• Keine Ergebnisse gefunden

Umwelt- und Ressourcenökonomie und nachhaltige Entwicklung

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 82-94)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

3.2 Umwelt- und Ressourcenökonomie und nachhaltige Entwicklung

In der politischen Debatte wird oft die Vermutung geäußert, daß das Nachhaltigkeitspostulat auf der ökonomischen Tradition nachhaltiger Bewirtschaftung aufbaut. Dies ist jedoch nur teilweise zutreffend.50 Die Brundtland-Kommission hat in ihrer universale Geltung beanspruchenden Konzeption 'nachhaltiger Entwicklung' die gleichrangige Berücksichtigung sowohl von Entwicklung als auch von ökologischen Grenzen formuliert. Output und Input des ökonomischen Prozesses sind normativ gleichwertig auf soziale Entwicklung bezogen. Hinzu kommt, daß beide

50 Zur Geschichte von Nachhaltigkeit in der Ökonomie vgl. Nutzinger, Radke, 1995.

Kriterien global zu verstehen und auf zukünftige Generationen zu beziehen sind. Nachhaltige Entwicklung schließt demnach internationale und intergenerationelle Gerechtigkeit mit ein. Dies ist eine große Herausforderung für die Ökonomik – vermutlich die größte seit der sozialen Frage –, denn sowohl für die neoklassische Ressourcen- als auch die Umweltökonomie stellt eine effiziente Allokation kein Umweltproblem dar, selbst wenn es zu einer Übernutzung von Ökosystemen kommt. Aus ökonomischer Sicht bestehen Umweltprobleme nur als Folge der ineffizienten Allokation von Naturgütern (vgl. Vornholz, 1997, 42 f).

Während in der Klassik Natur als absolute Grenze der Wirtschaft angesehen wurde, wird die Knappheit der Natur in der Neoklassik durch die intertemporalen Allokation der natürlichen Ressourcen als relative bestimmt. Die Hierarchie der klassischen Produktionstheorie wurde im Lauf der Zeit durch die individualistisch-marginalistische Neoklassik verdrängt (vgl. Christensen, 1989).

Knappe Ressourcen wurden entsprechend den Präferenzen von Individuen nachgefragt. Nachhaltige Bewirtschaftung erneuerbarer Ressourcen und Abbau endlicher Ressourcen werden von der Ressourcenökonomie beschrieben.

Der Rückgriff auf Ressourcen konstituiert den ökonomischen Prozeß und zugleich immer auch einen Energie- und Materiestrom, dessen Folgen erst mit der Herausbildung der Umweltökonomie Gegenstand der ökonomischen Theorie wurde. Die Eigenschaften des Stoffstroms sind dabei für die Ökonomie nur als ex-post beobachtete Externalität relevant, obwohl der Stoffstrom die gesamte materielle Reproduktion der Gesellschaft durch das ökonomische System umfaßt und hierarchische Strukturen hat. Die Ressourcenökonomie konzipiert optimale wirtschaftliche Wachstumspfade. Die Umweltökonomie behandelt die ex-post beobachteten gesundheitlichen und ökologischen Folgen.

Diese sollen mit Steuern (nach Pigou) oder Eigentumsrechten (nach Coase) dergestalt internalisiert werden, daß die Optimalität der intertemporalen Allokation gemäß der ressourcenökonomischen Modelle gewährleistet bleibt.

Im Sinne der neoklassischen Ressourcenökonomie ist 'Entwicklung' rein materiell auf Wohlfahrt zu beziehen, welche utilitaristisch oder distributiv (Solow bzw. Rawls) als nicht sinkende Wohlfahrt formuliert wird.51 Die so formulierten Theorien intertemporaler Allokation behandeln die Nutzung von Ressourcen als reines Cake-eating-Problem. Natur wird als Bestand modelliert, der intertemporal zu konsumieren ist. Ressourcen aus der Natur treten als Produktionsfaktor auf, dessen optimale intertemporale Allokation die Umweltökonomie über die Zeit garantiert. Unsicherheit besteht diesen Modellen zufolge im wesentlichen nur über den tatsächlichen Umfang des Ressourcenpools. Irreversibilität wird als Erschöpfung endlicher Ressourcen modelliert, die von der sozialen Diskontrate beeinflußt wird. Diese wirkt sich auch auf die Erntequote nachwachsender Ressourcen und damit auf deren Erhalt bzw. irreversible Zerstörung aus. Diese Ressourcen werden im Produktionsprozeß neben anderen Faktoren verwandt, welche einander substituieren können.

