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Kommunikatives Handeln und Rationalität

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 50-53)

2.3 Die Lebenswelt als Quelle von Rationalität und Relevanz?

2.3.1 Kommunikatives Handeln und Rationalität

Zwar kann diskursive Rationalität nicht den philosophischen Begriff der Vernunft neu begründen (Schnädelbach, 1987), denn Rationalität ist selbst an Begründung gebunden (vgl. Peters, 1991, 167 ff), sie kann aber – ähnlich wie bei Apel – dem philosophischen Begriff der Vernunft ergänzend zur Seite treten (Habermas, 1981, I, 15 f und II, 583 f; Habermas, 1983, 9 ff; 11; 23; 25; 1988). Diesem Fokuswechsel von Vernunft auf Rationalität entspricht bei Habermas eine Sozialphilosophie, die nicht mehr die philosophischen Absolutheitsansprüche eines Kant oder Hegel vertreten will, sondern sich philosophisch zurücknimmt. Rationalität bietet gegenüber der Vernunft zudem den Vorteil, empirisch zugänglich zu sein. Die intersubjektive 'kommunikative Rationalität' steht bei Habermas (ebenso wie bei Apel) im Gegensatz zum selbstreflexiven Rationalitätsverständnis der Bewußtseinsphilosophie. Während jene das 'reflexive Haben ' von Vernunft im Subjekt verortet, erklärt sich Rationalität für die Universalpragmatik aus der Übernahme der Perspektive einer zweiten Person durch ein kommunikativ handelndes Subjekt: Rationalität ist nicht als introperspektivische Selbstreflexion zu verstehen, sondern als Diskurs, der sich dialogisch nach dem Modell der problematischen Geltung von Äußerungen vollzieht. "Die diskursive Thematisierung von Geltungsansprüchen, an denen sich die Rationalität unserer Äußerungen bemißt, und das reflexive Haben dieser Äußerungen stehen in einem komplementären Verhältnis:

sie verweisen aufeinander." (Habermas, 1999, 103) Habermas nimmt nun an, daß sich in der kommunikativen Struktur des Sprechens verschiedene Wurzeln der Rationalität finden lassen, die selber jedoch keine gemeinsamen Ursprünge in der Diskursstruktur der Begründungspraxis oder auch in der Reflexionsstruktur der Selbstbeziehung eines an Diskursen teilnehmenden Subjekts haben. Sprache ist gegenüber der Rationalität von Subjekten neutral. "Die welterschließende Kraft der Sprache ist weder rational noch irrational; als eine Ermöglichungsbedingung für rationales Verhalten ist sie selbst a-rational." (Habermas, 1999, 133)

Habermas geht davon aus, daß "die Diskursstruktur unter den verzweigten Rationalitäts-strukturen des Wissens, Handelns und der Rede einen Zusammenhang stiftet, indem sie die propositionalen, teleologischen und kommunikativen Wurzeln gewissermaßen zusammenführt."

(Habermas, 1999, 104; kursiv i. O.) Diskursrationalität bezeichnet demzufolge keine fundierende, sondern eine integrative Leistung, die drei Formen von Rationalität miteinander verbindet, nämlich die epistemische, die teleologische und die kommunikative Rationalität. Alle drei Formen sind sprachlicher Natur. Gleichwohl sei kommunikative Rationalität von Diskursrationalität zu unterscheiden, denn kommunikative Rationalität sitze der im Alltagshandeln verkörperten Sprache zwar auf, doch als Argumentationspraxis stelle sie zugleich eine Reflexionsform kommunikativen Handelns dar.

Die erkenntnistheoretische Rationalität sei nicht einfachhin als Erkennen von Tatsachen gekennzeichnet, sondern zudem als Wissen von Wahrheit.23 So impliziere die Rationalität eines Urteils trotz der 'platonischen' – weil falliblen – Natur von Wissen "nicht dessen Wahrheit, sondern nur seine begründete Akzeptabilität in einem gegebenen Kontext." (Habermas, 1999, 107f) Da sich in der epistemischen Rationalität Sprachgebrauch und Handeln verschränkten, spricht Habermas von einer epistemischen, sich nicht selbsttragenden Kernstruktur dieser Rationalitätsform. Diese Kernstruktur erlaube dennoch ein reflexives Haben von Wissen. Die Verschränkung von Handlung und Sprache werde etwa in den Wissenschaften methodisch erzeugt. Der pragmatische Begriff erfolgskontrollierten Handelns schließt Habermas zufolge praktisches Lernen aus negativen Erfahrungen ein. Habermas baut dabei auf der von Peirce' entdeckten abduktiven Schlußmethode auf, die hypothetisch von einer Art von Fakten auf eine andere Art von Fakten schließt24 und die wissenschaftstheoretische Funktion haben, neue Hypothesen zu entdecken und aufzustellen, d.h.

