Sinne Bouldings – als zirkuläres, mit der Umwelt vernetztes Wirkungsgefüge verstanden. Die verschiedenen Vermögensbestandteile an menschgeschaffenen Kapital, Humankapital und natürlichem Kapital sind interdependent. Dies schränkt die Substitution von Kapitalgütern ein. Insbesondere Naturkapital ist oft nicht substituierbar und zudem oft multifunktional. Da die Umwelt ein offenes und komplexes System ist, herrscht Unsicherheit über genaue Wirkungszusammenhänge und mögliche irreversible Effekte von Immissionen. Aus diesen ökologischen Bedingungen wird die Forderung abgeleitet, den natürlichen Kapitalstock konstant zu halten.

Die natürliche Umwelt wird als Bestand von Gütern angesehen, mit dem weitere Güter produ-zieren werden können. Natur ist Produktionsfaktor, der sich nach Überzeugung von El Serafy theoretisch sogar als öffentliches Gut ohne Marktpreis erhalten ließe, aus praktischen Gründen aber als Naturkapital behandelt wird (El Serafy, 1991, 169 f). Dies muß in seinem ökonomischen Wert bewahrt werden. Naturkapital ist in die Berechnung des Bruttosozialprodukts (BSP) einbezogen worden.63

63 Der dabei zugrunde gelegte Hicksche Einkommensbegriff bezeichnet die Menge des Konsums eines Staates, die er innerhalb einer Periode konsumieren kann, ohne daß sein Wohlstand am Ende der Periode gegenüber jenem zu Beginn sinkt.

Im Ansatz der Londoner Schule ist schwache Nachhaltigkeit (weak sustainability) kein hinreichendes Kriterium für Nachhaltigkeit, da sinkende Naturbestände durch andere Kapitalformen gemäß der beibehaltenen neoklassischen Produktionsfunktionen substituiert werden können.

Gleichwohl fungiert aufgrund der intertemporalen Wohlfahrtsannahmen das Wachstum des BSPs (noch) als notwendiges Kriterium (vgl. zur Kritik des BSPs als Wohlfahrtsindikator und zu Alternativen: Costanza et al., 2001, 133 ff). Dabei wird Wachstum begrenzt durch einen sinkenden Ressourceninput und den Erhalt des natürlichen Kapitals.64 Dies macht die ökologische Modifizierung der volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) notwendig. El Serafy hat für das BSP die Berücksichtigung von Erträgen aus erschöpfbaren Ressourcen als Einkommen angeregt.

Dazu unterteilt er die Erträge aus erschöpfbaren Ressourcen in einen Einkommens- und einen Kapitalteil. Das Einkommen bezieht sich auf jenen Teil der Erträge, der über einen unendlich langen Zeitraum jährlich unter der Bedingung verbraucht werden kann, daß die verbleibenden Erträge in erneuerbare Ressourcen investiert werden. Die Summe der Erträge aus den erneuerbaren Ressourcen und den jährlichen Investitionen in erneuerbare Ressourcen ist so hoch, daß mit der Erschöpfung der endlichen Ressource die erneuerbare Ressource ein Einkommen bereitstellt, das dem aus den endlichen Ressourcen entspricht. Dies überführt eine endliche Reihe von Erträgen aus einer Ressource, die diese erschöpfen, in eine unendliche Reihe echten Einkommens, so daß sich der Kapitalwert beider Reihen letztlich entspricht. Dies zielt auf starke Nachhaltigkeit und relativiert die mit dem Rückgriff auf die Wachstumstheorie unterstellte vollständige Substituierbarkeit von menschgeschaffenem und natürlichem Kapital.