Die Substitutionselastizität der Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, Land/Ressource) wird durch hypothetische Produktionsfunktionen bestimmt, welche auf äußerst optimistischen und teilweise

51 Eine Einführung und Übersicht über die verschiedenen Definitionen bietet Feess-Dörr et al., 1993.

physikalisch nicht haltbaren Annahmen bezüglich der Elastizität der Substitution basieren. Gemäß der zugrunde gelegten Produktionsfunktionen erfolgt die Maximierung des Gegenwartswertes. Als Zeithorizont wählen die Modelle i.d.R. Unendlichkeit.

Im Rahmen der neoklassischen, intertemporalen Modellen der Ressourcenökonomie wurde nicht ökonomisches Wachstums, sondern 'Diskontierung' als ethisches Problem diskutiert.52 In Hinblick auf Nachhaltigkeit (und intergenerationeller Equity) hat eine Diskontrate ambivalente Auswirkungen, da eine positive Diskontrate einen schnelleren Abbau endlicher Ressourcen zur Folge hat und nur eine Nulldiskontrate eine ewig konstante Ernte nachwachsender Ressourcen erlaubt, wohingegen Diskontierung für (ökoeffizientere) Investitionen attraktiv ist (vgl. Ströbele, 1991; Norgaard, Howarth, 1991). Schließlich ist aber gezeigt worden, daß auch eine Nulldiskontrate nicht notwendig den Weg in die Umweltkatastrophe verhindern kann (Radke, 1995, 208 f). Die Modelle garantieren nicht die nachhaltige Bewirtschaftung nachwachsender Ressourcen (Erhalt des Bestandes) und abstrahieren in der Regel von den Folgen der Nutzung endlicher Ressourcen (Abfall, Emissionen). Wird die Assimilationsfunktion der Natur als Produktionsfaktor doch berücksichtigt (Siebert, 1981), ergibt sich daraus die Substitution des Naturkapitals durch produzierte Kapitalgüter, was die viel grundsätzlichere Frage nach der Substituierbarkeit von Natur durch Kapital aufwirft.

Obwohl die Modelle offensichtlich Zeit zum Gegenstand haben, abstrahieren sie von den realen zeitlichen Umständen des ökonomischen Prozesses. Die unzureichende Konzeptionalisierung der Zeit in der Neoklassik betrifft sowohl den ökonomischen Prozeß selbst, der zumeist mechanistisch-reversibel gedacht wird, als auch die Umweltschäden, welche für internalisierbar und damit für reversibel gehalten werden (vgl. dazu Godard, Salles, 1991). Die Modelle sehen von Unsicherheit in der Entwicklung von ökonomischem System und natürlicher Umwelt ab, obwohl sie eine intertemporale Perspektive einnehmen. Sie verkennen dabei den emergenten Charakter des ökonomischen Outputs als Stoff- und Energiestrom. Intertemporal stellt Natur nicht einen Bestand, sondern einen wandelbaren Strom an Funktionen (Assimilationsfunktion und Nutzenfunktion) bereit. Die den Modellen intertemporaler Allokation zugrunde gelegten Produktions- bzw.

Wohlfahrtsfunktionen legen dagegen einen Bestand zugrunde und werden über alle Generationen hinweg verfolgt, ohne daß dies adaptives ökonomisches oder ökologisches Lernen ermöglichen könnte.

In der intertemporalen Allokation von endlichen Ressourcen treten externe Effekte auf, die gemäß der Neoklassik in den Markt internalisiert werden müssen, um ein langfristiges Markt-gleichgewicht herzustellen. Die Umweltökonomie behandelt die speziellen Fälle externer Effekte mit umweltschädigenden Wirkungen. Die Umweltökonomie internalisiert entstehende Umweltschäden, indem sie Umweltschäden monetär erfaßt und dem Verursacher bzw. den Verursachern die volkswirtschaftlichen Kosten in Rechnung stellt. Innerhalb der ökonomischen Theorie konkurrieren die bereits angesprochenen zwei Lösungen zu diesem Problem miteinander:

