• Keine Ergebnisse gefunden

Die Rationalität nicht-ökonomischer Indikatoren der Nachhaltigkeit

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 112-116)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

3.4 Die Emergenz des ökonomischen Stoffstroms

3.4.2 Die Rationalität nicht-ökonomischer Indikatoren der Nachhaltigkeit

Die praxistauglichste Differenzierung zwischen Mikro- und Makroökonomie liegt gegenwärtig wohl mit dem MIPS-Konzept (Materialintensität Pro Serviceeinheit) vor. Das vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie entwickelte Konzept setzt an aggregierten ökologischen Kategorien an (Schmidt-Bleek, 1998). Das MIPS-Konzept bezieht sich nicht direkt auf ökonomische oder ökologische Systemgrößen, sondern macht Unsicherheit zum Ausgangspunkt der Theoriebildung (Hinterberger, Wegener, 1997). Der Mangel an vollständigem Wissen über die ökologischen Auswirkungen der ökonomischen Aktivität, die immer bestehende Möglichkeit, aufgrund neuer Erkenntnisse die bisherige Umweltpolitik revidieren zu müssen und die ungewissen (revidierbaren) Prozesse demokratischer, umweltpolitischer Mehrheitsfindung begründen in diesem Ansatz Unsicherheit. Das Wuppertaler Konzept ist somit stark praktisch orientiert und bezieht sich im Unterschied zur Theorie Faucheux' et al. allein auf Quantitäten des stofflichen Inputs in das ökonomische System (Hinterberger et al., 1996). Da der MIPS-Ansatz leichter darstellbar ist und sich die zugrunde gelegten Indikatoren bislang empirisch bewährt haben, wird nur er an dieser Stelle expliziert.84

Die ökologischen Kategorien setzen an der Schnittstelle zwischen Ökosphäre und Anthro-posphäre an, genauer gesagt an der Inputseite der AnthroAnthro-posphäre. Für diesen inputorientierten

83 "A fruitful way to approach this is to return to one of the basic ideas in economic theory, namely, the distinction between macro- and microeconomics. If we drive a wedge between theories of efficiency at the firm level, and theories of macroeconomic behavior, perhaps another wedge can be driven between the macro economy and its surrounding social and environmental systems" Gowdy, 1999, 76.

84 Energetische Bewertungsmethoden gehören wie das MIPS-Konzept zu den nicht-präferenzbasierten Bewertungs-methoden. Einige dieser Methoden wie natural assets accounting, energy/material balances und life-cycle analysis sind in Kosten-Nutzen-Analysen integriert worden (vgl. dazu näher Bouman et al., 2000). Für die Konzeption von Nachhaltigkeit sind energetische Bewertungsmethoden deshalb interessant, weil sie 1. eine starke physikalische Fundierung aufweisen, 2. eine hohe ökologische Relevanz (nicht nur für den Treibhauseffekt) besitzen und 3. der Energieverbrauch starke Parallelen zur ökonomischen Preisbildung aufweist, d.h. Energie ein zentraler Produktionsfaktor ist. Sie bieten damit die Möglichkeit, nachhaltige Entwicklung wie beim MIPS-Konzept, jedoch potentiell mit höher analytischer Präzision, auf makroökonomischer Ebene zu verfolgen. Die physikalisch-energetische Fundierung nicht-präferenzbasierter Bewertungsmethoden ermöglicht es ebenfalls, absolute Knappheit zum Gegenstand von Nachhaltigkeit zu machen. Ein besonders entwickeltes energetisches Konzept wurde am Centre Economic-Espace-Environment an der Universität Paris I unter anderem von S. Faucheux entwickelt (Faucheux, 1994; Faucheux, Pillet, 1994; Faucheux. Froger, 1995, Faucheux, Froger, Munda, 1997). Aufgrund seiner Komplexität soll hier jedoch nicht näher darauf eingegangen werden, obwohl es gegenwärtig das vielleicht vielversprechendste Konzept der Nachhaltigkeit darstellt.

