• Keine Ergebnisse gefunden

Der Umweltstaat als prozedurales Programm

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 181-184)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

4.4 Das Paradigma des Umweltstaats

4.4.2 Der Umweltstaat als prozedurales Programm

Als zentrales Problem des (präventiven) Umweltrechts erweist sich die Konditionierbarkeit administrativer Entscheidungsprozesse durch materielle Selektionskriterien. Unter der Bedingung ökologischer Unsicherheit können kaum hinreichend rechtliche Kriterien zur Verfügung gestellt werden. Als Handlungssystem erlaubt das Recht aber alles nicht explizit Verbotene. Fehlende materielle Normen (Verbote, Gebote) führen dazu, daß das Recht Entwicklungspfade freigibt, wobei die Rechtsgenese der technisch-stofflichen Entwicklung dann wieder nachläuft. Dazu erschweren fehlende materielle Normen selbst bei regelmäßig anzutreffenden und deshalb wohl institutionalisierten Interessenkonflikten die Implementation. Prozedurales Recht könnte, so die Erwartung, das Umschlagen materieller Ungewißheit in rechtliche Unbestimmtheit kompensieren und damit zur Effektivierung des umweltpolitischen Vollzugs und der richterlichen Überprüfung beitragen (vgl. Wahl, Appel, 1995, 139).

Prozeduralisierung erscheint vor diesem Hintergrund nur noch als ein 'unerfreulicher Sach-verhalt', der einen Vertrauensverlust in die Richtigkeit einer zentral gesatzten Rechtsordnung und ihren materiellen Normen offensichtlich werden läßt. Die normative Kritik richtet sich jedoch nicht allein gegen das Recht, sondern ebenso gegen das politisch-adminstrative System. Denn das Recht ist seinerseits auf die umweltnormsetzende Politik angewiesen, welche ihrerseits vor der politischen Herausforderung steht, unter Unsicherheit entscheiden zu müssen. Dies bedroht den Fortschritt der Umweltpolitik fortwährend, obgleich die ökologische Herausforderung klar darin besteht, ökonomisches Wachstum und Umweltzerstörung zu entkoppeln. Prozedurales Umweltrecht muß hier ansetzen und primär die Rationalität der Prozeduren der Normerzeugung thematisiert. Dabei darf aber eine prozedurale Theorie und Systematik des Umweltrechts die Normendurchsetzung und -kontrolle nicht aus den Augen verlieren.

Ein rationales Umweltrecht kann nur in Verbindung zum ökonomischen System und unter Rückgriff auf ökonomische Instrumente entwickelt werden. In der umweltadministrativen Praxis wird jedoch die wechselseitige, dynamische Abhängigkeit der Steuerungsinstrumente häufig nicht problematisiert: die Koppelung von Rahmenvorgaben und fallspezifischen Umsetzungs-instrumenten intensiviert u.a. die Bürokratisierung und die Zentralisierung, weil die rahmensetzende Ebene ihren Steuerungszugriff nicht an die Vollzugsverwaltung mit deren wachsenden Freiräumen verlieren will und persuasive Instrumente können im kooperativen Staat zu do-ut-des-Geschäften zwischen Behörden und privaten Institutionen umkippen. Kooperatives Staatshandeln ist häufig mit staatlichen Transfers verbunden, welche die Wirkung der Rahmensteuerung zugunsten der einzelfallspezifischen Steuerung reduzieren (vgl. Fürst, Henke, 1988; Fürst, 1990). In der Umweltpolitik scheint sich hier lediglich die alte ordnungspolitische Diskussion über Widersprüche zwischen wachsender Regelungsdichte und marktwirtschaftlicher Freiheit zu wiederholen.

Für den Erfolg systemischer (politisch-administrativer und ökonomischer) Steuerung von Nachhaltigkeit erscheint allerdings nicht nur eine Effektivierung des Rechts, sondern vor allem die

Entwicklung einer Systematik des ökologischen Rechtsstaats als prozedurales Programm zwingend.

Im folgenden wird dazu das Konzept R. Wolfs näher ausgeführt (vgl. Wolf, 1996).

Umwelt ist ein problematisches Rechtsgut. Das moderne Recht beruht auf der Ausdifferen-zierung in subjektive Rechte, welche die Freiheit des Bürgers garantieren und durch ihn aktiviert werden, und objektive Rechte, welche der Staat in Gemeinwohlverantwortung realisiert. Doch der Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen wird mit dieser Grundstruktur nicht angemessen erfaßt.

