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Sicherheit und Zusammenleben: Vorstadt-, Tor- und Mauer-

IV. Inhaltliche Aspekte

IV.5. Weitere Ordnungen

IV.5.3. Sicherheit und Zusammenleben: Vorstadt-, Tor- und Mauer-

Wie bereits weiter oben besprochen1212, galt es als Grundpflicht der Bürger, zu denen auch die Handwerksmeister zählten, der Stadt Wehr- und Sicherheitsdienst zu leisten.

Die Stadtverwaltung erließ jedoch ab dem 15. Jahrhundert zunehmend umfangreichere Sicherheitsordnungen, die auf eine allgemeine Organisation des Wacht- und Wehrsystems abzielten.

An erster Stelle ist hier die Ordnung der geschworenen Vierer vor den Toren von 1432 zu nennen1213. Diese Gruppe aus vier ehrbaren Männern pro Vorstadtgebiet – also jeweils in einem bestimmten Bereich vor den vier Haupttoren Stubentor, Widmertor, Kärntner-tor und SchottenKärntner-tor – soll von der Gemein jedes Jahr zu Weihnachten gewählt und am ersten Ratstag nach Weihnachten durch den Stadtrat nach erfolgter Eidesleistung1214 be-stätigt werden; zwei der erwählten Vierer pro Stadttor bleiben auch im kommenden Jahr in diesem Amt, zwei andere werden neu gewählt (Art. 1). Die in der Ordnung genannten Aufgabengebiete der geschworenen Vierer sind vielfältig. Anscheinend gibt es einen fixen Termin für die jährliche Beschau aller Feuerstätten, und zwar die Zeit zwischen dem ers-ten und dem 29. September, also vor Beginn der Heizperiode; eine laufende Beschau der Feuerstätten ist jedoch ebenso üblich, um mögliche Brandherde rechtzeitig zu erkennen und die Brandgefahr zu beseitigen (Art. 2). Vor dem vierten Fastensonntag, dem Sonntag Laetare, müssen die Vierer in ihren Zuständigkeitsbereichen auch alle Wege, Gräben und Fußpfade (stigel ) besichtigen sowie ungewöhnliche bzw. verbotene Bauten und Wege an-zeigen, die Besitzer derselben zur Änderung anhalten und bei Nichtbefolgung bestrafen (Art. 3). Haus- und Grundstücksbeschau (Art. 4, 5) zählen also wohl zu den Hauptagen-den der Vierer. Bei Fragen von Grenzziehungen infolge von Grundstücksteilungen kön-nen sie ebenfalls anwesend sein (Art. 7). Die Vierer sind auch berechtigt, eikön-nen Weingar-ten ze reys zu sagen, also den Grund infolge einer unsachgemäßen Bebauung einem neuen Besitzer zu übertragen (Art. 8)1215. Bei der Beschau und als Merkmal für einen negativ beschauten Grund, bei dem Änderungen zu erwarten sind, stoßen die Vierer offenbar ein erkennbares Zeichen (march oder krewtz) in den Boden, das vom Grundstücksbesitzer nicht entfernt werden darf (Art. 3, 11). Für all diese Leistungen der Vierer müssen die betroffenen Personen eine Abgabe in genau festgelegter Höhe entrichten.

In Summe kann also gesagt werden, dass die Vierer vor den Toren sowohl Zustän-digkeiten im Brandschutz als auch in der Grundstücks- und Hausbeschau hatten; ihr Zuständigkeitsbereich lag in den Vorstädten Wiens. Für den Bereich innerhalb der Stadt-mauern wurden ab 1454 eigene Amtsträger bestellt, die ähnliche Aufgabengebiete inne-hatten wie die Vierer vor den Toren: die geschworenen Werkleute1216. Spätestens ab 1522 sind in Wien auch sogenannte Feuerrufer als von der Stadt besoldete Wachtkräfte

nach-1212 Siehe oben S. 119–121.

1213 Siehe Nr. 232. Siehe zu den Aufgaben der Vierer auch Czeike, Feuerlöschwesen 30; Pils, Brandge-fahr 187; Kowarsch-Wache, Feuerbeschau 151.

1214 Siehe Nr. 54.

1215 Vgl. zu diesem Ausdruck DRW 11 (2003–2007) 764f.

1216 In diesem Jahr wurde für die Stadt Wien eine Feuerordnung erlassen, Druck: FRA II/7 6–9; Rechte und Freiheiten 2, ed. Tomaschek Nr. CLIV. Siehe zu diesen und ausführlich zu anderen Bestimmungen der Ordnung von 1454 auch Czeike, Feuerlöschwesen 34–38. Für die im HWOB überlieferten Eide der Werkleute siehe Nr. 46; 52; 354; oben S. 156.

weisbar, die die Stadtviertel nach Brandherden kontrollierten und auch – geht man nach ihrem im HWOB überlieferten Eid – sonstige Streitigkeiten und Unruhen der Obrigkeit melden sollten1217.

