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Das Konzept reflexiven Rechts

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 165-168)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

4.3 Recht als Steuerungsmedium

4.3.2 Das Konzept reflexiven Rechts

Die Konzeption des reflexiven Rechts geht auf Teubner (1980) und Teubner/Willke (1984) zurück. Es soll sich dezidiert vom regulatorischen Recht unterscheiden, indem das Rechtssystem auf seine Steuerungsmöglichkeit reflektiert. Dabei taucht wieder die subjekttheoretische Erbmasse der Systemtheorie (Habermas) auf, die nicht erklären kann, wie Systeme reflektieren. Teubner und Willke begründen ihre Rechtstheorie mit einer Eigenkomplexität der Teilsysteme, welche die Weltkomplexität einer ausdifferenzierten modernen Gesellschaften derart steigert, daß das Recht nur noch die Kontextbedingungen der jeweiligen Subsysteme steuern könne. Interventionen in die Subsysteme müßten dagegen fehlschlagen. In dem Widerstreit zwischen zentraler Kontextsteuerung und dezentraler Teilbereichsautonomie erweise sich Reflexion als adäquates Steuerungsprinzip, dem die Rechtsform reflexiven Rechts entspreche. Die Kontextregelung erscheine nicht mehr als politische Kontrolle zugelassener Selbststeuerung, sondern die Interaktionsbeziehungen zwischen politischer Steuerung und selbststeuernden Subsystemen selbst sollten die Kontrolle der Kontrolle ausüben. Dies geschehe in Verhandlungssystemen oder neokorporatistischen Strukturen (ebd., 6).

Die Kompetenz-Kompetenz über diese postmoderne politische Steuerung liege nicht mehr beim demokratisch legitimierten Staat, sondern wird von Teubner und Willke den funktional strukturierten Verhandlungssystemen selbst zugesprochen.

Gegenüber den libertären Versionen von Selbststeuerung machen Teubner und Willke geltend, daß die teilsystemische Ausdifferenzierung der Gesellschaft über eine ökonomisch-formalrechtliche 'Rationalisierung' im Sinne Webers hinausgehe. Es sei eine Emergenz lateraler Weltsysteme zu verzeichnen, was aufgrund der herkömmlichen, positivistischen Struktur des Rechtssystems dazu

führe, daß Probleme der Gegenwart in die Zukunft verschoben würden (ähnlich auch Ladeur, 1990).

Als Beispiel führen Teubner und Willke den demokratischen Wohlfahrtsstaat an, der politisches und ökonomisches Subsystem zueinander in Beziehung setze, ohne doch die jeweilige Komplexität des jeweils anderen Subsystems reduzieren zu können. Da weder Hierarchie noch Markt im Wohlfahrtsstaat die Prärogative ergreifen könnten, biete es sich an, den Wohlfahrtsstaat als Beziehung zwischen Kontext und Autonomie zu verstehen. Die Funktion gesellschaftlicher Steuerung durch Recht ließe sich dann folgendermaßen näher bestimmen: Eine durchgängige Verrechtlichung gesellschaftlicher Bereiche sei abzulehnen, da diese die Identität und Eigendynamik gesellschaftlicher Teilbereiche bedrohen könnte. Eine Entrechtlichung sei aber ebenso problematisch, da diese sich von den Funktionsbedingungen des Gesellschaftsganzen abkoppeln würde.128

Unumgänglich ist für Teubner's und Willke's Konzept reflexiven Rechts eine reflexive Orientierung der Teilsysteme, also "eine gesteigerte Form der Selbstreferenz, in welcher der Rückbezug eines Teiles sich nicht einfach auf sich selbst, sondern intentional auf seine Identität richtet." (Teubner, Willke, 1984, 14) Diese zweifache Form der Selbstreferenz soll eine Reduktion der Optionen des (Teil-)Systems unter dem Aspekt einiger zentraler Funktionsprobleme des Gesamtsystems ermöglichen. Es geht hierbei nicht um ein politisches 'Gemeinwohl', sondern um die funktionale Re-Integration von Gesellschaft. Im Falle des Rechtssystems findet sich Reflexion in drei Formen: 1. als interne Rationalität des Rechtssystems, welche die selbstreferentiellen Strukturen des Rechts erfaßt, 2. als Normrationalität, die nicht nur nach gerechtfertigten Prinzipien der Verhaltensregulierung fragt, sondern auch nach den inneren Modellen des Rechts von seiner Umwelt (mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen) und 3. als Systemrationalität, welche die Interaktion des Rechtssystems mit den anderen Teilsystemen systemtheoretisch beobachtet.

