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Staatliche Sicherheitsgewähr und 'freisetzendes' Technikrecht

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 148-155)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

4.2 Die Entwicklung des Umweltrechts aus der Gefahrenabwehr

4.2.1 Staatliche Sicherheitsgewähr und 'freisetzendes' Technikrecht

Das Modell der Gefahrenabwehr soll gefährdete Sicherheit wiederherstellen oder in Ansätzen der Bedrohung von Sicherheit durch vorsorgende Maßnahmen zuvorkommen. Das Modell richtet sich offensichtlich an den Folgen von individuellen und kollektiven Handlungen aus, die als Tatsachenbestände zur legalen Grundlage behördlicher Reaktionen werden. Es ist das zentrale Modell für das traditionsreiche Technikrecht und das junge Umweltrecht gewesen. Dabei wurde die Annahme, daß Techniken geschlossene Systeme seien, auch auf ökologische Sachverhalte übertragen. Den technischen Standards des Technikrechts entsprechen im Umweltrecht Grenzwerte, die ein sozialadäquates Belastungsniveau festlegen.

Forsthoff hat in seiner Staatstheorie der Industriegesellschaft vor dem Hintergrund der ökologischen Krise bereits die technische Realisation kritisiert. Die gesellschaftlich noch nicht gefaßte technische Realisation sei Seinsvergessen (Heidegger) und geleitet von der erkenntnis-theoretischen Frage der Machbarkeit. Als falsch bezeichnet er Verständnisse von Technik, die diese als Befriedigung von bereits vorhandenen und zukünftiger Bedürfnissen oder als Ausdruck der Produktionsverhältnisse begreifen wollten. Technik realisiere sich vielmehr um ihrer selbst willen (Forsthoff, 1971, 41). Forsthoffs Kritik der technischen Realisation folgt schließlich der Anerkennung der Technik als Machtinstrument der Normen interpretierenden Elite (Forsthoff, 1971, 33 f, 165 ff). Dabei tritt die ökologische Kritik an der Technik, der Forsthoff in weiten Teilen zugestimmt hat – obwohl er ökologische Interessen, die allgemeine Interessen seien, in einer pluralistischen Demokratie für nicht durchsetzungsfähig hält – hinter die ontologische Affinität von Macht und Technik zurück. Recht und Technik wird eine ontologische Wesensantinomie

112 Dies hat auch Folgen im Rechtssystem "Die herrschaftliche Geometrie der im Bild der Normenpyramide symbolisierten Legeshierarchie von Verfassung, Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift und technischer Regel löst sich in polyzentrischen Netzwerken von rechtsförmigen und technischen Normenbeständen auf, die nicht mehr einer gleichgerichteten Regelungslogik folgen müssen" Wolf, 1992, 84.

zugesprochen, insofern beide zum Integral sozialer Herrschaft werden.113 Doch eine solche pragmatische Rechtskonzeption führt letztlich zu einer Instrumentalisierung des Rechts, welche zwangsläufig die Integrationsleistung des Rechts herabsetzt (vgl. Wolf, 1986, 246 f). An der Integrationsleistung des Rechts ist jedoch festzuhalten und d.h. auch, eine Instrumentalisierung des Rechts bei der Technikentwicklung ist zu verhindern.

