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Das Präventionsparadigma als Umweltstaat

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 177-181)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

4.4 Das Paradigma des Umweltstaats

4.4.1 Das Präventionsparadigma als Umweltstaat

Der Begriff des ökologischen Rechtsstaates oder auch des Umweltstaates wird von verschiedenen Autoren verwandt (Kloepfer, 1989; Baumeister, 1994; Wolf, 1996; Steinberg, 1998).

Auch die bundesrepublikanische Debatte um die Normierung der Staatszielbestimmung Umwelt-schutz hat zu dieser Begriffsbildung beigetragen. Beide Begriffe werden in der Diskussion synonym benutzt, ohne daß rechtstheoretisch an Habermas' Paradigmathese angeschlossen würde. Auch das prozedurale Rechtsverständnis ist in der umweltrechtlichen Debatte präsent; der explizite, systematische Bezug zur Rechtstheorie Habermas' wurde aber bisher auch noch nicht hergestellt.

Dem prozeduralen Rechtsverständnis zufolge kann der Gesetzgeber frei auf die Rechtsform zurückgreifen, sofern er dabei nicht die Eigenfunktion des Rechts zerstört. Da dies die Konsti-tutionsbedingungen von Recht und politischer Macht unterminieren würde, muß die mit dem freien Rückgriff auf Rechtsformen verbundene Vorstellung medialer Steuerung immer an die Interpretation bestehender Grundrechtsinstitutionen rückgebunden bleiben. Dies gilt auch für präventive Staatstätigkeit.

Präventive Staatstätigkeit ist politisch riskant, denn sie setzt nicht bei öffentlich leicht wahr-nehmbaren Problemen an, sondern dient der Vermeidung schwer erkennbarer, nicht erwünschter Entwicklungen und Ereignisse. Indem sie Folgen des Handelns zu antizipieren beabsichtigt, ist sie kognitiv voraussetzungsvoll. Sie greift auf natur- und sozialwissenschaftliche Theorien über die zu erwartenden Folgen zurück. Sie agiert im Bereich von Risiko und Unsicherheit. Präventive Staatstätigkeit ist prospektiv und flächendeckend. Treffen prognostizierte Folgen nicht ein, so leidet die Autorität der politischen und administrativen Akteure. Sie kann somit sozial risikoreich sein, wie D. Grimm festgestellt hat:

Eine solche zukunftsgerichtete und komplexe Aktivität läßt sich aber gedanklich nicht vollständig vorwegnehmen und daher auch nur begrenzt in generelle und abstrakte Normen einfangen. In der Regel müssen sich Präventionsnormen deswegen auf die Vorgabe von Zielen und die Aufreihung von Gesichtspunkten beschränken, die bei der Zielverfolgung vorrangig berücksichtigt werden sollen. Das Handlungsprogramm ist dann aber nur zum kleineren Teil

Produkt des demokratischen Prozesses. Die handelnde Verwaltung muß es vielmehr von Situation zu Situation vervollständigen oder korrigieren. Sie programmiert sich auf diese Weise weitgehend selbst, ohne dabei spezifische normative Techniken zu verwenden. (Grimm, 1986, 39 f; ähnlich Wahl, Appel, 1995, 58 ff)

Historisch hat der Gedanke der Prävention mit der Etablierung des Sozialstaates Einzug in die Staatstheorie gehalten. Dabei konzentrierte sich der Sozialstaat in der frühen Phase auf die Abfederung der Kontingenzen der individuellen Erwerbsbiographie; später trat die Bestands-sicherung des ökonomischen Systems mit auf den Plan. Die sozialstaatliche Entwicklung der Daseinsvorsorge ging einher mit einem äußerst dynamischen Expansion des industriellen Metabolismus, der die Lebenswelt technisch und ökologisch zunehmend riskant werden läßt. Diese Prozesse sind nicht abgeschlossen, sondern haben im Zuge der Globalisierung noch an Dynamik und Schärfe zugenommen. Prävention hat sich jedoch bisher überwiegend auf die klassische Realprävention im Bereich der technischen Sicherheit beschränkt (Grimm, 1986, ). Sie ist dabei auf die Risikoabwehr fixiert geblieben und erhielt erst über das Vorsorgeprinzip allmählich eine erste ressourcenbezogene Ausprägung. Nachhaltigkeit kann aber nur auf dem vorsorgenden Niveau eines präventiven Stoffstrommanagements gelingen.

