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Nachhaltigkeit für eine wohlgeordnete, zivile Gesellschaft

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 193-200)

5 Solidarität und politische Öffentlichkeit

5.1 Nachhaltigkeit für eine wohlgeordnete, zivile Gesellschaft

Gegen die Übertragung der bisher entwickelten, wissenbasierten Fundierung auf das Politische ließe sich empirisch anbringen, daß "theories of knowledge rarely (if ever) determine institutional structure. More usually, they legitimate and justify or (conversely) criticize and undermine particular practices. Nevertheless, theories of knowledge and rationality can inform political development to the extent they permeate the understanding of political actors." (Dryzek, 1990, 29) Die Diskurstheorie teilt diese halboptimistische Einschätzung J. Dryzeks; sie überträgt objektives Wissen nicht als Utopie oder Sozialtechnologie unmittelbar in die politische Theorie, sondern geht einen über die politische Philosophie normativ und über die Policyforschung empirisch begründeten Weg zum politischen Objektbereich.

Hierbei scheint es, als würde die normative politische Theorie ungleich stärker von den Ver-schiebungen und Brüchen des kulturellen Selbstverständnisses beeinflußt werden als die Policyforschung. Die sich in der Risikogesellschaft wiederfindende Moderne, so lautete die soziologische These in Kapitel 2.2, wird durch die ökologische Krise vor die Herausforderung eines möglichen Epochenbruchs gestellt.152

Während B. Latour das modernisierungstheoretisch geprägte Selbstbewußtsein mit der These erschüttert, daß wir gemäß der in der Moderne proklamierten Standards niemals modern gewesen seien (Latour, 1995), diagnostizieren die Theoretiker des 'integrativen Kommunitarismus' (Benhabib) einen Epochenbruch. Allerdings erweist sich Latours Theorie handlungstheoretisch kaum zugänglich und blieb bisher für die Politikwissenschaft unterkomplex. Demgegenüber weisen neoaristotelische Theorien eine große handlungstheoretische Klarheit und eine lange ideengeschichtliche Tradition auf, denen jedoch fundamentale Probleme entgegenstehen, einen nacharistotelischen Naturbegriff zu entwickeln und eine Ethik ohne Referenz auf die Natur zu begründen.153 Der Krise der Moderne stellen sie einen gemeinschaftlichen Ethos entgegen, dessen sozialintegrativer Kraft sie alles anvertrauen. Der Ethos wird mit Handlungstheorien verbunden, die sich teilweise auf den Republikanismus (H. Arendt, 1989; O'Neill, 1993) und teilweise auf moderne Handlungstheorien berufen (MacIntyre, 1984). Die Abweisung jedweder systemischer Gesellschaftsintegration erweist sich aber nicht nur im Politischen als problematisch, sondern vor

152 Latours Antithese (1995), daß wir niemals modern gewesen seien, negiert zwar einen solchen Epochenbruch, doch zerrüttet es das modernisierungsgeprägte Selbstbewußtsein der Gegenwart noch nachdrücklicher. Bezeichnender-weise verzichtet Latour dann im Gegensatz zu Beck auch ganz darauf, der Politik einen Platz zuzuBezeichnender-weisen.

153 Der Aristotelismus hat das Problem, daß er das menschliche Telos aus der Natur ableiten will. Doch mit der Widerlegung der aristotelischen Physik und Biologie und der Unzulässigkeit von Sein-Sollens-Schlüsse entfällt Natur als normative Instanz. Das Gute läßt sich weder metaphysisch noch erkenntnistheoretisch aus der Natur herleiten. C. Taylor hat die erkenntnistheoretischen Probleme einer solchen an Aristoteles orientierten Ethik, die auf die Natur als normative Instanz verzichten muß, eingestanden (Taylor, 1986, 101 ff) und deshalb auf eine Güterethik verwiesen.

allem auch im Ökonomischen: Zwar könnte die Rückkehr (von Marx) zum (aristotelischen) Haushalt (Oikos) durchaus den Nachhaltigkeitsaspekt der Suffizienz befördern (O'Neill, 1993, 168 ff), einen Weg zu einer ökoeffizienten Wirtschaft scheint dies jedoch nicht aufzuzeigen. Einsinnig politisch aber dürfte sich Nachhaltigkeit kaum verwirklichen lassen.