Ansatz wird Simplizität geltend gemacht: Während auf der Inputseite 50 – 100 verschiedene Stoffe in das ökonomische System Eingang finden, stehen dem auf der Outputseite allein aus der chemischen Industrie rund 100.000 im Handel befindliche Substanzen gegenüber, die mit weiteren Emissionen und der Ökosphäre interagieren. Ferner sind die Eintrittsstellen in die Anthroposphäre gegenüber den Austrittspunkten in die Ökosphäre überschaubar.

Die Materialinputs werden nach fünf Kategorien ausgewiesen, wovon die letzten beiden, Wasser und Luft, in der Bilanzierung getrennt aufgeführt werden. Diese Kategorien sind im einzelnen (Schmidt-Bleek et al., 1998, 34 f):

Abiotische Rohstoffe

(mineralische Rohstoffe, fossile Energieträger, nicht verwertete Rohförderung, bewegte Erde)

Biotische Rohstoffe

(pflanzliche Biomasse aus Bewirtschaftung, Biomasse aus nicht bewirtschafteten Bereichen)

Bodenbewegungen in der Land- und Forstwirtschaft (mechanische Bodenbearbeitung, Erosion)

Wasser

(Oberflächenwasser, Grundwasser, Tiefengrundwasser)

Luft

(Verbrennung, chemische Umwandlung).

Diese Kategorien werden durch eine Reihe von Konventionen ergänzt, welche die Analyse der Materialintensität auf verschiedenen Ebenen ermöglichen. Diese kann wie etwa beim Produktlebenszyklus ein einzelnes Produkt sein. Dazu bestimmt etwa Konvention Nr. 4, daß bei der Berechnung der Materialinputs für einen bestimmten Produkttyp zunächst die zu erbringende Dienstleistung definiert wird, und dann entweder marktübliche Produkte, die diese Dienstleistung erfüllen, für die Analyse ausgesucht oder neuentwickelte Produktkonzepte und Prototypen hinsichtlich ihrer Materialintensität für den zu schätzenden Lebenszyklus untersucht werden.

Konvention Nr. 5 ermöglicht die Übertragung auf einen zu bestimmenden Wirtschaftsraum und den dazugehörigen Markt, so daß man den bereits erwähnten Globalen Materialaufwand als Indikator erhält. Die lebenszyklusweite Berechnung der Materialintensität von Produkten, Infrastrukturen und Dienstleistungen wird dadurch erleichtert, daß das Wuppertaler Institut den Materialbedarf für einige immer wiederkehrende Serviceleistungen systemweit berechnet hat. So erhält man die sogenannten Input-Module, die für die Bereitstellung von Elektrizität, Transport (Fracht und Person), Recycling und Entsorgung, Verpackung, Wohnungen, Verwaltung, Produktionsanlagen und Groß- und Einzelhandel existieren.

Dematerialisierung zielt auf die absolute Reduktion des Energie- und Materiestroms und damit auf eine Verkleinerung des Umfangs. Dies soll bestehende Umweltschäden beseitigen – soweit diese nicht irreversibel sind – und weiteren potentiellen Schäden vorsorgen. Die herkömmlichen umweltökonomischen Instrumente der Umweltpolitik sind auf Dauer erfolglos, da die mit der Internalisierung verbundenen Interventionen nur kurzzeitige ökologische Revisionen darstellen,

welche die marktwirtschaftliche Allokation stören können. Da es im ökologischen Kontext systematisch zu Marktversagen kommt, muß das Internalisierungskonzept, sofern es für die Umweltpolitik relevant bleiben soll, neu interpretiert werden. Die Ineffizienz von Märkten könnte Resultat von Transaktionskosten sein, was die Akteure des ökonomischen Systems davon abhält, Tauschgewinne privat auszuschöpfen. Ebenso könnten Interventionen teurer sein als allokative Verbesserungen. Nur ein detailliertes System von Pigousteuern wäre dem Konzept kurzfristigen Marktversagens überlegen. Das MIPS-Konzept kann direkt auf das ökonomische System bezogen werden, so daß das Konzept auf der Mikro-, der Meso- und der Makroebene angewandt werden kann. Auf der Mikroebene kann MIPS als Indikator bei der Materialauswahl und bei der Produktentwicklung dienen und als Basis der Umweltkostenrechnung und des Öko-Audits dienen.