Das Technikrecht hat bei den Genehmigungsbehörenden zu einer Entscheidungspraxis geführt, die sich auf den 'wissenschaftlich-technischen Sachverstand' zurückzieht. Der hinzugezogene wissenschaftlich-technische Sachverstand erweist sich als in dieser Entscheidungspraxis wesentlich robuster gegenüber rechtlicher Kontrolle als die Abwägungsprozesse der Planfeststellungs- und Bauplanungsbehörden. Wolf konstatiert für das Rechtssystem dieselben Folgen wie die sozialwissenschaftliche Technikforschung. "Technik reglementiert sich zunehmend durch disziplineigene Sicherheitskonzepte und Risikobewertungen selbst. Sie substituiert die traditionellen Methoden der polizeilichen Gefahrenabwehr." (Wolf, 1986, 242) Es bilden sich informelle Kooperationsformen zwischen Wissenschaftlern, Ingenieuren und Beamten heraus (Bohne, 1992, Schneider, 1992). Die Maßstäbe für die rechtliche Inhaltskontrolle der Technik werden zunehmend an die Naturwissenschaften abgegeben, da die rechtsnormengeleiteten Kontrollmöglichkeiten fehlen und auch nicht durch eine umweltrechtliche Materialisierung des Rechts einzuholen sind. Die fehlende rechtliche Kontrolle umstrittener Technologien der Risikogesellschaft erweist sich nicht als fehlerhafte Praxis der Rechtsanwendung, sondern als Schwäche des Rechtssystems insgesamt (Wolf, 1991a). Mit den gefundenen gerichtlichen Bewertungen von sozialen Konflikten um Techniken kann sich zwar die Dogmatik zufrieden geben, doch die Autorität der Jurisprudenz leidet ebenso wie die Legitimität des politisch-administrativen Systems (vgl. Nocke, 1988). Die erkenntnistheoretischen Prämissen für den Bereich der Technik können mittlerweile als durch die Risikoforschung widerlegt gelten. Um so weniger kann man die Richtigkeit dieser Prämissen im ökologischen Kontext offener Systeme unterstellen. Trotzdem haben sich Gesetzgebung und Rechtssprechung weiterhin lange auf Grenzwerte konzentriert.

Innerhalb des Rechtssystems zeigte sich dabei aber, daß die Sicherheit des Rechts nicht identisch ist mit der Sicherheit von Rechtsgütern und daß das Rechtssystem selbst Unsicherheiten etwa durch unbestimmte Rechtsbegriffe erzeugen kann.

Beispielsweise statuiert das Abfallrecht den Unterschied zwischen 'Produkt' und 'Abfall' und darauf aufbauend eine Abfallhierarchie, die von der 'Vermeidung' über eine 'Verwertung' zur 'Beseitigung' hin abfällt. Die einzelnen Abgrenzungen sind jedoch rechtlich unbestimmt. Diese Unbestimmtheit der Begriffe wird auch durch die Differenzierung des Verwertungsbegriffs in die 'stoffliche' und die 'thermische Verwertung' (§ 6 KrW-/AbfG) und weitere Kriterien (wie Heizwert,

113 Auch der gegenwärtige sozialwissenschaftliche Risikodiskurs ist durch die Tendenz charakterisiert, Technologie-entwicklung als quasi-natürlichen Prozeß zu beobachten (Evolution von Technik). Doch die theoretische Perspektive einer selbstreferentiellen Technikentwicklung kann die Differenz von Natur und Gesellschaft letztlich nur naturalistisch auflösen. Sie übergeht moralische Verantwortung. B. Latour hat diese These am nachdrücklichsten vertreten und trotz gänzlich anderen Intentionen als Forsthoff letztlich auch in der (variablen) Ontologie Zuflucht gesucht (Latour, 1995; kritisch dazu: Werle, 2000).

§ 6 II, 2, und Umweltverträglichkeit, § 5 IV) noch nicht hinreichend präzise aufgelöst, um rechtliche Abwägungen determinieren zu können. Dem Abfallrecht ist damit rechtlich kein ökoeffizienter Entwicklungspfad eingeschrieben. Für die wirtschaftenden Regelungsadressaten, denen das Abfallrecht zunächst einmal als Verfügungsrecht gegenübertritt, eröffnet dies die Möglichkeit zu erfolgversprechenden Klagen mit der Folge ansteigender Transaktionskosten für das politisch-administrative System. Ähnliche Probleme ergeben sich im anlagenbezogenen Umwelt-recht.

