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Theoretische Steuerungsgrenzen des Rechts ?

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 159-162)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

4.2 Die Entwicklung des Umweltrechts aus der Gefahrenabwehr

4.2.3 Theoretische Steuerungsgrenzen des Rechts ?

126 Ladeur (vgl. 1994, 312) hält dies in der Tat für ein Argument gegen Kernenergie jedoch nicht gegen Gentech-nologie.

Ulrich K. Preuß (1989a) hat in der epistemologischen Schwäche des Rechts eine theoretische Grenze für das Gefahrenabwehrmodell gesehen, die sogar den originär umweltrechtlichen Begriff der Vorsorge unterminiere. Preuß schließt daraus, daß eine Epistemologie von Nöten sei, "die das linear-kausale Erkenntnismodell ergänzt und uns auf die Einmaligkeit der eigenen Überraschung vorbereitet." (ebd., 534) Dagegen beziehe sich der Gefahrenbegriff auf die Wiederherstellung einer gegebenen Ordnung, d.h. er beruhe auf der Annahme der Reversibilität der Zeit. Das klassische Polizeirecht sei weder von seiner normativen (Gefahr, Risikoverdacht) noch seiner kognitiven (praktische Erfahrung, Stand der Wissenschaft/ Technik) Struktur her in der Lage, die ökologische Krise zu bewältigen. Die staatliche Herrschaft kraft Wissen, die sich in der Anwendung und Ausführung generellen Rechts manifestiert, wird der ökologischen Krise nicht gerecht, obwohl Legislative, Exekutive und Judikative das generelle Recht durchaus an ökologische Sachverhalte anzupassen versucht haben (vgl. Wolf, 1988). Diese umweltrechtliche Diagnose hat R. Wolf auf die These zugespitzt, "daß die Entwicklung der Moderne das historisch produktive, weil verdichtete Spannungsverhältnis von Recht und Gerechtigkeit in ein Verhältnis zunehmender Distanz verwandelt hat, aus dem ein rechtspolitisches Projekt zu 'Modernisierung der Moderne' zwar Anstöße, aber keine instrumentellen Direktiven mehr gewinnen kann." (Wolf, 1991b, 352) Die sozialen Quellen von Gerechtigkeitsvorstellungen konnten zwar nicht rechtstheoretisch dauerhaft domestiziert werden, sie ließen sich aber reflexiv wenden, was in der Selbstreflexivität des modernen Rechtssystems manifest geworden sei. Diese Entwicklung zur Reflexivität des Rechts sei ebenfalls hinsichtlich des Umweltrechts anzustreben: Trotz anhaltender Verrechtlichungstendenzen sei das Umweltrecht gegenwärtig aber noch weit davon entfernt, so etwas wie 'ökologische Gerechtigkeit' widerzuspiegeln.

Das Rechtssystem im Ganzen beruht auf verfassungsrechtlich verankerten Rechtsgrundsätzen, die zugleich auch Prinzipien einer postkonventionellen, universalistischen Moral sind. Das moderne, positive Recht mit seinen vernunftrechtlichen Grundlagen übernimmt keinen materiellen Gehalt einer inhaltlichen definierten Moral, sondern gibt nur Regeln dafür an, in welchen Verfahren und Prozeduren sich vernünftige Selbstbestimmung realisieren soll. Es kann somit nicht das Rechtssystem selbst sein, das die Kriterien für riskante gesellschaftliche Entscheidungen vorgibt.

Als Problem erscheint T. Blanke, daß "[d]ie Dynamisierung der kognitiven Programmstruktur des Rechts [...] in zunehmendem Maße in Kollision mit seiner normativen, erwartungsstabilisierenden Funktion [gerät]. Der Wandel der Konditionalprogramme läßt sich nicht beliebig beschleunigen, ohne daß das Recht seine Orientierungsfunktion einbüßt und die Adressaten den Glauben daran, daß, 'was Recht ist auch Recht bleiben muß', verlieren." (Blanke, 1989, 201; vgl. Günther, 1988, 323 f) Gerade das Umweltrecht ist angesichts der Dynamik der sozio-ökologischen Entwicklung mit diesem Problem konfrontiert. Es zeigt sich daneben ein gravierendes Vollzugsdefizit von Umweltrecht, daß auf eine systemische, ökologische Irrationalität des Rechts hinweisen könnte.

Die von Wolf angesprochene Reflexivität des sozialstaatlichen Rechtssystems hat B. Peters unter dem generellen Aspekten einer Veränderung der horizontalen Rechtsstruktur nach moralischen Gesichtspunkten skizziert, was er an Redistribution, Effizienz, kollektiven Gütern und