Im positiven Recht schützen primär objektivrechtliche Verbots- und Gebotsnormen Natur und Umwelt. Diese objektivrechtlichen Rechtssätze bestimmen so die staatlich gesetzte Rechtsordnung des Umweltschutzes. Dies erfolgt jedoch ohne die Autonomieverbürgung subjektiver Rechte, d.h.

der Staat kann die Umwelt schützen oder sie der Nutzung durch Dritte oder durch seine eigenen Institutionen (umweltbenutzende Infrastruktur) freigeben. Weil die Umwelt nicht Träger subjektiver Rechte ist, kann sie keinen Individualrechtsschutz in Anspruch nehmen.143 Damit lassen sich nicht nur Tier- und Artenschutz schwer thematisieren, sondern auch Kollektivrisiken und -gefährdungen.

Ein Problem kollektiver Güter besteht somit auch für das Rechtssystem. Unter dem Gesichtspunkt der Steuerung können weder die Zuschreibung von subjektiven Rechten an Naturentitäten, noch die Moralisierung des Rechts dieses Problem lösen, denn das Recht ist niemals nur Normen-, sondern immer auch Handlungssystem. Allein die Auszeichnung und Rücksichtnahme auf Kollektivgüter der Menschheit durch die jeweilige Gesellschaft konstituiert die Grenze der menschlichen Eingriffe in die Natur. Eröffnete Risiken und erkannte Gefahren von Umwelteingriffen stellen die bestehenden Gesellschaft-Natur-Verhältnisse unter Rechtfertigungsdruck. Kollektivgüterschutz ist die zentrale Herausforderung für das prozedurale Recht. Wolf rechnet natürliche Ressourcen unabhängig von ihrer eigentumsrechtlichen Zuordnung zu den Kollektivgütern, die einen Regelungsauftrag im Sinne nachhaltiger Nutzung implizieren (Wolf, 1996, 66). Artikel 20a GG gebe diese Zielsetzung der legislativen Agenda vor. Im Paradigma des Umweltstaates bzw. des ökologischen Rechtsstaates kommt damit implizit das Leitbild der Entkoppelung zur Geltung.

Als zentrales, handlungsleitendes Prinzip des Umweltschutzes fungiert in diesem Konzept trotz seiner Lückenhaftigkeit das Vorsorgeprinzip. Seine Lücken bleiben notwendig bestehen, da Risikovorsorge sich nur an der Kontrolle und Minimierung von Risiken versuchen kann, ohne potentielle Gefahren tatsächlich vollständig antizipieren zu können. Wolf verweist auf drei materielle Zentralinstitute des Umweltschutzes: Nutzungsordnung, Eingriffsminimierung und Eingriffsausgleich (Wolf, 1996, 77 ff).

Die Kategorisierung der Umwelt als Kollektivgut macht alle ökologisch relevanten Eingriffe begründungspflichtig. "Die ausschließliche Fassung privater Rechte als individuelle Verfü-gungsmacht ist für ökologisch relevante Nutzungen nicht mehr haltbar." (Wolf, 1996, 78) Eigentum wird über die Sozialpflichtigkeit hinaus auch in die ökologische Verantwortung genommen. Damit

143 Wolf läßt damit rechtstheoretisch noch offen, "ob sich das Umweltrecht als Recht von Kollektivgütern im institutionellen Rahmen der Dichotomie von objektiven und subjektiven Rechten entwickeln kann oder ob es einer Entfaltung einer dritten Grundkategorie bedarf." (Wolf, 1996, 66) Bereits ohne weitere Grundkategorie könne die Dichotomie nicht mehr in ein duales Akteursmodell übersetzt werden, sondern muß kollektivgut-spezifisch erweitert werden wie durch Verbandsbeteiligung oder Verbandsklage als objektiv-rechtlicher Beanstandungsklage.

werden Umweltnutzung, Produktion und Emissionen ordnungsrechtlichen Vermeidungsgeboten und abgabenrechtlichen Vermeidungszwängen zugänglich. Sie beruhen auf nur demokratisch zu bestimmenden Nutzungsordnungen, welche insbesondere den Konflikt zwischen Kollektivgüterschutz und individualrechtlichen Ansprüchen auf die Nutzung natürlicher Ressourcen bewältigen müssen. Es ergibt sich ebenso das vorgelagerte Problem, ob Ressourcen überhaupt genutzt oder Risiken eingegangen werden sollen. Potentiell ökologisch relevante technische Innovation würde damit eine Pflicht zur Gesetzgebung anzeigen. Gesetze müßten in der Folge so gestaltet sein, daß sie Lernprozesse sichern könnten.

Aus der Begründungslast für Umwelteingriffe folge das akzessorische Gebot der Intensitäts-minimierung von Belastungsfolgen.