Durch neue Technologie eröffnete Gefährdungsstrategien müssen Konsequenzen für politische Theorie und normative Demokratietheorie zeitigen (so Hegemann, 2000). Die Einführung neuer Techniken und Technologien stellt sich als legitimatorische und steuerungstechnische Herausforderung für die Demokratie dar. Folgt man den in Kapitel 1 dargelegten ethischen Überlegungen, so muß nach dem angesprochenen Modell Reese-Schäfers vor der Einführung neuer Technologien ein moralischer Diskurs erfolgen.114 Dieser soll die mit der neuen Technologie verbundenen Risiken zum Gegenstand haben und mögliche Gefahren antizipieren und neue Handlungsbereiche öffnen oder schließen.115 Es wird eine erweiterte Kontrolle der Technik angestrebt. Diese wird als Vorsorge auf die technologische Entwicklung insgesamt ausgeweitet. Die Kritik am Recht im Angesicht der Risikogesellschaft moniert folgende Probleme (vgl. Wolf, 1986, 249 ff): 1. Unbestimmtheit der Normen in bezug auf ihren Regelungsgegenstand, 2. Unbestimmt-heit der Regelungsadressaten oder Normensubjekte angesichts von Gefährdungs- und Risikolagen, deren haftungsbegründende oder -ausfüllende Kausalbeziehung undurchschaubar, unkontrollierbar und damit unregulierbar geworden ist, 3. mangelnde Normenkenntnis und -erkennbarkeit, Normenbeachtung und -akzeptanz (weshalb oft paktierendes Recht empfohlen werde).

Denninger hat weder die Prämissen einer ontologischen Beschreibung von Technologie noch die These des Versagens des Rechtsystems geteilt. Er hält dem drei optimistische Prämissen entgegen:

"1. Recht ist (auch heute noch) ein taugliches Mittel zur Steuerung des technologisch-sozialen Entwicklungsprozesses, 2. Politik will sachverständig (wissenschaftlich) 'beraten' sein, 3.

Wissenschaft ist in der Lage, die Entscheidungsträger der Politik sachverständig zu 'beraten'."

(Denninger, 1989, 645) Sein Technologiekonzept führt das angedeutete Diskursmodell der Technologiesteuerung näher aus. Versucht man Technologiesteuerung in der Grundrechtsdimension zu erfassen, träten drei grundlegende strukturelle Schwierigkeiten auf (vgl. ebd., 650 ff):

1. Verständigungsschwierigkeiten zwischen Juristen und Techniker (Maße und Meßwerte lassen sich nicht ohne unbestimmte, mit richterlicher Wertung auszufüllende Rechtsbegriffe in Gesetze fassen),

114 Einen Überblick über Beteiligungsverfahren bei technologie- und umweltpolitischen Entscheidungsprozessen gibt Priscoli, 1993.

115 Vgl. aber die Einschätzungen von Marcinkowski, 2000, Martinsen 2000, Canzler, Dierkes, 2000.

2. Konsensual- und Kognitionsprozesse sind nicht klar voneinander zu isolieren, so daß etwa der 'Gemeinwohlbegriff' nicht mehr brauchbar sei und man auf den 'wissenschaftlichen Sachverstand' zurückgreifen müsse; dies erlaube schließlich

3. dem Gesetzgeber eine hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, was auch für die Formen der Beteiligung an den Normsetzungsverfahren gelte. In diesen demokratietheoretisch relevanten Verfahren gelte immer auch, daß die willensbezogenen und die kognitiven Komponenten in jeder Phase der technologischen Normsetzung und -konkretisierung gefunden werden müssen.