Reflexives Recht läßt sich gegenüber dem formalen und materialen Recht in allen drei Rationalitätsdimensionen abgrenzen: Die interne Rationalität reflexiven Rechts basiert nicht auf der Alternative von Konditional- versus Zweckprogramm, sondern auf "prozeduralen Programmen, die sich auf die Meta-Ebene der Regulierung von Prozessen, von Organisationsstrukturen, auf die Verteilung und Neudefinition von Steuerungsrechten und von Entscheidungskompetenzen konzentrieren." (Teubner, Willke, 1984, 23) Die Normrationalität weist Parallelen zu neoliberalen Rechtskonzepten auf, indem es Invisible-hand-Machanismen fördern soll, die Teubner und Willke für lernfähig halten. Systemrationalität zielt auf die rechtliche Integration der Gesellschaft, – im Unterschied zur normativ-nachhaltigen funktionalen Integration durch Recht, welche sich vom politisch-rechtlichen Subsystem aus auf alle Teilsysteme erstreckt.

Die Reflexivität der gesellschaftlichen Teilsysteme sehen Teubner/Willke als Bedingung und Voraussetzung der Integration moderner, ausdifferenzierter Gesellschaften. Dazu müßten innerhalb der Teilsysteme diskursive Strukturen erzeugt werden, gegebenenfalls auch durch Demokratisierungsprozesse. Doch gesamtgesellschaftlich beobachtet erfolge Demokratisierung

128 Im Kontext des Wohlfahrtsstaates sei beispielsweise die Identität der Familie als gesellschaftlicher Teilbereich zu verstehen, der nur kontextual wohlfahrtsstaatlich gesteuert werden kann.

weniger aus Partizipationssteigerung oder Machtneutralisierung, als aus Reflexion auf gesellschaftliche Identität. Im Falle des Rechtssystems als Reflexion darauf, "das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsfunktion und Rechtsleistung zu entschärfen, indem sie den inneren Kapazitäten des Rechtssystems Beschränkungen auferlegt." (Teubner, Willke, 1984, 28) Bevor eine Verrechtlichung anderer Subsysteme eingeleitet werde, sei also erst auf die Regulierungsfähigkeit des Rechts in diesem Teilbereich zu reflektieren. Das hinter dem Konzept reflexiven Rechts liegende Staatsverständnis weist fort von Hierarchie auf Heterarchie. Das politische Subsystem ist nur noch gleichgestelltes Subsystem unter anderen, primus inter pares, ein dezentrales Netzwerk von öffentlichen und privaten Kollektivakteuren, in welchem private Akteure zu Teilen des Staates werden (vgl. Teubner, 1999). Im umweltrechtlichen Kontext werden gemeinhin die gesetzlichen Pflichten zur Bereitstellung von Umweltbeauftragten, Pflichten zur Erstellung von Sicherheitsanalysen oder zur Erstellung von Abfallwirtschaftskonzeptionen, Betriebsorganisationspflichten und das Öko-Audit als reflexive Kontextsteuerung angesehen. Doch diese Ergebnisse der theoretischen Reflexion sind selbst für eine rein ordnungspolitisch ansetzende Umweltpolitik sehr wenig. Sie können nicht darlegen, wie sie den ökologischen Problemen angemessener entgegen treten könnten, als intervenierendes regulatives Recht.