52 Birnbacher, 1988, 101 ff; Rawls, 1971, 293 ff

die Belastung des Verursachers durch eine staatliche Steuer in der Höhe der marginalen Schadenskosten nach dem Vorschlag A. C. Pigous und private Verhandlungen über das Ausmaß der externen Effekte im eigentumsrechtlichen Ansatz von R. Coase. Der Ansatz von Pigou wurde 1946 veröffentlicht, der von Coase 1960 (vgl. Mishan, 1971). Beide Ansätze werden häufig in einem Atemzug als Lösung des Umweltproblems genannt und theoretisch für gleichwertig gehalten, da beide die Optimalität der Allokation proklamieren. Allerdings ist Coase' Theorem für die praktische Umweltpolitik bedeutungslos geblieben, – was nicht nur an seiner verteilungspolitischen Dimension liegen dürfte.

Nach Coase (1960) haben ökologische Probleme die statische Struktur einer Tragödie der Allmende (Gefangenendilemma). Die Tragik kann Coase zufolge durch die (staatliche) Vergabe von Eigentumsrechten verhindert werden. Die Ökonomie der Eigentumsrechte besagt, daß ein Arrangement von Eigentumsrechten das zu einer ineffizienten Allokation von frei zugänglichen Ressourcen führt, bei der alle schlechter gestellt sind, durch Pareto-bessere Allokationen aufgehoben werden könne. Dazu müßten Eigentumsrechte (durch den Staat) definiert oder umdefiniert und (durch Private) getauscht werden können. Coase' zentrale Einschränkung ist, daß dabei keine Transaktionskosten anfallen und die Einhaltung der neuen Eigentumsordnung extern überwacht wird. Als umweltökonomische Antwort auf die ökologische Krise kann das Coase Theorem deshalb keinesfalls dienen, da hierbei die Informationskosten hoch sind und die Probleme dynamisch. Das Coase Theorem deutet (ökologische) Probleme instrumenteller Rationalität in (soziale) Probleme strategischer Rationalität um und verkennt so systemtheoretische Einsichten in System-Umwelt-Beziehungen.

Der handlungstheoretische Gehalt des Coase-Theorems wirft sogar die Frage auf, ob – im Sinne individueller Folgenverantwortung – das Verursacherprinzip noch Gültigkeit beanspruchen kann.53 Dies betrifft sowohl die ethische als auch die ökonomische Tradition: Für den methodologischen Individualismus ist die strikte Trennung zwischen Daten- und Wahlbereich konstitutiv. Der Wahlbereich ist durch isolierte, (atomisierte) Einzelentscheidungen freien Tauschs charakterisiert, die durch das Gleichgewicht des Marktes integriert sind. In der Allokationsperspektive, der das Coase' Theorem folgt, ergibt sich das Optimierungshandeln durch rationale, individuelle Marginalkalküle, d.h. das Handeln von Individuen ist intentionales, nutzenmaximierendes Handeln.

Soziale Verselbständigung in Abweichung zum Marktgleichgewicht wird in der neoklassischen Ökonomie im Gegensatz zur Soziologie nicht verfolgt. Coase vollzieht nun mit seinem Theorem eine Dualisierung der neoklassischen Modellogik, indem eine explizit zentralistische Entscheidungsfindung über umweltbezogene Anreize eingeführt wird. Individuelle Nutzenmaximierung und gemeinwohlorientierte Entscheidungsfindung über Umweltgütern treten sich gegenüber. Diese Annahme behauptet implizit die Substituierbarkeit von Umwelt- und Nicht-Umweltgütern, die durch einen externen Regulator (zeitlos) optimiert wird. F. Beckenbach hat

53 Dies gilt über die rechtliche Unterscheidung zwischen Kausalität und Verschuldung (wie u.a. im Umwelt-haftungsrecht) hinaus, denn das Coase-Theorem beruht auf dem intentionalen Handlungsmodell des homo oeconomicus.