Gemeinwohlorientiertes Technikrecht muß dann technologisch richtig in bezug auf die zu regelnde einzelne Technik und in seinen grundlegenden Entscheidungen in dem Sinne ge-meinwohlverträglich sein, daß diese Entscheidungen in einem Verfahren gefällt werden, das Alternativen geprüft hat. Da es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers zur Fixierung von Umweltstandards gibt, ist dieser gehalten, "durch prozedurale Garantien den Prozeß und die Organisation der untergesetzlichen Normsetzung vorzugeben." (Wolf, 1990, 384) Schließlich kommt – idealiter – gemeinwohlrichtiges Technologierecht nur zustande, wenn es im Hinblick auf die demokratische Allgemeinheit durch das Verfahren seiner Erzeugung in vollem Maße als repräsentativ und demgemäß legitim gelten kann (Denninger, 1989, 655 f). Denninger denkt hier nicht nur an die Repräsentation gesellschaftlicher Pluralität in rechtsgesteuerten Verfahren der Normensetzung, sondern auch an Gegenmacht- und Gegeninformationsbildung. Hier wären parlamentarische Enquete-Kommissionen zu nennen (vgl. Euchner et al., 1993). Preuß hat zusätzlich noch die Bedeutung der Reversibilität von Technik hervorgehoben (Preuß, 1994, 543).

Das Konzept setzt nicht auf den Ausbau des Individualrechtsschutzes, sondern auf die objektivrechtliche Ausdehnung des Umweltschutzes. Die inhaltliche Objektivierung ursprünglich rein individuell subjektiver Grundrechtspositionen kann nur prozedural aufgefangen werden und zwar durch Staatszielbestimmung und Gesetzgebungsaufträge. Die prozedurale Normierung ist aber nur tentativ zu normieren. Die Ablösung vom Rechtssubjekt erfolgt sowohl beim Betroffenen als auch beim Verursacher. Sie verweist bei der Herausbildung kollektiver Güter auf eine pluralistische Demokratietheorie.

Obwohl es das Rechtssystem der Risikogesellschaft nicht auf neue epistemische Grundlagen stellt, vergrößert Denningers Konzept die Legitimität des Technikrechts. Die 'Richtigkeitsgewähr' des Rechts verschiebt sich von normierten Ge- und Verboten zur 'richtigen' Normierung von Ge- und Verboten. Dies konstituiert ein Element rechtlicher Rationalität. Teilweise als Begleiterscheinung dessen wird aber 'Verrechtlichung' weiter zunehmen. Dies ist bereits für fast alle Rechtsbereiche der Technikentwicklung konstatiert worden. Die richterliche Kontrolldichte wird demgegenüber an Bedeutung verlieren. In diesem Konzept stehen generell nicht Grundrechtspositionen im Mittelpunkt, sondern die objektivrechtliche Ausweitung des

Umweltschutzes über Staatsziele bzw. Staatsaufgaben116 In diesem Bereich wird der Status Quo fortgeführt: Nur ein kleines Segment der verrechtlichten Technikentwicklung ist durch Drittbetroffenenschutz der gerichtlichen Kontrolle zugänglich.

Eine Vorhersage über die Verfassungsverträglichkeit technologischer Entwicklung, basierend auf freisetzendem Recht (Wolf), scheint aufgrund der Gestaltungsspielräume und der Anpassungsfähigkeit des Rechts kaum möglich. Freisetzendes Recht könnte einen Entwicklungspfad ermöglichen, der zwar direkt keine gefährdenden Technologien hervorbringt, gleichwohl aber indirekt nachhaltige Entwicklung durch die damit verbundene Expansion der Stoff- und Energieströme verfehlt. Indem Denningers Konzept Technik einem legitimationsfördernden Verfahren der vorsorgenden Risikokontrolle unterwirft, könnte es allerdings als eingrenzendes Recht (Winter)117 richtungssicher auf Nachhaltigkeit hinwirken. Gelungene Techniksteuerung könnte dann, so die optimistische These, Umweltpolitik entlasten. Technik könnte als 'systemisches Umweghandeln' (Preuß) verstanden werden, bei welchem durch funktionelle Differenzierung ein sozialer Prozeß organisiert wird, der die technisch-soziale Wirkungsmöglichkeiten steigert. Doch mit der Schaffung neuer Optionen erhöht sich auch der Bedarf an Kooperation und organisatorischer Koordination und damit die Möglichkeiten von Fehlern und Irrtümern. In der Geschichte der Regulierung von Technik, die neben dem Schutz der menschlichen Gesundheit seit den 70er Jahren zunehmend auch den Umweltschutz umfaßt, zeigt sich eine zunehmende, wissensbedingte Verschiebung im staatlichen Regulierungsmodell. "Je größer dabei der Wissensvorsprung der Regelungsadressaten vor der staatlichen Aufsichtsbehörde und je mehr wissenschaftlich-technischer Sachverstand nötig ist, um Risiken und die Möglichkeiten ihrer Minderung einzuschätzen, um so mehr nähert sich die staatliche Regulierung dem Modell regulierter Selbstregulierung an." (Mayntz, 2000, 13 f.)118