erkenntniserweiternd zu wirken: "Wir lernen aus Enttäuschungen, indem wir Überraschungen mit abduktiver Urteilskraft verarbeiten und das problematisch gewordene Wissen revidieren. (Auf der reflexiven Ebene der Wissenschaft werden solche produktiv zu verarbeitenden Enttäuschungen methodisch erzeugt; der Handlungsbezug der falsifizierten Enttäuschungsevidenzen verrät sich insbesondere im experimentellen Handeln.)" (Habermas, 1999, 107 f) Daß wissenschaftliche Tätigkeiten und sprachliche Kommunikation tatsächlich in dem von Habermas hier behauptet unproblematischen Verhältnis zueinander stehen, ist zu bezweifeln. Diese im Kontext der Nachhaltigkeit äußerst problematischen Annahmen werden aber sogleich noch detailliert zu betrachten sein.

Habermas zufolge ist teleologische Rationalität allem Handeln inne, denn dieses sei intentional und ziele immer auf die Realisierung eines gesetzten Zwecks. Dabei zeigten nicht faktische Handlungsfolgen in der Welt teleologische Rationalität an, sondern die intentional gewählten und eingesetzten Mittel eines Aktors mit denen dieser Ziele erreiche. "Ein erfolgreicher Aktor hat dann rational gehandelt, wenn er (a) weiß, warum er Erfolg hatte (bzw. den gesetzten Zweck unter normalen Umständen hätte realisieren können), und wenn (b) dieses Wissen den Aktor (mindestens teilweise) motiviert, so daß dieser seine Handlung aus Gründen ausführt, die zugleich deren möglichen Erfolg erklären können." (Habermas, 1999, 109) Nicht-kommunikative Handlungen sind strategisch, wenn sie auf Subjekt, und instrumentell, wenn sie Objekte abzielen. Im einfachsten Fall

23 B. Peters spricht in bezug auf symbolische Gebilde und Sinngehalte von Wahrheit und Richtigkeit und nicht von Rationalität. Aufgrund des generell pragmatischen Charakters von Rationalität sei es sinnvoll, 'rational' nur auf pragmatische Kontexte, "eingeschlossen die Akzeptanz oder Beurteilung solcher Sinngebilde als wahr, richtig usw., zu beschränken." (Peters, 1991, 179) Er bezieht mit der pragmatischen Tradition Rationalität auf das Lösen von Problemen und unterscheidet mit Habermas kognitiv-instrumentelle, moralisch-praktische und evaluativ-expressive Rationalität, die in Wahrheit und Richtigkeit ihre Standards hätten. Ausgangspunkt bleibt dabei die Erklärung sozialen Handelns. Handlungsrationalität beinhalte dabei immer alle drei Aspekte von Rationalität, sonst könne nicht von rationalem Handeln gesprochen werden. Peters verweist auf die Möglichkeit von Konflikten zwischen normativer und empirisch-kognitiver Rationalität im Prozeß der Wissensbeschaffung und Wissenssteigerung, die an bestimmte Lebensbereiche mit vereinseitigter Handlungsrationalität angebunden sein könne.

24 Dazu das folgende Beispiel eines abduktiven Schlusses: Wenn die Regel lautet, daß alle Bohnen aus einem Sack weiß sind und das Resultat vorliegt, daß alle Bohnen weiß sind, dann könnte es der Fall sein, daß die Bohnen aus eben jenem Sack sind.

können Handlungen, wie etwa in der Theorie rationaler Wahl, die Form eines praktischen Schlusses haben.