Soweit die Pflicht zur Minimierung der Inanspruchnahme von Umwelt unabhängig von dem Zustand der Umwelt bejaht wird, abstrahiert die systematische Variante des Vorsorgeprinzips von konkreten Risikolagen und konstituieren einen 'gefahrenunabhängigen, gleichmäßigen und generell-abstrakt gebotenen Umweltschutz'. Im Konzept der Eingriffsminimierung liegt daher auch eine implizite Absage an das Modell des Kausalnachweises und des heuristischen Prinzips von Versuch und Irrtum. (Wolf, 1996, 80)

Darüber hinaus dürfe die Generalklausel 'Stand der Technik' kein begrenzendes Kriterium für den Umweltschutz sein; sie unterliege allerdings auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so daß eine prozedural gefärbte Abwägung Eingang in die Vorsorge finde. Im übrigen werde das Prinzip der Minimierung von Belastungen im Konzept der Umweltabgaben weitergeführt, wobei sich deren Einfluß im wesentlichen auf Stoffströme und die zivilisatorische Nutzung der Umwelt erstreckt. Dieses Konzept könnte weiter in Richtung Vorsorge ausgeweitet werden (vgl. Köck, 1993b), wenn etwa analog zur bergrechtlichen Förderabgabe für Bodenschätze Abgaben auf die Nutzung von Naturgütern oder Material-Input-Steuern erhoben werden würden (vgl. Bonus, 1998).

Gegenüber diesen prozeßorientierten Aspekten setze der Bestandschutz relativ feste Grenzen zum Schutz des vorhandenen Umweltbestandes. Derartige bestandsschutzrechtliche Grenzen bestehen etwa mit den Grenzwerten der TA Luft, auch im Wasserrecht und besonders im Naturschutzrecht. Das Prinzip sei zwar strikt, aber auch statisch und lasse sich deshalb kaum generalisieren. Es diene eher als Notstandsmaßnahme zum Erhalt von Minimalstandards, denn der Vorsorge. Durch die Eingriffsregelung werde der Bestandsschutz zwar in gewisser Weise relativiert, doch sei die Eingriffsregelung effektiver als zivilrechtliche Kompensation durch Schadensersatz, da sie ex-ante ansetzt. Die funktionelle ökologische Kompensationspflicht der Eingriffsregulierung führe das Verursacherprinzip weiter zur Umweltpflichtigkeit des Eigentums.

Diese zeige sich "nicht mehr nur in den gesetzlichen Restriktionen seiner Nutzung, sondern zusätzlich in komplementären Leistungspflichten gegenüber dem Naturhaushalt." (Wolf, 1996, 83 f)

In der jüngeren umweltpolitischen und -rechtlicher Literatur ist immer wieder auf den staatlichen Informationsmangel gegenüber den Unternehmen aufmerksam gemacht worden. Umweltpolitik, insbesondere präventive Umweltpolitik, sieht sich nicht zuletzt aufgrund dieses Informationsmangels mit ökonomischen und sozialen Steuerungsrisiken konfrontiert. Deshalb wurden die Unternehmen als Ansatzpunkt prozeduraler Regelungen ausgemacht. Die normativen

und demokratisch-rechtsstaatlichen Erfordernisse, die unmittelbar mit der asymmetrischen Verteilung von Wissen (über toxische und umweltschädigende Effekte) einhergehen, werden oftmals ignoriert. Tausch von Wissen (so Willke, 1995) wäre rechtlich allenfalls im Bereich der Vorsorge statthaft; mit der Umweltpflichtigkeit des Eigentums wird dieser allerdings insgesamt umweltrechtlich aufgewertet (vgl. Führ, 1996). Umfassende Informationsgewinnung ist letztlich nur durch ausgewogene Beteiligung und durch Offenlegungspflichten sicherzustellen. Dies gilt insbesonders, wenn in den Gremien der (entstehenden) Verhandlungssysteme materiale Vorentscheidungen getroffen werden, welche die Öffentlichkeit des Parlaments (und der Regierung) in der Regel ohne weitere Deliberation passieren.144

Indem prozedurales Recht ein zivilgesellschaftliches Assoziationsgeflecht (associative design) konstituieren kann, erlaubt es auch eine Neubestimmung der Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung. In Teilbereichen, wie bereits im Naturschutzgesetz geschehen, läßt sich die Verwirklichung des Gemeinwohls aus der alleinigen Zuständigkeit der Behörden lösen und der Mitwirkung gesellschaftlicher Träger öffentlicher Belange (im Fall des BNatSchG die Naturschutzverbände) anvertrauen. Überdies kann die Verbandsklage als objektive Beanstandungsklage gegen die Verletzung von objektivrechtlichen Gewährleistungen für Umwelt und Natur als Kollektivgutäquivalent zum Individualrechtsschutz fungieren. "Sie bündelt nicht mehrere Individualrechtspositionen in einem Modus kollektiven Rechtsschutzes, sondern sichert den Schutz von Kollektivgütern durch die Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen. Sie ist die prozeßrechtliche Verlängerung der staatsrechtlichen Funktion der Verbandsbeteiligung, in der allgemeine öffentliche Interessen subjektiviert sind."

(Wolf, 1996, 89)

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 181-184)