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Der nachhaltige Umfang des Wirtschaftssystems: Scale

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 101-104)

3 Der Metabolismus mit der Natur: das Wirtschaftssystem

3.3 Thermodynamik und die Grenzen der Ökonomie

3.3.2 Der nachhaltige Umfang des Wirtschaftssystems: Scale

Das Ungenügen mit der bisherigen Konzeptionalisierung von Nachhaltigkeit als schwache Nachhaltigkeit hat zu einem Konzept geführt, daß den physischen Umfang des Wirtschaftssystems, die Skalierung (scale), im Sinne von Nachhaltigkeit zu bestimmen versucht. Im Gegensatz zu der auf individuelle Präferenzen zurückgeführten relativen Knappheit in der neoklassischen Theorie beharrt das Steady-State-Konzept von H. Daly auf einer absoluten Knappheit der Ressourcen (Daly, 1990). Diese wird auf die bereits erläuterten thermodynamischen Restriktionen zurückgeführt. Es unterscheidet sich aber auch vom Konzept schwacher Nachhaltigkeit, welches das Umweltproblem aus der Perspektive effizienter Allokation betrachtet. Doch weder die effiziente intertemporale Allokation von Ressourcen noch die zirkuläre Suche nach der richtigen sozialen Diskontrate können die Probleme intergenerationeller Gerechtigkeit lösen, da sich Gerechtigkeit immer auch auf die gegenwärtige Eigentumsordnung bezieht. Externe Kosten können zwar als Indikatoren hilfreich sein, sie können jedoch nicht die Frage gerechter (intra- und intergenerationeller) Verteilung oder ökologischer Tragfähigkeit beantworten. Die ökologische Korrektur von nationalen und internationalen Bilanzierungssystemen garantiert nicht notwendig Nachhaltigkeit, da das Preissystem nur relativ ist.

Daly unterscheidet in seiner Theorie zwischen Allokation, Verteilung und Umfang (scale).67 Die ersten beiden Kriterien sind in der Ökonomie allgemein anerkannt. Allokation bezieht sich auf die relative Zuteilung eines Stoffstroms auf verschiedene Verwendungszwecke. Diese werden durch individuelle Präferenzen bzw. durch die Zahlungsbereitschaft bestimmt. Eine effiziente Allokation ist pareto-optimal. Verteilung ist eine Zuteilung von Gütern, die gemäß eines Kriteriums gerecht oder fair ist. Das Rawls'sche Verteilungskriterium ist hier als das wohl prominenteste zu nennen.

Neu in der Ökonomie ist das dritte Kriterium. Umfang bezieht sich laut Daly auf das physische Volumen des Stoffstroms (physical volume of the throughput). Dieses wird in absoluten physischen Einheiten gemessen. Gleichwohl beruht die Bedeutung des Umfangs auf der Assimilationsfähigkeit der Natur. "Scale is measured relative to the ecosystem rather than to the prevailing market prices and monetary rate of return within the economy. The primary reason for the scale criterion is the long-term sustainability of the human economy within environmental limits; the primary reason for allocative efficiency is the maximization of the present value of wealth in an economy. A sustainable scale should be viewed as a constraint on the maximization of present value, not as a consequence of it." (Foy, Daly, 1992, 299; meine Hervorhebung) Daly vergleicht den Umfang auch mit der Freibordmarke eines Schiffes (plimsoll line), welche dessen maximale Beladungskapazität anzeigt. Wird das Schiff über diese Grenze hinaus beladen, geht es unter, gleichgültig, ob die Beladung (Allokation) optimal erfolgte. Als Beispiele für den Umfang führt Daly Zertifikate an.

Diese seien nicht marktwirtschaftliche Instrumente wie die neoklassische Umweltökonomie glauben machen will, sondern beruhten auf einer politischen Entscheidung über den Umfang der Emission.