Auf der Mesoebene kann die Materialitätsanalyse (MAIA) auf Wirtschaftsräume, Wirtschaftssektoren und auf Bedarfsbereiche bezogen werden. Dies kann auch auf der Makroebene geschehen, indem die Materialintensität auf die gesamte Volkswirtschaft bezogen wird.

Das MIPS-Konzept ist einer der wenigen Ansätze im Diskurs über Nachhaltigkeit, der Suffizienz und Effizienz gleichrangig nebeneinander stellt. Hierbei ist die Bezugnahme der Materialintensität auf Serviceeinheiten wichtig, denn dies stellt der Mikroökonomie direkt einen Suffizienzansatz zur Verfügung. MIPS definiert Serviceeinheiten als "Nutzungen, die mit der Verfügung (Eigentum, Besitz oder Nutzungsrechte) über ein Gut verbunden sind." (Konvention Nr. 72; Schmidt-Bleek et al., 1998, 68) Damit wird der ökonomische Sinn von Dienstleistungen im MIPS-Konzept erweitert und umfaßt Nutzungen, "die man von den jeweiligen Produkten (und Infrastrukturen) 'abrufen' kann, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen." (ebd.) Es werden somit auch Produkte und Infrastrukturen als Dienstleistungen verstanden.85 Da MIPS den lebenszyklusweiten Ressourcen- und Energieverbrauch eines Produktes bzw. einer Dienstleistung erfaßt, können subjektive Bewertungen über vergleichbare Serviceeinheiten ökologisch objektiviert werden. Dies erleichtert die Formulierung von Einsparungspotentialen, da nicht mehr unspezifische Produkte, sondern spezifische Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden (vgl. Föhlich et al., 1999-2000, 20).

Das MIPS-Konzept erlaubt so den dynamischen Vergleich der Ökoeffizienz von Dienstleistungen durch Konsumenten (etwa zwischen Car-Sharing und Privat-Pkw) und beschränkt sich nicht auf den Vergleich gleicher Produkte (Treibstoffverbrauch verschiedener Pkw-Typen). Zahlreiche staatliche und private Normen könnten durch das MIPS-Konzept ökologie- und konsumorientiert an Aussagekraft gewinnen. Auf der Mesoebene können methodisch sowohl Suffizienzansätze mit Daten unterstützt werden als auch Effizienzstrategien der Makroebene.

R. Bleischwitz hat im Anschluß an das MIPS-Konzept eine Theorie der Ressourcenproduktivität formuliert. So wie Arbeitsproduktivität als volkswirtschaftliche Kennzahl das Verhältnis von Arbeit zum Bruttoinlandsprodukt angibt, so benennt Ressourcenproduktivität das Verhältnis von Materialinput und ökologisch korrigiertem Bruttoinlandsprodukt. Die Produktivität einer Volkswirtschaft ließe sich dem Verhältnis eines ökologisch korrigierten BIPs und den spezifischen,

85 Die Serviceeinheit des MIPS-Konzepts entspricht der funktionalen Einheit in der Ökobilanzierungsmethodik.

getrennten Meßgrößen für Arbeit, Kapital und Ressourcen entnehmen. Dabei soll die Ressourcenproduktivität anhand des aggregierten Ressourceneinsatzes ermittelt werden (Bleischwitz, 1998, 119) Zu unterscheiden ist dann zwischen einer Steigerung der Ressourcenproduktivität (relative Reduktion des Materialinputs) und einer Dematerialisierung (absolute Reduktion des Materialinputs).

Die Stoffstrombilanzierung nach der Materialintensitätsanalyse faßt bislang zumeist medial und sektoral zerstreute Informationen zu einer kohärenten Übersicht des Belastungszustandes der Umwelt zusammen. Dies stellt einerseits einen hochaggregierten Indikator für die ökologische Bewertung dar, andererseits kann dieser Indikator sowohl auf mikro- als auch auf makroökonomische Zusammenhänge bezogen werden, ohne dabei vom ökonomischen System ähnlich homogenisiert zu werden wie monetarisierte Umweltgüter (vgl. Seidel, 2001). Da das MIPS-Konzept auf den Fluß und nicht auf den Bestand ausgerichtet ist, unterscheidet es sich nicht nur von der Neoklassik, sondern auch vom Naturkapital-Ansatz (Hinterberger et al., 1997).

