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Die Wirtschaft als System der Gesellschaft

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 79-82)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

3.1 Die Wirtschaft als System der Gesellschaft

Die neoklassischen Ökonomie beruht auf der Annahme strategisch-instrumenteller Rationalität.

Dies gilt insbesondere auch für die Teilbereiche der Umwelt- und Ressourcenökonomie, die beide auf autonom entscheidende Individuen zurückgeführt werden. Rationalität wird dabei als autonome Entscheidungsrationalität gefaßt, die auf die Maximierung des individuellen Nutzens zielt. Während die Ressourcenökonomie den gegebenen Bestand an Natur gemäß einer instrumentellen Rationalität abträgt, setzt sich die Umweltökonomie mit strategischer Rationalität auseinander. Beide Formen werden als substantielle Rationalität (homo oeconomicus) verstanden.

Konträr zu instrumentellen, konsequentialistischen Ansätze beruhen systemtheoretische Ansätze auf der Differenzsetzung zwischen ökonomischem System und Umwelt. Dies kann sowohl die soziale als auch die natürliche Umwelt meinen. Im Kontext der Nachhaltigkeit interessiert aber insbesondere die Differenz zur nicht-menschlichen Umwelt (Berkes, Folke, 1992). Während also Kommunikation das ökonomische System konstituiert und entwickelt, relationiert der energetisch-materielle Stoffstrom ökonomisches System und nicht-menschliche Umwelt über die gesetzte kommunikative Differenz hinweg. Diese systemtheoretische Grundposition wird – wenn auch mit ganz unterschiedlichen Anklängen – sowohl von Luhmann als auch von Habermas vertreten.

In der ökonomischen Theorie ist die Umwelt simultan Grenze (im Sinne eines freien Gutes), Ko-Organisator des ökonomischen Systems (insofern das System sich nur durch Umwelt reproduzieren kann) und schließlich Externalität als das noch nicht in die ökonomische Theorie Integrierte. Die operationale Geschlossenheit des ökonomischen Systems bedeutet somit nicht seine Isolation von der Umwelt.46 "Cette exigence conduit à rompre avec les approches qui se construisent comme objets des systèmes clos sans environnement, ou des systèmes dont l'environnement est en quelque sorte neutralisé pour les besoins de la cause scientifique – en recourant par exemple à la clause 'ceteris paribus'." (Godard, 1984, 317) Die neoklassische Interpretation der Ökonomie als geschlossenes System ohne Umwelt gerät nicht nur bezüglich des Stoffstroms in Widersprüche – denn dieser verändert eine Umwelt, von der das ökonomische System abhängt –, sondern generell auch hinsichtlich der Organisation und der Regulation der Reproduktion des ökonomischen Systems (Godard, 1984). Die operational geschlossene Entwicklung des Wirtschaftssystems führt zu einer Komplexitätssteigerung des induzierten Stoffstroms gegenüber dem Input. Der ökonomische Stoffstrom ist, systemtheoretisch gesprochen, emergent. Die Vorstellung eines geschlossenen, sich autonom reproduzierenden ökonomischen Systems, wie sie die Neoklassik vertritt, ist nicht zu halten.

46 Für N. Luhmanns Theorie autopoietischer Systeme gilt, daß ein System seine Umweltbeziehungen im Medium der Kausalität oder als Austauschbeziehung beobachtet, auch wenn autopoietische Systeme durch Selbstkontakt ihren Umweltkontakt ausschließlich über eigene Elemente herstellen können.

Unter diesen Vorzeichen systemtheoretischer Kritik an der Ökonomie ist es nicht überraschend, daß auch Habermas die Wirtschaft als System verstanden hat. Insbesondere die Aussagen zur System-Umwelt-Beziehung scheinen ein wesentlicher Grund dafür zu sein, daß Habermas Systemtheorie in der Theorie des kommunikativen Handelns integriert hat. Er hat sich dabei nicht nur auf die Theorie T. Parsons', sondern explizit auch auf die Theorie autopoietischer System von N. Luhmann bezogen.47 Zumindest scheinbar kann diese durch die System-Umwelt-Differenz den Metabolismus zwischen Gesellschaft und Umwelt besser fassen als Parsons' Systemtheorie oder eine zweckrationale Handlungstheorie. Denn die Parsons'sche Theorie ermöglichte zwar die Kritik ökonomischer Rationalität, "but it did not go far enough as an analysis of the relationship between society and environment." (Turner, 2000, 252)

Die Konstruktion der Interaktionen zwischen Gesellschaft und natürlicher Umwelt wird der Theorie autopoietischer Systeme allerdings dadurch erschwert, daß die natürliche Umwelt nur eine von zahlreichen Umwelten eines Subsystems ist. Es kommt hinzu, daß die natürliche Umwelt nur als systemintern kommunizierte Umwelt aus den zahlreichen sozialen Umwelten eines Subsystem in dieses eindringen kann. Aus der System-Umwelt-Beziehung folgten deshalb bisher keine ökologisierten Eigenwerte der Systeme. Ökologische Kommunikation ist im wesentlichen vergeblich, ansonsten aber gar subsystemgefährdend (Luhmann, 1986).