Dagegen sprechen nicht nur die normativen besitzindividualistischen Theorien der libertären Tradition, sondern auch die ideengeschichtliche Beobachtung, daß das private Eigentum fundamentale Legitimations- und Zielkategorie aller bürgerlichen Politikkonzepte der Neuzeit war, wenngleich sie auch intern an Gleichheit und Freiheit orientiert schienen (Bermbach, 1991, 205 f).

Dies gilt besonders für die libertäre Theorie, die zwar rhetorisch Gleichheit und Freiheit bestätigt, jedoch Allokation dem Mehrheitsprinzip voranstellt. Während etwa Gauthier (1986) dem produktivistischen Fehlschluß erliegt, will Buchanan Wahrheitsgeltung aus der politischen Debatte verweisen und Politik als reines Nullsummenspiel begründen (Buchanan, 1975).154 Es ist jedoch nicht einsichtig, wieso das Politische normativ eingeschränkt werden sollte, wenn die empirische Theorie doch die von der libertären Theorie bestrittenen Kooperationsformen eindeutig nachweisen kann. Gemeinsam ist der libertären Kritik, daß sie sich gegen wissens- und wahrheitsbasierte Modelle der Politik richtet. Dies teilt sie mit der konservativen Dezisionismus. Allerdings behauptet dieser stärker noch ein neuzeitliches Geltungsproblem aufgrund fehlender wahrer, normativer Bezugssysteme (vgl. v. Beyme, 1993, 90 ff).

Aus der dezisionistischen Tradition heraus, aber auch in Abgrenzung zu ihren undemokratischen Auswüchsen, hat T. Greven (1992) einen demokratischen Dezisionismus zu rechtfertigen versucht.

Greven macht seinen Begriff des demokratischen Dezisionismus am Gegensatz von Begründung vs.

Willkür fest. Er moniert, daß Probleme der Gesellschaft oft nicht im Sinne demokratischer Entscheidung, sondern häufig als Routineprozesse der Subsumtion im administrativen System behandelt werden würden. Damit vollziehe sich eine Entradikalisierung der Problemwahrnehmung und -bearbeitung, die gegenüber ökologischen Fragen gefährlich erscheine. "Unter Legitimationsgesichtspunkten reißt eine immer tiefere Kluft zwischen der sich tendenziell radikalisierenden gesellschaftlichen Problemwahrnehmung und der Wahrnehmung politischer Entscheidungsroutinen auf, die in der Paradoxie mündet, daß niemand mehr der Politik zutraut, was doch allein politisch gelöst werden könnte." (T. Greven, 1992, 202) Grevens demokratischer Dezisionismus strebt die Vergrößerung von Legitimation durch Partizipation an und will sich gerade der dezisionistischen Tradition eines Gegensatzes von Entscheidung versus Nichtentscheidung verweigern.

Doch obwohl sich die Unterscheidung zwischen Begründung und Willkür, welche eine Entkoppelung von Wahrheit und Politik mit sich führt, zwar gegen die konservative dezisionistische Tradition ebenso sperrt wie die reduktionistische Widergabe von Objektivität in der libertären Tradition, beinhaltet sie aus demokratietheoretischer Sicht doch mindestens zwei fundamentale

154 Buchanans Bannspruch trifft sowohl Tatsachen- als auch Vernunftwahrheit (vgl. zu dieser Unterscheidung Arendt, 1994). Er betrifft so natürlich auch den Diskurs zur Nachhaltigkeit.