Sozialisation/soziale Integration festmacht. Mit dem Vordringen redistributiver Sozialpolitik wurden moralische Gesichtspunkte in das liberale Rechtsmodell hinein getragen (Peters, 1991, 76), die jedoch die motivationale Basis sozialer Solidarität und wirtschaftlicher Aktivität nicht zerstören durften. Deshalb wanderten noch weitere Ziele in das Rechtssystem ein, wie etwa Stabilität und Wachstum der Wirtschaft. Diese Ziele wiesen nicht mehr nur eine moralische Komponente auf, sondern ein Klugheitsprinzip einerseits und nichtmoralische kollektive Ziele andererseits. Peters erläutert dies am Effizienzprinzip, das "in gewisser Hinsicht gleichbedeutend mit 'Ökonomie' als Handlungsprädikat" und "Klugheitsprinzip par excellence" sei (ebd., 78). Trotz des Problems, eine kollektive Präferenzbasis zu bestimmen (Problem des interpersonalen Nutzenvergleichs und der Aggregation), fungiere ein ökonomisch-rationales Effizienzprinzip als Klugheitskriterium, da moralische Normen wie Gerechtigkeit oder Gleichheit gegenüber diesem Kriterium indifferent blieben, es aber immer noch ein Gebot der Klugheit sei, individuell eine präferenzmaximierende Version des Effizienzprinzips zu wählen. Wenn man mit Peters zwischen moralischen Normen/Prinzipien und Werten unterscheidet, können plurale Werte als Handlungsalternativen verstanden werden, die auch in einer deontologischen Moralkonzeption erlaubten, von Handlungszielen zu sprechen. Diese müßten freilich spezifiziert werden. Innerhalb des politisch-administrativen Systems würde die politisch Operationalisierung in die Kategorie kollektiver Güter fallen (ebd., 81 ff), wobei nach Peters moralische Standards in den Begriff einflössen. Mit Rawls (1971, 282 f) lehnt Peters eine Einstimmigkeitsregel für kollektive Güter ab und verweist statt dessen auf die demokratische Mehrheitsregel. Kollektive Güter setzen, wie Normen, "keine Übereinstimmung von Wertmaßstäben voraus – sondern nur eine Koinzidenz von Zielen auf einer konkreteren Ebene oder die Akzeptanz von Tauschprozessen." (Peters, 1991, 87) Auf Basis dieser rechtssoziologischen Definition kollektiver Güter eröffnen die von Peters aufgezeigten Rationalitätsdimensionen Zugang zur Reflexivität des Rechtssystems.

Peters zeigt im folgenden, daß die Diskurstheorie des Rechts gegenüber anderen Rechtstheorien in der Lage ist, diese Rationalitätsgesichtspunkte zu berücksichtigen, dies sowohl bezüglich der internen, als auch der externen Evaluation bzw. Kritik des Rechtssystems. Er interpretiert Verfahren zugleich als normative Schemata und reale sozialer Prozesse, wobei Diskursivität nicht ausreiche, um die Legitimität von Verfahren zu begründen. Die Gültigkeit von Ergebnissen werde nicht durch ideale, diskursive Verfahrensbedingungen sichergestellt (ebd., 246 ff). Damit ist aber noch nichts über das Verhältnis zwischen der rechtlichen Geltung prozeduraler Verfahren und ihrer materiellen Richtigkeit gesagt. Dieses bleibt auch bei Peters unklar: Zwar ist Verfahrensrationalität ein zentrales Element der Vernünftigkeit des Rechts, aber sie ist nur eine notwendige – keine hinreichende – Bedingung für rational begründete Entscheidungen (ebd., 309 ff). Die von Peters aufgefächerten Rationalitätsdimensionen des Rechts deuten nur in Ansätzen auf eine Reflexivität des Rechtssystems hin, so ev. hinsichtlich der sozialen Reproduktionsbedingungen des Rechtssystems. Wenngleich damit auch nicht der Vernunftanspruch der Moderne bekräftigt wird,127

127 Auch Peters kann den Wandel zwischen Beobachter- und Teilnehmerperspektive metatheoretisch nicht auflösen .

so eröffnet Peters' Ansatz doch zumindest Zugang zur internen und externen Kritik des Rechtssystems.

Wie das Wirtschaftssystem muß das Rechtssystem mit der regulativen Idee von Nachhaltigkeit objektive Unsicherheit bewältigen. Da ökologische Rechtstheorien die ex-post auftretenden Umweltschäden (Unsicherheit) und den damit einher gehenden Legitimationsverlust allenfalls bedingt im Regelungsgehalt von Umweltgesetzen antizipieren können, scheint zwangsläufig die Reflexivität des modernen Rechtssystems zum Ausgangspunkt der Ökologisierung werden zu müssen. Die Ökologisierung des Rechtssystems wurde nicht nur von Ladeur (1995), sondern auch von verschiedenen anderen Rechtstheorien entworfen (vgl. Kloepfer, 1989; Wolf, 1996; Steinberg, 1998), die sich darauf konzentrierten,

• die demokratischen Prozeduren durch neue Instrumente zu ergänzen (Plebiszite, Ausweitung von Beteiligungsansprüchen, Mitbestimmungsrecht, Ökobeauftragte, Vetopositionen etc.),

• neue Grundrechte und Rechtspositionen für Tiere und Pflanzen zu begründen und sie der Treuhandschaft von Umweltschutzverbänden zuzuweisen,

• ökologische Staatsziele zu bestimmen und

• Umweltrecht zu rationalisieren.

Mit einer epistemologisch begründeten Abkehr vom Gefahrenmodell hin zu einem objektive Unsicherheit inkorporierenden Modell ist noch kein negatives Urteil über das Recht als um-weltpolitisches Steuerungsmedium gesprochen. Gegen die pessimistische These einer Überforderung des Rechtssystems weist etwa G. Lübbe-Wolff darauf hingewiesen, daß bereits eine systematische, an materiellen Zielen orientierte Rechtsvereinfachung – wie etwa die Kodifikation des Umweltrechts dies angestrebt – die ökologische Effektivität des Rechtssystems verbessern kann (vgl. Lübbe-Wolff, 1998a). Selbiges gilt auch für die Modernisierung des umweltbezogenen Ordnungsrechts (vgl. Lübbe-Wolff, 1996). "Die Schwäche des Rechtsstaats dokumentiert sich zuvörderst als Schwäche des Gesetzes; ist aber keine Schwäche des Rechtssystems insgesamt."

(Ritter, 1990, 79) Das bestehende Rationalitätspotential des Rechtssystems scheint hinsichtlich seines Einsatzes als Steuermedium zur Bewältigung der ökologischen Krise noch nicht ausgeschöpft. Doch diese These muß sich erst noch empirisch bewahrheiten. Prüfen wir im folgenden also zumindest ihre Ausgangslage.

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