Ökologische Indikatoren als Ergänzung der Messung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erfassen zwar die Einkommensentwicklung genauer, erlauben jedoch keine sicheren nachhaltig-keitspolitischen Empfehlungen. Deshalb verfolgen –orientiert an El Serafy – Pearce und Atkinson ein Konzept angepaßter Ersparnisse (adjusted savings) und Hamilton eines echter Ersparnisse (genuine savings). Explizit als ökonomischer Indikator schwacher Nachhaltigkeit dient das Konzept echter Ersparnis, das sich am Einkommensbegriff von Hicks orientiert. Demnach bestehen langfristig nur solche, als 'wahres Einkommen' zu bezeichnenden Geldströme, die ohne Verzehr von Kapitalgütern einschließlich Naturkapital erzielt werden können. Die echte Ersparnis benennt also den Teil des volkswirtschaftlichen Outputs, der nicht konsumiert oder für Abschreibungen aufgewandt wird, sondern für die Vermehrung zukünftigen Wohlstands zur Verfügung steht. Dies bezieht sich aber auch auf natürliches Kapital. Ausgehend vom BIP sind Abschreibungen auf natürliches Kapital in die volkwirtschaftliche Gesamtrechnung einzubeziehen. Dazu werden natürliche Rohstoffe und Umweltverschmutzung in der VGR berücksichtigt, d.h. ihre Nettobeträge ebenso wie Konsum und Abschreibungen von produziertem Kapital vom BIP abgezogen.

Echte Ersparnis erfaßt auf diese Weise die Erschöpfung von Ressourcen und die Akkumulation von Emissionen. Die berechnete echte Ersparnis gilt aber nur als schwach nachhaltig, weil die Methodik implizit die Substituierbarkeit von Kapitalgütern annimmt. Sie legt im Gefolge der

64 Die erste Bedingung geht über A. Endres' Konzeptionalisierung von nachhaltiger Entwicklung hinaus, die intersektorale Substitution (zwischen natürlichem und produziertem Kapital) erlaubt; vgl. Endres, 1993.

Neoklassik eine unbegrenzte Substitutionselastizität zwischen natürlichem und produziertem Kapital zugrunde (Pearce, Atkinson, 1993, 103 ff und Pearce et al., 1996). Echte Ersparnis verfehlt schwache Nachhaltigkeit dann, wenn sie über mehrere Perioden negativ ist, so daß der Bestand an Kapitalgütern dauerhaft abnimmt. Die mit dem Ansatz verbunden Monetarisierungsprobleme werden prinzipiell als lösbar angesehen.65

Der Indikator echter Ersparnis ist bereits praktisch angewandt worden (Hoffmann, Radke, 2000, 149 ff). Zur Erfassung der sozialen Dimension schwacher Nachhaltigkeit hat man seitens der Londoner Schule neben dem BIP den Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen hinzugezogen und u.a. für eine umweltbezogene Erweiterung plädiert. Als ökologische Indikatoren starker Nachhaltigkeit wird der Aufbau eines Umweltinformationssystems in Erweiterung des Pressure-State-Response-Ansatzes (PSR-Ansatz) der OECD um einen Impact-Aspekt vorgeschlagen (PSIR-Ansatz). Vertreter des Naturkapital-Ansatzes bestreiten nicht die grundsätzliche Möglichkeit und ev. sogar Notwendigkeit, darüber hinaus Nachhaltigkeit makroökonomisch geltend zu machen. Sie sind allerdings ausgesprochen skeptisch bezüglich der Operationalisierbarkeit starker Nachhaltigkeit.66

Während die Feinsteuerung der Umweltqualität von Ökosystemen direkt an den Akzeptoren (impacts) ansetzen muß und dazu kleinräumiger und komplexer Umweltinformationssysteme bedarf, kann die Grobsteuerung der Umweltqualität bei den Inputs (z.B. Energie, Stoffe) und Outputs (z.B. Emissionen) der Verursacher ansetzen. Im Kern verfolgt eine solche Strategie die Ermittlung und Einhaltung kritischer Belastungswerte als Indikatoren für die ökologische Aufnahmekapazität. Da kritische Belastungswerte nicht für alle Akzeptoren ermittelbar sind und die Zurechnung auf einzelne Verursacher aufgrund komplexer Ursache-Wirkungs-Zusammen-hänge teilweise nicht möglich ist, kann es, insbesondere im vorsorgenden Umweltschutz, opportun sein, eine Grobsteuerung mit Hilfe geeigneter Input- und Outputgrößen des Produktionsprozesses zu verfolgen. (Ewers, Rennings, 1996, 430)

Wie eine derartige Grobsteuerung umweltpolitisch und makroökonomisch aussehen soll, wird jedoch nicht entwickelt.