Fehler: Zum einen unterscheidet der Dezisionismus nicht hinreichend präzise zwischen dem (unhaltbaren) Anspruch einer Determinierung von Politik durch Gründe und einem Gebrauch von Gründen in der politischen Praxis; zum anderen mißversteht er die politische Praxis, indem er diese nur aus der systemischen Beobachterperspektive und nicht aus der Perspektive von Beteiligten rekonstruiert (Schmalz-Bruns, 1995a, 146; vgl. auch Peters, 2001, 674 f).

Unter dem empirischen Aspekt der Integration von Gesellschaft unterliegt das Politische der funktionalen Anforderung, die Gesellschaft systemisch zu integrieren. "Die Politik springt in Funktionslücken ein, die sich durch die Überlastung anderer gesellschaftlicher Integrations-mechanismen öffnen." (Habermas, 1992, 386f) Während die vom ökonomischen und zivil-gesellschaftlichen System aufgenommen Probleme das politische System mit einem Input versorgen, ist unter umweltpolitischen Legitimitätsgesichtspunkten das Output des politischen Systems entscheidend. Während die Offenheit und Input-Orientierung des politischen Systems im Bereich der politischen Öffentlichkeit sichergestellt wird, ergibt sich die Leistungsanforderung an das Output des politischen Systems im Policy-Bereich. Dieser ist Gegenstand der Policyforschung.

Die deutsche umweltpolitische Policyforschung hat sich in der Vergangenheit ausgiebig mit dem Problem politischer Legitimation auseinandergesetzt. Die Debatte lief über Begriffe wie 'Unregierbarkeit', 'Legitimationskrise' und 'Staatsversagen' und hatte eine deutliche wohl-fahrtsstaatliche Ausrichtung. Diese wohlwohl-fahrtsstaatliche Ausrichtung der Policyforschung besteht bis heute. Doch die Politikforschung kann sich nicht auf statische Verteilungsaspekte im Feld der Umweltpolitik zurückziehen, sondern muß sich auch normativ, wie seit Jonas eingefordert, am praktischen Diskurs der Nachhaltigkeit orientieren. Die im Brundtlandbericht angemahnte Zukunftsorientierung von Politik fordert ersichtlich mehr als die bloße Fokussierung auf das Politikfeld der Umweltpolitik; sie bezieht sich auf eine umfassende Koordination von Politiken.

Andererseits spiegelt Nachhaltigkeit zwar ein normatives, kollektives Interesse wider, doch konnte dies bisher in Ermangelung der entsprechenden sozialwissenschaftlichen Theorie kaum die heteronomen Partialinteressen diverser Politikfelder integrieren. Wohlfahrtsökonomisch erscheint ein nachhaltiges Gemeinwohl unbestimmbar. Außerdem werden rein normative Forderungen von der systemischen Funktionalität hartnäckig abgewiesen werden. Doch dies rechtfertigt selbst dann noch nicht die empirizistische Ablehnung von Normativität überhaupt, wenn klar ist, daß die funktionale Integration nicht durch eine moralisch-soziale ersetzt werden kann.

Es sind die systemischen Erfolgschancen einer im Allgemeininteresse begründeten Politik, an denen sich die Zuweisung von Legitimität letztlich orientieren muß. Die Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaates bleiben damit Thema auch einer mit Policy-, d. h. politik-inhaltlichen Problemen befaßten Staats- und Regierungslehre, nur daß sie jetzt nicht mehr primär in ihrem Eigenwert, sondern in ihrer funktionalen Beziehung zum Leistungsstaat betrachtet werden. (Decker, 1994, 21; Hervorhebung i. O.)

