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Prozedurales Recht

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 168-174)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

4.3 Recht als Steuerungsmedium

4.3.3 Prozedurales Recht

Regulatives Recht dient der Sicherung von Kollektivgütern und kontrolliert Prozesse der Strukturbildung in der Gesellschaft. Prozedurales Recht dagegen koordiniert die Handlungen sozialer Akteure. Es zielt auf die Lösung sozialer Konflikte durch rechtlich verfaßte Prozesse und Verfahren, wobei es die Kommunikation im und mit dem Rechtssystem sichert. In normativer Hinsicht ist die Inklusion (oder Exklusion) von Staatsbürgern in das Rechtssystem – und damit in die politischen Institutionen des Staates – ebenso Gegenstand prozeduralen Rechts wie die Beteiligung Dritter an juristischen Verfahren. Prozedurales Recht formuliert die rechtlichen Regeln zur Normierung oder Regulierung sozialer Verhältnisse. Es ist regulativem Recht somit logisch vorausgesetzt. Die Ausweitung regulativen Rechts ohne eine parallele Ausgestaltung prozeduralen Rechts hat K. Eder als 'Pathogenese des modernen Rechts' bezeichnet (Eder, 1990, 155 f).

Im Unterschied zum Verfahrensrecht liegt ihm keine strikte Trennung von Modus und Inhalt zugrunde; die prozeduralen Vorschriften beinhalten eine materielle Stoßrichtung. Prozedurale Vorschriften setzen zwar beim Verfahren an, folgen aber einer materiellen Zielsetzung. Modus und Inhalt sind nicht strikt zu Trennen. "Der prozedurale Ansatz konzentriert sich auf die Rationalität der Prozeduren der Normerzeugung, -durchsetzung und -überprüfung. Er thematisiert damit auch die Rolle der gesellschaftlichen Akteure, die das Recht setzen, es umsetzen oder unterlaufen."

(Wolf, 1996, 59) Dies unterscheidet sie sowohl vom Verfahrensrecht als auch vom materiellen Recht. Im Gegensatz zum Verfahrensrecht, daß parlamentarisch-administrativ festgelegte Rechtspositionen verwirklichen soll, will prozedurales Recht auf die materiellen Inhalte selbst

einwirken. Prozedurale Rechtskonzepte begleiten materiell-rechtliche Normen dort, wo das Rechtssystem an seine Grenzen stößt.

K. Eder (1986) hat versucht, prozedurales Recht ausschließlich aus der (internen) Entwick-lungslogik des Rechtssystems zu begründen. Wie in der Theorie kommunikativen Handelns und der Systemtheorie wird Kommunikation zum zentralen Begriff seiner Theorie. Die Rationalisierung des Rechts sei theoretisch das entscheidende, erklärungsbedürftige Phänomen. Diskurs- und Systemtheorie ist gegen behavioristischen und ökonomischen Rechtstheorien zuzustimmen, daß sozialwissenschaftliche Theorie – genauer gesagt: die Soziologie – die Reflexivität des Rechtssystems erfassen muß, daß sozialwissenschaftliche Rechtstheorie dem Rechtssystem also nicht extern sein Rationalitätsparadigma aufzwingen darf. Für die reflexive Wendung erscheint Eder vor allem die interne Kommunikation des Rechtssystems relevant. (Er verweist in diesem Zusammenhang auf Alexys Theorie juristischer Argumentation.) Gegen Habermas' älteres, mit Faktizität und Geltung revidiertes Rechtskonzept wendet er ein, daß die Wertrationalität moralisch-praktischer Diskurse den Begriff der materiellen Rationalität des Rechts dadurch verwische, daß Habermas zwischen genetischem und funktionalem Recht unterscheide (vgl. dazu Habermas, 1981, 537 f). Nach Habermas basiert nur das genetische Recht auf evolutionären Lernprozessen.131 Derartige Lernprozesse aber – einschließlich ihrer institutionellen Dimension – möchte Eder insgesamt für die Entwicklung des Rechts zum prozeduralen Recht anbringen.