Hinsichtlich von 'Prävention' ist darauf hingewiesen worden, daß Grundrechte nicht mehr nur als subjektive Abwehrrechte gegen den Staat verstanden werden können, sondern auch als Abwehrrechte gegen Eingriffe Dritter Geltung beanspruchen (ebd. 48; dagegen Steinberg, 1998, 77 ff). Danach ist der Staat nicht nur verpflichtet, selbst Grundrechte zu beachten, sondern darüber hinaus auch die grundrechtlich garantierten Freiheiten vor Beeinträchtigung durch Dritte aktiv zu schützen.138 Grimm nennt drei Bereiche der Freiheitsgefährdung und sieht parallel dazu folgende Lösungen: 1. Der wissenschaftlich-technische Bereich erfordere gesetzliche Regelungen, 2. die Privatautonomie müsse material gebunden werden und 3. der Freiheitsschutz müsse dort vorverlagert werden, wo strafrechtliche Sanktionen und zivilrechtlicher Schadensersatz keine angemessene Wiedergutmachung versprächen (Grimm, 1986, 48 f). Wegen der möglichen Freiheitsgefährdung ist aber auch festzustellen, daß die Gesetzgebung technischem Wandel wie ökologischen Schäden immer nur folgt. Beide Bereiche erfordern die häufige Novellierung der Gesetze. Dem schließt sich dann das Problem der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle an.139 Dabei besteht für das Rechtssystem insgesamt noch die Gefahr, daß Gesetze als Mittel der Zielverwirklichung angesehen werden, die nicht mehr den Schutz durch Rechte sicherstellen, sondern sich unmittelbar auf Rechtsgüter beziehen, die (kontingent) mit bestimmten Rechten verbunden sind.

E. Denninger hat in diesem Zusammenhang von einem 'Verfall der Rechtssicherheit' gesprochen, den er sowohl im Bereich der Rechtserzeugung als auch in der Rechtsanwendung fortschreiten sieht

138 Ohne auf die damit verbundenen Fragen der Grundrechtsdogmatik eingehen zu können: Diese Auffassung ist unter Juristen umstritten; sie hat aber durch den dynamischen Grundrechtschutz in der Rechtsprechung das BVerfG Bestätigung erfahren. Vgl. zu den entsprechenden Positionen der Grundrechtsdogmatik; Steinberg, 1998, 116 ff.

139 Grundrechtlich die Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen dem geschützten und verkürzten Grundrecht und die Abwägung der gesetzlichen Grundlage der Prävention gegen die vermeintliche Grundrechtsbeschränkung.

(Denninger, 1988). Dieser Prozeß werde besonders durch einen unmittelbaren Rechtsgüterschutz hervorgerufen, den u. a. die Normenkontrolle des Bundesverfassungsgerichts fördere. Dies führe tendenziell zu einem am Einzelfall orientierten kasualistischen Gerechtigkeitsdenken, das über ein generalisierendes Rechtssicherheitsdenken prävaliere. Mit der Aufgabe aber, einzelne Rechtsgüter zu schützen, werde das politisch-rechtliche System privilegiert. Dies könnte zu einer politisch vernetzten Verwaltung von kollektiven Gütern durch Legislative, Exekutive und Judikative führen (so auch Günther, 1990, 64). Nicht zuletzt einer solchen Gefahr stellt Denninger einen Maßstabskatalog des Präventionsstaats entgegen, der neben Daseinsvorsorge, Rechtssicherheit und sozialer Gerechtigkeit auch Risikovorsorge umfaßt (Denninger, 1988, 14 f). Auch D. Grimm hat verfassungsrechtliche Schwächen bei der Prävention beanstandet, "die sich aus der begrenzten gesetzlichen Steuerbarkeit präventiver Staatstätigkeiten ergeben." (Grimm, 1986, 52) Die verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien des Rechtsstaats und der Demokratie sind auf das Medium Recht angewiesen, doch dieses kann Verwaltungshandeln nicht mit einer dynamischen Blankettverweisung zur Verwirklichung eines unbestimmten Rechtsbegriffes wie Prävention ausstatten.

Für den umweltrechtlich spezifizierten Präventionsstaat hat das Vorsorgeprinzip besondere Bedeutung erlangt. Der Begriff der Vorsorge geht nicht auf den Begriff der Daseinsvorsorge zurück, sondern ist eine Weiterführung des polizeirechtlichen Begriffs der Gefahrenvorsorge. Er hat im Umweltschutz, aber auch auf anderen Rechtsgebieten, seine spezifischen Ausprägungen erfahren. Vorsorge liegt der eigentlichen Gefährdungssituation voraus. Die Gefahrenabwehr ist, wie dargestellt, deshalb rechtlich geboten, weil sie sich auf rechtlich geschützte Güter bezieht.

Demgegenüber ist Vorsorge rechtlich unbestimmt, da die Vorsorgesituation durch prognostische Ungewißheit gekennzeichnet ist: Ein konkreter Schaden ist noch nicht eingetreten, sondern nur prognostiziert. Da in der lebensweltlichen Situation die Übergänge von Risiken (zu Unsicherheiten) fließend sind, handelt es sich bei der Unterscheidung zwischen Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge um eine normative Wertung des Rechtssystems (vgl. Schmidt, 1994, 753;

Rehbinder, 1988, 132). Rechtskonservative Versuche, den Vorsorgeanlaß auf einen konkreten, wissenschaftlich begründeten Gefahrenverdacht zu beschränken und Vorsorge rigide in Proportionalität zum prognostizierten Risiko zu fixieren (vgl. Ossenbühl, 1986), ignorieren die Ergebnisse der Risikoforschung. Trotz derartiger sozialmächtiger Interpretationen des Vorsorgeprinzips besteht seit den 70er Jahren ein politischer Konsens über die prinzipielle Notwendigkeit eines vorsorgenden Umweltschutzes (Jänicke, 1988), der auch progressive Interpretationen befördert hat.