Trotz der Referenz auf ein Input-Output-Modell ist die empirische Unzugänglichkeit der Systemtheorie für die Politikwissenschaft höchst problematisch, da der politische Prozeß überwiegend auf einem mesotheoretischen Niveau stattfindet, dessen Beschreibung nur unter Rückgriff auf mikrosoziologische Prozesse gelingen kann. Das mesotheoretische Niveau wird aber

auch von der mikrosoziologisch orientierten ökonomischen Theorie der Politik oft nicht hinreichend beschrieben. Deren analytischer Brillanz in der Beschreibung von Handlungs- und Entscheidungssituationen steht eine unübersehbare makrosoziologische Schwäche entgegen: Von Entscheidungsparadoxien und Dilemmasituationen scheinen politische Steuerungsansprüche, die auf dem mikrotheoretischen Niveau expliziert wurden, zwangsläufig abgewiesen werden zu müssen. Zu einem politikwissenschaftlichen Begriff der Steuerung gehören neben einem Subjekt und Objekt auch Intentionen bzw. Steuerungsziele (oder die Zustandsänderung des als Steuerungsobjektes fungierenden Systems) ebenso wie der Einsatz von Maßnahmen. Um das Steuerungsziel zu verwirklichen ist – als unerläßliche Voraussetzung der Maßnahmenwahl – eine Vorstellung der Wirkungsbeziehungen zwischen Steuerungsaktivität und -ergebnissen unerläßlich (vgl. Mayntz, 1995, 186 ff).155 Das empirisch-theoretische Programm des akteurzentrierten Institutionalismus hat versucht, die Unklarheiten um den Steuerungsbegriff zu überwinden. Der Steuerungsakteur kann hier Teil des gesteuerten Systems sein und in Netzwerken gleichwohl die systemische Eigenlogik teilweise überwinden. Anzustreben wäre für eine empirische Steuerungstheorie ein Erklärungsmodell mittlerer Reichweite (Schimank, 2000, 267 ff), das die regulativen Ideen von Nachhaltigkeit sozial, sachlich, zeitlich und räumlich zum Tragen kommen läßt. Allerdings ist für prozedurale Theorien wie der Habermas'schen nicht unmittelbar Legitimitätskriterium, ob Steuerung auch erfolgreich ist (vgl. auch Kühn, 1997, 548 ff, Mayntz, 1995, 192). Im Rückgriff auf die Theorie des kommunikativen Handelns sind "Institutionen als jene Transferinstrumente zu bestimmen, die die normativen Orientierungen, die innerhalb der Lebenswelt vorhanden sind, an das System weitergeben und so dafür sorgen, daß dessen Funktionieren der Lebenswelt substantiell verpflichtet bleibt." (Bermbach, 1991, 246) Dies bleibt eher demokratietheoretischen als steuerungstheoretischen Gesichtspunktspunkten verpflichtet.

Trotz ihrer makrotheoretischen Schwächen eröffnet zweifellos die Institutionentheorie, welche in den letzten Jahrzehnten einen rasanten Aufschwung erfahren hat (Göhler, Kühn, 1999), den am weitesten verbreiteten Zugang zur empirischen Analyse prozeduraler Arrangements der Nachhaltigkeit. Der Erfolg der Institutionentheorie verdankt sich vermutlich der integrativen Kraft der Spieltheorie, der die sozialwissenschaftlichen Disziplinen von der Ökonomie über die Soziologie bis zur Politikwissenschaft methodologisch miteinander verbindet. Die dabei zugrundegelegten Rationalitätsannahmen reichen von starker bis zu schwacher Rationalität und bestimmen den Erklärungsgehalt der Analyse entscheidend (vgl. Zintl, 1990). Wenn die strikte Annahme vollständiger Information durch die schwächere optimaler Information ersetzt wird, besteht die Integrationsfähigkeit des spieltheoretischen Ansatzes auch disziplinintern in der Anwendbarkeit auf gänzlich verschiedene Kontexte. In der Politikwissenschaft greifen so u.a.

Regimeanalyse, Governanceansatz, akteurzentrierter Institutionalismus und Neue Politische Ökonomie (NPÖ) auf das Modell des rationalen Individuums zurück.