Freisetzendes Recht transformiert die generelle Handlungserlaubnis des modernen Rechts in eine qualifizierte Erlaubnis und führt Technik so in das Rechtssystem ein. Die qualifizierte Erlaubnis konstituiert rechtliche Verantwortung und reklamiert moralische und ethische Neutralität. Teilweise sichert sie bestehende Grundrechtsvoraussetzungen, indem es wissenschaftliche Forschung oder einen Markt ermöglicht und technologische Entwicklungen unter Rechtssicherheit stellt (vgl.

Kloepfer, 1998, 131f). So gewährt etwa das BImSchG einen weitreichenden Bestandsschutz für Anlagen, der, rechtssoziologisch besehen, bereits in der Genehmigungsphase mit der Möglichkeit zum Ausschluß der Öffentlichkeit (Präklusion nach §10 III 3 BImSchG) einsetzt aber erst mit der einmal erteilten, unanfechtbaren Genehmigung materielle Form erhält. Der Bestandsschutz sichert

116 Vgl. zur Staatsaufgabe ‚Risikovorsorge/Umweltschutz': Czada, 2000; Kirchgässner, 1994; Preuß, 1994a; Wahl, 1990 und allgemein zur Debatte über wachsende Staatsaufgaben: Grimm, 1990; Günther, 1990; Schulze-Fielitz, 1990.

117 M. Kloepfer (1998) übernimmt diese Unterscheidung von Recht der Technikkontrolle und der Technikermög-lichung.

118 Werle, der ebenfalls zwischen freisetzender und eingrenzender Technik unterscheidet, versteht kodifizierte tech-nische Normen als revidierbares Ergebnis eines Entscheidungsprozesses und nicht als emergente Phänomene.

Sowohl Absender als auch Adressaten solcher technischen Standards sind individuelle oder kollektive Akteure. Es sei analytisch weiter zwischen Setzung, Implementation und Durchsetzung von technischer Normen zu differenzieren; Werle, 1995.

den Betreiber einer genehmigten Anlage vor den Rechtsansprüchen Dritter. Das Genehmigungsver-fahren einer Anlage nach BImSchG entscheidet somit nicht nur gegenüber dem Antragsteller sondern auch gegenüber Dritten. Insofern läßt sich feststellen, daß "das freisetzende Recht [...] am Prozeß der Technikentwicklung teil[nimmt], indem es sich selbst für technikneutral erklärt." (Wolf, 1992, 81) Eine Neutralität freisetzenden Rechts muß jedoch angezweifelt werden, wenn dies mit der Ausweitung des anthropogenen Stoff- und Energiestroms einhergeht, welcher die gesellschaftlichen Naturverhältnisse dynamisiert. Zwar erfolgt die Genese ungefährlicher Technik unter epistemo-logischer Sicherheit (vgl. Kapitel 2.3.2), sie schafft jedoch allein aufgrund des stofflich-energetischen Aspekts koevolutionäre Unsicherheiten, die das Sicherheitsversprechen des Rechts-systems latent bedrohen. Bisher haben sich bis auf wenige Ansätze im Umweltverträglichkeits-gesetz Kriterien für die Technikbewertung wie Fehlerfreundlichkeit, Reversibilität, Lernfähigkeit, Diversifizierung und Diskursorientierung kaum etablieren können (vgl. Wolf, 1992, 83). Dies gilt auch für Maßstäbe der Ökoeffizienz. Das Ignorieren dieser Kriterien aber reißt eine soziale Modernisierungslücke auf, die nicht nur den traditionellen Bestand an rechtsstaatlichen Verfahren, sondern implizit auch alle Überlegungen zu Risikoanalysen, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Technikfolgenanalysen als aufwendige Projekte gesellschaftlicher Modernisierung in Frage stellt (Wolf, 1992, 88).