Die neoklassische Theorie sehe in zweierlei Hinsicht vom Umfang des ökonomischen Systems ab. Erstens gehe sie davon aus, daß die Ressourcen- und Assimilationskapazität in Relation zum Wirtschaftssystem grenzenlos sei und zweitens der Stoffstrom unendlich klein sei, d.h. Natur nur ein Wirtschaftssektor unter anderen sei, der über mikroökonomische Allokationsinstrumente gesteuert werden könne. Während Allokation in Märkten über Angebot und Nachfrage und Verteilung über Steuern gesteuert werde, bestehe für die Skalierung kein eigenständiges Steuerungsinstrument. Den Externalitäten des Stoffstroms sei nicht mit einzelnen mikroökono-mischen Allokationsentscheidungen beizukommen, wenn andere ökonomische Ziele Wachstum verfolgten und so den Umfang vergrößerten. Daly zufolge benötigt die Konzeptionalisierung des Umfangs eigenständige makroökonomische Instrumente. Deren Entwicklung hält er für eine zentrale Aufgabe der ökologischen Ökonomie. Dalys Präzisierungen des Umfangs führten zu folgenden Managementregeln von Nachhaltigkeit:

• Der Umfang des ökonomischen Systems ist auf die Tragfähigkeit der Erde auszurichten. Bei einem optimalen Umfang würden sich die langfristigen marginalen Kosten der Ausweitung

67 Vgl. Daly, 1992. 'Umfang' scheint eine zutreffende Übersetzung von 'scale' zu sein, wenn man den absoluten Charakter von 'scale' betont; will man hingegen den relativen Charakter von 'scale' hervorheben, bötet sich eher 'Skalierung' an. Allerdings könnte dies eine Skalierung relativ zur Ökonomie suggerieren, wohingegen Daly Skalierung auf die Tragfähigkeit der Lebenserhaltungssysteme (Ökosysteme) bezieht!

mit dem marginalen Nutzen decken. Ein optimaler Umfang würde sowohl Effizienz als auch Suffizienz beinhalten.

• Technischer Fortschritt sollte effizienzsteigernd sein und nicht den Umfang des Stoffstroms erhöhen. Dazu müßten die Kosten für Ressourcen erhöht werden.

• Erneuerbare Ressourcen sollten sowohl in ihre Senken- als auch in ihrer Quellenfunktion gewinnmaximierend nachhaltig bewirtschaftet werden, d.h. die Erntequote darf die Regenerationsquote nicht überschreiten und die Assimilationsgrenzen müßten eingehalten werden. Dazu muß sich gegebenenfalls von dem Ziel der Gegenwartswertmaximierung (present value maximization) gelöst werden.

• Erschöpfbare Ressourcen sollten mit einer Rate abgebaut werden, die der Regenerations-quote nachwachsender Ressourcen entspricht. Die Einnahmen der Ressourcenextraktion sollten in einen Einkommens- und einen Kapitalanteil zerlegt werden. Damit könne nach der Erschöpfung der Ressourcenlagerstätte auf nachwachsende Ressourcen zurückgegriffen werden, die über jährliche Investitionen des Kapitalanteils finanziert worden seien. Die jährliche Nutzungsrate der nachwachsenden Ressource muß dem Einkommensanteil der ursprünglich konsumierten endlichen Ressource entsprechen. (Daly bezieht sich hier auf El Serafys Modifikation des volkswirtschaftlichen Rechnungssystems).

Es dürfte offensichtlich sein, daß Daly trotz seiner Abgrenzung zum Konzept schwacher Nachhaltigkeit auf sehr ähnliche Operationalisierungsprobleme trifft wie deren Vertreter. Die Probleme beruhen teilweise auf der Unmöglichkeit, ein statisches Optimum für den Umfang zu definieren. Dies legt zwar bereits Dalys Definition des Umfangs (absoluter Stofffluß relativ zur Biosphäre) nahe, doch Daly beachtet den Stoffstrom nicht näher, sondern sucht vergeblich (operationalisierbare) ökologische Limits – in der Umwelt des Systems, ließe sich system-theoretisch hinzufügen. Daly argumentiert nicht moralisch, sondern naturwissenschaftlich, doch als Politikempfehlungen sind die genannten makroökonomischen Managementregeln nur bedingt zu gebrauchen.