Diese Vorstädte spielen auch in der neuen Stadtvierteleinteilung eine Rolle, die von Bürgermeister und Rat der Stadt am 13. Mai 1444 erlassen worden ist1218. Die an den vier Haupttoren orientierte Gliederung der Stadt in Viertel geht wohl auf das frühe 13.

Jahrhundert zurück, kann jedoch erstmals für das Jahr 1323 mit Sicherheit nachgewiesen werden1219. Diese Stadtviertel waren vor allem als Sprengel für das militärische Aufgebot der Bürger bedeutend1220, aber auch für die Auswahl der Genannten1221 und für die Ein-hebung von Steuern. Auf die Ausdehnung der Stadt jenseits der Ringmauer reagierte man mit der Ordnung von 1444, durch welche die Kompetenzbereiche der einzelnen Viertel auf die Vorstädte erweitert wurden1222. Interessanterweise wird neben Kärntner-, Wid-mer- und Schottenviertel nicht das Stubenviertel, sondern das Gebiet um das Werdertor als viertes genannt. Wahrscheinlich kann dies damit begründet werden, dass die Vorstadt Scheffstraße, die vor dem Stubenviertel lag, ein landesfürstliches Eigengut war und somit nicht zur Verteidigung der Stadt herangezogen werden konnte1223.

Dass die Wachtdienste um und nach 1500 immer mehr in die Hand von fix bediens-teten Arbeitskräften gelegt wurden, wurde bereits behandelt1224. In diesem Zusammen-hang ist auch die um 1531 erlassene Ordnung der Wächter zu sehen, die für jedes der vier Stadtviertel vier Wachtkräfte vorsieht1225. Für das Stubenviertel bzw. die Wacht am Stu-bentor wird das System am genauesten erklärt: Von den vier Wächtern müssen jeweils zwei gleichzeitig ihren Dienst verrichten. Die Wacht beginnt mit dem abendlichen Läuten der Bierglocke, mit dem auch die Stadttore zugesperrt werden, und dauert für zwei Wächter zunächst bis Mitternacht. Anschließend daran übernehmen die zwei anderen den Dienst bis zum morgendlichen Aufsperren der Tore und werden dann wieder von den ersten bei-den Wächtern, die vor Mitternacht tätig gewesen sind, bis zwölf Uhr mittags abgelöst.

Nach Mittag kommt es zur erneuten Ablöse durch diejenigen Männer, die nach Mitter-nacht bis zum Aufsperren der Tore gewacht haben. Somit ergeben sich als Ablösezeiten das Bier glockenläuten, Mitternacht, das Aufsperren der Stadttore und Mittag (Art. 1–3)1226. In den anderen Stadtvierteln soll die Wache auf dieselbe Weise ablaufen (Art. 4–6).

Abschließend sei noch das sehr ausführliche Banntaiding für die Bewohner des Unte-ren Werds erwähnt, in dem vor allem das Zusammenleben der Menschen in Hinblick auf

1217 Siehe Nr. 280; Brunner, Finanzen 228; Czeike, Feuerlöschwesen 60f.; Pils, Rand 118; Fischer, Anfänge 357.

1218 Siehe Nr. 233.

1219 Opll, Grenzen 91–93; Perger, Straßen 136; Enderlin, Sicherheit 237.

1220 Siehe dazu die Aufgebotsordnung von 1405 oben S. 31 Anm. 144. Hier werden sieben Versamm-lungsorte für die Bürger genannt, zu den vier ursprünglichen Vierteln (Stuben-, Kärntner-, Widmer- und Schottenviertel) kommen noch Aufgebote beim Werder-, beim Rotenturm- und beim Salzturmtor dazu; siehe dazu auch Opll, Grenzen 97.

1221 Siehe Weinzettl, Genanntenliste 4–9; die Namen der Genannten sind nach Stadtvierteln und den dazugehörigen Vorstädten untergliedert.

1222 Müller, Räumliche Entwickelung 154, 162; Opll, Grenzen 98; Perger, Straßen 137.

1223 Opll, Grenzen 98 Anm. 41.

1224 Siehe oben S. 121, und die Ausführungen weiter oben in diesem Kapitel zu den Feuerrufern, die ebenso in diese Periode der Professionalisierung der Sicherheitskräfte in Wien fallen.

1225 Siehe Nr. 279, und vgl. allgemein dazu Veltzé, Stadtguardia 1 533; ders., Stadtguardia 2 9; Opll, Zeitverständnis 39; Pils, Rand 117; Fischer, Anfänge 361.