155 Vgl. zur Steuerungsdebatte auch: Braun, 1993; Görlitz, 1995; König, Dose, 1993; Kühn, 1997; Martinsen, 1992;

Mayntz, 1995, 186 ff, 263 ff; Offe, 1990b; Scharpf, 1989, Schuppert, 1990.

Während Regimeanalyse (Krasner, 1991; Kohler-Koch, 1989; Rittberger, 1993) und Gover-nanceansatz (Rosenau, Czempiel, 1992; Young, 1994) mit Hilfe der spieltheoretischen Methodologie die internationale Politik untersuchen, beziehen sich akteurzentrierter Institutionalismus (Mayntz, Scharpf, 1995a) und Neue Politische Ökonomie (Holzinger, 1987;

Horbach, 1992) vornehmlich auf die nationalstaatliche Ebene. Allerdings hat der akteurzentrierte Institutionalismus seinen Erklärungsbereich schon früh auf die supra- und die internationale Ebene ausgedehnt (Scharpf, 1985, 1993, 1996). Die Regimetheorie ist einem problemorientierten Ansatz gefolgt, der die Herausbildung und die dynamische Entwicklung von Regimen zum Schutz international gefährdeter Umweltgüter analysierte und in ihrer Effektivität erforschte. In bezug auf die stofflich-wohlfahrtsstaatliche Dimension von Nachhaltigkeit sind hier die Regime zum Schutz der Ozonschicht (Montrealer Protokoll, 1987), der Erdatmosphäre (Kyoto-Protokoll, 1997) und das Regime zum Verbot des Handels mit Giftmüll (Baseler Konvention, 1989) zu nennen. Dabei meint die Rede von der stofflich-wohlfahrtsstaatlichen Dimension die mit der in Frage stehenden Stofflichkeit verbundene Regelungstiefe, die zu ganz unterschiedlichen Ausgestaltungen spieltheoretisch-formal gleicher Kontexte (Gefangendilemmasituation in einer Welt souveräner Nationalstaaten) führt, und die wohlfahrtstheoretische Regelungsfunktion, die sich über die erzielte nationalstaatliche Handlungskoordination (vgl. Stein, 1983) ergibt. Nur wenn Geltungsbereich (Regelbereich) und Struktur (Regelstruktur) einer Institution (Regime) den situativen Anforderungen entsprechen, ist wohlfahrtstheoretisch Koordination zu erzielen (v. Prittwitz, 2000, 16). Diese kann im Sinne eines wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus als internationale Kooperation verstanden werden, welche eine nachhaltige Entwicklung durch die Expansion von Stoff- und Energieströmen sowie die Ausblendung internationaler Verteilungsgerechtigkeit aufs Spiel setzt (vgl. aber Helm, Simonis, 2000) und welche permanent der Gefahr unterliegt, in Verletzung internationalen Rechts durch einzelne Staaten blockiert zu werden (vgl. Grundmann, 2000).

Für die sozialwissenschaftliche Forschung zur nachhaltigen Entwicklung eröffnet der Neoinstitu-tionalismus methodologisch einen weiten Zugang zu den komplexen Problemen nachhaltiger Entwicklung. Er zeichnet sich dadurch aus, daß er übersichtlich strukturiert ist und damit die nachhaltigkeitsrelevanten Kriterien hoher Operationalisierbarkeit und Kommunizierbarkeit gewährleistet (Öko-Institut, 2001, 21 f). Institutionen können sowohl auf die Sicherstellung von Leistungen als auch auf die Gewährleistung von Verfahren zielen. Sie finden sich auf allen Ebenen der Gesellschaft: von zivilgesellschaftlichen oder ökonomischen Organisationen bis zur supranationalen Ebene. Die Probleme der Nachhaltigkeit sind sehr häufig dadurch charakterisiert, daß sie jenseits von oder quer zu den bestehenden Ebenen staatlicher Institutionen stehen. Oft bestehen neben formellen Institutionen auch informelle. Diese Heterogenität der zu erforschenden Regelstrukturen und institutionellen Muster lassen sich unter dem Begriff 'institutioneller