Gegen die Systemtheorien des Rechts führt Eder an, daß sich Recht nicht darin erschöpfe, Entscheidungsprogramm zu sein, sondern als prozedurales Recht gerade Entscheidungsprogramme regele. "Die Rechtssetzung und die Rechtsauslegung, die sich einerseits schon immer der Form der konditionalen Programmierung entzogen haben, lassen sich nicht mehr durch Zweckprogrammierung regeln." (Eder, 1986, 27) Sie seien ohnehin schon immer Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen um deren verfahrensmäßige Kontrolle gewesen. Diese Auseinandersetzungen würden zwar kommunikativ aber nicht im Diskurs ausgetragen. Recht und Demokratie würden sich erst in durch prozedurales Recht konstituierten Rechtsarenen reproduzieren.132

Eder will prozedurales Rechtssystem als institutionelles Lernen entwickeln. Alle Zwecksetzungen durch System- und Wertrationalität sind deshalb zu substituieren. "Prozedurales Recht ist also ein Recht, das nicht die Regulierung von Systemproblemen (Recht als Problemlösung), sondern die Herstellung einer symbolischen Ordnung, einer 'Verfassung' der Gesellschaft oder ihrer Teilbereiche ermöglicht (Recht als Konfliktlösung)." (Eder, 1990, 172) Das

131 Recht sei zwar genetisch gesehen die Verkörperung von moralisch zu begründenden Prinzipien, doch die An-wendung dieser Rechtsinstitutionen müsse sich auf systemisch geregelte Bereiche des sozialen Lebens beschränken (genetische vs. funktionale Rationalität je nachdem ob evolutionärer Lernprozeß oder Kommunikationsmedium).Die von Eder angesprochene Unterscheidung hat Habermas mit Faktizität und Geltung revidiert.

132 Eder sogar spricht davon, daß sich Recht generell nicht als ein konsistentes Regelwerk konstruieren lasse, welches entweder einer Subsumtionslogik folge oder durch Anwendungsdiskurse (Günther) oder Second-order-Rules (Hart) die Differenz zwischen Widerspruchsfreiheit und empirisch zwingenden Fehlern der Subsumtion zwar zu berücksichtigen versuche, aber die Basisannahme der Widerspruchsfreiheit aufrecht erhalte, Eder, 1990, 163 und Fn 39.

Recht werde zu einem Medium, welches konfligierende Akteure in eine kollektive Handlungsstruktur presse, die sie zum Lernen zwinge. Den Zwang zum Lernen übten dabei mögliche Nachteile und drohende Exklusion aus. Eder grenzt diese Prozeduralisierung des Rechts von einer involutiven und devolutiven Rechtsentwicklung ab. Bei ersterer, breche Prozeduralisierung unter der 'litigation explosion' zusammen und schaffe eine Form symbolischer Macht jenseits der politischen Legitimation. Im zweiten Fall, verwandele sich das Recht zu einer nur noch symbolisch produzierten und reproduzierten 'simulierten Welt' ohne sozialen Bezug (Eder, 1990, 171).

Tatsächlich haben prozedurale Rechtsformen insbesondere in die Umweltpolitik Eingang gefunden, welche sich Anfang der 90er Jahre als das innovativste Politikfeld darstellte (vgl. Fürst, 1990, 294 f). Im Umweltrecht werden Ordnungs- und Rahmenregelungen sowie Organisations- und Verfahrensregeln eingesetzt. Es existieren materielle Richtwertvorgaben bzw. Grenzwerte, operationalisierte Restriktionen (Schutzgebietsausweisungen) und planungstechnische Abwägungsregeln (UVP). Überdies wurde und wird das Mitwirken der Adressaten durch die Ausweitung der Partizipation über Beteiligungsrechte (Verbandsklage in manchen LNatG, Beteiligung von Verbänden, etc.) angestrebt.133 Ferner existieren innerbetriebliche Arrangements unter prozeduraler Regelung wie etwa der Betriebsbeauftragten für Umweltschutz (z.B. im BImSchG § 53, im WHG § 21a und im KrW-/AbfG §54) und Öko-Audit. Prozedurales Recht besitzt in derartigen Regelungen den Vorteil, weniger eingriffsintensiv als materielles Recht zu sein.