1226 Siehe für eine genaue Beschreibung der Ablösezeiten auch Pils, Rand 117 Anm. 29.

rechtliche Fragen wie Diebstahl, Streit, Hausfriedensbruch, Totschlag, Eigentumsansprü-che etc. geregelt wird1227. Banntaidinge sollten im besten Fall regelmäßig abgehalten wer-den, in den Gemeinden des Landes Österreich beispielsweise zwei- bis dreimal im Jahr1228. Sie stellten Versammlungen der Bevölkerung und des Inhabers der Herrschaft bzw. dessen Vertreters dar, bei denen wohl im Zusammenspiel aller versammelten Personen Urteile auf vorgebrachte Rechtsfragen getroffen wurden1229.

Lange Zeit ging die Forschung fast einheitlich davon aus, dass Weistümer das direkte Produkt solcher Taidinge wären, also die Verschriftlichung von mündlich tradiertem Recht1230. Erst in den letzten Jahren wurde die Schriftlichkeit der Weistümer vermehrt betont: Zwar stehe außer Frage, dass es die Taiding- bzw. Dingversammlungen tatsäch-lich gegeben habe, doch seien Weistümer davon unabhängig entstandene Rechtstexte, in denen die Oralität bewusst als archaisierendes Element eingesetzt worden sei. Weis-tümer seien somit durch Kompilation und mehrere redaktionelle Überarbeitungen von herrschaftlicher Seite aus seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert entstanden, die Dar-stellungsweise der lokalen Rechte habe sich dabei vor allem seit der Zeit um 1400 geän-dert: Zunächst sei die Gültigkeit der in den Texten enthaltenen Regeln durch eine ein-malige Versammlung mit Zustimmung der versammelten Akteure begründet worden.

Gegen Ende des Spätmittelalters tauche in den Weistümern vermehrt das Element der Rechtsweisung in regelmäßigen Dinggerichten bzw. Taidingen auf, auf welche die ein-zeln besprochenen Rechte zurückzuführen wären. Die Rechtsweisung – also die durch kundige Personen erfolgte Verkündigung von Regeln, nach denen gewisse Rechtsfälle der Gewohnheit nach zu entscheiden sind – sei in den Weistümern bewusst dazu eingesetzt worden, um das Alter der in den Texten enthaltenen Rechte auf eine Zeit vor deren Ver-schriftlichung zurückzuführen1231.

Das Banntaiding des Unteren Werds passt eindeutig in das oben beschriebene Schema der zunehmenden Betonung der Mündlichkeit und der alten Gewohnheit, des alten her-kommens. Schon der erste Artikel hebt unmissverständlich hervor, dass gewisse befragte

1227 Siehe Nr. 297. Ähnliche Inhalte finden sich im Banntaiding des Oberen Werds, vgl. Weisthümer NÖ 1, ed. Winter Nr. 125.

1228 Czeike, Lexikon Wien 1 248. Teuscher, Recht 46f., 89–91, gibt zu bedenken, dass die Regelmä-ßigkeit von solchen Versammlungen (von ihm als „Dinggerichte“ bezeichnet) regional sehr unterschiedlich war.

In manchen Herrschaften erfolgte über Jahre hinweg keine Einberufung von Dinggerichten bzw. Taidingen, in anderen nachweislich mehrmals im Jahr, jedoch lassen sie sich im letztgenannten Fall dann meist kaum von nach Bedarf einberufenen, kleineren Sitzungen des lokalen Gerichts unterscheiden.

1229 Feigl, Rechtsweisung 431–437, beschreibt den Ablauf solcher Versammlungen detailliert, siehe dazu auch ders., Grundherrschaft 158–163; vgl. ebenso Teuscher, Recht 91–95, der auch hier wieder regio-nale Differenzierungen hervorhebt. Für einen verstärkten Einfluss der herrschaftlichen Seite in den Ergebnissen der Taidinge plädiert unter anderem Rösener, Dinggenossenschaft 73–75.

1230 Einen Überblick über die umfangreiche, in die erste Hälfte des 19. Jhs. zurückgehende Weistums-forschung bietet Teuscher, Recht 15–26. Der Editor der Niederösterreichischen Weistümer, Gustav Winter, stellt auch die von ihm edierten Texte in die Tradition des „alten deutschen Rechtes“ und sieht diese – sich auf Grimm berufend – im Einklang mit der damals vorherrschenden Forschungsmeinung als „herrliches Zeugnis der edlen und freien Art unseres eingebornen Rechts“, vgl. dazu Winter, Banntaidingwesen 234f. Auch Feigl, Rechtsweisung passim, steht der prinzipiellen Mündlichkeit von Weistümern in keinster Weise skeptisch ge-genüber, wenngleich er treffend zwischen gewohnheitsrechtlichen Inhalten und im Zuge des Taidings neu ent-standenen Rechten unterscheidet. Siehe zur Sammlungspraxis der Weistumsforschung im 19. Jh. auch Ottner, Praxis passim.