Als Prinzip des Umweltrechts tritt das Vorsorgeprinzip E. Rehbinder zufolge in zwei Formen auf: "als rechtsstaatförmiges Prinzip und als Strukturprinzip. Als rechtssatzförmiges Prinzip ist das Vorsorgeprinzip zu einem unmittelbar anwendbaren Maßstab verdichtet und hat die Funktion einer Norm (Genehmigungsvoraussetzung, Eingriffsermächtigung, Planungsleitlinie, Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften). In dieser Form findet es sich, wenngleich in Recht differenzierter Art und keineswegs flächendeckend, in einer ganzen Reihe

wichtiger Umweltgesetze" (Rehbinder, 1988, 130). Es bezeichnet dabei Maßnahmen, die im Vorfeld der Gefahrenabwehr ergriffen werden und etabliert eine gefahrenenabhängige Politik.

Im Gegensatz zu seinem rechtsstaatförmigen Prinzipiencharakter ist das Vorsorgeprinzip als Strukturprinzip "ein Leitgedanke allgemeiner Art, der bestimmten Regelungen zugrunde liegt und diese legitimiert, aber darüber hinaus nicht direkt anwendbar ist." (Rehbinder, 1988, 130) Die betreffenden Regelungen (z.B. Vorschriften, die eine Berücksichtigung des Umweltschutzes in der Planung gebieten, die Umweltverträglichkeitsprüfung; Anmelde- und Prüfverfahren für Chemikalien) dienen der Vorsorge; bei der Anwendung spielt das Vorsorgeprinzip dann aber keine direkte Rolle.140 Anders wäre dies nach Rehbinder nur, wenn das Vorsorgeprinzip noch in einer dritten Form anerkannt werden würde, nämlich als "allgemeines Rechtsprinzip, das über den aus den gesetzlichen Regelungen unmittelbar ableitbaren oder in den Regelungen festgeschriebenen Regelungs- oder Anwendungsbereich hinaus verallgemeinert werden kann und die Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung im Umweltrecht allgemein zu steuern vermag" (ebd.).

Erste Ausprägung hat das Vorsorgeprinzip nach überwiegender Auffassung im Atomrecht von 1959 erhalten, wo es angesichts der neuen Rolle des Staates als Förderer einer Großtechnologie erstmals über die klassische Gefahrenabwehr hinauswies.141 Es findet sich heute u.a. im Bundesimmissionsschutzgesetzt wieder, wo es Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle erfassen soll, d. h. sich allein auf eine 'Risikobesorgnis' gegenüber bisher noch unbekannten schädlichen Wirkungen bekannter Stoffe. Eingang hat das Vorsorgeprinzip ferner in das Wasserhaushaltsgesetz und das Abfallrecht sowie in das Kreislaufwirtschaftsgesetz (WHG §§ 1a Abs. 1, 6 u. 7a; KrW-/AbfG §§ 4 Abs. 1 u. 22 ff) gefunden, ohne dort allerdings explizit Erwähnung zu finden.

Das Vorsorgeprinzip wird auch im Sinne einer Ressourcenvorsorge ausgelegt. Nach Kloepfer wird mit dem Vorsorgeprinzip in struktureller Hinsicht der Gedanke ausgesprochen, durch die Vermeidung von Umweltbelastungen an der Outputseite des Produktionsprozesses schrittweise die Umweltrisiken durch Stoffeinträge zu minimieren (Kloepfer, 1998, 168). Es wird nicht mehr normativ zwischen Struktur- und Niveausteuerung der Wirtschaft unterschieden, sondern kognitiv auf die Gewißheit einer konstanten Materialbilanz bezug genommen. Diese Outputorientierung ist als 'ökologisches Generationenverhältnis' zu interpretieren. Für ein solches strukturelles Verständnis des Vorsorgeprinzips finden sich aber bisher nur Ansätze im BImSchG, im WRMG und AbfG und noch bescheidener im ChemG.142 Aber erst in dieser zusammenhängenden Auslegung des Vorsorgeprinzips verweist Vorsorge angemessen auf die Zeitlichkeit und die notwendige Steuerungstiefe von Nachhaltigkeit. Anzumerken ist, daß auch in dieser extensiven Auslegung des Vorsorgeprinzips normative und kognitive Grenzen für den Präventionsstaat bestehen (Wolf, 1996, 71).

140 Vgl. dazu auch: Winter, 1992, 1994.

141 Dagegen hat M. Kloepfer eingewandt, das sich "Vorsorge gegen Schäden", so der Wortlauf von § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG, ohne weiteres als "Gefahrenabwehr" verstehen lasse; vgl. Kloepfer, 1998, 169.

142 Lediglich als dogmatisches Problem erscheint mit der Freiraum-These des BImSchG die Kollision zwischen Vorsorge und grundrechtlich verbürgtem Eigentumsschutz.

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