Der Rückgriff auf prozedurale Rechtsformen gerade in der Umweltpolitik resultiert dabei nicht zuletzt aus den Mängeln materieller Normen des Umweltrechts. Als immer wiederkehrendes Problem der Umweltpolitik erweist sich die ungenügende Konditionierbarkeit administrativer Entscheidungsprozesse durch materielle Selektionskriterien. Die Unbestimmt der Umweltgesetze im Regelungsgehalt erweist sich aber auch für das Rechtssystem als Ganzes als Herausforderung, denn es läßt zum einen das Subsumtionsmodell scheitern (vgl. Steinberg, 1998, 396 ff), zum anderen kollidiert die Unbestimmtheit im Umweltrecht mit der Wesentlichkeitstheorie des Rechts (vgl. Kloepfer, 1984, 685 ff, Lübbe-Wolff, 2000b). Die Rechtssicherheit prozeduraler Regelungen ist allgemein geringer als die materiellen Rechts. Andererseits ist faktisch festzustellen, daß auftretende Regelungslücken im Umweltrecht vermehrt durch unbestimmte Rechtsbegriffe geschlossen werden, wodurch die Rechtsanwendung an Bestimmtheit verliert. Dieses interne Problem des Rechtssystems drängen die politische Frage der Steuerung durch prozedurales Recht oftmals ganz in den Hintergrund (vgl. Hagenah, 1994).

Das Medium prozeduralen Rechts verweist auf das politische System von Staat und Adminis-tration und dessen Verhältnis zur Zivilgesellschaft. Ein Charakteristikum prozeduralen Rechts – im Vergleich zu materiellem und formalem Recht – ist, daß sich mit seinem Einsatz das Verhältnis von Staat zu Adressat/en wandelt: Der Staat verhält sich kooperativ zu den Adressaten in den entsprechenden Politikfeldern. Er kooperiert mit ihnen, wozu er mit den Adressaten seiner Politik

133 In der Bundesrepublik wurde diese Entwicklung durch die Beschleunigungsgesetzgebung wesentlich zurückgedreht.

stärker argumentativ und weniger direktiv kommuniziert.134 Beratung und soziale anstatt administrativer Kontrolle können dabei das Steuerungspotential des Staates erweitern, wenn eine politische Öffentlichkeit die Bedeutung der Kommunikation zwischen Staat und Adressaten reflektiert (Fürst, 1990, 297 f). Diese von Fürst als Metakommunikation bezeichnete öffentliche Reflexion über die Bedeutung der Kommunikation zwischen kooperierendem Staat und Adressaten sei nicht nur wichtig, um die Ziele des Senders gegenüber dem Adressaten zu vermitteln, sondern auch, um der Bevölkerung in der allgemeinen Öffentlichkeit Politik nahe zu bringen. Eine derartige Politikvermittlung wird aber auch mit symbolischen Elementen durchzogen sein, was die Gefahr der Entstehung symbolischen Umweltrechts (vgl. Kapitel 5.2.3) im Zuge einer devolutiven Entwicklung des Rechtssystems (Eder) beinhalten könnte.

Es ist in dieser Hinsicht problematisch, daß die Theorie des reflexiven Rechts dem politisch-rechtlichen Subsystem jede übergeordnete, oder auch nur koordinierende Rolle abspricht. Hier unterscheidet sich Ladeurs systemische Rechtstheorie einer ökologischen Wissensgesellschaft. In Ladeurs prozeduraler Theorie werden Administration und private Organisationen zu den Trägern des Staates, womit das politische System, aber auch das ökonomische, in den Mittelpunkt rücken.

Dem folgt prozedurales Recht und richtet sich an den Netzwerkstrukturen aus. Umweltpolitisches Handeln konzentriert sich auf diese Netzwerke und bleibt an prozedurales Recht rückgebunden.