darauf hingewiesen, daß diese Dualisierung zu inkonsistenten Resultaten führen muß, wenn sie der Umwelt die Eigenschaft eines öffentlichen Gutes zuweist (Beckenbach, 1991b). Die Annahme vollständiger Information und die Erweiterung des Allokationsmodells um die Umweltnutzung ist aufgrund des Informationsproblems (asymmetrische Informationsverteilung zwischen Verschmutzer und Geschädigtem unter epistemologischer und ökologischer Unsicherheit) nicht kompatibel (ebd., 111).54 Und selbst wenn das Informationsproblem nicht existieren würde, stellte sich noch immer das Reziprozitätsproblem (Coase), denn nicht nur die Nutzungsansprüche des Schädigers, sondern auch die des Geschädigten sind Teil des Allokationsproblems: Individuelles Handeln wird hier erst durch das Handeln anderer rational, d.h. es ist nicht-kooperativ und strategisch. Coase unterstellt privaten Verhandlungen dagegen einen kooperativen Charakter, indem er sie in einen pareto-optimalen Vertragsabschluß enden läßt. Coase konstituiert zwei Märkte: einen Markt für Güter, auf welchem sich Preise parametrisch bilden, und einen für Nutzungsrechte, als zweiseitiger Verhandlungsmarkt (barter) mit strategischer Preisbildung.55 Für die Gleichgewichtslösung ergeben sich daraus gegensätzliche Forderungen: Während der Gütermarkt eine möglichst große Teilnehmerzahl erfordert, gilt für den Verhandlungsmarkt von Nutzungsrechten das Gegenteil. Die Wahrscheinlichkeit, daß dort effiziente Entscheidungen getroffen werden, ist um so geringer, je größer die Anzahl der Geschädigten ist.

Der Optimalitätsanspruch, den das Coase Theorem für die intertemporale Allokation erhob, ist aufgrund dieser Probleme fallen zu lassen. Von Baumol und Oates wurde derselbe Anspruch hinsichtlich der Pigou-Steuer schon früher (und teilweise unter Verweis auf Coase' fehlerhaftes Theorem) explizit aufgegeben, denn der Umstand, daß die Pigou-Steuer dem Grenzschaden im späteren Pareto-Optimum entsprechen muß, führt ökonomische und ökologische Unsicherheit in das Modell ein (Baumol, Oates, 1975, 160 f). Das Coase' Theorem ist somit nicht nur wegen seiner möglichen Verteilungswirkung brisant und mit hohen politischen Transaktionskosten verbunden (vgl. Scharpf, 2000, 204 ff), sondern es läuft sowohl der ethischen und als auch der neoklassischen ökonomischen Tradition entgegen. Seine Übernahme in die sozialwissenschaftliche Theorie (vgl.

Luhmann, 1986, 29 ff) importiert somit stark normative Implikate, die einem produktivistischen Fehlschluß unterliegen, denn Coase formuliert eine intergenerationelle Verteilungsfrage in eine intertemporale Allokationsfrage um, die vom Umfang (scale) des Wirtschaftssystems gänzlich abstrahiert.

Angesichts der Probleme der Ökonomie, Konzepte und Theorien zur systeminternen Bewäl-tigung der ökologischen Krise auszuarbeiten, haben Baumol und Oates einen umweltpolitischen Ansatz ausgearbeitet, der diesen Anspruch a priori fallen läßt (Baumol, Oates, 159 ff).

Charakteristisch für diesen sogenannten Preis-Standard-Ansatz ist, daß er nicht auf Präferenzen

54 Wenn der Geschädigte zugleich Schädiger ist, wird er seine Umweltnutzung maximieren und eine umweltbezogene Präferenzartikulation unterlassen. Ist er ausschließlich Geschädigter, kann er, da keine marktlichen Sanktionsmechanismen gegen simulierte Präferenzen bestehen, den Schaden übertreiben.

55 Bei parametrischer Anpassung nehmen Akteure die Aktivitäten und Ergebnisse anderer Akteure als Daten hin und beziehen sie in ihre eigene Handlungsstrategie ein, ohne ihrerseits das Verhalten anderer (eventuell argumentativ) beeinflussen zu wollen.

basiert, sondern durch politische Vorgabe definiert ist und eine (volkswirtschaftlich) kostenminimale Lösung darstellt. Zur Implementation des Ansatzes werden umweltpolitische Standards durch eine politische Instanz gesetzt, d. h. Emissionsmengen regulativ vorgeschrieben.