Das ökonomisch orientierte Konzept nachhaltiger Entwicklung strebt die Erweiterung der VGR zu einer Umweltökonomischen Gesamtrechnung (UGR) an, welche die Berechnung eines nachhaltigen Einkommens ermöglicht und so Wohlfahrtsveränderungen korrekter abbilden soll als das BSP. Die Crux schwacher Nachhaltigkeit aber ist die Annahme, daß lediglich die Summe von Naturkapital und produziertem Kapital konstant gehalten werden muß, um die Wohlfahrt zu sichern. Dies impliziert, daß Naturkapital und produziertes Kapital substituierbar sind. Um diese These wieder zu relativieren, wird mitunter pragmatisch auf Indikatorensysteme zurückgegriffen, welche die spezifischen Umweltschäden genauer zu fassen versuchen. Sollen dabei aber nicht monetäre und physische Indikatoren völlig unverbunden nebeneinander stehen, sondern Substitution partiell zugelassen werden, können mehrere physische Bestandsniveaus nachhaltige Korridore festlegen, innerhalb derer Kompensation für sinkende monetäre Werte und nicht

65 Vgl. aber zu den Problemen der Monetarisierung von Umweltgütern: Schulz, 1987, Gronemann, Hampicke, 1997.

66 Die Skepsis schlägt dann aber um in volkswirtschaftliche Indikatorsysteme, die aufgrund heterogener und teilweise antagonistischer Zielsetzung kaum Orientierungshilfe für die (Umwelt)politik bieten (vgl. Bartelmus, 1998). Zur Ausgestaltung bestehender Indikatorensysteme in Richtung Nachhaltigkeit vgl. auch Spangenberg, Bonniot, 1998.

reflektierte Wohlfahrtsverluste möglich (und erforderlich) ist (vgl. zum Konzept von Endres und Radke: Radke, 2001). Die Hierarchie zwischen physischen Bestandsniveaus und nachhaltigen, monetär erfaßten Korridoren verweist wiederum auf starke Nachhaltigkeit.

Seitens der Londoner Schule wird starke Nachhaltigkeit über ökologische Tragfähigkeit (carrying capacity) und, mit stärkerem Interesse, über die elastische Stabilität von Ökosystemen (resilience) zu konzeptionalisieren versucht (vgl. Pearce et al., 1996). Als Zielgrößen werden dazu im ersten Fall Nahrungsmittelproduktion, Wassernutzung und Brennholzernte angesehen, im zweiten Biodiversität. Alle diese Größen sind aus unterschiedlichen Gründen gegenwärtig nur schwer zu bestimmen und als Indikatoren auch nicht unangefochten (vgl. Pearce, Atkinson, 1993).

Das Konzept des Naturkapitals versucht, verschiedene fundamentale Funktionen der Natur zu benennen und zu operationalisieren. Das Konzept ist in diesem Sinne funktional-reduktionistisch.

Es zeigt aber auf, daß der Gesellschaft notwendig Probleme entstehen, wenn anstatt von Einkommen Kapital konsumiert wird. Dies gilt auch für Naturkapital, und insofern stellt der Begriff eine nützliche Metapher dar. Seine präanalytische Konzeption (preanalytical vision) erkennt die Probleme von Substitutionsfähigkeit und Komplementarität ökologischer Funktionen sowie ökologische Unsicherheit zwar an (vgl. Bartmann, 2001), doch bezieht sich schwache Nachhaltigkeit zunächst nur auf ökologisch erweiterte ökonomische Indikatoren, welche die Substitution von Naturkapital nicht beschränken. Starke Nachhaltigkeit soll als konstantes Naturkapital ermöglicht werden; dies ist aber in der statischen Perspektive des Ansatzes ungleich schwerer zu operationalisieren als schwache Nachhaltigkeit, die auf bestehende ökonomische Indikatoren Bezug nehmen kann. Alle Versuche, starke Nachhaltigkeit operational zu fassen, kämpfen mit gravierenden Problemen, die u.a. auch auf prognostische Unsicherheit in der Ökosystemanalyse zurückzuführen sind