Hinsichtlich des Diskurses zur Nachhaltigkeit kann das MIPS-Konzept aufgrund seiner Orientierung am Stoffstrom als Operationalisierung des Umfangs des ökonomischen Systems (Daly) angesehen werden (Luks, 1999). Es erfaßt den dynamischen Fluß des ökonomischen Systems und ist insofern auch ein richtungssicherer Indikator, als daß es keinen direkten Bezug auf die Umwelt nimmt, – was der Koevolution von System und Umwelt auch nicht gerecht werden würde. MIPS bezieht Nachhaltigkeit auf die emergente Komplexität zwischen Anthroposphäre und natürlicher Umwelt. Damit ist es auf eine nachhaltige Entwicklung des Stoffstroms ausgerichtet.

Gleichzeitig ist die Messung der Materialintensität über die zugrundeliegenden Kategorien indirekt an wesentliche Umweltproblem zurückgebunden.

Allerdings hat diese Konzeption von Nachhaltigkeit noch einige Schwächen, was bei einem hoch aggregierten Indikator wie der Materialintensität wenig überrascht. Zunächst einmal umfaßt MIPS nicht alle Formen der Umweltzerstörung: So wird die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Biosphäre und der Verlust von Biodiversität nicht oder nicht angemessen erfaßt.

Der erste Mängel kann durch das diskursethisch gebotene Nichthandeln bei epistemischer Unsicherheit beseitigt werden. Sofern das Artensterben nicht über die MIPS-Kategorien 2 und 3 abgemildert wird, bietet die Diskursethik nur eine schwache Basis zu einem weitergehenden Schutz der Biodiversität. Dies geht zu Lasten der Diskursethik und stellt ihr eine noch zu lösende Aufgabe.

Neben diesen Problemen verbleibt noch die offene Bewertungsfrage der MIPS-Methodik. Mit MAIA wird lediglich eine Analyse der Materialintensität durchgeführt. Die Analyse ist im wesentlichen quantitativ, sie enthält nur über die grundsätzliche Festlegung der Kategorien einige qualitativen Elemente. So sind die Kategorien um die Kategorie 'Fläche' ergänzt und die Zählweisen für die Kategorien 'Wasser' und 'Erdbewegungen in der Land- und Forstwirtschaft' modifiziert worden. Weitere Veränderungen der Zählweise würden wissenschaftlichen Fortschritt widerspiegeln und wären insofern zu begrüßen. Dazu gehört auch die Diskussion um eine Gewichtung der Kategorien, angesichts unterschiedlicher, mit den Kategorien verbundener ökologischer Auswirkungen in verschiedenen Ökosystemen der Erde (Bedeutung von Wasser in

ariden oder humiden Gebieten). Es unterbleibt aber eine generelle Ausführung oder Bewertung von Reduktionszielen. Zwar können explizite Bewertungen im MIPS-Konzept sowohl auf das Input als auch auf das Output hin erfolgen, wobei sich das Konzept wiederum flexibel gegenüber anderen Indikatorensystemen erweist (vgl. Fröhlich et al., 1999-2000, 50 ff), doch das MIPS-Konzept selbst enthält sich der Festlegung von konkreten Dematerialisierungsraten.86

Als weiterer Punkt ist festzustellen, daß Gefahrenaspekte der Risikogesellschaft nicht direkt vom MIPS-Konzept erfaßt werden. Das MIPS-Konzept ermöglicht weder eine Chemikalienbewertung noch eine Bewertung von Technologien. Hier scheint eine inputorientierte Erweiterung der MAIA-Methodik denkbar, die sich auf Gefahrenstoffe/toxische Substanzen, den Lebenszyklus oder die Verbreitungsmenge ausrichten könnte. Allerdings sind diese Erweiterungen noch nicht erfolgt, und sie werden einen Gefährdungsansatz auch nicht grundsätzlich überflüssig machen können.87 Vielmehr scheint ein Gefährdungsansatz zur Ergänzung des MIPS-Konzept unerläßlich zu sein.

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 112-116)