Dazu werden vom Staat entweder Steuern erhoben oder Zertifikate ausgegeben. Beide Varianten des Preis-Standard-Ansatzes werden in einem ordnungspolitischen Rahmen nachhaltiger Entwicklung eingeordnet (Zimmermann, Hansjürgens, 1998).56

Während Steuern der ökonomischen Tradition der Pigou-Steuer folgen, sind Zertifikate, eine zurückhaltendere Variante der Coase'schen Verhandlungslösung. Im Unterschied zum Coase-Theorem hat die Spieltheorie eine strategischen Begründung für Zertifikatverhandlungen geliefert.

Anstatt eines zentralen Regulators stellt sich die Allokationsaufgabe vor dem Hintergrund sozialer Dilemmatasituationen. Diese werden in Erweiterung der neoklassischen Umweltökonomie sowohl von der Neuen Politischen Ökonomie als auch von der Neuen Institutionenökonomik beschrieben.

Beide Ansätze untersuchen für die Umweltökonomie relevante, strukturelle Phänomene sozialer Verselbständigung. Von der Neuen Institutionenökonomik werden positivistische Modelle entworfen, welche kollektive Entscheidungssituationen thematisieren und die institutionelle Steuerbarkeit von Zertifikaten verfolgen (Bonus, Häder, 1998). Daneben sind Institutionentransfers diskursanalytisch erklärt worden (Scherrer, 2001). Diskurstheoretisch ist aber zunächst einmal nicht empirisch auf institutionelle Diffusionsprozesse zu verweisen, sondern auf den universalen normativen Geltungsanspruch von Nachhaltigkeit, wohingegen die institutionelle und instrumentelle Ausgestaltung Gegenstand von Anwendungsdiskursen ist.

Unter Informationsaspekten liegt es für die umweltpolitische Instrumentenwahl nahe, auf Zertifikate zurückzugreifen, da diese die Wahl der jeweils geeigneten Form der Emissions-vermeidungen dem einzelnen Unternehmer belassen, während bei Abgaben das dezentrale Wissen der Emittenten z. T. erst wieder zum Staat transferiert werden muß. Das politische System muß bei Abgaben nicht nur unter ökologischer Unsicherheit, sondern auch unter ökonomischem Risiko (Anpassungskosten) entscheiden. Für Zertifikate ist dagegen kein (ökonomisches) Wissen über Schadenskosten erforderlich, da allein Schadensmengen festgesetzt werden. Diese können in einem iterativen Lernprozeß erschlossen werden.

Für Zertifikate spricht auch, daß sie im Gegensatz zu Abgaben nicht von intertemporalen ökonomischen Entwicklungen wie Wachstum und Preisinflation abhängig sind. Eine Inflation der Preise verringert den realen Wert von Abgaben, und eine wachsende Produktion würde bei konstant zu haltenden Immissionslasten eine wachstumsproportionale Anhebung der Abgaben nach sich ziehen müssen. In beiden Fällen würde die Erhöhung der Abgaben allein aus der Entwicklung des Wirtschaftssystems resultieren und nicht aus der Verschärfung von Umweltstandards. Abgaben zeitigen gegenüber Zertifikaten folglich höhere politische Transaktionskosten.

Schließlich können Zertifikatsysteme auch spezifischer auf räumliche Umweltprobleme eingehen als Steuern. Zertifikatsysteme können sowohl bei Emissionen, als auch bei Immissionen

56 Vgl auch die Rolle von Zertifikaten und Abgaben in den ordnungsökonomischen Studien in: Gerken, 1996.

ansetzen und u. a. damit räumlichen Aspekten in der Umweltpolitik angemessen Rechnung tragen.

Die politische Zielformulierung kann 'Umweltregion' und 'Marktregion' über verschiedene Ausgestaltungen des Zertifikatsystems zueinander in Beziehung setzen (Karl, 1998). Allerdings können Probleme entstehen, wenn staatliche Institutionen (Föderalismus) und die problem-spezifische Umweltregion nicht zusammenfallen.

Einen Nachteil allerdings weisen Zertifikate gegenüber Steuern auf: Sie führen im Markt zu vergleichsweise höheren Transaktionskosten. Diese entstehen aus der betrieblichen Anpassung an die staatliche Zielsetzung, da gegenüber einer Steuer eine marktinterne Koordination von Zertifikattransfers notwendig wird. Derartige wettbewerbspolitische Bedenken gegen Zertifikate lassen sich jedoch durch entsprechende institutionelle Ausgestaltung weitestgehend ausräumen (Weimann, 1998). Sie verweisen aber auf die immer gegenwärtige Gefahr eines Vollzugsdefizits bei ungenügender staatlicher Kontrolldichte.