Kommunikative Rationalität drücke sich, so Habermas, nicht in Sprache per se, sondern in der einigenden Kraft verständigungsorientierter Rede aus. Diese sichere für die beteiligten Sprecher gleichzeitig die intersubjektiv geteilte Lebenswelt und damit den Horizont, innerhalb dessen sich alle auf ein und dieselbe objektive Welt beziehen könnten. Dabei verbänden sich Sprache und Handlungen zu Sprechakten, die eine interpersonale Beziehung mit einer zweiten Person herstellten. Mit Sprechakten verfolge ein Sprecher das Ziel, sich mit einem Hörer über etwas zu verständigen. "Dieses – wie wir sagen wollen – illokutionäre Ziel ist zweistufig: Der Sprechakt soll vom Hörer zunächst verstanden und dann – nach Möglichkeit – akzeptiert werden. Die Rationalität des verständigungsorientierten Sprachgebrauchs hängt dann davon ab, ob die Sprechhandlungen so verständlich und akzeptabel sind, daß der Sprecher damit illokutionäre Erfolge erzielt (oder unter normalen Umständen erzielen könnte)." (Habermas, 1999, 111) Ein derartiger Erfolg bemesse sich an der intersubjektiven Anerkennung, die der mit ihr erhobene Geltungsanspruch finde, wobei dabei Habermas zufolge eine Kommunikationssituation vorauszusetzen sei, die eine vollständige Rollenverteilung zwischen erster, zweiter und dritter Person erlaube. Diese Kommunikationsvoraussetzungen relativiert Habermas jedoch in bezug auf den epistemischen und teleologischen Sprachgebrauch. Hier seien sie weniger zwingend, da die Sprecher keine illokutionären Ziele verfolgten (Habermas, 1999, 113). "Argumente und Aufforderungen sind von Haus aus pragmatischer Natur und können deshalb (anders als Aussage- und Absichtssätze) nur zusammen mit den interpersonalen Beziehungen, die ihrer Bedeutung inhärent sind, internalisiert werden. Aussagen und Absichten lassen sich des illokutionären Sinnes von Behauptungs- und Ankündigungsakten entkleiden, ohne ihre Bedeutung zu verlieren, während eine Aufforderung ohne illokutionäre Komponente selbst in foro interno keine Aufforderung bliebe." (Habermas, 1999, 115) Im Gegensatz zum nicht-kommunikativen Sprachgebrauch trete beim kommunikativen Sprachgebrauch ein Geltungsanspruch hinzu, mit dem der Sprecher den Hörer konfrontiert. Implizit solle der Hörer damit zur selben Auffassung wie der Sprecher gelangen und die von diesem erhobenen Geltungsansprüche akzeptieren. Dabei ist genau zwischen Einverständnis und Verständigung zu unterscheiden.

Einverständnis im strengen Sinne wird nur dann erreicht, wenn die Beteiligten einen Geltungsanspruch aus denselben Gründen akzeptieren können, während eine Verständigung auch dann zustande kommt, wenn der eine sieht, daß der andere im Lichte seiner Präferenzen unter gegebenen Umständen für die erklärte Absicht gute Gründe hat, d. h. Gründe, die für ihn gut sind, ohne daß sich der andere diese Gründe im Lichte eigener Präferenzen zu eigen machen müßte. Aktorunabhängige Gründe erlauben einen stärkeren Modus von Verständigung als aktorrelative Gründe. (Habermas, 1999, 116 f)

Im diskursiven Wettbewerb um das bessere Argument, stehe das einverständige Einlösen des Geltungsanspruchs so lange aus, "bis aktorunabhängige Gründe den strittigen Wahrheitsanspruch grundsätzlich für alle Beteiligten rational akzeptabel machen." (ebd., 116)

Soziale Handlungen definieren sich dadurch, daß sich Aktoren in der Verfolgung ihrer je eigenen Handlungspläne auch an dem erwarteten Handeln anderer orientieren. Habermas schließt an Max Weber an: Von kommunikativem Handeln könne gesprochen werden,

wenn Aktoren ihre Handlungspläne über sprachliche Verständigung, also in der Weise miteinander koordinieren, daß sie dazu die illokutionären Bindungskräfte von Sprechakten nutzen (1). Im strategischen Handeln liegt dieses Potential kommunikativer Rationalität brach, und zwar auch dann, wenn die Interaktionen sprachlich vermittelt sind. Weil die Beteiligten hier ihre Handlungspläne über reziproke Einflußnahme miteinander koordinieren, wird die Sprache nicht im erläuterten Sinne kommunikativ, sondern folgenorientiert verwendet. Für die Analyse dieses Sprachgebrauchs bieten die sog. Perlokutionen einen geeigneten Schlüssel (2).

(Habermas, 1999, 122)

Im Dokument Diskurs und Nachhaltigkeit (Seite 50-53)