Die Bewältigung der ökologischen Krise als Folge eines ökonomischen Stoffstroms erfordert jedoch von soziologischer Theorie, gesellschaftlich relevante ökologische Folgen mindestens theoretisch reintegrieren zu können. Da die Schäden, zwar oft nichtintendierten aber doch anthropogenen Ursprungs sind, müssen Handlungsmöglichkeiten offen stehen. Doch die Kontingenz des Metabolismus zwischen Gesellschaft und Natur wird von der Systemtheorie nicht auf Nachhaltigkeit bzw. zukunftsoffene Sicherheit ausgerichtet. In der Theorie der Systemtheorie wird die Internalisierung von ökologisch-systemischen Folgewirkungen nicht einmal ersichtlich (vgl. dazu näher Metzner, 1993). Hier scheint der Konstruktivismus des Theoretikers negativ zum Tragen zu kommen (so Habermas gegen Luhmann, 1985, 426 ff). Eventuell gehegte Erwartung an eine ökologisch integrative Systemtheorie hat Luhmann mit seiner Theorie des wirtschaftlichen Subsystems (1988) schließlich abgewiesen.48

Im Unterschied zu Luhmann hat Habermas festgestellt, daß sich der systemischen Handlungsrationalität kein Eigenwert zuordnen läßt. Zweckrationalität sei zwar Grundlage funktionaler Verselbständigung, doch sie sei nicht die einzige Form der Handlungsrationalität in sozialen Systemen. Die Systemrationalität des Wirtschaftssystems folge lediglich einem auf

47 Allerdings ist die Theorie des kommunikativen Handelns sieben Jahre vor Luhmanns Die Wirtschaft der Gesellschaft erschienen.

48 Beckenbach hat nach dem heuristischen Ertrag eines Verfahrens gefragt, "das in dem Überstülpen einer gegen-standsunspezifischen Methodik über je spezifische Gegenstände besteht." (Beckenbach, 1989, 901) Er spricht gar von einer 'Subsumtion' der Ökonomie unter die Methodik der Systemtheorie. Dies macht er an der Differenz von Operation und Beobachtung deutlich, die Luhmann über den Markt zu integrieren versucht hat: Der Markt soll nämlich Luhmann zufolge 'innere Umwelt' des Wirtschaftssystems und nicht selbst System sein (1988, 94). Doch nur Systeme können ausdifferenziert werden! Willke (1987b) 'umgeht' dieses Problem, indem er über eine Lebenswelt (sic!) soziale Kriterien in die systemttheoretische Ökonomie einbaut.

Nutzensteigerungen basierendem Tausch (Rentabilität). Die kritische Forderung der Theorie des kommunikativen Handelns, die systemisch kolonialisierten Bereiche der Lebenswelt kommunikativ zu verflüssigen, wird jedoch dadurch erschwert, daß Habermas weitgehend offen läßt, was Systeme jenseits von Medien noch konstituiert.

In der Theorie des kommunikativen Handelns identifiziert Habermas Systeme mit einer rein empirischen Beobachterperspektive. Dies aber wirft Probleme auf: Nicht nur die motivationale Seite ökonomischen Handelns würde negiert, sondern teilweise auch der Informationsgehalt des Stoffstroms reduziert. Denn der anthropogene Stoffstrom tritt nicht nur als rein empirisch zu beobachtende Erfahrung kontingent in der Umwelt auf, sondern geht auf Motive und Wissen zurück, was mit einer opaken Systemrationalität oder der medialen Reproduktion (Geld) allein unzureichend beschrieben wird. Obwohl das Wissen über den Stoffstrom aufgrund der empirisch-kontingent auftretenden Externalitäten und Gefahren unsicher ist, besteht daneben immer die Sicherheit seiner konstanten Materialbilanz. Damit wird der Stoffstrom trotz prognostischer Unsicherheiten über seine (quasi-natürliche) Wirkung und (anthropogene) Entwicklung verantwortungsethisch zugänglich. Hinsichtlich des Metabolismus ist an der Einsicht der Theorie autopoietischer Systeme festzuhalten, daß weder die Beobachtung des Systems noch der Umwelt über die dynamische Interaktion zwischen Gesellschaft und Natur nachhaltig aufklären kann, sondern nur die Beobachtung des Stoffstroms in die ökonomisches, physikalisches, chemisches, biologisches etc. Wissen eingeht. Dies ist die theoretische Argumentationslinie, die im folgenden detailliert zu entwickeln ist.