Dies erscheint zunächst als dynamische, umweltpolitische Innovation, denn Netzwerke stellen sich für alle beteiligten Akteure als Form der Problemlösung dar. Unter dem Aspekt der Fähigkeit von Verhandlungssystemen zur kooperativen Problemlösung gruppieren sich Akteure um bestimmte Politikfelder wie etwa der Umweltpolitik. Während der Staat durch Netzwerke Zugang zu Informationen erhält und seine (umwelt)politische Akzeptanz erhöhen kann, nehmen private Akteure in der Absicht teil, den politischen Prozeß zu beeinflussen (Mayntz, 1993, 3). Generell werden nur über Verbände organisierte Interessen repräsentiert. Der Staat nimmt nur als gleichberechtigter Akteur am Verhandlungssystemen teil oder beschränkt sich sogar ganz auf die rechtliche Regelung. Unabhängig von staatlicher Beteiligung flankiert prozedurales Recht die sektorale umweltpolitische Selbstregulierung, die schließlich über 'konstitutionelle Verhandlungen' zu stabilen Netzwerke führen kann. Prozedurales Recht erscheint dann in Verhandlungssystemen als ein intermediäres Arrangement, während sie in der Umweltverträglichkeitsprüfung als ein staatliches und mit dem Umweltschutzbeauftragten als ein gesellschaftliches Arrangement auftritt (vgl. Hagenah, 1994). Eine Politik der Dematerialisierung muß ihr Augenmerk auf institutionelle Arrangements im intermediären Bereich zwischen Staat und Markt richten.135

134 Vgl. zur steuerungstheoretischen Diagnose eines kooperativen Staates Mayntz, Scharpf, 1995b; Kühn, 1997, 530 und zur daraus resultierenden administrativen Praxis Bohne, 1982, 1984.

135 Die Systemtheorie favorisiert dagegen gesellschaftliche Arrangements. W. Breuning und J. Nocke haben aber keinen Unterschied zwischen regulativem und reflexivem Recht bezüglich des Umweltbeauftragten ausmachen können (Breuning, Nocke, 1994, 286). In beiden Rechtstypen träten dem Unternehmen Umweltbeauftragte system-theoretisch beobachtet als 'externe Daten' entgegen, die keine eindeutige Unterscheidung zwischen ökologischer Umwelt und ökonomischem System gewährten. Diese Heteronomie der Ziele könne gar nicht in einer Person aufgefangen werden. Mehrere Ziele könnten sogar eine Organisation in manifeste Problem stürzen, wie die Systemtheorie gezeigt habe. Sie kritisieren, daß die Systemtheorie (des Rechts) die subsystemischen Beobachtungsstandpunkte in bezug auf die ökologische Krise zwar ständig wechsele, aber schließlich doch kein

Traditionell orientieren sich Verhandlungssysteme am Gegensatz von Kapital und Arbeit. Dies färbt auch noch auf die Zusammensetzung umweltpolitisch relevanter Verhandlungssysteme ab.136 Zudem macht sich eine nur sehr geringe Konfliktfähigkeit von Umweltschutzinteressen bemerkbar:

Selbst bei idealer Institutionalisierung eines Konfliktes durch die vollständige Repräsentation konfligierender Interessen resultiert daraus kein Lösungsautomatismus, da Verhandlungssysteme überwiegend nach dem Konsensprinzip arbeiten. Je vollständiger dabei die Informationen sind und je mehr sie berücksichtigt werden, desto komplexer und konflikthafter wird der Entscheidungsprozeß. Überdies sind Verhandlungssysteme wenig lernfähig; und korrigieren nur selten Entscheidungen. Hagenah konstatiert ein Dilemma zwischen notwendiger kognitiver Rationalität von Entscheidungen und der Lernfähigkeit von Verhandlungssystemen (1994, 513).

Trotzdem ist anzunehmen, daß sich durch die partizipatorische Einbindung Betroffener über prozedurales Recht die Legitimität des Staates erhöhen läßt. Prozedurales Recht würde demnach die Repräsentation der Mitglieder der Gesellschaft an den sie betreffenden Entscheidungen regeln,

"indem es den Präferenzen des 'politischen Volkes' eine institutionelle Ausdrucksmöglichkeit gibt."

(Eder, 1990, 162) Derartige Möglichkeiten prozeduralen Rechts können durchaus gegeben sein, ob dies jedoch die Steuerungsfähigkeit des politisch-administrativen Systems erhöhen, erscheint fraglich. Die bisher vorliegenden, rudimentären empirischen Bestandsaufnahmen sind wenig ermutigend (vgl. Böhm, 1997, Hagenah, 1994). Böhm (1997) kritisiert die stark prozeduralisierten Verfahren der amerikanischen Grenzwertfestlegung, deren Offenheit immer wieder zur Anfechtung der Ergebnisse führe und die Anpassung der Grenzwerte behindere.