Andererseits weist das modifizierte Indikatorensystem schwacher Nachhaltigkeit Mängel auf, die bereits minimalen Forderungen von Nachhaltigkeit (im Sinne eines menschlichen Selbstbehauptungssystems) nicht entsprechen müssen. Wenn die empirische Anwendung des Indikatorensystems auf die Weltökonomie diese für die 80er Jahren als schwach nachhaltig auszeichnet, sind erhebliche Zweifel hinsichtlich der ökologischen und sozialen Relevanz des Indikatorensystems angebracht. Martinez-Alier hat darauf hingewiesen, daß schwache Nach-haltigkeit auf der globalen Ebene allein von der Sparrate einiger reicher Volkswirtschaften bestimmt werden kann, wenn diese die Sparrate nicht-nachhaltiger Volkswirtschaften vollständig kompensieren können (Martinez-Alier, 1995). Daraufhin ist das Modell schwacher Nachhaltigkeit auf offene Volkswirtschaften ausgedehnt worden (Proops, Atkinson, 1998), was jedoch weder seine grundlegenden Probleme lösen kann, noch den distributiven Fragen im internationalen Kontext gerecht wird (O'Connor, Martinez-Alier, 1998).

Auf das grundlegende theoretische Probleme des Ansatzes, Natur als Kapital im Sinne der Neoklassik zu behandeln, ist schon frühzeitig hingewiesen worden (Victor, 1991). Die Indikatoren des Naturkapitalansatz beziehen sich auf das BSP bzw. BIP. Dieses ist entweder ökologisch zu korrigieren (durch die Monetarisierung von potentiell immer weiteren Naturfunktionen) oder gemäß

der verschiedenen Ersparnisformen (nach Hartwick, Pearce und Atkinson oder Hamilton) zu bereinigen. Die für den theoretischen und praktischen Wert der Indikatoren schwacher Nachhaltigkeit relevante Frage ist, wie man vom Bruttosozialprodukt als Maßstab des wirtschaftlichen Outputs der Gegenwart, zu (Netto)Ersparnissen oder einem grünen Nettosozialprodukt als Indikator für zukünftige Wohlfahrtsniveaus gelangen kann, wenn diese Indikatoren schwacher Nachhaltigkeit relativ zum gegenwärtigen Niveau des Konsums stehen, dieses aber nicht nachhaltig ist.

S. Faucheux et al. (1997) haben schwache Nachhaltigkeit modelliert und als nicht nachhaltig verworfen. Für die zugrunde gelegten Indikatoren müßten die korrekten relativen Schattenpreise des zur Disposition stehenden Naturkapitals bekannt sein (d.h. die intertemporale Produktions-möglichkeitsgrenze sowohl für die ökonomische Produktion als auch für die ökologischen Funktionen). Dies impliziert Wissen über Substitutionselastizität und technologischen Wandel. Die Autoren verweisen darauf, daß entsprechendes empirisches Wissen über (ökonomische) Substitutionselastizitäten überhaupt nur sehr eingeschränkt (für einige wenige Sektoren und Inputs) vorhanden ist und für ökologische Substituierbarkeit überhaupt noch nicht bestimmt wurde. Kritik am Konzept schwacher Nachhaltigkeit ist auch von anderer Seite geäußert worden und geht in eine ähnliche Richtung (Martinez-Alier, 1995, 5 ff; Hinterberger et al., 1997; Hinterberger, Wegener, 1997; Funtowicz, O'Connor, Ravetz, 1997, 90). Damit stellt sich wiederum die schon in der wachstumstheoretischen Debatte aufgetretene Frage, ob Nachhaltigkeit der Ökonomie und ökonomische Nachhaltigkeit nicht gegensätzliche Paradigmen sind (Klaasen, Opschoor, 1991).

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 97-101)