Generell können Emissionszertifikate so ausgegeben werden, daß für die privatwirtschaftlichen Akteure hinreichende Planungssicherheit besteht. Die Ausgabe kann sowohl durch Ersteigerung von Zertifikaten (als Voraussetzung des behördlich erlaubten Betriebs) als auch durch 'Grandfathering', d. h. durch die status-quo-orientierte Ausgabe von Zertifikaten an Emittenten geschehen. Als Problem des Grandfathering kann auftreten, daß mit der Ankündigung einer Zertifikatlösung, der Ressourcenverbrauch bzw. der Emissionsausstoß zunimmt.

Beim Grandfathering legt der Staat eine zeitliche Abwertung der Zertifikate fest, welche die Gesamtemissionsmenge entsprechend begrenzt und den Firmen die Deckung ihrer Emissionen durch Zertifikate vorschreibt, so daß sie entsprechend der Abwertung entweder Reduktionen vornehmen müssen, oder zusätzlich Zertifikate von anderen Firmen aufkaufen müssen. Bei der Versteigerung wird von vornherein nur die Zielmenge an Zertifikaten ausgegeben.

Theoretisch würden sich für Zertifikate gleichgewichtige Lösungen ergeben können, wenn Zertifikatmärkte ohne Marktversagen als ideale Märkte funktionieren könnten. Marktversagen ist jedoch, wie das Coase Theorem zeigte, bei der Konstituierung öffentlicher Umweltgüter praktisch unvermeidlich, da die Teilnehmerzahl bei öffentlichen Umweltgütern groß ist. Die Preis-Standard-Lösung berücksichtigt diese Probleme nicht und überschreibt die ordnungsrechtliche Konstitution des Umweltschutzes dem politisch-administrativen System. Zertifikate und Abgaben fungieren innerhalb eines solchen Rahmens als zweitbeste Lösung.

Dennoch stellen sie weitere Anforderungen, so an die Homogenität des handelbaren Umwelt-gutes. Ursache und Wirkung müssen in einem hinreichend ähnlichen, d.h. standardisierbaren Verhältnis stehen. Ist dies wie bei 'hot spots' nicht der Fall und lokale oder zeitliche Konzentrationseffekte übersteigen die zugrunde gelegte standardisierte Wirkung der Einheiten, verlieren Zertifikaten ihre ökonomische Effizienz als Second-Best-Lösungen. Dennoch ist das Anwendungsfeld von Zertifikaten, ebenso wie von Abgaben, weitgefaßt (allgemein: Klepper, 1998). Zur Diskussion gestellt wurden etwa Zertifikate im Verkehrsbereich (Köhn, 1996, Junkerheinrich, 1998) oder im Siedlungsbereich (Bizer, 1996).

Zertifikate und Abgaben beruhen allgemein auf ex-post erkannten Umwelt- oder Gesundheits-schäden, die vom politisch-administrativen System gegenüber dem ökonomischen System implementiert werden. Sie begründen, dem Ansatz von Baumol und Oates folgend, nicht präventive Umweltpolitik, sondern versuchen, eingetretene Umweltschäden zu beheben oder finanziell auszugleichen. Mit dieser Ex-post-Perspektive kann auch ein detailliertes System von Zertifikaten und Abgaben eine nachhaltige Entwicklung nicht gewährleisten (Streissler, 1993).

Andererseits reduzieren Zertifikate und Abgaben die (stofflichen) Emissionen des ökonomischen Systems potentiell kostenminimal. Sie müssen dabei nicht ex-post ausgerichtet sein. Stoffliche Reduktionsziele können im Rahmen eines Diskurses über Nachhaltigkeit bestimmt werden, so daß Zertifikaten auch für die eine präventive Politik der Nachhaltigkeit eine wesentliche Rolle zukommen kann. Zertifikate und Abgaben müßten dafür beim Input ansetzen, wie dies etwa CO2

Steuern aufgrund des linearen Zusammenhangs zwischen Input und Output bereits tun. Im Sinne einer Dematerialisierungspolitik sind Zertifikate im Bereich des internationalen Klimaschutzes, allgemein bei stofflichen Immissionen und – hinsichtlich des Inputs – für natürliche Ressourcen diskutiert worden.