Auch normative Gründe sprechen gegen eine generelle Ausbreitung von Verhandlungssysteme im Medium prozeduralen Rechts. Denn diese sind durch das faktische Fehlen noch nicht existierender, zukünftiger Betroffener eingeschränkt. Eder hat die normative Problematik zutreffend folgendermaßen zugespitzt:

Die Idee einer Kollektivgütergemeinschaft wie die Idee einer Sicherung der Lebensbedingungen zukünftiger Generationen, über deren Präferenzen nichts bekannt ist, überschreiten den Hori-zont individueller Interessenverfolgung und individueller moralischer Bewertung. [...] Prozedu-ralisierung heißt dann Vergesellschaftung von Unsicherheit, eine rechtlich auf Dauer gestellte Verteilung möglicher Kosten von Vergesellschaftung auf möglichst viele. (Eder, 1990, 159)

Prozedurales Recht kann nicht als Rechtsform intergenerationeller Gerechtigkeit interpretiert werden. Im intertemporalen Kontext existieren keine reziproken Interessen mehr. Die fehlende Reziprozität läßt sich auch nicht als fehlendes Wissen simulieren (so Ladeur, 1986, 273), da Kognition moralische Urteilsbildung im Diskurs nicht zu ersetzen vermag. Prozedurales Recht läßt sich nicht rechtssoziologisch als ein Evolutionsstadium des Rechtssystems deuten. Es muß vielmehr einen Bezug zur moralischen Dimension praktischer Vernunft aufrechterhalten. Praktische Vernunft

gesellschaftliches Subsystem ausmache, über welches die Bewältigung der ökologischen Krise gelingen könnte.

Grund dafür ist wiederum, daß die nicht-menschliche Umwelt externe Umwelt aller Subsysteme ist; ebenso wie diese zueinander nur Umwelten sind.

136 So arbeiteten nach Hagenah (1994) in der Konzertierten Aktion Sonderabfallentsorgung 1 Umweltschützer, 6 Gewerkschafter, 8 Arbeitgebern und die Vertreter von Bund und Länder.

enthält advokatorische Elemente. Durch diese Einschränkung kommt Eders lerntheoretisches Konzept prozeduralen Rechts allenfalls eingeschränkt als 'der Versuch der Korrektur eines abstrakten Gerechtigkeitsbegriffs' in Betracht (vgl. Eder, 1990, 164 ff); – dies gilt auch hinsichtlich der symbolischen Dimension des Rechts. Eine moralanaloge Entwicklungslogik des Rechts auf prozedurales Recht hin läßt sich nicht in dieser Form verteidigen. Recht kann, da es nur als funktionale Ergänzung kommunikativ handelnder Gesellschaft anzusehen ist, nicht unmittelbar analog dem moraltheoretischen Entwicklungsmodell gedacht werden. Es fließen nämlich neben moralischen immer auch ethische und pragmatische Gründe und Bedürfnisinterpretationen in das Handlungssystem der Gesetzgebung ein. Letztlich wird das Intertemporalitätsproblem auch empirisch bestätigt, indem etwa Stoff- und Energieströme weiter anschwellen, das Artensterben noch immer zunimmt etc. Es käme demgegenüber darauf an, über prozedurales Recht institutionelle Arrangements der Nachhaltigkeit zu etablieren. Dies erinnert an Dryzeks 'discoursive design' (Dryzek, 1990, 43 ff).

Die Erwartungen an prozedurale Arrangements waren z.T. so groß, daß die Neutralisierung moralischer Forderungen durch rechtliche Verfahren und ihre Substituierung durch Kollektivgüter für möglich erachtet wurde (Eder, 1990, 160). So sind Verfahren nicht nur im Gefolge von Luhmanns Legitimation durch Verfahren (vgl. dazu Machura, 1993), sondern auch unter Berufung auf die Diskurstheorie als Möglichkeit der gesellschaftlichen Integration gesehen worden und in der Technikfolgenabschätzung angewandt worden (vgl. Bora, 1993). Dies verkennt jedoch den Unterschied zwischen Prozeduren als regulativer Idee und tatsächlichem Verfahren der Gesellschaft. Diskurstheoretisch sind in sozialen Verfahren erzielte Ergebnisse nur dann gültig, wenn sie moralisch gerechtfertigt und kognitiv begründet werden können, also wahr sind. Genau dieser Wahrheitsanspruch aber wird im Risikodiskurs suspendiert.137 Andererseits legt die