Arrangements' (v. Prittwitz, 2000) zu einem Brückenkonzept formeller und informeller Institutionalisierung bündeln.156

In der Forschung für eine nachhaltige Entwicklung sind inzwischen einige dieser institutionellen Arrangements untersucht worden. Allerdings analysiert nur ein kleiner Teil explizit die stoffliche Dimension von Nachhaltigkeit (vgl. dazu Öko-Institut, 2001). Gleichwohl finden sich natürlich Untersuchungen, welche Aspekte des Stoffstroms aus der institutionellen Perspektive untersuchen (z.B. Biermann, 2000a, 2000b; Öko-Institut, 2000, vgl. auch die Beiträge in: v. Prittwitz, 2000).

Der umweltpolitische Forschungsansatz institutioneller Arrangements transzendiert im Anschluß an die internationalen Probleme das nationalstaatliche, politisch-administrative System, ohne dabei die zumeist implizite These einer Kolonialisierung der Lebenswelt durch das ökonomische System normativ (moralisch) zu begründen. Zweifellos ist in ethisch-moralischer Hinsicht einzig die Demokratie realistischer Ausgangspunkt für die erfolgreiche Umsetzung von Nachhaltigkeit in der internationalen Staatenwelt. Die Theorie ökologischer Modernisierung und die Theorie der Dematerialisierung präzisieren diesen Gegenstand, indem sie dabei auf die industrialisierte Demokratie verweisen. Andererseits ist Habermas auf den internationalen Aspekt von (Rechts)Staatlichkeit – geschweige denn Verteilungsgerechtigkeit – bisher kaum eingegangen (vgl.

aber Habermas, 1996, 128 ff, 192 ff). Nachhaltige Entwicklung beinhaltet auch in der internationalen Dimension Verteilungskonflikte (vgl. Martinez-Alier, 1995).

Rationalitätstheoretisch bewegt man sich hier im Modus zweckrationalen, strategisch-instrumentellen Handelns: strategische Rationalität in der sozialen Interaktion, instrumentelle Rationalität im sozialen Metabolismus mit der Natur. Ebenso wie derartige institutionelle Arrangements immer eine Wohlfahrtsdimension haben, hat auch die aggregierte Wohlfahrt immer eine materielle Dimension. Institutionen bestehen niemals ausschließlich nur aus symbolischen Elementen, sondern immer auch aus materiellen Strukturen. Diese betreffen den Metabolismus zwischen Gesellschaft und Natur unmittelbar. Die Materialität und Trägheit von Institutionen zeigt sich insbesondere in der diachronen Dimension des Sozialen. Institutionen zeigen persistente materielle Elemente, und sie haben eine temporale Dimension. Institutionen bauen auf Artefakten, materiellen Ressourcen und menschlichen Fähigkeiten auf, deren Reproduktion immer materielle Elemente umfaßt. Diesen Aspekt von Institution zu betonen, ist aufgrund der stofflichen Dimension von Nachhaltigkeit notwendig. Es ist vorgeschlagen worden, daß "solche materiellen Elemente [...], soweit sie Resultat sozialer Aktivität sind oder durch solche Aktivitäten verändert werden könnten, in einem indirekten Sinn als mehr oder weniger rational betrachtet werden [können]. Man kann insofern von der Rationalität oder Irrationalität eines Verkehrsnetzes oder einer Siedlungsstruktur oder einer sozialen Ressourcenverteilung sprechen." (Peters, 1991, 202) Von der Rationalität materialisierter Institutionen im engeren, stofflichen Sinn ist soziologisch bisher nur in bezug auf sozio-technische Systeme gesprochen worden (vgl. Mayntz, 1988; 1997, 70 ff; Joerges, Braun,

156 Obgleich Prittwitz auf Göhlers Begrifflichkeit zurückgreift, bezieht er sich nicht auf dessen politische Insti-tutionentheorie, so daß man Prittwitz' Brückenkonzept durchaus eine unzureichende theoretische Fundierung vorwerfen kann.