1231 Vgl. dazu vor allem die Arbeiten von Simon Teuscher, unter anderem Teuscher, Enquiries 250f.;

ders., Erzähltes Recht 206–255; ders., Rights 132–165; ders., Mediengeschichte 84–88.

Personen die in diesem Text enthaltenen Rechte unter Eid vermeldet hätten1232; auf das Gewohnheitsrecht wird dezidiert im letzten Artikel hingewiesen1233. Den Überlieferungen nach zu urteilen, dürfte die Niederschrift des Weistums in der hier vorliegenden Form erst im 15. Jahrhundert erfolgt sein. Neben der Eintragung in das HWOB existiert noch eine zweite, der Schreiberhand nach jedenfalls in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts zu setzende Niederschrift des Textes1234. Eine ältere Überlieferung konnte nicht ausfindig gemacht werden, was gleichzeitig jedoch nicht bedeutet, dass es nicht schon ältere Versio-nen des Weistums gegeben hat.

Inhaltlich ist der Text jedenfalls sehr vielfältig: Neben detaillierten Bestimmungen zu allen möglichen Fällen von privaten Streitigkeiten – auf die an dieser Stelle nicht genauer eingegangen wird – erhält man durch das erwähnte Banntaiding auch einen Eindruck von der Verwaltungsorganisation des Unteren Werds. Die Stadt Wien – die seit dem 14.

Jahrhundert Grundherrschaft in diesem Gebiet ausübt1235 – setzt einen Amtmann als Ver-walter des Gebiets ein, dessen Aufgabengebiete die Einhebung von Abgaben, die Aufsicht über das Vieh und die Überfuhr (urvar) über die Donau sind1236. Der Amtmann im Un-teren Werd hat vier knechte als Untergebene, von denen zwei jeweils für das Vieh und zwei für die Überfuhr zuständig sind1237. Der jeweils amtierende Amtmann kann offenbar auf Ansuchen der Hausgenossen und mit Willen des Bürgermeisters durch eine andere Person ersetzt werden1238. Neben dem Amtmann und seinen Knechten gibt es noch vier geschworene Männer, die für die Beschau aller möglichen Notwendigkeiten (waz in not sey) zuständig sind1239. Als Termin für das jährliche Banntaiding, das in Anwesenheit die-ser vier Geschworenen, des Amtmanns und eines Vertreters der Stadt stattfindet, wird der Sonntag nach dem Georgstag (24. April) festgelegt, wobei es auch vierzehn Tage später ein Nachtaiding geben soll, um beim ersten Termin Vergessenes nachzutragen1240. Der angegebene Tag dürfte jedoch kaum regelmäßig eingehalten worden sein1241.

1232 Siehe Nr. 297 Art. 1: So meldent sy daz bey irem aid. In zahlreichen weiteren Artikeln des Weistums wird auf die Aussage unter Eid angespielt. Vgl. die Rechte der Müller an der Schwechat, die laut Ordnung auch auf Grundlage der Aussage von vier geschworenen Männern niedergeschrieben wurden, siehe Nr. 189.

1233 Nr. 297 Art. 30: Es ist von alter herkomen. Vgl. dazu auch das Recht (recht und alts herkhomen) der Flößer, das in der ersten Hälfte des 16. Jhs. laut Narratio der Ordnung nach der Vorlage einer allten schrifft in das HWOB eingetragen wurde – auch hier sind die Anklänge an den Stil der Weistümer eindeutig, siehe Nr.

351.

1234 WStLA, Sammlungen, Handschriften, B 121 fol. 1r–5v. Im 16. Jh. wurde der Text nochmals gründ-lich überarbeitet, siehe die Varianten bei Nr. 297.

1235 Brunner, Finanzen 143; Czeike, Lexikon Wien 1 248.

1236 Vgl. auch Brunner, Finanzen 143.

1237 Siehe Nr. 297 Art. 12, 25.

1238 Siehe Nr. 297 Art. 28.

1239 Siehe Nr. 297 Art. 29.

1240 Siehe Nr. 297 Art. 1.

1241 Winter, Banntaidingwesen 208; Brunner, Finanzen 198. Der Sonntag nach dem Georgstag als vorgegebener Termin dürfte – geht man nach einer im WStLA befindlichen Handschrift (Sammlungen, Hand-schriften, B 121), in der das Banntaiding des Unteren Werds parallel überliefert ist – spätestens im Laufe des 16. Jhs. abgekommen sein, da dort eine Hand aus diesem Zeitraum den Sonntag nach dem Peterstag (29. Juni) ergänzt und den Georgstag streicht. Siehe Nr. 297 Art. 1 Anm. b.