Als eine der wenigen Ökonomen hat sich A. Biesecker (1992) mit der Diskurstheorie auseinandergesetzt.49 Sie schlägt vor, das Modell des homo oeconomicus nicht aufzugeben, sondern es durch ein Modell kommunikativen Handelns zu ersetzen, welches sie in der 'Interferenzzone' zwischen ökonomischem System und Lebenswelt verordnet. Als Vorteil von Habermas' Konzeption sieht Biesecker es an, daß prinzipiell sowohl systemische Strukturen in die Lebenswelt einwandern können als auch lebensweltliche in die Systeme. Damit kann kommunikative Rationalität auch das strategische, ökonomische Kalkül ethisch-moralisch begrenzen. Sie schlägt den Wirtschaftswissenschaften pragmatisch einen methodologischen Wechsel zwischen Teilnehmer- und Beobachterperspektive mit einem Primat der lebensweltlichen Analyse vor. Innerhalb lebensweltlich orientierter Grenzen – Biesecker nennt: Lohnentwicklung, Begrenzung der Arbeitszeit, Natur etc. – muß die Ökonomik dann regelhaftes Handeln ermöglichen.

Die Expansion des ökonomischen Systems durch die Schaffung von Eigentumsrechten in der Neoklassik diene nur der Wiederherstellung konkurrierender Kapitalgütermärkte und eröffne keine gesellschaftlich-lebensweltlichen Möglichkeiten, privates Eigentum bezüglich von Natur, Produktionsstrukturen etc. zu regulieren, denn einziges Kriterium des neoklassischen Ansatzes sei

49 Vgl. auch die redlichen, aber doch bescheidenen transzendentalpragmatischen Ansätze von Ulrich (1987) und Apel (1988, 270 ff), die über eine Verantwortungsethik die ökonomische Eigenlogik kommunikativ verflüssigen wollen.

Apel konzentriert sich dabei ganz auf das (ökologische) Modernisierungspotential des Unternehmens und findet deshalb keinen Zugang zur (ökologischen), makroökonomischen Theorie.

das der Pareto-Optimalität (Biesecker, 1992, 41). Biesecker hält den methodologischen Individualismus für ebenso unbrauchbar wie die eigentumsrechtlich orientierten Ansätze der Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ), die in der ideengeschichtlichen Nachfolge des Coase-Theorems Transaktionskosten ignorieren. Demgegenüber erlaubten die kulturellen Ansätze der Neuen Institutionen Ökonomie (NIÖ) die Integration von Normen in das Wirtschaftssystem über Institutionen. Die makroökonomischen Zusammenhänge müßten so nicht auf mikroökonomische Modelle zurückgeführt werden. Die ökonomische Analyse könne solche institutionellen Arrangements unter dem Gesichtspunkt ihrer Interferenz zwischen Lebenswelt und ökonomischen System untersuchen. Es bleibt jedoch darüber hinaus noch eine Differenz zu einer diskurstheoretischen Analyse des Wirtschaftssystems bestehen, da in der Diskurstheorie Normen über kommunikatives Handeln in das ökonomische System einfließen können.

Die Bestimmung der lebensweltlichen Grenzen des ökonomischen Systems verfolgt in ökologischer Hinsicht Umwelt- und Ressourcenökonomie und ökologische Ökonomie. Diese Teildisziplinen weisen im Diskurs zur Nachhaltigkeit einen methodischen Pluralismus auf, der zunächst einmal nicht in Frage zu stellen ist (Norgaard, 1985). Im Verlauf des Diskurses zur Nachhaltigkeit zeigten einige Ansätze jedoch Rechtfertigungsprobleme.

Dies betrifft die mikroökonomische Rationalität als Grundlage einer nur makroökonomisch zu verwirklichenden nachhaltigen Entwicklung. Es betrifft aber zumindest teilweise auch Versuche, absolute ökologische Grenzen auszuzeichnen. Die Orientierung auf die Lebenswelt darf den Konzeptionen zur Nachhaltigkeit nicht verloren gehen. Ökologischen Indikatoren fällt dabei sowohl die Aufgabe zu, den Diskurs zur Nachhaltigkeit anzuleiten, als auch zur 'Selbsterziehung' der Gesellschaft beizutragen. Die im folgenden begründete Fokussierung auf den Stoffstrom ist in diesem Sinne zugleich Beobachtung der dynamischen Innovation von Stoffen in der Ökonomie, der ökologischen Austauschprozesse (Ökosystembeobachtung) und der rationalen lebensweltlichen Reflexion auf den Metabolismus zwischen Ökonomie und Natur. Umwelt und ökonomisches System werden so nicht nur über den Stoffstrom relationiert, sondern auch moralisch-lebensweltlich bewertet.

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 79-82)