1994).157 Im weiten Sinne können jedoch auch institutionelle Arrangements dazu gezählt werden, die Stoffflüsse, nichtintendiert oder intendiert beeinflussen bzw. steuern und damit nachhaltigkeitsrelevante Funktionen oder Aufgaben zu erfüllen. Angesichts der Dynamik der Vergesellschaftung der Natur sind Grenzen von Allokation und Distribution deskriptiv schon schwer zu erfassen und analytisch noch schwerer zu ziehen. Es scheint sich deshalb anzubieten, auf einen methodisch einfachen Ansatz zurückzugreifen, der einen möglichst direkten Zugang zur Allokations- und Verteilungsdimension von Nachhaltigkeit bietet.

Die Kapitalismuskritik des Nachhaltigkeitsdiskurses ist hierbei ambivalenter Natur. Einerseits folgt der Diskurs in seiner Kritik dem ökonomischen Funktionssystem und zeigt die ökologischen Grenzen ökonomischen Wachstums auf, andererseits kann der nachhaltige Umweltstaat – wie der Sozialstaat – die funktionelle Eigendynamik des Marktes kaum aufheben. Die Wachstumskritik mündet dann in der Forderung nach einer qualitativ verschiedenen, nachhaltigen Entwicklung oder einer ökologischen Modernisierung bzw. Dematerialisierung.158 Dabei konzentrieren sich diese Konzepte mehr oder weniger stark auf die Modernisierung der Produktion, da distributive oder redistributive Konzepte die ökonomischen und politischen Umsetzungschancen a priori zu verschlechtern scheinen. Doch die so theoretisch latent gehaltenen Verteilungskonflikte schwelen in den praktischen umweltpolitischen Policy-Verhandlungen als hidden agenda weiter. Diese These dürfte im Rahmen des Nachhaltigkeitsdiskurses insbesondere für das Strukturproblem von Massenstoffen gelten. Denn "es spricht vieles dafür, daß weniger die gut politisierbaren Probleme der 'Risikogesellschaft' (Beck) als die weniger aktuellen Probleme einer schleichenden Degeneration das eigentliche Umweltthema der reichen (und alten) Industrieländer sind." (Jänicke, 1996, 21) Fischer-Kowalski (1997) hat dies auf die These zugespitzt, daß es dem politischen System zwar mit den klassischen umweltpolitischen Institutionen durchaus gelinge, den gesellschaftlichen Metabolismus zu regulieren, daß diese Institutionen aber versagen würden, wenn ihre Aufgabe auf 'Lebensstil' und 'Konsumverhalten' ausgedehnt werden würden, sich also Problemen eines suffizienten Sozialverhaltens annehmen müßten.

Der Umstand, daß institutionelle Arrangements insbesondere an der Interferenzstellen zwischen Systemen und Lebenswelt angesiedelt sind – so sind sie etwa an systemische Funktionsweisen rückgekoppelt –, spricht sehr dafür, ihre systemischen Handlungsbedingungen eingehend zu berücksichtigen. Hinzu kommt, daß mit Berücksichtigung der systemischen Bezüge institutioneller Arrangements auch wieder die funktionale Differenzierung der Gesellschaft in das Blickfeld rückt.

Eine auf sozio-ökologische Integration zielende Politik der Nachhaltigkeit wird so wieder auf die geringen intrasystemischen Spielräume insbesondere des ökonomischen Systems zurückverwiesen, die sich dort weitestgehend auf Win-win-Potentiale zu beschränken scheinen. Stoffstrom- und Substitutionsanalysen eröffnen jedoch zweifellos neue, sektorenübergreifende Perspektiven für eine

157 Die sozialwissenschaftliche Forschung zu Großen Technischen Systemen (GTS) weist leider gerade hinsichtlich der energetisch-stofflich Beschreibung von GTS Forschungsdefizite auf, so Joerges, Braun, 1994.