Das Umweltrecht enthält darüber hinaus Rechtsinstitute – wie etwa das GenTG –, die zum Funktionskreis des 'freisetzenden Rechts' zählen und epistemologisch unsicher sind (vgl. Schiller, Tänzler, 2002). Dem freisetzenden Recht liegen hier soziale Technisierungskonflikte voraus, die vermutlich deshalb nicht versöhnlich beigelegt werden können, weil Wissen epistemisch unsicher ist, – so die These im Anschluß an die in Kapitel 2.3.2 vertretene argumentationstheoretische Differenzierung. Bei Mißachtung epistemischer Unsicherheit durch freisetzendes Technikrecht können – wie im Fall freigesetzter GMO – auch partizipatorische Verfahren Konflikte nicht legitim schlichten (Jansen, 2000; Saretzki, 1996b). Das Recht reklamiert durch gesetzte Verfahren zwar auch hier noch die ethische Neutralität der Technik. Doch die generalisierte soziale Autorität des Rechts gibt noch keine Auskunft über die rationale Legitimität des Rechts.119 Insofern scheint Denningers optimistische Konzeption im Fall des GenTG bereits partiell revisionsbedürftig.

Im Gegensatz zum freisetzenden Recht steht eingrenzendes Recht am Ende einer Abfolge von Innovations- und Implementationsprozessen, dessen Ausgestaltung durch rechtsförmige In-strumente primär Folgen bewältigen soll, doch sekundär ebenfalls die Entwicklung nach Maßgabe der gesetzlichen Voraussetzungen freigibt. So geben z. B. administrative Genehmigungen Anlagen weitreichenden Bestandschutz. Die Normativität steigert sich meist zum Ende der Entstehung von Technikrecht hin, also im Funktionskreis eingrenzenden Rechts. Von umweltrechtlicher Seite sind befristete Gesetze und Genehmigungen vorgeschlagen worden, welche die Flexibilität und Lernfähigkeit der Verwaltung (Ladeur, 1995, 118 ff; Steinberg, 1998, 171 ff) erhöhen sollen.

119 Preuß (1994) zufolge gefährde bereits die gegenwärtig praktizierte Inanspruchnahme wissenschaftlichen Sachverstands im Rechtssystem und insbesondere im Umweltrecht die soziale Differenzierung. Es würde epi-stemologische Unsicherheit mißachtet und dadurch die Wissenschaften politisieren und deren Autonomie gefährden.

Diese Entdifferenzierung finde bereits im Rechtssystem statt und nicht erst in einer politisierten Öffentlichkeit.

Allerdings steht zu befürchten, daß diese selbst dann zu Lasten der Dignität des Gesetzes gehen, wenn die normativen Technisierungskonflikte zuvor beigelegt werden konnten. Gerade im Umweltrecht finden sich viele Rechtsinstrumente, die unter 'eingrenzendes Recht' fallen. Dieses eingrenzende Recht muß nicht unwirtschaftlich sein; als eingrenzendes Umweltrecht kann es sogar gegen den ökonomischen Vorwurf des Innovationshemmnisses verteidigt werden (Lübbe-Wolff, 2000). Technik- und Umweltrecht ist an den Prozeß der Technikgenese rückgekoppelt;