F. Luks und M. Stewens haben darauf hingewiesen, daß Dalys Konzept des optimalen Umfangs in mehrerer Hinsicht mißverständlich sein könnte (Luks, Stewens, 1999). So suggeriere die Isolierung des Umfangs von allokativen und distributiven Zielen eine normative Hierarchie, welche die Trias von ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen der Nachhaltigkeit aufbreche. Auch wenn dieser Einwand zu relativieren ist,68 bleiben für die ökologische Ökonomie Probleme mit Dalys Konzept der Skalierung bestehen. Denn Daly folgt mit seiner strikten Unterscheidung seinerseits der lebensweltfernen neoklassischen Trennung zwischen Distribution und Allokation.

Dagegen führt Stewens zu Recht an, daß eine ökologische Wirtschaftspolitik die Trade-Offs zwischen verschiedenen interdependenten Zielen nicht vernachlässigen dürfe. So sei auch eine den

68 Dalys Beharren auf die Eigenständigkeit des Umfangs gegenüber ökonomischen Zielen könnte umgekehrt auch die Frage aufwerfen, wieso ökonomische Ziele der Nachhaltigkeit überhaupt von sozialen Zielen der Nachhaltigkeit getrennt behandelt werden, wenn doch die Ökonomik die soziale Welt ausnahmslos in Präferenzen fundiert.

Ideologiekritisch würde die Frage also lauten, wieso Nachhaltigkeit dann nicht auf eine ökologische und soziale Zielsetzung, die institutionell zu verankern wäre, vereinfacht werden kann?

Umfang verringernde Reduktion des Stoffstroms auf politische Zustimmung und funktionierende Märkte angewiesen. Beides werde in ganz erheblichem Maße von distributiven Aspekten einer Implementation bestimmt. Die Vorstellung einer linearen Entscheidungshierarchie (Distribution von Eigentumsrechten und daran anschließende Allokation von Gütern und Einkommen) sei weder zweckmäßig noch empirisch zutreffend. Schließlich würde selbst die umweltpolitische Implementation biophysikalischer Indikatorensysteme distributive Aspekte (wie etwa regressive Effekte auf die Verteilung von Einkommen) einschließen (Luks, Stewens, 1999).

Geht man auf Dalys ursprüngliches Steady-State Konzept zurück, kennzeichnet dieses nicht eine stetige Wachstumsrate wie die neoklassische Wachstumstheorie (alias Umwelt- und Ressourcenökonomie), sondern ein konstanter Energie- und Materiestrom (throughput), der den absoluten Umfang des Wirtschaftssystems relativ zur nichtmenschlichen Umwelt bestimmt.

Boulding (1973) hatte demgegenüber in seiner klassischen, ökonomischen Arbeit zum kommenden Raumschiff Erde den Durchfluß (throughput) als Energie-, Materie- und Informationsfluß bezeichnet. Davon hat Boulding den Informationsfluß als den wichtigsten angesehen. Mit der thermodynamischen Fundierung der ökologischen Ökonomie wird der Energie- und Materiestrom zur wichtigsten Bestimmungsgröße des Umfangs, wohingegen Informationen (über die ökologische Wirkung des Stoffstroms) angesichts von epistemischer und prognostischer Unsicherheit als sekundär anzusehen sind. Zentral ist somit der Stoffstrom und nicht unmittelbar die ökologischen Grenzen des Wachstums.

Das Steady-State-Konzept unterscheidet sich genau in dieser Hinsicht von den produktions-theoretischen Annahmen der Klassiker über die Grenzen des Wirtschaftssystem. Denn diese nahmen für den Steady-State die Stationarität von Kapital, Bevölkerungswachstum oder Nahrungsmittelproduktion an. (Auch unterscheidet sich der Steady-State von neueren produktionstheoretischen Modellen.69) Das Skalierungskonzept von Daly hat aber nur dann Ähnlichkeiten mit einem solchen stationären Zustand der Klassiker, wenn physische Begrenzungen tatsächlich zu einer Stationarität von Wertgrößen, wie etwa dem Sozialprodukt, führen.

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