Hinsichtlich der Internalisierung und der Prävention von Umweltschäden wird von ökonomischer Seite besonders auf das Haftungsrecht hingewiesen. Dabei ist zwischen Verschuldungs- und Gefährdungshaftung zu unterscheiden. Der Haftungsfall tritt bei der Verschuldungshaftung dann ein, wenn der Betreiber einer Anlage eine ungesetzliche Emission verschuldet hat. Der Staat hat also bei der Verschuldungshaftung ein Emissionsniveau bestimmt, das eine legale Abgabe von Emission im Normalbetrieb gestattet. Diese Form der Internalisierung folgt dem Preis-Standard-Ansatz. Das Haftungsrecht soll darüber hinaus zur Reduktion von Emissionen anreizen und bei schuldhaften Unfällen eine Entschädigung der Opfern sicherstellen.

Bei der Gefährdungshaftung muß der Verursacher für alle auf sein Handeln zurückgeführten Schäden Schadensersatz leisten. Der Schadensfall tritt unabhängig von der privat getroffenen Vorsorge bzw. unabhängig von einem Verschulden ein. Die Gefährdungshaftung weist Parallelen zur eigentumsrechtlichen Internalisierung nach dem Verursacher-Prinzip auf. Der Emittent muß dem Geschädigten den Schaden voll ausgleichen.

Beide Versicherungstypen führen theoretisch zum gleichen allokativen, pareto-optimalen Ergebnis. Sie unterscheiden sich jedoch grundlegend in ihren distributiven Auswirkungen, da die Verschuldungshaftung nur einen Ausgleich für Emissionen oberhalb des gesetzten Standards verlangt. Die von Emissionen Betroffenen müssen den Schaden bei nicht schuldhaftem Handeln im Normalbetrieb hinnehmen. Allerdings liegt hier derselbe Zusammenhang zwischen Allokation und Distribution vor wie beim Coase-Theorem. Langfristig erhöht die Gefährdungshaftung den Preis von Gütern, was zu einem geringeren Produktionsniveau und demnach auch Emissionsniveau der Industrie gegenüber der Verschuldungshaftung führt.

Das Modell beruht jedoch offensichtlich auf eine Reihe äußerst restriktiver Voraussetzungen (vgl. Endres, 1994, 68 f): 1. Es wird vollständige Information vorausgesetzt. 2. Die politisch-administrativen Institutionen können das Emissionsniveau der Verschuldungshaftung

pareto-optimal bestimmen. 3. Der Markt ist durch vollständige Konkurrenz charakterisiert. 4. Schäden und Schadensersatzzahlungen sind identisch und kommensurabel. Unter praktisch-realen Bedingungen kommt es dagegen zu Abweichungen zwischen Schadenshöhe und Schadensersatzzahlungen, so daß Emittenten eine Diskontierung des Schadens vornehmen. Dies läßt sich u.a. zurückführen auf Wirkungsbrüche durch Beweislastprobleme und Haftungsbegrenzungen und hat zur Folge, daß die Internalisierung externer Effekte durch Haftung nicht erreicht wird.

F. Söllner hat darauf hingewiesen, daß die praktische Umweltpolitik regelmäßig eine unterschiedliche Behandlung von kontinuierlichen Emissionen und Unfällen aufweise (Söllner, 1997). Der ökonomischen Theorie zufolge können sowohl Zertifikate und Steuern (ex-ante Anreize) als auch Haftung (ex-post Anreize) Umweltprobleme pareto-optimal internalisieren. Praktisch aber werde in der Umweltpolitik eine Regulierung favorisiert, die mittels Steuern oder Zertifikaten

F. Söllner hat darauf hingewiesen, daß die praktische Umweltpolitik regelmäßig eine unterschiedliche Behandlung von kontinuierlichen Emissionen und Unfällen aufweise (Söllner, 1997). Der ökonomischen Theorie zufolge können sowohl Zertifikate und Steuern (ex-ante Anreize) als auch Haftung (ex-post Anreize) Umweltprobleme pareto-optimal internalisieren. Praktisch aber werde in der Umweltpolitik eine Regulierung favorisiert, die mittels Steuern oder Zertifikaten

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 82-94)