Reflexives Recht problematisiert gegenüber regulatorischem Recht rationalitätstheoretisch, was bisher nur Mittel zum Zweck war, nämlich die interne Struktur des Rechtssystems als Form sozialer Organisation (Eder, 1987, 198). Derart konstruiertes reflexives Rechts weist aber im theoretischen Kontext das grunsätzliche Problem von Asymmetrie auf. Während alle Subsysteme der Gesellschaft reflexive Selbstbeschränkung aufweisen müssen, kann dies für das politische System nicht gelten, denn es ist zwar Umwelt aller anderen Subsysteme, es kann aber nicht Umwelt seiner selbst sein (Cohen, Arato, 1992, 484 f ). Dieses Problem wird zwar auch von Teubner und Willke erkannt (1984, 17 f), es bleibt aber mit dem Verweis auf die systemtheoretisch begründete Notwendigkeit zur Erhaltung der autonomen Subsysteme ungelöst. In gewisser Weise übernimmt die subsystemische Selbstbeschränkung die Rolle einer dezentralisierten Moral – oder eher: Sittlichkeit der Systemtheorie –, doch wie sollen die sich herausbildenden diskursiven Strukturen zwischen den Subsystemen129 ihre organisatorischen Strukturen transzendieren können, in denen sie sich als nichthierarchische Verhandlungssysteme oder (poly)korporatistische Arrangements manifestieren?

Der systemtheoretische Ansatz reflexiven Rechts läuft scheinbar unweigerlich auf einen reformulierten Korporatismus hinaus.130

129 Was 'eine pareto-optimale Minimierung' der Beschränkungen subsystemischer Potentialität sein soll, bleibt angesichts diskursiver Strukturen unverständlich, suggeriert es doch einen einzigen, nämlich zweckrationalen, subsystemischen Bewertungsmaßstab für alle Subsysteme; vgl. Teubner, Willke, 1984, 18.

130 Cohen und Arato (1992, 485 f) haben zu dem rechts- und steuerungstheoretischen Ansatz reflexiven Rechts bemerkt, daß die Lebenswelt aufgrund ihrer geringeren Komplexität gegenüber den Subsystemen diese nur indirekt und weich steuern könne. Im Gegensatz zu Willke (1987a) skizzieren sie eine 'influence theory', welche über Normen und Intentionen anstatt über subsystemischen Medien Einfluß auf Subsystem nimmt. Diskurse können Subsysteme beeinflussen, ohne deren Selbstregulierung zu zerstören, doch entspringen sie keiner zentralen, die Subsysteme regulierenden Öffentlichkeit, sondern Teilöffentlichkeiten, an denen sich die Knappheit von Zeit und Information widerspiegelt (Cohen, Arato, 1992, 486 f). Diese Teilöffentlichkeiten entstehen als Teil des sozialen Selbstregulierungsprozesses. Ohne sie sei (politische) Steuerung schlechterdings undenkbar.

Diesen hatTeubner später (1999) als 'polykorporatistisches Modell' entworfen und in die zivil-gesellschaftliche Tradition einzuordnen versucht. Organisationen fungieren darin als Vermittler zwischen verschiedenen Gesellschaftsdiskursen. Ihr politischer Gehalt wird davon bestimmt, inwieweit sie die Fähigkeit des politischen Subsystems stärken können, die vielen gesellschaft-lichen Diskurse hinreichend wahrzunehmen. Verbände haben dabei jedoch nur eine relative Autonomie, denn Rechtspolitik weist ihnen ihre politische Funktion zu. Gegenstand der Rechtspolitik soll – sowohl in externer als auch in interner Hinsicht – der rechtliche Status der intermediären Organisationen sein. Gegenüber der politischen Theorie des Pluralismus beansprucht Teubner für sein Modell nicht eine einfache, sondern eine zweifache rechtliche Orientierung von Verbänden und Interessengruppen, nämlich auf Politik und auch auf Zivilgesellschaft, obwohl die Autonomie von Verbänden durch die Rechtspolitik relativiert wird. Netzwerke des Polykorporatismus hält Teubner u.a. für die Politikfelder Umweltpolitik und technische Standardisierung für erreicht. Teubner schlägt vor, den Staat insgesamt mit den nichthierarchischen Netzwerken öffentlicher und privater Kollektivakteure innerhalb des politischen Systems zu identifizieren (Teubner, 1999, 363). Sein ordnungstheoretischer Ansatz will somit insgesamt einen Beitrag zum konstitutionellen Design moderner Politik erbringen. Das sich jedoch Reflexivität vom Rechtssystem polykorporatistisch auf die Zivilgesellschaft übertragen kann, läßt sich bezweifeln.

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 165-168)