137 Die umweltpolitische und -soziologische Forschung hat sich im letzten Jahrzehnt stark auf Verfahren in umwelt-politischen Konflikten fokussiert (vgl. anstatt vieler Renn, 1996, 1999). Diese umweltpolitische Forschung weist insofern einen großen Praxisbezug auf, als daß die rechtlichen Zulassungsverfahren oft Gegenstand heftiger sozialer Konflikte sind. Die Diskurstheorie ist dabei als Möglichkeit gesehen worden, konfliktträchtige Verfahren zu öffnen, d.h. der Beteiligung zugänglich zu machen, um materiell gerechte Ergebnisse zu erzielen. Sofern hierbei nachgelagerte Konflikte (um Müllverbrennungsanlagen, Deponien, Infrastrukturprojekte etc.) im Vordergrund stehen, haben derartige Verfahren End-of-the-pipe-Charakter und sind kritikanfällig (Keller, Poferl, 1994).

Bezüglich der öffentlichen Planung von Politik und der Zulassung von Technologien nehmen Verfahren Ex-ante-Charakter an. Es läßt sich nur von Ex-ante-Ex-ante-Charakter sprechen, da derartigen Verfahren immer vorgängig im Rechtssystem institutionalisiert sind und damit Machtverhältnisse (finanzielle, kognitive etc.) widerspiegeln. Sie verletzen Regeln des Diskurses, obgleich sie legal sind und strahlen mit dieser Regelverletzung in die Zukunft hinein. G. Bechmann hat unter der Prämisse, daß angesichts einer fehlenden gesellschaftlichen Instanzen, "der man die zukünftigen Schäden zurechnen kann, [...] nur noch die Entscheidung unter Unsicherheitsbedingungen [bleibt]"

(1996, 50), eine Prozeduralisierung vorgeschlagen, unter der er die Rationalität von Verfahren versteht, "in dem Sinne, daß die gewählten Verfahren und Prozeduren als Garanten für die Rationalität ihrer Ergebnisse stehen" (ebd., 54) Als Verfahren kollektiver Entscheidung unter Unsicherheit nennt er Mediationsverfahren, Diskursverfahren und Partizipationsverfahren. Diesen Verfahren sei zwar die Fähigkeit zur Selbsttransformation und zum Lernen zu bescheinigen, es bestehe jedoch beim Mediationsverfahren die Gefahr, daß im Konflikt der Interessen das Gemeinwohl verloren geht, daß der Diskurs keinen Abschluß finde und daß der legitime Wertepluralismus in Partizipationsverfahren einen auch nur vorrübergehenden Wertekonsens verhindere.

In einem späteren Aufsatz hat Bechmann bezüglich der hier vertretenen argumentationstheoretischen Differen-zierung Schombergs seinen Einwand gegen Diskurse zugespitzt: "Aus der Sicht epistemischer Diskurse, die mit Unsicherheitsbedingungen zu kämpfen haben, und dies sind genau Risikodiskurse, zeigt sich, daß der dort ein-tretende Dissens nicht ausschließlich als Verletzung von Regeln des Argumentierens erklärt werden kann, sondern daß hier inkommensurable Orientierungssysteme aufeinandertreffen, deren Divergenz auf die logisch und korrekte

empirische mikrosoziologische und sozialpsychologische Procedural-Justice-Forschung durchaus nahe, daß Verfahren und Fairneß sich entsprechen können. Dieser Zusammenhang ist hinsichtlich von sozialen Verfahren und politischen Institutionen generalisiert worden. Röhl (1993) spricht hierbei vom Procedural-Justice-Effekt; doch er hält die Lücke zwischen empirischer mikrosoziologischer Forschung (vgl. Epp, 1998; Kals et al., 2001) und normativer (makrosoziologischer) Rechtstheorie nicht für geschlossen. Ansätze, die Gerechtigkeit allein über faire Prozeduren sichern wollten, seien konstruktivistisch und bisher der empirischen Hypothesenbildung unzugänglich. Röhl zählt dazu auch die Diskurstheorie.

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 168-174)