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Rationalität angesichts von Irreversibilität und emergenter Unsicherheit

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 109-112)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

3.4 Die Emergenz des ökonomischen Stoffstroms

3.4.1 Rationalität angesichts von Irreversibilität und emergenter Unsicherheit

Solange die ökonomische Theorie Natur als reines Cake-eating-Problem modellieren und von weitgehend sicheren Kontexten ausgehen kann, erscheint die Unterstellung instrumenteller Rationalität in der Ökonomie plausibel. Erst über Externalitäten finden Unsicherheit und Risiko als strategische Entscheidungssituation intentionalen Handelns Berücksichtigung in der Ökonomik.

"Here the emphasis is placed on finding the best outcomes through constrained optimization. In this framework, individual or collective rationality is identified with constrained maximization of an objective function. As an extension to situations of risk and of uncertainty, the same choice paradigm may be elaborated in terms of constrained maximization of expected values of outcomes based on application of probability theory." (Faucheux et al., 1997, 55) Gemäß der Entscheidungstheorie benötigen Risikoentscheidungen Informationen über die Eintrittswahrscheinlichkeit von verschiedenen Zuständen und den jeweils dazugehörigen Erwartungswerten. Risiko benötigt ex-ante Wissen über Handlungsfolgen, die nicht generalisiertes Wissen, sondern statistische Daten voraussetzen, die ihrerseits nur ex-post generiert worden sein können. Dazu muß ein stationärer, stochastischer Prozeß vorliegen, der diese Daten zu generieren erlaubt. Im Fall von Unsicherheit fehlen dagegen diese Informationen über Eintrittswahr-scheinlichkeit und Erwartungswert ganz oder teilweise.81 Es gibt eine Reihe verschiedener, formaler Regeln, unter Risiko und Unsicherheit zu entscheiden (vgl. dazu Wätzold, 1998, 75 ff). Die

80 Daneben ließen sich weitere Funktionen der Natur anführen, wie die Leistungen für Produktion und Konsum ohne Abbau, die Selbstorganisationsfähigkeit von Ökosystemen der Natur, komplexe Strukturen auszubilden etc. Dabei wird deutlich, daß Funktionen der Natur vielfältig und epistemisch unsicher sind, was nicht nur die Mo-netarisierbarkeit der natürlichen Umwelt unmöglich macht, sondern Unsicherheit für jede ökonomische Theorie der Nachhaltigkeit zentral werden läßt.

81 Die normative Baynes'sche Entscheidungstheorie hält eine solche Differenzierung für überflüssig, da Unsicherheit immer durch subjektive Folgenabschätzung geprägt sei, so daß Risiko entweder eine überflüssige Kategorie sei oder zu Unsicherheit reduziert werden könne. Gemäß dieser Position führte eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen von Unsicherheit nur Wahrscheinlichkeiten höherer Ordnung ein, die sich zu Wahrscheinlichkeiten 1.

Ordnung zusammenfassen ließen, und brächte ein Problem unendlichen Regresses mit sich; vgl. Vercelli, 1995.

anspruchsvollen Voraussetzungen von umweltpolitischen Risikoentscheidungen sind in offenen Systemen nur seltenst erfüllt. Es wäre dann von Unsicherheit auszugehen, doch greift die Umweltökonomik hier regelmäßig auf die Bayes'sche Theorie zurück und nimmt subjektive Abschätzungen vor. Damit verwandelt sie einen offenen in einen geschlossenen Ereignisraum, und trifft zugleich normative Aussagen, die von Komplexität und Irreversibilität absehen.82 Die Bayes'sche Entscheidungstheorie vertritt im Grunde ein Laplace'sches Weltbild. Dies verbaut ihr u.a. die Möglichkeit des Lernens, denn in Situationen von Unsicherheit sind (erst ex-post als solche erkannte) Fehlentscheidungen unvermeidbar.

Grundsätzlich läßt sich zwischen mehreren Formen ökologischer Unsicherheit unterscheiden. F.

Wätzold nennt Schadensunsicherheit, Synergieunsicherheit, Akkumulationsunsicherheit und räumliche sowie zeitliche Diffusionsunsicherheit (Wätzold, 2000, 24 ff). Unsicherheit kann unter Umständen durch gezielte Forschung in objektives Risiko transformiert werden. Der Umweltforschung sind jedoch in offenen, natürlichen Systemen Grenzen gesetzt, so daß Umweltpolitik in den meisten Fällen unter Bedingungen ökologischer Unsicherheit implementiert werden muß.

A. Vercelli hat zwischen weicher und harter Unsicherheit unterschieden. "Uncertainty may be defined as 'soft' whenever it is adequately described by a unique distribution of additive probabilities which is considered fully reliable. On the contrary, uncertainty may be defined as 'hard' whenever its representation involves non-additive probabilities and/or a plurality of probability distributions, none of which is fully reliable." (Vercelli, 1995, 256) Unsicherheit steht dabei in unmittelbarem Verhältnis zur Offenheit und Irreversibilität natürlicher Prozesse. Durch das Input an endlichen und nachwachsenden Ressourcen, seine hierarchische Produktionsstruktur und sein Output erweist sich aber auch der ökonomische Prozeß als irreversibel. Irreversibel ist trotz partieller Freiheitsgrade schließlich die Koevolution von ökonomischem System und natürlicher Umwelt. Dieser ökonomische Begriff der Irreversibilität (Godard, Salles, 1991) geht z.B. über den neoklassischen Ansatz eines Optionswertes hinaus (vgl. Krutilla, Fisher, 1975), der Natur einen Wert für eine optionale Entwicklung zuspricht. Das ökonomische Entscheidungsproblem erlaubt unter irreversiblen Bedingungen kein sicheres instrumentelles Lernen:

Irreversibility makes the stochastic process non-stationary, and, whenever the features of irreversibility are clouded by hard uncertainty there is no way to transform the non-stationary stochastic process into an equivalent stationary stochastic process. Since this is the case with sustainable development models, it is not possible to rely on the criterion of substantive rationality nor on received decision theory, which are based on this criterion of rationality just as much as is orthodox economic theory. (Vercelli, 1998, 264)

Von Unsicherheit kann weiter noch 'ignorance' (Nichtwissen) unterschieden werden. "The case of complete ignorance which constitutes the upper limiting case of strong uncertainty arises when none of the postulated probability distributions is reliable" (Froger, Zyla, 1998, 281). Ignorance

82 Hier sind beide Aspekte von Irreversibilität gemeint: der Zeitverlauf ökonomischer Handlungssequenzen und mögliche grenzenlose, selbstreproduzierende Veränderungen der Natur.

bleibt in dieser Definition noch relativ unbestimmt. O'Connor hat bezüglich von Koevolution und Komplexität zwei Formen von Unbestimmtheit unterschieden, auf die S. Faucheux und G. Froger (1995) sich zur Bestimmung von Unsicherheit und Nichtwissen beziehen. Demnach bestehe eine ontologische Unbestimmtheit, welche die Realität oder die Situation beschreibt, und eine zeitliche Unbestimmtheit, die auf eine offene Zukunft verweist (O'Connor, 1994). Mit anderen Worten verweist ontologische Unbestimmtheit auf die natürliche Umwelt und die Komplexität derselben und zeitliche Unsicherheit auf die Temporalisierung sozialer Systeme. Dabei entspricht die von O'Connor sogenannte ontologische Unbestimmtheit dem, was hier zuvor allgemein als Unbestimmtheit bezeichnet wurde. Es bietet sich für die ökologische Ökonomie an, auf ontologische Aussagen zu verzichten und statt dessen die diskursanalytische Differenzierung zwischen Unsicherheit und Nichtwissen zu übernehmen, die sich an der argumentations-theoretischen Unterscheidung von prognostischer und epistemischer Unsicherheit orientiert. Im diskurstheoretischen Ansatz kann unspezifisches Nichtwissen (ignorance) mit epistemologischer Unsicherheit identifiziert werden. Dies verweist die Ökonomik auf Unsicherheiten in den Naturwissenschaften und zwingt ihr so eine begrenzte Reflexivität auf: Diese manifestiert sich etwa in der Debatte um endogenen Grenzen der Versicherbarkeit neuer Technologien (ohne staatlich festgesetzte Haftungsobergrenzen). Ferner können schwache und starke Unsicherheit auf prognostische Unsicherheit bezogen werden, die trotz limitierter Prognosekraft auf sicherem naturwissenschaftlichem Wissen beruht. Kurzum: Starke und schwache Unsicherheit sowie Unkenntnis können problemlos im Rahmen kommunikativen Handelns verordnet werden und sind rationalitätstheoretisch zugänglich.

Wenn Unsicherheit dergestalt in den Vordergrund von Nachhaltigkeit gestellt wird, wächst die Bedeutung des Stoffstroms für die Ökonomik. Für die ökologische Ökonomie öffnet sich das Untersuchungsfeld zu beiden Seiten dessen Emergenz: Die Institutionen sowohl des ökonomischen und des administrativen Systems bleiben relevant, sie interagieren mit der natürlichen Umwelt, die ebenfalls weiterhin Gegenstand der Analyse bleibt. Im Unterschied zu Ressourcen- und Umweltökonomie aber folgt die Analyse der irreversiblen, stofflichen Koevolution nicht dem Paradigma instrumentell-ökonomischer Rationalität, da dies die verschiedenen Formen von Unsicherheit in der Interaktion zwischen ökonomischem System und natürlicher Umwelt übergehen würde. S. Faucheux, G. Froger und G. Munda stellen fest, daß

[m]uch of the uncertainty emerges from unforeseeable qualitative changes in economic and biological systems, which are not due to stochastic variability but to integral shifts in behavioral patterns including changes in policy institutions. In such cases the interactions between the economy and the natural environment cannot be defined as a system's optimal trajectory within a given (stochastic) parameter space, but (preserving the vocabulary of optimization) as a set of sequential, optimality regimes governed by sometimes dissipative structures. The decision problems get much more complex since the option set can change endogenously, due to the effects of past decisions and as a consequence of complex interactions between the economy and the environment. (Faucheux, Froger, Munda, 1997, 53 f)

S. Faucheux, G. Froger und J.-F. Noël (1993) haben sich die Aufgabe gestellt, die Koevolution zwischen ökonomischem System und natürlicher Umwelt in eine makroökonomische Theorie von

Nachhaltigkeit zu integrieren. Die Struktur der ökologischen Krise weist eine eindeutige, hierarchische Struktur auf und kann die ökologische Ökonomie partiell thermodynamisch begründen. Energetische und materielle Beschränkungen sind zu beachten, sofern die systemische Entwicklung sich nicht selbstgefährden soll. J. Gowdy hat ebenso nachdrücklich wie Faucheux und Froger alle Versuche zurückgewiesen, (energetisch-materielle) Hierarchien innerhalb der Ökonomie auf mikroökonomische, instrumentell-rationale Theoreme zurückführen zu wollen. Statt dessen fordert er eine explizit Trennung von mikro- und makroökonomischer Theorie für eine nachhaltige Entwicklung ein.83

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