158 Meines Erachtens unterscheidet sich das MIPS-Konzept von produktionsorientierten Ansätzen dahingehend, daß der Bezug auf Serviceeinheiten es ermöglicht, Konsumgewohnheiten zu kritisieren, und gleichzeitig ein Suffizienzkonzept ohne Leistungseinbußen zu entwerfen.

solche Politik. Gleichwohl bleibt die Frage, welche anderen Gesichtspunkte neben der ökonomischen Systemlogik noch die Handlungsorientierung von Akteuren beeinflussen können.

H.-P. Feindt (2002) hat hier auf den akteurzentrierten Institutionalismus verwiesen.

Gegenüber der notwendigen Output- oder Steuerungsorientierung der bisher angerissenen empirischen Policyforschung darf aber die Bedeutung des (kognitiven) Inputs keinesfalls unterschätzt werden. Für die Umweltpolitikforschung ist dabei nicht nur die Klärung von Unsicherheiten im naturalen Bereich wichtig, sondern, wofür die Theorie ökologischer Modernisierung als Beispiel dienen kann, auch die Berücksichtigung von Ideen, Politikprogrammen, Ordnungsprinzipien etc. im sozialen Bereich. Dies gilt um so mehr für eine Politik der Dematerialisierung. Im politischen Handlungsraum treffen die empirisch bedeutsamen Wissensressourcen der Akteure aufeinander. "Dieses Wissen ist nicht auf ein 'angeborenes' kognitives Kategoriensystem rückführbar, sondern auf gesellschaftlich hergestellte symbolische Systeme." (Keller, 2001, 113) Das Wissen wird in empirischen Diskursen produziert und reproduziert und ist moralischer, ethischer und pragmatischer Art. Es ist der Diskursanalyse, aber auch anderen kognitiven Ansätzen der Politikwissenschaft (Ansätze der kognitiven Strukturen, Überzeugungssysteme, Ideen, Wissensgemeinschaften, Deutungsmuster, Argumentationen etc.) zugänglich. Nullmeier hat unter dem Begriff der Wissenspolitologie zahlreiche kognitive, politikwissenschaftliche Ansätze zusammengefaßt und nach Objektbereichen unterschieden (Nullmeier, 2001, 294 f):

• Mikroebene (u.a. Argumente, Begriffe, Metaphern, Schlagwörter, Narrationen, Mythen, Begriffe, einzelnes Kausalwissen, Theorien, Prinzipien)

• Mesoebene (u.a. Policy-Prinzipien, Ordnungsprinzipien, Policy-Identitäten, Policy-Diskurse, Rahmen)

• Makroebene (u.a. Sprachen, Diskurse, Weltsichten, Weltbilder)

Verbleibt man zunächst in einem engeren institutionentheoretischen Rahmen, könnten sich empirische Theorie des Wohlfahrtsstaates (akteurzentrierter Institutionalismus) und normative politische Gerechtigkeitstheorie (Rawls) ergänzen. Allerdings soll auf der Mesoebene nur der wohlfahrtsstaatliche Prozeduralismus beider Theorien näher interessieren. Die makrotheoretische Einbindung erfolgt dann über die Diskurstheorie, die mit der Unterscheidung zwischen

Verbleibt man zunächst in einem engeren institutionentheoretischen Rahmen, könnten sich empirische Theorie des Wohlfahrtsstaates (akteurzentrierter Institutionalismus) und normative politische Gerechtigkeitstheorie (Rawls) ergänzen. Allerdings soll auf der Mesoebene nur der wohlfahrtsstaatliche Prozeduralismus beider Theorien näher interessieren. Die makrotheoretische Einbindung erfolgt dann über die Diskurstheorie, die mit der Unterscheidung zwischen

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