eingrenzendes Umweltrecht steht der Technikgenese nicht entgegen.120

Zweifellos muß der Nachhaltigkeitsdiskurs qualitative Aspekte, sprich emergente Risiken oder Unsicherheiten, direkt erfassen, da eine Vielzahl von Risiken primär soziale und erst sekundär ökologische Folgen beinhalten und technologisch-systemisch fixiert sind. Die Entwicklung neuer Technologien ist, ein komplexer Prozeß, dessen endogenen und exogenen Elemente sich kaum voneinander trennen lassen. Wissenschaftliche, ökonomische, kulturelle und politische Faktoren stehen miteinander in Wechselwirkung. Die endogene Entwicklung beruht auf der Logik des gegenwärtigen technischen Artefaktpools; die Entwicklung unterliegt aber eben auch exogenen Einflüssen. Die Hoffnung, daß sich über technologische Innovationen selbststeuernd eine nachhaltige Entwicklung einstellt, dürfte sich nicht erfüllen, denn die Entwicklung von Technologien zielt nicht endogen auf Substitution im Sinne ökologischer Modernisierung (Ressourcenproduktivitätsgewinne). Dies scheint nachdrücklich für eine steuerungstheoretische Fortorientierung vom anlagenbezogenen Technikrecht zum ordnungspolitischen Umweltrecht zu sprechen. Als rationales Kriterium der Legitimation dient hierbei die absolute Senkung des Stoffstroms, d.h. die Entkoppelung von ökonomischem Wachstum und Ressourcenverbrauch. Für die qualitativen Aspekte des Stoffstroms bietet indes die Technikdebatte einen Ansatzpunkt, der die endogene Entwicklung von Technologie in einen moralischen Diskurs einmünden läßt.

Wie Wolf (1992) festgestellt hat, werde eine Konvergenz sozialwissenschaftlicher Theorieansätzen und Forschungslinien zum Thema 'Recht und Technik' allein von der Rechtsdogmatik unterstellt, sei aber de facto nicht gegeben. Steuerungstheoretische und politikwissenschaftliche Ansätze zeigten vielmehr eine große Vielfalt von Forschungsansätzen und keine nennenswerten Verbindungslinien zur juristischen Diskussion (vgl. aber Bandelow, 2000).

Bisher zeichnen sich in den Sozialwissenschaften erst Ansätze zu einer Typologie rechtsförmiger Interventionsniveaus ab, die alle noch spezifischen Politikfeldern zuzuordnen sind. Am ehesten läßt sich eine soziale Steuerung der (freisetzenden) Technikentwicklung noch für den Bereich technischer Normen nachweisen (Eichner, Heinze, 1991; Voelzkow, Eichner, 1992). Die Selbstorganisationshypothese läßt sich dagegen nicht auf den Bereich der freisetzenden Gentechnik übertragen, der durch tiefe Konflikte charakterisiert ist (Jansen, 2000). Die These der rechtlichen Steuerbarkeit von Technik scheint sich durch freigesetzte, irreversible Technologien (Atom- und Gentechnik) als Naturalismus zu negieren. Im Unterschied dazu finden (eingrenzende) Umweltnormen durchaus Verbreitung (Voelzkow et al., 1987). Eine vergleichende Evaluation der

120 Daß die Entwicklung von Technologie nicht vollständig durch Technikrecht gesteuert wird, zeigt sich daran, daß die Entwicklung auch durch andere Rechtsgebiete geprägt wird.

divergierenden Steuerungsansätze, könnte zwar einen möglichen Zugang sozialwissenschaftlicher Forschung zum Thema bieten, fand jedoch bisher noch nicht systematisch statt (Werle, Rammert, 1994). Der nähere Zusammenhang zwischen Regelungsintensität und Steuerungseffektivität ist bisher nur in diesem Funktionskreis für einige wenige Politikfelder erforscht worden. Für den neuen Bereich einer nachhaltigen Stoffpolitik meines Wissens noch überhaupt nicht.

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 148-155)